HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 654
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 286/20, Urteil v. 20.04.2021, HRRS 2021 Nr. 654
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin R. wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 8. Januar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das vorgenannte Urteil - auch soweit es den Angeklagten Ba. betrifft - im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten A. wird verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafen von sechs Jahren (Angeklagter A.) sowie von vier Jahren und sechs Monaten (Ba.) verurteilt.
Mit ihren hiergegen gerichteten, jeweils auf die Rüge einer Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen erstreben die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin R. eine Aufhebung des Urteils mit dem Ziel einer Verurteilung beider Angeklagten auch mit Blick auf die Todesfolge. Auch der Angeklagte A. wendet sich mit der Sachrüge gegen das landgerichtliche Urteil. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben umfassend Erfolg. Die Revision des Angeklagten A. führt - gemäß § 357 Satz 1 StPO auch mit Wirkung für den nicht revidierenden Mitangeklagten Ba. - zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch und ist im Übrigen unbegründet.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagten kamen im Rahmen eines im Vorfeld des Abends des 2. November 2018 verabredeten gemeinsamen Tatplans überein, den wohlhabenden, alleinstehenden und lungenkranken Bekannten des Angeklagten A., Rie., in seinem Anwesen um dessen dort vermutete Wertgegenstände, insbesondere Bargeld und Gold, zu bringen. Der auf Initiative des Angeklagten A. gefasste Tatplan sah dabei vor, dass der Angeklagte Ba. die Wohnung des Rie. über die - wie A. wusste -stets geöffnete Terrassentür betreten und Rie. durch eine Drohung oder notfalls auch durch einfache Gewalt zur Übergabe seiner in der Wohnung und im angrenzenden Bürotrakt befindlichen Wertgegenstände zwingen sollte. Der Angeklagte A. wollte dagegen dem Anwesen wegen der aufgrund seiner Bekanntschaft mit Rie. erhöhten Entdeckungsgefahr fernbleiben und Ba. später mit der Beute abholen. Beide Angeklagten waren sich der gesundheitlichen Vorbelastung des Rie. und der hierdurch erhöhten Todesgefahr bewusst und wollten den Eintritt schwerer Gesundheitsschäden bei diesem möglichst vermeiden.
Dem Tatplan entsprechend betrat der Angeklagte Ba. am 2. November 2018 gegen 18:50 Uhr durch die unverschlossene Terrassentür die Wohnung des Rie., der sich zu dieser Zeit - wie beide Angeklagten wussten - im angrenzenden Bürotrakt des Anwesens aufhielt. Ba. hatte sich Wollmütze und Winterjacke etwas ins Gesicht geschoben und ging daher davon aus, dass ihn Rie., mit dem es nur am Vorabend bei Dunkelheit zu einer kurzen Begegnung im Beisein des Angeklagten A. gekommen war, nicht erkennen würde. Nach Betreten der Wohnung hielt sich Ba. im unbeleuchteten Wohnzimmer verborgen und wartete auf Rie., um diesen tatplangemäß unter Drohung oder notfalls Anwendung einfacher Gewalt zur Herausgabe seiner Wertgegenstände zu bewegen. Durch ein von Ba. beim Öffnen der Terrassentür erzeugtes Geräusch aufmerksam geworden, begab sich Rie. über den Garten und durch die Terrassentür in den Wohntrakt, wo er den Angeklagten Ba. im Wohnzimmer erblickte, aber zunächst nicht als den ihm nur am Vorabend flüchtig begegneten Begleiter des Angeklagten A. erkannte. Ba. gab Rie. zu verstehen, dass er leise sein solle, was dieser ignorierte und in Richtung der Terrassentür ging. Ba. folgte Rie., packte ihn von hinten, hielt ihm den Mund zu und gab ihm zu verstehen, dass er Geld wolle. Rie. versuchte nach Kräften, sich zu befreien, biss Ba. in die Hand und schrie. Der sich entwickelnde kurze Kampf endete damit, dass Rie. vor dem Wohnzimmerschrank zu Boden ging, krankheitsbedingt nach Luft rang und in Todesangst im Wissen um seine körperliche Unterlegenheit dem Angeklagten Ba. signalisierte, seinen Widerstand aufzugeben und - wie gefordert - Geld zu übergeben. Da der Angeklagte Ba. nunmehr davon ausging, dass sich die Tat plangemäß umsetzen lasse, verbrachte er Rie. ins Schlafzimmer und holte diesem ein Glas Wasser, damit er sich erholen könne und ihm dann Geld und Gold aushändigen werde.
Hinsichtlich des weiteren Fortgangs hat das Landgericht alternativ die folgenden zwei Geschehensvarianten festgestellt, die es als nicht widerlegbar erachtet und deshalb jeweils nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu Gunsten des einen beziehungsweise anderen Angeklagten unterstellt hat:
1. Variante (zu Gunsten des Angeklagten Ba.): Der Angeklagte Ba. rief den Angeklagten A. um 18:58 Uhr auf dessen Mobiltelefon an, um ihm mitzuteilen, dass alles plangemäß laufe; trotz einer Verbindung kam jedoch ein Gespräch nicht zustande. A., der Ba. vor dem Haus Rie. s abgesetzt hatte und erst wenige Sekunden vor dem Anrufversuch in seiner nahegelegenen eigenen Wohnung angekommen war, verließ bereits um 18:59 Uhr erneut seine Wohnung und traf spätestens um 19:03 Uhr wieder in der Nähe des Anwesens des Rie. ein. Ein weiterer Anruf Ba. s um 19:00 Uhr erreichte A. nicht mehr. Gegen 19:05 Uhr betrat A. entgegen dem gemeinsamen Tatplan die Wohnung des Rie. durch die Terrassentür, während sich Ba. und Rie. noch im Schlafzimmer befanden. Da beide das auch diesmal durch das Öffnen der Terrassentür erzeugte Geräusch vernommen hatten, begab sich Ba. ins Wohnzimmer, wo er zu seiner Überraschung den Angeklagten A. in der Küche sah, und ihm bedeutete, dort zu bleiben, bis er das Geld erhalten und Rie. im Schlafzimmer eingesperrt habe. Bei Rückkehr ins Schlafzimmer sagte Ba. zu Rie., dass nichts gewesen sei. Rie. fragte daraufhin den Angeklagten Ba., ob er „O.“ (den Angeklagten A.) kenne, da er meine, ihn am Vorabend mit diesem gesehen zu haben. Ba. maß dem keine Bedeutung bei und hielt die Bemerkung für eine Frage „ins Blaue hinein“, weil er annahm, Rie. habe ihn trotz der kurzen Begegnung am Vorabend wegen der Dunkelheit und wegen seines durch die Kleidung teilweise verdeckten Gesichts nicht erkannt. Der Angeklagte A., der die Frage von Rie. ebenfalls gehört hatte, sah indes nunmehr den Tatplan als gescheitert an. Ba., der dies nicht erahnte, ging mit Rie. durch die Terrassentür und den Garten in den angrenzenden Bürotrakt hinüber, wo Rie. - noch immer unter dem Eindruck der körperlichen Einwirkung durch Ba. stehend - diesem 3.000 € an Bargeld übergab. Auf Aufforderung des Ba., ihm mehr Geld zu geben, sagte Rie. dies zu, weshalb sich beide durch den Garten und die Terrassentür zurück in das Wohnzimmer begaben, wo sich nach Angaben Rie. s weiteres Bargeld befinden sollte. Als Ba. im Begriff war, die Terrassentür zu schließen, kam der Angeklagte A., der sich wegen der vorangegangenen Äußerung des Rie. entschlossen hatte, diesen zu töten, entgegen dem gemeinsamen Tatplan hinzu. Er trat von hinten an den bereits im Flur befindlichen Rie. heran, packte ihn, hielt ihm den Mund zu, brachte ihn rücklings zu Boden und würgte ihn - mit den Knien dessen Hände fixierend - mehrere Minuten lang, wodurch beide Kehlkopfhörner von Rie. brachen und dieser - wie vom Angeklagten A. beabsichtigt - infolge des verursachten Sauerstoffmangels nach mindestens vier Minuten verstarb. Im Zuge seines Angriffs auf Rie. versetzte A. diesem zudem entweder mit einem scharfkantigen Gegenstand einen Schlag gegen den Kopf oder aber Rie. prallte beim Gerangel wuchtig gegen eine scharfe Kante und zog sich hierdurch ein Hämatom an der Stirn zu.
Der Angeklagte Ba., der mit einem Angriff des A. nicht gerechnet hatte und diesen auch nicht wollte, verstand nicht, was vor sich ging, und blieb bei dem Angriff des A. hilflos und verwirrt im Wohnzimmer stehen. Was im Flur passierte, konnte er wegen der Dunkelheit nicht genau sehen; aufgrund der Geräusche ging er aber von einem kurzen Kampf aus. Auf den Gedanken, dass A. Rie. erwürgen würde, kam er nicht. Erst nach dem Tod des Rie. erkannte Ba., was passiert war.
2. Variante (zu Gunsten des Angeklagten A.): Noch bevor der Angeklagte A. zum Tatort zurückgekehrt war, fragte Rie. den Angeklagten Ba., ob er „O.“ kenne, da er meine, ihn am Vorabend mit ihm gesehen zu haben. Ba. wusste nun, dass Rie. ihn erkannt hatte, und versuchte daher um 18:58 Uhr und um 19:00 Uhr, den Angeklagten A. zu erreichen. Nachdem zwar eine Verbindung, aber kein Gespräch zustande gekommen war, entschloss er sich, Rie. zu töten, sobald er von diesem das Geld erhalten hätte. Er ging mit Rie. über die Terrasse und den Garten hinüber in den Bürotrakt, wo dieser ihm - noch immer unter dem Eindruck der vorangegangenen Einwirkung stehend - 3.000 € gab. Als beide wieder durch den Garten und die Terrassentür ins Wohnzimmer zurückgekehrt waren, packte Ba. Rie. und würgte ihn mehrere Minuten lang, wodurch Rie. s Luftzufuhr unterbrochen und seine Kehlkopfhörner gebrochen wurden und dieser nach mindestens vier (höchstens acht) Minuten verstarb. Während dieses Angriffs schlug Ba. entweder mit einem scharfkantigen Gegenstand auf den Kopf des Rie. oder aber dieser schlug mit seinem Kopf an einer scharfen Kante an, wodurch sich ein Hämatom an seiner Stirn bildete.
Als Rie. bereits tot am Boden lag, kam A., der durch den Anrufversuch des Ba. alarmiert zum Anwesen von Rie. zurückgeeilt war, sich aber nach seiner Ankunft zunächst nur abwartend in der Nähe aufgehalten hatte, durch die Terrassentür hinzu, um zu sehen, was los war. A. fasste Rie. an den Hals, um dessen Puls zu fühlen, konnte aber nur dessen Tod feststellen.
Beide Angeklagten verließen sodann mitsamt dem Oberhemd von Rie. das Haus und teilten zu gleichen Teilen das erbeutete Geld. Das Hemd von Rie. versteckte A. in seiner Wohnung, bevor er mit einem Bekannten Einkäufe erledigte, um einem späteren Verdacht gegen sich vorzubeugen.
2. Das Landgericht hat beide Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangener räuberischer Erpressung schuldig gesprochen, sich aber keine Überzeugung von einer Verantwortlichkeit des A. oder des Ba. für den Tod des Rie. zu bilden vermocht; es ist insoweit jeweils nach dem zu Gunsten eines jeden der Angeklagten angewandten Zweifelssatz davon ausgegangen, dass der Tod von Rie. durch den jeweils anderen der beiden Angeklagten im Rahmen eines Mittäterexzesses herbeigeführt wurde.
1. Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin R.
Die jeweils zulässigen, auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin R. (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1, § 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO) haben Erfolg.
a) Das landgerichtliche Urteil erweist sich bereits deshalb als rechtsfehlerhaft, weil die von der Strafkammer alternativ - jeweils zu Gunsten eines der beiden Angeklagten - unterstellten Sachverhaltsvarianten nicht von einer lückenlosen und widerspruchsfreien Beweiswürdigung getragen sind und die Strafkammer eine nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Randgeschehen naheliegende dritte Geschehensvariante nicht in den Blick genommen hat, obwohl es sich hierzu hätte gedrängt sehen müssen. Es fehlt damit an einer tragfähigen Grundlage für den vom Landgericht aus seiner Beweiswürdigung gezogenen Schluss, eine Überzeugungsbildung dazu, wer von den beiden Angeklagten Rie. getötet habe, sei nicht möglich.
aa) Die Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 26. Januar 2021 - 1 StR 376/20 Rn. 10; vom 29. April 2015 - 5 StR 79/15 Rn. 8; vom 11. August 2011 - 4 StR 191/11 Rn. 7 und vom 13. Oktober 2020 - 1 StR 299/20 Rn. 7, jeweils mwN). Insbesondere ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 191/11 Rn. 7). Diesen Anforderungen genügt die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht in allen Punkten.
bb) Den landgerichtlichen Feststellungen zu den beiden alternativ unterstellten Sachverhaltsvarianten liegt eine widersprüchliche und lückenhafte Beweiswürdigung zugrunde.
(1) Die Beweiswürdigung, auf die das Landgericht die zu Gunsten des Angeklagten Ba. unterstellte Sachverhaltsvariante 1 gestützt hat, erweist sich bereits deshalb als rechtsfehlerhaft, weil die zu Gunsten von Ba. unterstellte Annahme, Rie. habe Ba. nach dessen unerwarteten Begegnung mit A. im Haus von Rie. gefragt, ob er „O.“ kenne, er meine, ihn am Vorabend mit diesem gesehen zu haben (UA S. 32 f., 187, 189), vom zeitlichen Ablauf nicht mit den Angaben des Angeklagten Ba. in Einklang steht und sie auch sonst keine Grundlage in der landgerichtlichen Beweiswürdigung findet. Die genannte Annahme steht im Widerspruch sowohl zu der Einlassung des Angeklagten Ba. in der Hauptverhandlung als auch zu dessen Angaben bei seinen polizeilichen Vernehmungen, wonach Rie. ihn bereits vor dem Antreffen A. s im Haus des Rie. auf seine Bekanntschaft mit diesem und auf die Begegnung am Vorabend angesprochen habe (vgl. zur Einlassung in der Hauptverhandlung UA S. 156: „Zuvor habe Rie. ihn gefragt, ob er den Angeklagten A. kenne… In der Küche habe er dann… A. getroffen“; vgl. zur polizeilichen Vernehmung UA S. 158: „…Rie. habe ihn gefragt, ob er den Angeklagten A. kenne… Cirka eine viertel Stunde später… sei der Angeklagte A. eingetroffen“). Dem Urteil ist im Übrigen auch nicht eindeutig zu entnehmen, ob die in Rede stehende Äußerung Rie. s nach der Einlassung Ba. s in der Hauptverhandlung (UA S. 156) vor oder nach dem durch das Öffnen der Tür durch A. erzeugten Geräusch gefallen sein soll, was indes für die Frage, ob A. die Äußerung überhaupt gehört und daher ein Motiv für die Tötung Rie. s gehabt haben könnte, von entscheidender Bedeutung ist. Dieser für die Plausibilität der Sachverhaltsvariante 1 äußerst gewichtigen Feststellung fehlt daher die Grundlage.
Weiter fehlt es auch an einer Auseinandersetzung des Landgerichts mit der für die Plausibilität der Sachverhaltsvariante 1 zentralen Frage, warum A. entgegen dem gemeinsamen Tatplan, wonach er zur Vermeidung seines hohen Identifizierungsrisikos nicht am Tatort in Erscheinung treten wollte und er Ba. mitsamt der Beute erst nach einer Stunde (also gegen 19:45 Uhr) abholen sollte, bereits um 19:03 Uhr zum Tatort zurückkehrte. Zu einer solchen Überlegung hätte das Landgericht Veranlassung gehabt, weil sich die vorzeitige Rückkehr des A. zum Tatort nicht von selbst erklärt, es sich bei der Anwesenheit des Angeklagten A. zur Zeit der Äußerung Rie. s um den für die Plausibilität der Tatvariante 1 zentralen Punkt handelt und namentlich eine Änderung des Tatplans in Rede steht. Unter diesem Gesichtspunkt hätte das Landgericht auch die telefonischen Kontakte der beiden Angeklagten würdigen müssen, zumal ein Kontakt wenigstens 43 Sekunden gedauert hat.
Schließlich stellt sich die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Tatvariante 1 mit Blick auf die Annahme, der Angeklagte Ba. habe das Geschehen im Flur von seinem Standort aus nicht genau sehen können, als widersprüchlich dar. Sowohl in der Hauptverhandlung als auch in der polizeilichen Vernehmung hat der Angeklagte Ba. Details des tätlichen Angriffs durch A. im Flur geschildert. So hat er in der Hauptverhandlung mitgeteilt, dass A. Rie. im Flur mit beiden Händen von hinten gepackt, ihm den Mund zugehalten, ihn zu Boden gebracht und auf ihm gekniet habe (UA S. 157). Auch in der polizeilichen Vernehmung schilderte er das Geschehen ähnlich (UA S. 159). Warum der Angeklagte Ba., der nach eigener Einlassung zumindest einige Gewalthandlungen des A. gegen Rie. im Detail wahrgenommen hat, von seinem Standort aus nicht gesehen beziehungsweise erkannt (und auch nicht für möglich gehalten) haben will, dass A. Rie. würgte, erschließt sich daher aufgrund der Beweiswürdigung des Landgerichts nicht.
(2) Die der unterstellten Sachverhaltsvariante 2 zugrundeliegende Beweiswürdigung stellt sich ebenfalls als widersprüchlich dar und begründet einen Verstoß gegen die Denkgesetze. Denn die auf die Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen gestützten - an sich schon nicht ganz widerspruchsfreien - Annahmen, Rie. sei gegen 19:30 Uhr gewürgt worden beziehungsweise dessen Tod sei frühestens gegen 19:30 Uhr, wahrscheinlich aber später eingetreten (UA S. 174, 175, 256), stehen mit der weiteren Feststellung im Rahmen der unterstellten Sachverhaltsvariante 2, der Angeklagte A. habe dem ohne sein Zutun bereits verstorbenen Rie. noch an den Hals gefasst, um dessen Puls zu fühlen, bevor die Angeklagten das Anwesen um 19:28:18 Uhr verlassen hätten - so die Auswertung des DSL-Routers (UA S. 188, 227, 232 - UA S. 256: ca. 19:26 Uhr) - in unauflösbarem Widerspruch.
cc) Das Landgericht hat zudem im Rahmen seiner Beweiswürdigung die bei umfassender Gesamtschau der von ihm getroffenen Feststellungen zum Randgeschehen jedenfalls nicht fernliegende bereits unter (1) angesprochene Möglichkeit außer Betracht gelassen, dass der Angeklagte A. - durch den Anruf des Ba. um 18:58 Uhr alarmiert - zum Tatort zurückgekehrt sei. Dann würden sich die Angeklagten aufgrund der Äußerung Rie. s gegenüber Ba., ob er „O.“ kenne, er meine, ihn am Vorabend mit diesem gesehen zu haben, unter Änderung des ursprünglichen Tatplans zur Tötung des Rie. zwecks Verdeckung des Erpressungsgeschehens entschlossen und dies nachfolgend umgesetzt haben. Zu einer Auseinandersetzung mit einem solchen möglichen Tathergang hätte Anlass bestanden, nachdem der Angeklagte A. unmittelbar nach der vom Landgericht festgestellten - immerhin 43 Sekunden andauernden - Verbindung der Mobiltelefone der beiden Angeklagten um 18:58 Uhr bereits um 19:03 Uhr wieder zum Tatort zurückgekehrt war, obwohl er gerade erst wenige Sekunden vor dem Anruf Ba. s in seiner Wohnung angekommen war, er wegen seiner engen Bekanntschaft mit Rie. eine Entdeckung fürchtete, er deshalb nicht selbst am Tatort hatte in Erscheinung treten wollen und er nach dem vereinbarten Tatplan deshalb erst nach einer Stunde zur Abholung von Ba. zum Anwesen des Rie. hätte zurückkommen sollen.
b) Das Urteil des Landgerichts hielte im Übrigen auch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen sachlichrechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand, weil das Landgericht eine mögliche Strafbarkeit der Angeklagten wegen (gemeinschaftlichen) erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB - gegebenenfalls mit Todesfolge (§ 239a Abs. 3, § 25 Abs. 2 StGB) - nicht in den Blick genommen hat, obwohl die getroffenen Feststellungen dies nahegelegt hätten.
Das Vorliegen der Voraussetzungen eines erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239a Abs. 1 StGB in der Form des Sich-Bemächtigens drängt sich hier nicht nur mit Blick auf den Angeklagten Ba. auf, der die Erpressung nach beiden vom Landgericht als möglich erachteten Sachverhaltsvarianten eigenhändig ausführte, sondern steht auch mit Blick auf den Angeklagten A. im Raum. Denn der gemeinsame Tatplan der beiden Angeklagten war nach den Feststellungen darauf gerichtet, dass der Angeklagte Ba. den körperlich unterlegenen Rie. in seiner Wohnung unter Kontrolle bringen und sodann die erhoffte Tatbeute in Wohnung und Bürotrakt einsammeln sollte. Gemäß diesem Tatplan schuf der Angeklagte Ba. durch die körperliche Einwirkung auf Rie. eine Beherrschungssituation, die nicht nur über nicht unerhebliche Zeit - etwa 30 Minuten lang - andauerte, sondern ihn auch dazu in die Lage versetzte, Rie. innerhalb seiner Räumlichkeiten nach Belieben herum zu dirigieren und die Herausgabe des darin befindlichen Bargelds (und anderer Wertgegenstände) zu erzwingen. Eine tatplangemäße Schaffung und Ausnutzung einer Bemächtigungslage durch die mittäterschaftlich verbundenen Angeklagten im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB (vgl. zu den Anforderungen, insbesondere im Zweipersonenverhältnis: BGH, Beschlüsse vom 16. April 2019 - 3 StR 35/19 und vom 9. September 2015 - 4 StR 184/15 Rn. 3, jeweils mwN; Urteile vom 13. März 2019 - 1 StR 424/18 Rn. 10; vom 2. Februar 2012 - 3 StR 385/11 Rn. 10 und vom 31. August 2006 - 3 StR 246/06 Rn. 8 ff., jeweils mwN; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 239a StGB Rn. 7a mwN; Schluckebier in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl., § 239a Rn. 10 mwN) liegen damit nah.
c) Die Feststellungen sind von den zur Aufhebung führenden Beweiswürdigungsfehlern betroffen und haben daher ebenfalls keinen Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).
d) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat mit Blick auf die erforderliche Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten Ba. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) darauf hin, dass für die Gefährlichkeitsprognose nicht nur eine mögliche Gefahr der Begehung vergleichbarer Straftaten von Bedeutung ist, sondern die Gefahr der Begehung jedweder in symptomatischem Zusammenhang mit dem Hang zum Konsum berauschender Mittel stehender erheblicher rechtswidriger Taten.
2. Revision des Angeklagten A.
a) Der Schuldspruch betreffend den Angeklagten A. weist keine Rechtsfehler zu dessen Nachteil auf. Dagegen ist der Strafausspruch in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft und hält daher revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Das Landgericht hat zum Nachteil des Angeklagten in die Strafzumessung eingestellt, dass die Angehörigen des Rie. durch die Tat in ihrem eigenen Sicherheitsgefühl anhaltend beeinträchtigt seien. Dies erweist sich schon deshalb als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil psychische Folgen der Tat für die Angehörigen des Rie. nicht festgestellt sind.
Dahin gestellt bleiben kann danach, unter welchen Voraussetzungen die mit einer Straftat für die Angehörigen des Tatopfers verbundenen psychischen Folgen einer Tat überhaupt strafschärfend Berücksichtigung finden können, insbesondere, ob es hierfür darauf ankommt, ob die Tatfolgen - dies wäre mit Blick auf den Straftatbestand der räuberischen Erpressung (§ 255 StGB) nicht der Fall - in den Schutzzweck des verletzten Strafgesetzes fallen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2017 - 4 StR 575/16 Rn. 8; vom 6. Mai 2008- 5 StR 163/08 Rn. 9; vom 4. Juli 2002 - 3 StR 190/02 und vom 16. März 1993 - 4 StR 602/92 Rn. 9; Urteil vom 28. März 2001 - 3 StR 532/00 Rn. 17 mwN; vgl. auch Schäfer/Sander/von Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. S. 214 ff. zum Meinungsstand hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit außertatbestandsmäßiger Tatfolgen).
bb) Fehlerhaft zu Lasten des Angeklagten A. ist die Strafzumessung aber auch deshalb, weil das Landgericht straferschwerend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte den möglichen Tod des Rie. infolge dessen Vorerkrankung billigend in Kauf genommen habe. Diese Annahme ist nicht von einer widerspruchsfreien Beweiswürdigung getragen. So hat das Landgericht zwar bereits im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung unterstellt, dass der Todeseintritt „allenfalls als zwar unerwünschter, aber möglicher und gebilligter begleitender Umstand infolge bestehender Vorerkrankung ihres Opfers vom Vorsatz beider Angeklagter im Rahmen des gemeinsamen Tatplans mitumfasst“ gewesen sei (UA S. 260); es hat indes zur subjektiven Tatseite festgestellt, dass beide Angeklagte die durch die Vorerkrankung des Rie. gegebene besondere Gefahr des Todes erkannt, den Tod aber gerade nicht gewollt und daher einen Tatplan gefasst hätten, bei dem Rie. ihrer Einschätzung nach „keinen ernsthaften körperlichen Schaden“ (UA S. 254) erleiden würde (vgl. UA S. 26, 28, 94, 254). Die diesbezüglichen Feststellungen sind aufzuheben, weil sie von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
b) Mit Blick auf die fehlerhafte strafschärfende Berücksichtigung der Billigung des Todeseintritts infolge der Vorerkrankung des Rie., die auch bei der Strafzumessung des Angeklagten Ba. zum Tragen gekommen ist (UA S. 272), entfaltet die Aufhebung des Urteils im Strafausspruch gemäß § 357 Satz 1 StPO Wirkung auch für den nicht revidierenden Angeklagten Ba..
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 654
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede