HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 139
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 564/19, Beschluss v. 08.01.2020, HRRS 2020 Nr. 139
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 14. Mai 2019 mit den zugehörigen Feststellungen in den jeweiligen Rechtsfolgenaussprüchen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl, die Angeklagte W. zudem wegen Betruges, jeweils unter Einbeziehung weiterer Urteile zu Einheitsjugendstrafen von zwei Jahren und neun Monaten (O.) bzw. zwei Jahren und sechs Monaten (W.) verurteilt. Ihre jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen sind im Umfang der Beschlussformel erfolgreich.
1. Zu der gemeinsam begangenen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass die infolge Alkoholkonsums erheblich vermindert schuldfähigen Angeklagten den Nebenkläger zusammen mit den beiden Mitangeklagten und einem gesondert Verfolgten nach einem gemeinschaftlichen Zechgelage durch Faustschläge und Tritte - die Angeklagte W. zudem durch Schläge mit einem Besenstiel - misshandelten und ihm hierdurch erhebliche, akut lebensgefährliche Verletzungen zufügten. Aufgrund eines neuen gemeinsamen Tatentschlusses nahmen sie und ein Mitangeklagter dem verletzungsbedingt völlig Wehrlosen sodann einen Bargeldbetrag von 50 Euro aus der Geldbörse, den sie für sich verwendeten.
2. Zu den Schuldsprüchen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Jedoch halten die Rechtsfolgenaussprüche rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Fehlen einer hinreichend konkreten Behandlungsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB nicht hinreichend belegt ist.
a) Die sachverständig beratene Jugendkammer hat bei der zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten O. eine Alkoholabhängigkeit, bei der zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten W. einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und mithin bei beiden einen Hang gemäß § 64 StGB bejaht. Sie lässt bei beiden Angeklagten jeweils dahinstehen, ob - wie vom Sachverständigen bejaht und nach den Feststellungen naheliegend - die Tat auf den Hang zurückzuführen ist und infolge des Hangs weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Denn es fehlten jedenfalls die notwendigen Erfolgsaussichten der Unterbringung. Diese Einschätzung stützt die Jugendkammer allein darauf, dass die Angeklagten eine stationäre Entzugstherapie „ausdrücklich und vehement“ ablehnten und deshalb auszuschließen sei, „dass die Therapiebereitschaft der Angeklagten in einer entsprechenden Einrichtung noch geweckt werden könne“ (UA S. 58, 61).
b) Damit wird die Jugendkammer den rechtlichen Anforderungen nicht gerecht, die an die Verneinung einer konkreten Erfolgsaussicht zu stellen sind. Zwar kann mangelnde Therapiebereitschaft gegen die Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sprechen. In einem solchen Fall ist es aber geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des angenommenen Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine ernsthafte Therapiewilligkeit für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 - 3 StR 177/17). An der danach notwendigen Gesamtwürdigung aller für die Prüfung der Erfolgsaussicht wesentlichen Umstände fehlt es. Angesichts des Alters der Angeklagten, ihrer von der Jugendkammer festgestellten Einsicht in ihre Alkoholprobleme und - jedenfalls im Fall der Angeklagten O. - auch in die Notwendigkeit professioneller Hilfe sowie Ansätzen positiver Entwicklungen in der Untersuchungshaft hätte die - zudem insoweit ohne Wiedergabe der Beurteilung durch den Sachverständigen erfolgte - Verneinung einer Erfolgsaussicht der Maßregel nach § 64 StGB eingehenderer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, NStZ-RR 2013, 241, 242).
c) Der Senat hebt deshalb jeweils den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf. Mit Blick auf § 5 Abs. 3 (i.V.m. § 105 Abs. 1) JGG kann der an sich rechtsfehlerfreie, moderate Strafausspruch ebenfalls keinen Bestand haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. April 2017 - 5 StR 111/17 Rn. 3, und vom 4. März 2008 - 3 StR 30/08 Rn. 5).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 139
Bearbeiter: Christian Becker