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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 199

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 271/19, Beschluss v. 22.10.2019, HRRS 2020 Nr. 199


BGH 1 StR 271/19 - Beschluss vom 22. Oktober 2019 (LG Hamburg)

Einziehung (ersparte Steuer als erlangtes Etwas bei der Hinterziehung von Verkehr- und Warensteuern: erforderlicher Vermögenszuwachs aus den Waren).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 370 Abs. 1 AO

Leitsätze des Bearbeiters

1. „Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist jeder Vermögenswert, der dem Tatbeteiligten durch die rechtswidrige Tat zugeflossen ist, also alles, was in irgendeiner Phase des Tatablaufs in seine tatsächliche Verfügungsgewalt übergegangen und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist. Beim Delikt der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart (st. Rspr.). Dies gilt jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft.

2. Ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil ergibt sich allerdings nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Waren, auf die sich die Hinterziehung der Steuer bezieht, einen Vermögenszuwachs erzielt. Maßgeblich bleibt somit immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten A. und E. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. Januar 2019, soweit es diese Angeklagten betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen - hinsichtlich Buchstabe b) auch mit Wirkung für den Mitangeklagten As. (§ 357 StPO) - aufgehoben

a) im gesamten Strafausspruch;

b) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils unter Freisprechung im Übrigen wegen banden- und gewerbsmäßigen Schmuggels sowie wegen Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren (Angeklagter A.) beziehungsweise zwei Jahren und zwei Monaten (Angeklagter E.) verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der hinterzogenen Abgaben (490.217,31 €) bei den Angeklagten angeordnet, wobei ihre Haftung als Gesamtschuldner - auch neben den nicht revidierenden Mitangeklagten, die ebenfalls (unter anderem) wegen banden- und gewerbsmäßigen Schmuggels zu (Gesamt-)Freiheitsstrafen verurteilt wurden und bei denen gleichermaßen der Wert von Taterträgen in Höhe der hinterzogenen Abgaben (490.217,31 €) eingezogen wurde - ausgesprochen wurde.

Die hiergegen gerichteten, jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kamen die Angeklagten und die nicht revidierenden Mitangeklagten K. und As. zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem 15. Juni 2017 überein, sich zusammenzuschließen, um künftig gemeinsam Zigaretten aus der Russischen Föderation in das Gebiet der Zollunion einzuführen, ohne dies gegenüber dem Zollamt zu erklären und so Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Tabaksteuer zu hinterziehen und die Zigaretten gewinnbringend über ein Lager in H. auf dem Schwarzmarkt verkaufen zu können. Hierdurch wollten sie sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Gewicht verschaffen.

Am 30. Juni 2017 führten die Angeklagten tatplangemäß in ausgefräste Kanthölzer verpackte 2.227.200 unversteuerte und unverzollte Zigaretten der russischen Marke „NZ“ - als Schnittholz deklariert - aus der Russischen Föderation auf dem Seeweg über den L. Hafen in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und damit die Zollunion ein und ließen diese zu der von ihnen über einen Strohmann angemieteten Lagerfläche in H. bringen. Während der nicht revidierende Mitangeklagte K. die Organisation übernahm und der Angeklagte E. diesen hierbei unterstützte - insbesondere indem er den Einsatz der Angeklagten A. und As. koordinierte und diesen Weisungen erteilte -, nahmen A. und As. die Zigaretten an der Lagerhalle in Empfang, bauten diese aus den Kanthölzern aus und verteilten sie in der Folgezeit - teilweise unter Einsatz eines vom Angeklagten A. angemieteten Transporters - an verschiedene Abnehmer. Aufgrund der über einen nicht eingeweihten Zolldeklaranten vorgenommenen Deklaration der Lieferung als Schnittholz setzte das Zollamt Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 760,76 € fest; der Einfuhrzoll wurde auf 0 € festgesetzt. Bei zutreffender Anmeldung der 2.227.200 Zigaretten (unteres Preissegment), deren Kleinverkaufspreis 24 Cent und deren Zollwert 3 Cent pro Zigarette betrug, wären bei dem zugrunde zu legenden durchschnittlichen Kleinverkaufspreis von 27,3553 Cent je Zigarette angefallene Abgaben in Höhe von insgesamt 490.217,31 € (Tabaksteuer: 362.793,196 €, Zoll: 38.486,02 € und Einfuhrumsatzsteuer: 88.938,09 €) festgesetzt worden. Für ihre Tätigkeit erhielten die Angeklagten eine erhebliche Entlohnung in Geld, deren konkrete Höhe nicht feststellbar war.

Im Rahmen einer am 6. März 2018 bei den Angeklagten durchgeführten Durchsuchung wurden beim Angeklagten E. ein gefälschter litauischer Führerschein und eine gefälschte litauische ID-Karte, beides ausgestellt auf den Namen P., und beim Angeklagten A. ein gefälschter rumänischer Führerschein aufgefunden, die die Angeklagten jeweils mit sich führten, um diese bei Kontrollen vorzuzeigen und so über das Vorliegen einer Fahrerlaubnis bzw. über die eigenen Personalien (Angeklagter E.) zu täuschen.

II.

Der Strafausspruch und die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen halten sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Übrigen hat die revisionsgerichtliche Nachprüfung keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

1. a) Der Ausspruch über die verhängten Einzelstrafen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer bei der Zumessung der Strafen jeweils die Vorahndungen der Angeklagten strafschärfend berücksichtigt hat, ohne das strafrechtlich relevante Vorleben der Angeklagten im Urteil im Einzelnen nachvollziehbar wiederzugeben. Hierzu finden sich in den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen lediglich rudimentäre Ausführungen, aus denen sich weder Zeit, Anzahl und genauer Gegenstand der einzelnen früheren Verurteilungen ergeben noch die jeweils verhängten und gegebenenfalls konkret verbüßten Strafen. Dem Senat ist aufgrund dieser nur vagen und insgesamt unzureichenden Feststellungen keine belastbare Beurteilung möglich, ob das Landgericht die strafrechtlichen Vorahndungen der Angeklagten rechtsfehlerfrei strafschärfend bei der Strafbemessung berücksichtigt hat.

b) Auch bei der Entscheidung über die Aussetzung der gegen den Angeklagten A. verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung wirkt sich die unzureichende Darstellung des strafrechtlichen Vorlebens dieses Angeklagten aus. Denn das Landgericht hat seine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung insbesondere auf die „hohe Zahl der Vorstrafen“ des Angeklagten A. gestützt, ohne dass sich aus den getroffenen Feststellungen nachvollziehen ließe, ob dies zu Recht erfolgt ist.

c) Die Aufhebung des Ausspruchs über die Einzelstrafen hat den Wegfall der jeweiligen Gesamtstrafe zur Folge. Die zugehörigen Feststellungen werden ebenfalls aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht umfassende widerspruchsfreie Feststellungen und damit eine insgesamt rechtsfehlerfreie Strafzumessung zu ermöglichen.

2. Auch die Einziehungsentscheidung erweist sich als rechtsfehlerhaft und unterliegt daher der Aufhebung.

Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die Annahme, die Angeklagten A. und E. hätten durch oder für ihre Mitwirkung an der gewerbs- und bandenmäßigen Hinterziehung von Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Tabaksteuer ersparte Aufwendungen in Höhe des Betrags der hinterzogenen Abgaben im Sinne von § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB erlangt.

a) Nach § 73 Abs. 1 StGB ist zwingend einzuziehen, was der Täter durch oder für die Tat erlangt hat. Ist die Einziehung des erlangten Gegenstandes nicht möglich, so ist nach § 73c Satz 1 StGB die Einziehung des Geldbetrages anzuordnen, der dem Wert des Erlangten entspricht (BGH, Urteile vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18 Rn. 17; vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17 Rn. 42 und vom 8. Februar 2018 - 3 StR 560/17 Rn. 6).

„Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist jeder Vermögenswert, der dem Tatbeteiligten durch die rechtswidrige Tat zugeflossen ist, also alles, was in irgendeiner Phase des Tatablaufs in seine tatsächliche Verfügungsgewalt übergegangen und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18 Rn. 18; vom 8. Februar 2018 - 3 StR 560/17 Rn. 10; vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17 und 624/17 Rn. 8 mwN; Beschluss vom 21. August 2018 - 2 StR 311/18 Rn. 8 mwN; BT-Drucks. 18/9525, S. 61). Beim Delikt der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18 Rn. 19; vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 36/17 Rn. 18 mwN; Beschlüsse vom 4. Juli 2018 - 1 StR 244/18 Rn. 7; vom 11. Mai 2016 - 1 StR 118/16 Rn. 8 und vom 28. November 2000 - 5 StR 371/00 Rn. 16 ff.; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 73 Rn. 20; Köhler, NStZ 2017, 497, 503 f.; Reh, wistra 2018, 414, 415). Dies gilt jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft.

Ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil ergibt sich allerdings nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren, auf die sich die Hinterziehung der Tabaksteuer bezieht, einen Vermögenszuwachs erzielt. Maßgeblich bleibt somit immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt (BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18 Rn. 20).

b) Dies hat das Landgericht - die entsprechende Rechtsprechung des Senats konnte noch nicht bekannt sein - nicht erkennbar bedacht. Dass die Angeklagten A. und E. durch die Tat eine Steuerersparnis im vorgenannten Sinne erlangt hätten, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen; denn aus ihnen geht nicht hervor, dass die Angeklagten A. und E. die Zigaretten auf eigene Rechnung vermarkten konnten. Nach den getroffenen Feststellungen ist vielmehr davon auszugehen, dass die Angeklagten aus den geschmuggelten Zigaretten selbst keinen eigenen Vermögenszuwachs in Höhe der ersparten Abgaben erzielt haben, sondern sie vielmehr für ihre Tätigkeit durch Geldzuwendungen entlohnt wurden. Das Landgericht hat insoweit im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, die Höhe der „Einkünfte, die die Angeklagten für die Mitwirkung an der Lieferung vom 30. Juni 2017 im Einzelnen hatten“, habe nicht aufgeklärt werden können. Gleichzeitig hat es angenommen, dass die Angeklagten gestaffelt nach der Bedeutung ihrer Tatbeiträge und ihrer Verantwortung eine Entlohnung in Geld erhalten hätten, die eine „erhebliche Höhe“ gehabt habe. Nicht der Betrag hinterzogener Abgaben, sondern derjenige dieser Entlohnung wäre danach gegebenenfalls nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB als Wert des Taterlangten einzuziehen. Nachdem genaue Feststellungen zur Höhe der Entlohnung nicht getroffen werden konnten, wäre insoweit eine Schätzung durch das Tatgericht veranlasst gewesen.

c) Die zugehörigen Feststellungen werden aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu etwa einzuziehenden Taterträgen der Angeklagten beziehungsweise deren Wert zu ermöglichen.

d) Die Aufhebung des Ausspruchs über die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist gemäß § 357 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten As. zu erstrecken, weil das Landgericht auch für die Einziehung bei As. nicht erkennbar bedacht hat, dass bei Hinterziehung der Tabaksteuer ersparte Aufwendungen in Form von Steuerersparnissen nur erlangt sind, soweit sich der Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Dies liegt nach den getroffenen Feststellungen - anders als beim nichtrevidierenden Mitangeklagten K., der innerhalb der Bande eine herausgehobene Stellung und Organisationshoheit hatte - fern, weil As. ersichtlich keine eigene wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit an den Zigaretten hatte.

3. Angesichts der erfolgten Teilaufhebung und Zurückverweisung ist die Kostenbeschwerde des Angeklagten E. gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 20. August 2019 - 2 StR 381/17 Rn. 30; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 464 Rn. 20; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 464 Rn. 14).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 199

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede