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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 300

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 280/23, Urteil v. 11.01.2024, HRRS 2024 Nr. 300


BGH 3 StR 280/23 - Urteil vom 11. Januar 2024 (LG Bad Kreuznach)

Totschlag; vorsätzlicher Vollrausch; Schuldfähigkeit (Alkoholintoxikation); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Vorwegvollzug der Strafe; Revisionsbegründungsschrift der Staatsanwaltschaft (Fehlen von Anträgen); Revisionsbeschränkung (konkludente Beschränkung trotz unbeschränkter Anträge).

§ 212 StGB; § 323a StGB; § 2 Abs. 6 StGB; § 20 StGB; § 64 StGB; § 67 Abs. 2 StGB; § 300 StPO analog; § 345 StPO; § 354a StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wenn zwischen Tat und Blutentnahme kein Nachtrunk stattfand oder festgestellt werden kann, ist für die Frage der Schuldfähigkeit zu Gunsten des Angeklagten ein stündlicher Alkoholabbau von 0,2 Promille und zusätzlich ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille anzusetzen.

2. Ein individueller Abbauwert aufgrund der Ermittlung der Differenz von zwei in einem bestimmten Abstand zueinander entnommenen Blutproben ist nach medizinischer Erkenntnis nicht feststellbar. Ein derart berechneter (vermeintlicher) individueller Wert darf daher für eine Rückrechnung zur Bestimmung der Schuldfähigkeit nicht herangezogen werden.

Entscheidungstenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 27. Februar 2023 wird verworfen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches und Unterschlagung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen das Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision. Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass die Strafkammer den Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe nicht des Totschlags, sondern unter der Annahme nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit bei der angeklagten Tötungshandlung des Vollrausches für schuldig befunden hat. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat zum Fall 1 der Urteilsgründe im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der aus Kirgisistan stammende und langjährig alkoholabhängige Angeklagte kam Ende Juli 2021 in das rheinlandpfälzische B., wo er sich fortan im Kreise anderer alkoholkranker Menschen aufhielt. Er konsumierte täglich erhebliche Mengen Alkohol, und zwar sechs bis sieben Flaschen Bier sowie Wein und Wodka. Da er wohnungs- und arbeitslos war, fand er Unterkunft in der Wohnung des Mitangeklagten, der ihn bei sich aufnahm. Über den Mitangeklagten lernte er das spätere Tatopfer kennen. Auch der Mitangeklagte und das Tatopfer waren dem Alkohol verfallen. Der Angeklagte, der Mitangeklagte und weitere Personen aus ihrem Umfeld trafen sich wiederholt zum gemeinsamen Alkoholkonsum in der Wohnung des Opfers, das über hinreichende finanzielle Mittel verfügte und die Alkoholika bezahlte. Der Geschädigte war aufgrund eines Schlaganfalls erheblich mobilitätseingeschränkt und auf fremde Hilfe angewiesen. Die meiste Zeit verbrachte er auf der Couch in seinem Wohnzimmer. Der Angeklagte, der unter Alkoholeinfluss regelmäßig verbal aggressiv war sowie gegenüber Dritten Beleidigungen und Bedrohungen aussprach, hatte ein angespanntes Verhältnis zum Tatopfer, weil dieses ihm wiederholt vorwarf, anlässlich einer gemeinsamen Zusammenkunft ein Mobiltelefon entwendet zu haben, was der Angeklagte abstritt.

Im Laufe des 22. Dezember 2021, des Tattages, nahm der Angeklagte große Mengen Alkohol zu sich, wobei ihm die Wirkung des Konsums bekannt war. Er hielt es jedenfalls für möglich und nahm billigend in Kauf, dass er auch an diesem Tag betrunken wurde und in einen Rausch geriet. Zudem war ihm bei Beginn der Alkoholaufnahme an diesem Tag bekannt und präsent, dass er unter Alkoholeinfluss typischerweise verbal aggressiv wurde sowie Beleidigungen und Bedrohungen aussprach. Zu körperlicher Gewalt Dritten gegenüber neigte der Angeklagte indes nicht; daher rechnete er auch nicht damit, im Alkoholrausch gewalttätig zu werden. Trotz seiner Alkoholabhängigkeit war es ihm grundsätzlich möglich, den Konsum so zu begrenzen, dass er in keinen akuten Vollrausch geriet.

Nachdem der Angeklagte am Nachmittag um 16:21 Uhr kurz mit dem Tatopfer telefoniert hatte, begab er sich alleine zu ihm in seine Wohnung. Beide waren stark alkoholisiert und gerieten in Streit; mutmaßlich warf der Geschädigte dem Angeklagten erneut den Diebstahl seines Mobiltelefons vor. Genervt wegen des Verhaltens des Opfers nahm der Angeklagte zu einem nicht näher eingrenzbaren Zeitpunkt zwischen 16:47 Uhr und 18:43 Uhr ein Messer und stach zwei Mal auf den auf der Couch in seinem Wohnzimmer liegenden Geschädigten ein. Dabei setzte er einen Stich in den Unterbauch und einen weiteren in Richtung des Herzens des Opfers, hielt dessen Versterben durch die Messerstiche für möglich und nahm dieses billigend in Kauf. Der Stich in den Unterbauch eröffnete die rechte Beckenschlagader, der andere durchstach den Magen und verletzte den Zwölffingerdarm. Der Geschädigte vermochte sich aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigungen und Alkoholisierung gegen den Angriff nicht zur Wehr zu setzen. Er verstarb nach wenigen Minuten aufgrund des durch die Eröffnung der Beckenschlagader verursachten hohen Blutverlustes.

Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen der Strafkammer um 16:47 Uhr eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,64 Promille und um 18:43 Uhr eine solche von 3,45 Promille. Aufgrund dieser Alkoholintoxikation war er in seiner Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt; nicht auszuschließen vermocht hat die Strafkammer, dass seine Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt deshalb gänzlich aufgehoben war.

Nachdem der Angeklagte festgestellt hatte, dass der Geschädigte verstorben war, kehrte er in die Wohnung des Mitangeklagten zurück. Kurz vor 19:15 Uhr fuhr er von dort mit dem Fahrrad los, um in einem nahegelegenen Supermarkt neuen Alkohol zu kaufen. Auf dem Weg dorthin stürzte er jedoch vom Fahrrad, so dass es zu einem Polizeieinsatz kam und ihm um 20:00 Uhr eine Blutprobe entnommen wurde. Diese wies einen Wert von 3,32 Promille auf. Der Angeklagte, der nach der Tat - zumindest nicht ausschließbar - keinen weiteren Alkohol mehr konsumiert hatte, war an diesem Abend so stark alkoholisiert und hierdurch beeinträchtigt, dass die eingesetzten Polizeibeamten ihn noch um 21:41 Uhr nach ärztlicher Versorgung einer durch den Fahrradsturz erlittenen Wunde für weiterhin „wegeunfähig“ hielten, ihn daher in die Wohnung des Mitangeklagten verbrachten und in dessen Obhut gaben.

2. Zu ihrer von der Staatsanwaltschaft monierten Schlussfolgerung, dass der Angeklagte zur Tatzeit in seiner Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar seine Steuerungsfähigkeit sogar aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war, ist die Strafkammer aufgrund einer Gesamtwürdigung der festgestellten Umstände gelangt. Dabei hat sie namentlich den durch Rückrechnung aus dem Wert der Blutprobe ermittelten Alkoholisierungsgrad des Angeklagten zum frühestmöglichen Tatzeitpunkt berücksichtigt. An einer Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB hat sich die Strafkammer aufgrund der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung gehindert gesehen. Sie hat jedoch den Tatbestand des vorsätzlichen Vollrausches gemäß § 323a Abs. 1 StGB als erfüllt erachtet und den Angeklagten daher im Fall 1 der Urteilsgründe entsprechend verurteilt.

II.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Zwar hat die Rechtsmittelführerin weder bei der Einlegung der Revision noch in der (unterzeichneten) Reinschrift der Revisionsbegründung einen ausdrücklichen Revisionsantrag gestellt, sondern in dieser Fassung der Revisionsbegründung allein die Verletzung materiellen Rechts gerügt und in einem einleitenden Obersatz ausgeführt, die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches und nicht wegen Totschlags sei rechtsfehlerhaft. Das steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels indes nicht entgegen. Denn zum einen lässt sich der Reinschrift der Revisionsbegründung das Anfechtungsziel durch Auslegung hinreichend entnehmen; in einem solchen Fall ist das Fehlen eines ausdrücklichen Antrages unschädlich (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2023 - 4 StR 435/22, juris Rn. 5; Beschluss vom 22. Januar 2020 - 5 StR 634/19, juris Rn. 3; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 2; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 344 Rn. 2). Zum anderen hat die Staatsanwaltschaft in der Verfügung, die als einen Verfügungspunkt die Revisionsbegründung enthält, ausdrücklich den Antrag formuliert, das Urteil im Schuld- und Strafausspruch aufzuheben. Letzteres genügt den formalen Anforderungen des § 345 StPO an die Anbringung des Revisionsantrages durch die Staatsanwaltschaft.

2. Die Staatsanwaltschaft rügt in ihrer Revisionsbegründung ausschließlich den Schuldspruch im Fall 1 der Urteilsgründe. Die gebotene Auslegung des Rechtsmittels (§ 300 StPO analog) ergibt daher ungeachtet des umfassenden Aufhebungsantrages, dass allein die Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe angefochten werden soll (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2022 - 2 StR 142/22, juris; Urteile vom 30. November 2017 - 3 StR 385/17, NStZ-RR 2018, 86; vom 20. September 2017 - 1 StR 112/17, juris Rn. 10 f.; vom 6. April 2016 - 2 StR 478/15, NStZ 2017, 650). Dies bedingt die Revisionserstreckung auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, weil Anlasstat der Maßregelanordnung diese Tat ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - 3 StR 295/22, juris Rn. 10; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171, 172). Die Einziehungsentscheidungen dagegen beziehen sich auf die von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffene Verurteilung des Angeklagten wegen (gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten begangener) Unterschlagung (Fall 2 der Urteilsgründe). Die Revision ist mithin wirksam beschränkt auf die Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe, den Gesamtstrafenausspruch und die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.

III.

Das Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Umfang der Anfechtung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten ergeben. Die revisionsrechtlich nicht zu beanstandende Beweiswürdigung trägt die vom Landgericht zum Fall 1 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen sowie den Schuldspruch wegen Vollrausches (statt wegen Totschlags). Die Strafzumessung und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

Der Erörterung bedarf das Folgende:

1. Die Feststellung der Strafkammer, dass der Angeklagte bei der Tötung des Geschädigten am 22. Dezember 2021 in seiner Schuldfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt und diese nicht ausschließbar sogar gänzlich aufgehoben war, ist frei von einem beachtlichen Rechtsmangel getroffen worden. Dabei gilt für die revisionsrechtliche Nachprüfung, dass die auf Tatsachen gestützte Überzeugung des Tatgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen ist. Es kann nur eingreifen, wenn diese auf fehlerhaften Vorstellungen und Erwägungen beruht, etwa das Tatgericht einen unzutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt zu Grunde gelegt, die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt, ohne ausreichende Tatsachengrundlage Schlüsse gezogen - etwa anerkanntermaßen nicht aussagekräftige Indizien herangezogen - oder gegen gesicherte naturwissenschaftliche Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2013 - 4 StR 557/12, NStZ-RR 2013, 272; vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, NStZ 2000, 136; Urteil vom 31. Oktober 1989 - 1 StR 419/89, BGHSt 36, 286, 293). Ein durchgreifender derartiger Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

a) Die Strafkammer hat mit dem psychiatrischen Sachverständigen eine vorübergehende krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB aufgrund akuter Alkoholintoxikation angenommen.

Sie hat - wie es von Rechts wegen geboten gewesen ist - zur Ermittlung des Ausmaßes der Intoxikation und der Bedeutung dieser für die Schuldfähigkeit zunächst die maximale Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur frühestmöglichen Tatzeit anhand einer Rückrechnung aus dem festgestellten Wert der dem Angeklagten am Abend des Tattages entnommenen Blutprobe bestimmt. Allerdings hat die Strafkammer die Berechnung fehlerhaft vorgenommen. Denn sie hat dieser - ebenso wie der psychiatrische Sachverständige und diesem folgend - eine individuelle stündliche Abbaurate des Angeklagten von 0,1 Promille (ohne Sicherheitszuschlag) zu Grunde gelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dem Angeklagten seien nach seiner Festnahme am 20. Januar 2022 in einem zeitlichen Abstand von 30 Minuten zwei Blutproben entnommen worden. Die Differenz zwischen den jeweiligen Blutalkoholwerten zeige, dass der Angeklagte Blutalkohol in einem Umfang von 0,1 Promille pro Stunde abbaue. Da seine Lebensumstände am Tag der Festnahme denen am Tattag entsprachen, sei auch für letzteren diese individuell bestimmte Alkoholabbaurate des Angeklagten maßgeblich.

Diese Überlegungen erweisen sich als (zum Nachteil des Angeklagten) rechtlich verfehlt. Denn wenn zwischen Tat und Blutentnahme - wie hier - kein Nachtrunk stattfand oder festgestellt werden kann, ist für die Frage der Schuldfähigkeit zu Gunsten des Angeklagten ein stündlicher Alkoholabbau von 0,2 Promille und zusätzlich ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille anzusetzen (BGH, Beschluss vom 14. Juni 1995 - 2 StR 274/95, NStZ 1995, 539, 540; Urteil vom 22. November 1990 - 4 StR 117/90, BGHSt 37, 231, 237). Ein individueller Abbauwert aufgrund der Ermittlung der Differenz von zwei in einem bestimmten Abstand zueinander entnommenen Blutproben ist nach medizinischer Erkenntnis nicht feststellbar (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1991 - 4 StR 84/91, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 24; Beschluss vom 1. März 1991 - 3 StR 470/90, StV 1991, 297; Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 32; Beschluss vom 12. November 1985 - 4 StR 552/85, NStZ 1986, 114; LK-Verrel/Linke/Koranyi, StGB, 13. Aufl., § 20 Rn. 109). Ein derart berechneter (vermeintlicher) individueller Wert darf daher für eine Rückrechnung zur Bestimmung der Schuldfähigkeit nicht herangezogen werden.

Die Strafkammer hätte mithin ausgehend von einer Blutalkoholkonzentration von 3,32 Promille zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 20:00 Uhr ihrer Beweiswürdigung zur Schuldfähigkeit eine maximale Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur frühestmöglichen Tatzeit um 16:47 Uhr von 4,16 Promille (statt 3,64 Promille) zu Grunde legen müssen.

Auf diesem Rechtsfehler beruhen die Feststellungen der Strafkammer zur Schuldunfähigkeit des Angeklagten jedoch nicht. Denn sie ist selbst unter Berücksichtigung der von ihr zu niedrig berechneten maximalen Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit zu der Feststellung gelangt, dass seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar aufgehoben war; sie wäre daher erst recht zu dieser Einschätzung gelangt, wenn sie eine rechtsfehlerfreie Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration vorgenommen hätte.

b) Das Landgericht hat erkannt, dass einer sehr hohen Blutalkoholkonzentration von über drei Promille - wie sie hier vorlag - signifikanter Indizwert für eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit zukommt und deren nähere Prüfung gebietet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2013 - 4 StR 557/12, NStZ-RR 2013, 272; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 16; vom 13. Januar 2010 - 2 StR 447/09, BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 20 Rn. 3; vom 9. November 1999 - 4 StR 521/99, NStZ 2000, 136; Urteil vom 20. April 1989 - 4 StR 87/89, NStZ 1989, 365, 366; LK-Verrel/Linke/Koranyi, StGB, 13. Aufl., § 20 Rn. 99 ff.).

c) Allerdings gibt es - was die Strafkammer entgegen dem Revisionsvorbringen gleichfalls bedacht hat - keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz dahin, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit (in aller Regel) eine alkoholbedingt erheblich verminderte oder sogar aufgehobene Steuerungsfähigkeit angenommen werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 1 StR 492/21, NStZ 2022, 473 Rn. 2; Urteile vom 13. Juli 2016 - 1 StR 128/16, NStZ 2016, 670 f.; vom 14. Oktober 2015 - 2 StR 115/15, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 44 Rn. 13; Beschluss vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 19; Urteil vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 71 ff.). Dies gilt insbesondere, wenn eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit durch Rückrechnung aus dem Wert einer später entnommenen Blutprobe bestimmt worden ist. Eine ermittelte Blutalkoholkonzentration kann daher zwar ein - bei hohen Werten auch gewichtiges - Beweisanzeichen für eingeschränkte oder aufgehobene Schuldfähigkeit, aber keinesfalls ein für sich genommen entscheidendes Indiz sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2022 - 1 StR 492/21, NStZ 2022, 473 Rn. 2; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 21 f.; LK-Verrel/Linke/Koranyi, StGB, 13. Aufl., § 20 Rn. 99 ff.).

Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist vielmehr eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2022 - 1 StR 492/21, NStZ 2022, 473 Rn. 2; vom 2. Mai 2023 - 1 StR 41/23, juris Rn. 23; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 21; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 20 Rn. 17). In die Gesamtwürdigung sind sowohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Kriterien einzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juni 2021 - 2 StR 168/21, juris Rn. 8; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 22 f.).

d) Diese gebotene Gesamtschau hat das Landgericht vorgenommen.

aa) Die Strafkammer hat in ihre Betrachtung eingestellt, dass der Angeklagte nach der Beurteilung durch den im Verfahren gehörten psychiatrischen Sachverständigen, der sich das Landgericht angeschlossen hat, eine Alkoholabhängigkeit (ICD 10: F 10.2) aufweist. Zu Recht ist sie mithin von einer erheblichen Alkoholgewöhnung des Angeklagten ausgegangen und hat berücksichtigt, dass das - hohe - indizielle Gewicht der Blutalkoholkonzentration deshalb beim Angeklagten geringer einzustufen ist als bei einem Gelegenheitskonsumenten (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 30; BGH, Urteil vom 24. Juli 1997 - 4 StR 147/97, NStZ 1997, 591, 592).

bb) Zudem hat das Landgericht die psychophysische Leistungsfähigkeit des Angeklagten umfassend in den Blick genommen und gewürdigt. Insofern hat sie in Rechnung gestellt, dass der Angeklagte am Tatabend gegen 19:15 Uhr, also etwa zweieinhalb Stunden nach der frühestmöglichen Tatzeit und ohne dass ein Nachtrunk hat festgestellt werden können, nicht in der Lage war, Fahrrad zu fahren, sondern bereits nach einer kurzen Fahrtstrecke, die er Zeugenbekundungen zufolge in Schlangenlinien zurücklegte, mit dem Rad hinfiel. Auch nach seinem Sturz war er noch erheblich beeinträchtigt. Ausweislich des ärztlichen Untersuchungsberichts stand der Angeklagte bei der Blutentnahme um 20:00 Uhr unter deutlicher Alkoholbeeinflussung; seine Vigilanz war gesteigert, sein Verhalten unruhig und seine Aussprache verwaschen. Gegenüber den Polizeibeamten, die ihn nach dem Fahrradsturz antrafen, reagierte er aggressiv und beleidigend; mithin zeigte er - so die Strafkammer - ein für ihn in betrunkenem Zustand typisches Verhalten. Seine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen seien, so das Landgericht, derart schwerwiegend gewesen, dass er von der Polizei noch um 21:41 Uhr als „nicht wegefähig“ erachtet worden sei. Weiter hat die Strafkammer berücksichtigt, dass der Angeklagte nach der Tat in einem Telefonat mit seiner Mutter, bei dem er ihr gegenüber eine Tatbeteiligung eingestand, angab, er sei seinerzeit „besoffen“ gewesen. Mithin entsprach die Selbsteinschätzung seines Zustandes den vorgenannten Wahrnehmungen Dritter.

cc) Aus der Tathandlung selbst hat die Strafkammer, ohne dass hiergegen von Rechts wegen etwas zu erinnern wäre, keine Erkenntnisse zur Schuldfähigkeit des Angeklagten abzuleiten vermocht. Denn es standen keine Tatzeugen zur Verfügung; der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Tatbegehung und seine Anwesenheit in der Wohnung des Tatopfers zur Tatzeit in Abrede genommen. Soweit das Verletzungsbild ein gezieltes zweifaches Zustechen belegt, hat das Landgericht dem angesichts des Umstandes, dass der Getötete auf der 24 25 Couch lag und körperlich zu Abwehrhandlungen nicht in der Lage war, beanstandungsfrei keinen Indizwert für eine erhaltene Schuldfähigkeit beigemessen. Denn das festgestellte Tatbild gibt keinen Hinweis auf ein Geschehen mit komplexen Handlungsanforderungen an den Angeklagten, deren Bewältigung für eine erhaltene Schuldfähigkeit sprechen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 37). Zu Recht hat das Landgericht in diesem Zusammenhang zudem darauf abgehoben, dass bei erheblich alkoholgewöhnten Menschen wie dem Angeklagten äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit weit auseinanderfallen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2022 - 1 StR 492/21, NStZ 2022, 473 Rn. 2; vom 22. Juni 2021 - 2 StR 168/21, juris Rn. 11; vom 28. Februar 2018 - 4 StR 530/17, NStZ-RR 2018, 136; vom 2. Juli 2015 - 2 StR 146/15, NJW 2015, 3525 Rn. 7; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 30). In einem solchen Fall schließt daher ein motorisch kontrolliertes, äußerlich geordnetes und zielstrebiges Tathandeln einen intoxikationsbedingten Wegfall des Hemmungsvermögens nicht aus.

dd) Die Strafkammer hat in ihre Überlegungen einbezogen, dass der Angeklagte das Tatmesser zunächst in der Wohnung zurückließ und auch ansonsten am Tattag keine Maßnahmen gegen eine Tataufklärung traf, sondern erst am nächsten Tag in die Wohnung zurückkehrte, diese säuberte und das Tatmesser entsorgte. In der sich darin manifestierenden Tatbegehung ohne Sicherungstendenzen hat die Strafkammer ein Indiz dafür gesehen, dass der Angeklagte die Tat aus einem spontanen Impuls heraus verübte, dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Auch gegen diese mögliche und tatsachenfundierte Würdigung ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

ee) Zudem hat die Strafkammer als Anzeichen für eine derart starke Alkoholisierung des Angeklagten bei der Tat, dass seine Steuerungsfähigkeit (nicht ausschließbar) aufgehoben war, sein typisches Verhalten unter Alkoholeinfluss werten dürfen: Sie ist aufgrund einer beanstandungsfreien Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte, wenn er in üblichem Maße alkoholisiert war, sich regelmäßig verbal aggressiv zeigte sowie andere Personen beleidigte und bedrohte, indes vor der hiesigen Tat nie körperliche Gewalt ausübte und sich insofern unter Kontrolle hatte. Mithin hat das Landgericht die Tat als für den Angeklagten auch unter enthemmendem Alkoholeinfluss persönlichkeitsfremd gewertet. Sie hat hieraus den - statthaften - möglichen Schluss gezogen, die Tat und das Tatbild deuteten auf eine außergewöhnlich hohe Alkoholisierung des Angeklagten und eine Aufhebung seines Hemmungsvermögens hin (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 8. Mai 1981 - 2 StR 147/81, NStZ 1981, 298, 299).

ff) Die Strafkammer hat gegenläufige Indizien, die in den Urteilsgründen aufscheinen, nicht verkannt. Sie hat in Rechnung gestellt, dass der Angeklagte ungeachtet seines hohen Alkoholisierungsgrades die polizeilichen Maßnahmen nach seinem Fahrradsturz begreifen und kognitiv verarbeiten konnte, etwa, indem er die Notwendigkeit einer Blutentnahme mit dem Argument in Frage stellte, er sei Fahrrad und nicht Auto gefahren. Sie hat insofern indes rechtsfehlerfrei in den Blick genommen, dass eine solche basale kognitive Leistungsfähigkeit für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit und damit des Hemmungsvermögens eine allenfalls geringe Aussagekraft hat (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 1 StR 492/21, NStZ 2022, 473 Rn. 2). Zwar hat die Strafkammer bei der Gesamtbetrachtung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten nicht ausdrücklich gewürdigt, dass er kurz vor der Tat in der Lage war, die Wegstrecke von der Wohnung des Mitangeklagten zu der des Tatopfers zurückzulegen und zudem mit diesem telefonierte, bevor er ihn aufsuchte. Entgegen dem Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft stellt dies jedoch keine relevante Lücke in der Beweiswürdigung dar. Denn weder zum Inhalt des Telefonats noch dazu, wie und in welcher Verfassung der Angeklagte zum Tatopfer gelangte, haben Feststellungen getroffen werden können.

e) Es stellt vorliegend keinen Rechtsfehler dar, dass die Strafkammer im Ergebnis von der Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen abgewichen ist, der aufgrund eigener Würdigung der psychischen Leistungsfähigkeit des Angeklagten während der polizeilichen Maßnahmen nach dem Fahrradsturz zu der Einschätzung gelangt ist, der Angeklagte sei zwar zur Tatzeit in seiner Steuerungsfähigkeit alkoholbedingt erheblich eingeschränkt gewesen, seine Steuerungsfähigkeit sei indes nicht aufgehoben gewesen.

Denn die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten ist Aufgabe des Tatgerichts, das sich erforderlichenfalls der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat, ohne aber an dessen Auffassung gebunden zu sein. Vielmehr hat das Tatgericht eine eigene Gesamtwürdigung aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände vorzunehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2023 - 1 StR 41/23, juris Rn. 5; vom 8. Oktober 2020 - 4 StR 636/19, NStZ-RR 2021, 40 f.; vom 30. Juli 2019 - 2 StR 172/19, NStZ-RR 2020, 71; Urteil vom 12. Dezember 2018 - 5 StR 385/18, juris Rn. 13). Dies hat die Strafkammer vorliegend getan, wobei sie deutlich mehr Faktoren berücksichtigt hat als der Sachverständige. Im Übrigen hat dieser - wie auch das Landgericht - seinen Überlegungen fehlerhaft eine zu niedrige Tatzeit-Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zu Grunde gelegt.

f) Im Ergebnis ist mithin gegen die auf eine umfassende Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände gestützte Überzeugungsbildung der Strafkammer da hin, dass eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tötungshandlung nicht ausgeschlossen werden könne, revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

2. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen Vollrausches gemäß § 323a Abs. 1 StGB (vgl. zur Tenorierung BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 - 2 StR 172/19, juris Rn. 26; Urteil vom 18. März 1969 - 1 StR 612/68, NJW 1969, 1581, 1582) hält entgegen der insofern zu Gunsten des Angeklagten argumentierenden Rechtsmittelbegründung der Staatsanwaltschaft der revisionsrechtlichen Kontrolle stand.

a) Der Angeklagte konsumierte im Verlauf des 22. Dezember 2021 Alkohol in solchen Mengen, dass er sich bei der Tötungshandlung in einem Rausch im Sinne des § 323a Abs. 1 StGB befand. Hierunter ist ein Zustand zu verstehen, in dem sich die Wirkungen des konsumierten Rauschmittels derart entfalten, dass die Fähigkeit beeinträchtigt ist, das eigene Verhalten an rechtlichen Verhaltensnormen zu orientieren. Ein tatbestandsrelevanter Rausch ist zu bejahen, wenn der Täter durch den Konsum berauschender Mittel in eine Verfassung gerät, aufgrund derer er in Bezug auf die Rauschtat schuldunfähig ist oder insofern zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit vorliegt und Schuldunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 23. Juli 1998 - 4 StR 188/98, NStZ-RR 1999, 172; vom 20. April 1989 - 4 StR 87/89, BGHR StGB § 323a Abs. 1 Rausch 2; Beschluss vom 18. August 1983 - 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 54; MüKoStGB/Geisler, 4. Aufl., § 323a Rn. 19 ff.). Ein solcher Rauschzustand ist von der Strafkammer - wie ausgeführt - frei von Rechtsmängeln bejaht worden.

b) Die Feststellungen tragen auch die Annahme einer vorsätzlichen Selbstberauschung. Eine solche ist - in Form eines hinreichenden bedingten Vorsatzes - gegeben, wenn der Täter beim Rauschmittelkonsum für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er sich dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - 2 StR 391/21, NStZ-RR 2022, 184; Urteil vom 28. Juni 2000 - 3 StR 156/00, NStZ-RR 2001, 15; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 323a Rn. 16; MüKoStGB/Geisler, 4. Aufl., § 323a Rn. 31). Einer konkreten Vorhersehbarkeit der Rauschtat bedarf es nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2020 - 3 StR 322/20, juris; Urteil vom 12. Dezember 2018 - 5 StR 385/18, juris Rn. 23; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 323a Rn. 7, 17; MüKoStGB/Geisler, 4. Aufl., § 323a Rn. 55 f.). Ausweislich der Urteilsfeststellungen wusste der Angeklagte, der auch bei früheren Gelegenheiten so stark betrunken war, dass er Ausfallerscheinungen hatte und - entgegen seinem Verhalten in nüchternem Zustand - erheblich (verbal) aggressiv wurde, indem er Dritte beleidigte und mit dem Tode bedrohte, um diese Wirkung hohen Alkoholkonsums auf seine psychische Verfassung. Hieraus durfte die Strafkammer auf eine billigende Inkaufnahme eines das Hemmungsvermögen zumindest erheblich einschränkenden Trunkenheitszustandes schließen.

c) Die Strafkammer hat tragfähig begründet, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten hinsichtlich der Tat nach § 323a StGB, also der Berauschung, nicht aufgehoben war. Seine Steuerungsfähigkeit in Bezug auf das Sich-Berauschen sei zwar angesichts des von der Alkoholabhängigkeit ausgehenden Suchtdrucks und der vom Angeklagten geschilderten Entzugserscheinungen bei unterbleibender Alkoholzufuhr nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt, indes nicht aufgehoben gewesen. Insofern hat die Strafkammer darauf abgehoben, dass es ihm auch im Tatzeitraum ungeachtet seiner Alkoholabhängigkeit immer wieder gelungen sei, seinen Alkoholkonsum so zu begrenzen, dass er nicht betrunken wurde, etwa im Zusammenhang mit der (kurzzeitigen) Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit hinsichtlich des Sich-Berauschens genügt für eine Strafbarkeit nach § 323a StGB, sofern diesbezüglich eine Schuldunfähigkeit sicher ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 2007 - 4 StR 305/07, NStZ-RR 2007, 368; vom 4. Februar 1997 - 4 StR 655/96, NStZ-RR 1997, 299; vom 26. Juni 1996 - 2 StR 244/96, NStZ-RR 1997, 102).

d) Im Vollrausch beging der Angeklagte vorsätzlich ein Tötungsdelikt, wobei er aufgrund seiner Alkoholintoxikation nicht ausschließbar in schuldunfähigem Zustand handelte, jedenfalls aber seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. Damit ist die in § 323a Abs. 1 StGB normierte objektive Bedingung der Strafbarkeit einer rechtswidrigen - also auch in subjektiver Hinsicht tatbestandsmäßigen (vgl. insofern Fischer, StGB, 71. Aufl., § 323a Rn. 7; MüKoStGB/Geisler, 4. Aufl., § 323a Rn. 34 f.) - Rauschtat erfüllt, bei deren Begehung der Täter schuldunfähig oder bei nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zumindest sicher nur erheblich eingeschränkt schuldfähig war (vgl. insofern BGH, Urteil vom 23. Juli 1998 - 4 StR 188/98, NStZ-RR 1999, 172; Beschluss vom 9. Februar 1996 - 2 StR 17/96, NStZ 1996, 334; Urteil vom 20. April 1989 - 4 StR 87/89, BGHR StGB § 323a Abs. 1 Rausch 2; Beschluss vom 18. August 1983 - 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 54; MüKoStGB/Geisler, 4. Aufl., § 323a Rn. 19 ff.).

e) Soweit die Strafkammer bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten angeführt hat, dass es sich bei der im Vollrausch begangenen Tat um ein Tötungsdelikt und damit eine besonders gravierende Straftat handelte, ist hiergegen revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Denn tatbezogene Merkmale des Rauschdelikts, namentlich Art, Umfang und Schwere der im Rausch begangenen Tat sowie deren Folgen, dürfen strafschärfend gewertet werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. April 2020 - 4 StR 264/19, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 8 Rn. 7; vom 26. Oktober 2000 - 4 StR 340/00, NZV 2001, 133; Urteile vom 28. Juni 2000 - 3 StR 156/00, NStZ-RR 2001, 15; vom 21. Mai 1997 - 2 StR 115/97, NStZ-RR 1997, 300; Beschluss vom 9. Februar 1996 - 2 StR 17/96, NStZ 1996, 334; BeckOK StGB/Dallmeyer, 59. Ed., § 323a Rn. 20 mwN; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 323a Rn. 22 mwN; MüKoStGB/Geisler, 4. Aufl., § 323a Rn. 81).

3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB ist frei von Rechtsfehlern.

Gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. § 354a StPO ist die revisionsrechtliche Kontrolle der Maßregelanordnung am Maßstab des zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts geltenden Rechts vorzunehmen, mithin anhand der zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Neufassung des § 64 StGB (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom 20. November 2023 - 5 StR 407/23, juris Rn. 2; vom 16. November 2023 - 6 StR 452/23, juris Rn. 2; Urteil vom 15. November 2023 - 6 StR 327/23, juris Rn. 8; Beschluss vom 14. November 2023 - 6 StR 346/23, juris Rn. 9). Doch auch nach der gegenwärtig geltenden Gesetzesfassung, durch welche die Voraussetzungen für eine Unterbringung erhöht worden sind, ist diese von der Strafkammer rechtsfehlerfrei angeordnet worden.

a) Der Angeklagte ist seit langem alkoholabhängig (ICD 10: F 10.2), was dazu führte, dass er zuletzt nicht mehr in der Lage war, über längere Zeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und sich in prekären Lebensverhältnissen befand; unter anderem war er wohnungslos. Damit liegt bei ihm ein Hang zum übermäßigen Konsum alkoholischer Getränke im Sinne des § 64 Satz 1 StGB vor, und zwar eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauerhafte und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit des Angeklagten eingetreten ist und fortdauert (vgl. insofern BGH, Urteil vom 15. November 2023 - 6 StR 327/23, juris Rn. 10 ff.; Beschlüsse vom 14. November 2023 - 6 StR 346/23, juris Rn. 11; vom 12. Oktober 2023 - 4 StR 136/23, NStZ-RR 2024, 13, 14; BT-Drucks. 20/5913, S. 44, 69). Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat das Tötungsdelikt - die Anlasstat - seine Ursache in einer hangbedingten Alkoholintoxikation des Angeklagten, weil er in nüchternem Zustand keine körperliche Fremdaggressivität zeigte und gerade aufgrund seiner alkoholbedingten Enthemmung auf das Tatopfer einstach. Die Anlasstat ging mithin, wie von der Neufassung des § 64 Satz 1 StGB verlangt wird, überwiegend auf seinen Hang zurück. Zudem hat er wegen dieser Tat nicht verurteilt werden können, weil seine Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen gewesen ist.

b) Auch die Gefahr erheblicher zukünftiger Straftaten des Angeklagten hat die Strafkammer tragfähig bejaht. Sie hat insofern darauf abgehoben, dass der Angeklagte zwar vor der Anlasstat nicht durch körperliche Gewaltdelinquenz in Erscheinung getreten war, allerdings unter Alkoholeinfluss typischerweise in erheblichem Maße aggressiv wurde. Die Anlasstat zeige eine deutliche Steigerung seines Aggressionspotentials. Daher bestehe ein hohes Risiko zukünftiger körperlicher Gewalttaten des Angeklagten.

c) Schließlich hält die Annahme der Erfolgsaussicht einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt der Rechtskontrolle auch am Maßstab des neugefassten § 64 Satz 2 StGB stand. Danach darf die Unterbringung nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, dass die betreffende Person durch die Behandlung geheilt oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten, die auf ihren Hang zurückgehen, abgehalten wird. Durch die Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für einen Behandlungserfolg verlangt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 2023 - 6 StR 452/23, juris Rn. 5; BT-Drucks. 20/5913, S. 70). Wie schon nach früherer Rechtslage genügt die bloße Möglichkeit eines Behandlungserfolges oder Hoffnung auf einen solchen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 2023 - 6 StR 452/23, juris Rn. 5).

Die Urteilsgründe belegen tatsächliche Anhaltspunkte, aufgrund derer die Strafkammer - unabhängig davon, ob ihr insofern ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2005 - 3 StR 276/05; Urteil vom 27. Juli 2000 - 1 StR 263/00, NJW 2000, 3015, 3016; MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 64) - rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt ist, ein Behandlungserfolg im Sinne des § 64 Satz 2 StGB sei zu erwarten: Der Angeklagte, dessen Alkoholerkrankung zu noch keiner Depravation geführt habe, sei - so das Landgericht - in der Lage, sich auf eine Therapie einzulassen und den Therapieanforderungen zu entsprechen. Er habe die Notwendigkeit einer Behandlung seiner Alkoholsucht erkannt und sei therapiemotiviert. Die Strafkammer hat berücksichtigt, dass der Angeklagte zum Urteilszeitpunkt der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen ist, und erkannt, dass fehlende Deutschkenntnisse der Erfolgsaussicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Hinblick auf die zentrale Bedeutung von Therapiegesprächen entgegenstehen können und vielfach entgegenstehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2022 - 3 StR 493/21, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 7; vom 23. November 2021 - 2 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 41 f.; vom 8. Juni 2021 - 2 StR 91/21, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 8 Rn. 8; vom 13. Juni 2018 - 1 StR 132/18, NStZ-RR 2018, 273, 274; Urteile vom 25. April 2018 - 2 StR 43 14/18, juris Rn. 17 f.; vom 6. Juli 2017 - 4 StR 124/17, juris Rn. 11; Beschluss vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 1 Rn. 6). Jedoch gebe es Therapieeinrichtungen mit russisch sprechenden Therapeuten und einer Vielzahl russischsprachiger Untergebrachter, sodass für den Angeklagten die Möglichkeit einer Therapie in russischer Sprache bestehe (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 8. Juni 2021 - 2 StR 91/21, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 8 Rn. 9). Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

d) Für die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung gemäß § 67 Abs. 2 StGB ist vorliegend kein Raum gewesen; das Landgericht hat zu Recht von einer solchen abgesehen. Dies gilt sowohl nach der zum Urteilszeitpunkt und bis zum 30. September 2023 geltenden alten Fassung des § 67 Abs. 2 StGB als auch nach der seit dem 1. Oktober in Kraft befindlichen Neufassung, die gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. § 354a StPO für die revisionsrechtliche Kontrolle maßgeblich ist und nach der die Dauer eines Vorwegvollzugs so zu bemessen ist, dass nach dessen Vollstreckung und der anschließenden Unterbringung eine Haftentlassung zum sogenannten Zwei-Drittel-Termin möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2023 - 1 StR 354/23, juris Rn. 2 ff.). Denn das Landgericht hat - sachverständig beraten - eine voraussichtliche Therapiedauer von zwei Jahren veranschlagt. Danach wäre bei einem Abstellen auf den Zwei-Drittel-Zeitpunkt gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 StGB nF ein Vorwegvollzug von vier Monaten veranlasst gewesen. Eine solche Vorwegvollzugsdauer war indes bereits zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils durch die bis dahin - über einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr - vollzogene und gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft erreicht. In einem solchen Fall, in dem zum Urteilszeitpunkt die Dauer der bis dahin vollzogenen Untersuchungshaft die rechnerische Vorwegvollzugsdauer bereits erreicht oder überschritten hat, scheidet die Anordnung eines Vorwegvollzugs aus (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2021 - 2 StR 134/21, juris Rn. 4; vom 6. März 2019 - 3 StR 594/18, juris Rn. 3; vom 23. Januar 2018 - 5 StR 625/17, juris).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 300

Bearbeiter: Fabian Afshar