HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1125
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 329/21, Beschluss v. 23.09.2021, HRRS 2021 Nr. 1125
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11. Mai 2021 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Dagegen weist der Rechtsfolgenausspruch in mehrfacher Hinsicht durchgreifende Rechtsfehler bei der Strafzumessung sowie bei der Nichtanordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auf.
a) Der Strafausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht bei der Zumessung der Strafe sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falls nach § 30 Abs. 2 BtMG als auch bei der konkreten Strafzumessung - wenn auch mit geringerem Gewicht (UA S. 42) - jeweils die Vorahndungen des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt hat, ohne das strafrechtlich relevante Vorleben des Angeklagten im Urteil im Einzelnen nachvollziehbar wiederzugeben.
aa) Im Urteil findet sich in den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen von UA S. 9 bis 26 nur eine in das Urteil hineinkopierte und wenig nachvollziehbare Auskunft aus dem niederländischen Strafregister mit insgesamt fünfzehn Eintragungen aus den Jahren 2001 bis 2020, aus denen sich die genaueren Gegenstände der einzelnen früheren Verurteilungen und vor allem die jeweils verhängten und konkret verbüßten Strafen nur unzureichend entnehmen lassen. Dem Senat ist bereits aufgrund dieser insgesamt unzureichenden Feststellungen keine belastbare Beurteilung möglich, ob das Landgericht die strafrechtlichen Vorahndungen des Angeklagten rechtsfehlerfrei strafschärfend bei der Strafbemessung berücksichtigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 1 StR 271/19 Rn. 7).
bb) Die zu den Vorstrafen getroffenen Feststellungen erweisen sich auch insoweit als unzureichend, als der Senat auf die Sachrüge hin zu prüfen hat, ob das Tatgericht ein in Betracht kommendes Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG im Hinblick auf die ausländischen Verurteilungen missachtet hat (BGH, Beschlüsse vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15 Rn. 4 ff.; vom 25. Januar 2017 - 1 StR 570/16 Rn. 9 ff.; a.A. BGH, Beschluss vom 16. September 2020 - 5 StR 314/20 Rn. 4; Mosbacher, StraFo 2021, 312, 318 f., der freilich übersieht, dass das Tatgericht die strafschärfende Berücksichtigung von Vorstrafen umfassend und rechtsfehlerfrei darzulegen hat). Ein solches Verwertungsverbot könnte bei den bis zu 20 Jahre zurückliegenden niederländischen Vorahndungen naheliegend sein, so dass diese strafrechtlichen Vorahndungen bei der Strafrahmenwahl rechtsfehlerhaft zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt worden sein könnten.
Zwar dürfen bei der Strafzumessung auch rechtskräftige ausländische Vorstrafen berücksichtigt werden, wenn die Tat nach deutschem Recht strafbar wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Dezember 2019 - 4 StR 301/19 Rn. 8; vom 14. Februar 2017 - 2 StR 569/16 und vom 9. November 2016 - 5 StR 485/16) und die ausländische Verurteilung - würde es sich um eine solche nach deutschem Recht handeln - nicht tilgungsreif wäre; für nicht im Bundeszentralregister eingetragene ausländische Verurteilungen - wie hier - ergibt sich dies aus § 58 BZRG. Liegt Tilgungsreife vor, besteht das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Abs. 4 BZRG (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Dezember 2019 - 4 StR 301/19 Rn. 8; vom 19. Oktober 2011 - 4 StR 425/11 Rn. 7 ff. und vom 19. Januar 2015 - 3 StR 588/14 jeweils mwN). Kommt bei einer dem Tatgericht bekannt gewordenen, zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigungsfähigen ausländischen Vorstrafe in Betracht, dass diese - wäre das Urteil nach innerstaatlichem Recht ergangen - im Falle ihrer Eintragung im Bundeszentralregister tilgungsreif wäre (ohne dass eine Ausnahmeregelung nach § 52 BZRG eingreift), muss es die für die Tilgungsreife erforderlichen Feststellungen treffen und bewerten sowie dies im Urteil darlegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. August 2012 - 4 StR 277/12 Rn. 6; vom 19. Oktober 2011 - 4 StR 425/11 Rn. 10 und vom 1. August 2007 - 5 StR 282/07, NStZ-RR 2007, 368, 369).
b) Auch die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist rechtsfehlerhaft. Zwar hat das sachverständig beratene Landgericht beim Angeklagten, bei dem eine Polytoxikomanie diagnostiziert wurde, zutreffend einen Hang sowie auch einen symptomatischen Zusammenhang bejaht, die Ablehnung einer konkreten Erfolgsaussicht hält aber einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
aa) § 64 Satz 2 StGB bestimmt, dass die Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur ergehen darf, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Die Beurteilung der konkreten Erfolgsaussichten bedarf einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände. Dabei sind neben der Therapiebereitschaft auch etwaige prognoseungünstige Faktoren einzubeziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. April 2021 - 4 StR 506/20 Rn. 10; vom 8. Juli 2020 - 1 StR 169/20 Rn. 4; vom 8. Januar 2020 ? 5 StR 564/19 Rn. 5 und vom 4. Dezember 2019 ? 1 StR 433/19 Rn. 7).
bb) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht, weil ihr nicht entnommen werden kann, dass bei der notwendigen Gesamtwürdigung alle hier relevanten Gesichtspunkte einbezogen wurden.
Zwar hat das Landgericht einerseits zutreffend erkannt, dass der Angeklagte seinen ständigen Wohnsitz in den Niederlanden hat und hier nur „auf der Durchreise“ war, so dass er über keine sozialen Bindungen in Deutschland verfügt. Andererseits werden auch die instabilen Verhältnisse und dissozialen Verhaltensauffälligkeiten als Hindernisse für eine erfolgreiche Therapie genannt. Unerörtert bleibt aber hier, ob von Seiten des Angeklagten überhaupt eine Bereitschaft zur Therapie besteht und ob es entsprechende Behandlungen oder Therapien bereits im Herkunftsland gegeben hat. Zudem hat das Landgericht nicht in den Blick genommen, ob eine Überstellung des Angeklagten gemäß Art. 68 SDÜ, § 71 IRG in die Niederlande zum Vollzug der Maßregel in Betracht kommen könnte, sofern dort entsprechende Einrichtungen existieren (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 - 1 StR 150/19 Rn. 14; vom 13. Juni 2018 - 1 StR 132/18 Rn. 13 und vom 10. Juli 2012 - 2 StR 85/12 Rn. 15).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1125
Externe Fundstellen: StV 2022, 639
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede