HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 162
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 79/23, Beschluss v. 12.10.2023, HRRS 2024 Nr. 162
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 9. November 2022 aufgehoben,
a) mit den Feststellungen, soweit er wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers (Fall II.2.A der Urteilsgründe) verurteilt wurde; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten;
b) im Strafausspruch, soweit er wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe verurteilt wurde (Fall II.2.B der Urteilsgründe),
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und d) im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen.
2. Das vorgenannte Urteil wird im Ausspruch über die Adhäsionsklage dahin abgeändert, dass der Angeklagte zur Zahlung von Zinsen seit dem 26. Oktober 2022 verurteilt wird.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz und Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner hat es die Einziehung von Wertersatz für Taterträge in Höhe von 600 Euro angeordnet. Schließlich hat es den Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Oktober 2022 zu zahlen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. a) Dem Angeklagten wurde 10 bis 15 Jahre vor dem 3. Dezember 2021 ein Kilogramm Kokain entwendet. Er schwor, sich an dem Dieb zu rächen, indem er diesen erschießen werde, wenn er ihm bekannt werden würde. Er unternahm allerdings keine Bemühungen, dessen Identität festzustellen. Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt gelangte der Angeklagte zu der Überzeugung, dass der Nebenkläger W. der Drogendieb war, und beschloss, diesen zu erschießen. Zur Zeit dieses Entschlusses und der Tatausführung litt der Angeklagte unter einem hirnorganischen Psychosyndrom infolge eines Schlaganfalls.
Am 3. Dezember 2021 begab sich der Angeklagte zur Wohnanschrift des Nebenklägers W. Er führte eine geladene und schussbereite Pistole Mauser P 08 in der Jackentasche mit und klingelte an der Haustür. W. öffnete die Haustür mit dem elektrischen Türöffner in der Erwartung eines Postboten und begab sich ins Treppenhaus. Der Angeklagte ging die Treppe hinauf und W. kam ihm entgegen. Beide erkannten sich, als noch vier oder fünf Treppenstufen zwischen ihnen lagen. Der Angeklagte sagte: „Da bist du, du Schwein!“ oder „Jetzt habe ich dich, du Schwein!“. Er zog die Pistole, um W. zu erschießen. Dieser sprang auf den Angeklagten, wodurch er die Schussabgabe verhinderte. Beide kamen zu Fall und W. gelang es, den Angeklagten zu fixieren. Nachbarn riefen die Polizei, die den Angeklagten festnahm. Zur Tatzeit war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge des hirnorganischen Psychosyndroms im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt.
b) In seinem Gartenhaus verwahrte der Angeklagte zur selben Zeit 2.704,71 g Haschisch mit 1,32 % Wirkstoffgehalt, das zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt war. Weiteres Haschisch hatte er zurzeit der polizeilichen Durchsuchung bereits für 600 Euro verkauft. In einem Nebenraum befand sich eine Plastikbox, in der sich ein geladener Revolver, weitere Munition und ein Schalldämpfer befanden. Mit dem Revolver wollte der Angeklagte sich „im Rahmen möglicher Unstimmigkeiten bei Betäubungsmittelgeschäften“ zur Wehr setzen.
2. a) Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des Nebenklägers als versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit Besitz und Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe bewertet. Rache sei ein niedriger Beweggrund, wenn sie ihrerseits auf einem niedrigen Motiv beruhe. Das sei hier der Fall, weil der Angeklagte die ihm gestohlenen Betäubungsmittel illegal erworben und zum Zwecke des Weiterverkaufs besessen habe. Für das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes spreche auch, dass der Anlass zur Rache 10 bis 15 Jahre zurückgelegen habe. Das hirnorganische Psychosyndrom habe den Angeklagten zwar in seiner Affektregulation eingeschränkt, jedoch sei seine Wahrnehmungsfähigkeit, auch bezüglich der Niedrigkeit der Beweggründe, nicht eingeschränkt gewesen, und eine willensmäßige Steuerung seiner Emotionen sei ihm nicht unmöglich gewesen.
Soweit der Angeklagte behauptet hat, er habe die Tat auch deshalb begangen, weil er in seinem Gartenhaus mangels Heizung und Versorgung mit Strom und Wasser nicht mehr habe leben können und deshalb habe inhaftiert werden wollen, hat das Landgericht die Einlassung als unglaubhaft bewertet.
b) Bezüglich des Betäubungsmitteldelikts ist das Landgericht vom Vorliegen eines minder schweren Falles gemäß § 30a Abs. 3 BtMG ausgegangen. Auch entfalte § 29a BtMG hier keine Sperrwirkung hinsichtlich der Strafuntergrenze, weil auch insoweit ein minder schwerer Fall anzunehmen sei. Dabei hat die Strafkammer jeweils berücksichtigt, dass es sich bei Haschisch um eine weiche Droge handelt und die Betäubungsmittel des Angeklagten von schlechter Qualität waren. Eine nochmalige Berücksichtigung dieser Umstände bei der Strafzumessung sei der Strafkammer nach § 50 StGB verwehrt.
c) Hinsichtlich des Maßregelausspruchs ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte wegen des hirnorganischen Psychosyndroms in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Auch seine Behauptung, er habe die Tat zum Nachteil des Nebenklägers zugleich deshalb begangen, um inhaftiert und in der Justizvollzugsanstalt versorgt zu werden, begründe die Besorgnis, dass er künftig rechtswidrige Taten begehen werde, um dieses Ziel weiter zu verfolgen.
Die Verfahrensbeanstandungen des Angeklagten haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 21. März 2023 genannten Gründen keinen Erfolg. Das Rechtsmittel ist aber mit der Sachrüge teilweise begründet.
1. Der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers hat keinen Bestand. Die Annahme eines versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind.
aa) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe in deutlich weiterreichendem Maß als bei einem Totschlag als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 22. März 2017 - 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527; vom 25. Januar 2023 - 1 StR 284/22, BeckRS 2023, 3118 mwN). Die Gesamtbetrachtung hat die Entstehungsgeschichte der Tat zu berücksichtigen, die Persönlichkeit des Täters, dessen Beziehung zum Opfer und die näheren Umstände der Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 - 5 StR 399/19, NStZ 2019, 724). Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass oder Rache kommen als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen. Entbehrt das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, die jeder vorsätzlichen und rechtswidrigen Tötung innewohnt, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es im Allgemeinen nicht als „niedrig“ zu qualifizieren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 422/18, NStZ 2019, 204, 205; vom 7. Mai 2019 - 1 StR 150/19, NStZ 2019, 518, 519). Maßgeblich ist eine rechtliche, nicht eine moralische Bewertung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2001 - 1 StR 321/01, StV 2003, 26).
bb) In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, welche die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung nicht nur in sein Bewusstsein hätte aufnehmen können, sondern tatsächlich darin aufgenommen hat, und dass er, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese zur Tatzeit gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern konnte (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 21. März 1989 - 1 StR 16/89, NStZ 1989, 363; vom 22. März 2017 - 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527; vom 25. September 2019 - 5 StR 222/19, NStZ 2020, 86, 87; vom 11. November 2020 - 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226, 227). Letzteres ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande war, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2017 - 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527 und Beschluss vom 12. September 2019 - 5 StR 399/19, NStZ 2019, 724 f.).
b) Das Landgericht hat zwar den allgemeinen Maßstab zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe herangezogen. Seine Würdigung in der Konstellation, dass der Angeklagte das zunächst normalpsychologisch entwickelte Rachemotiv zur Tatzeit unter dem Einfluss eines hirnorganischen Psychosyndroms ausgelebt hat, ist aber nicht frei von Rechtsfehlern.
aa) Der von Anfang an bestehende Wunsch des Angeklagten nach Rache entbehrte nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, weil er auf der Annahme beruhte, der Geschädigte habe ihm durch den Drogendiebstahl einen finanziellen Schaden in Höhe von 30.000 Euro zugefügt. Zwar war der dem Angeklagten entzogene Kokainbesitz zum Zwecke des Handeltreibens selbst rechtswidrig. Aus dessen Wegnahme entstand ein Rachemotiv in einem kriminellen Milieu, das jedoch kein strafrechtsfreier Raum ist. Auch dort sind Vermögensdelikte zum Nachteil eines Drogenhändlers strafbare Handlungen (vgl. BGH, Urteil vom 23. August 2017 - 2 StR 560/15, NStZ-RR 2018, 15 f. mwN), die einerseits ein menschlich nachvollziehbares Rachemotiv auslösen, andererseits ein grobes Missverhältnis zwischen Anlass und Tötungsverbrechen begründen können. Vor diesem Hintergrund wäre die Vorstellung des Angeklagten von der Bedeutung des Drogendiebstahls als rechtswidrige Schädigung näher zu prüfen gewesen. Die Strafkammer hat aber nur bei der Strafzumessung erwähnt, der Angeklagte habe noch in der Hauptverhandlung zum Ausdruck gebracht, dass er die Tatbegehung „nach wie vor für richtig erachtet“. Eine Bewertung dieses Vorstellungsbildes fehlt im Zusammenhang mit dem Mordmerkmal.
bb) Die Strafkammer hat darauf verwiesen, dass das hirnorganische Psychosyndrom des Angeklagten dessen Wahrnehmungsfähigkeit nicht beeinträchtigt habe und ihm eine willensmäßige Steuerung seiner Emotionen nicht unmöglich gewesen sei. Mangels weiterer Begründung lässt dies besorgen, dass das Landgericht sich dabei ausschließlich auf die Beweiswürdigung gestützt hat, die es seiner Prüfung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB für die Schuldfähigkeit zu Grunde gelegt hat. Das reicht nicht aus.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das „Motivationsbeherrschungspotenzial“ im Sinne des Mordmerkmals nicht mit der Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und Handlungssteuerung bei der Tatausführung im Sinne der §§ 20, 21 StGB identisch. Spielen bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle, so muss sich der Tatrichter, von Evidenzfällen abgesehen, gesondert mit der Frage auseinandersetzen, ob der Angeklagte in der Lage war, diese Regungen gedanklich zu beherrschen und sie willensmäßig zu steuern (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1989 - 1 StR 16/89, NStZ 1989, 363; vom 25. September 2019 - 5 StR 222/19, NStZ 2020, 86, 87; vom 11. November 2020 - 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226, 227; abl. Grünewald in NStZ 2020, 87, 88; MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 120 ff.). Einem Täter, der im Augenblick der Tat derartige Gefühlsregungen verstandesmäßig nicht zu erkennen, oder, wenn er sie erkannt hat, nicht so zu steuern vermag, dass sie als auslösendes Moment für eine Tötungshandlung nicht mehr in Betracht kommen, kann die Niedrigkeit des Handlungsmotivs, anders als die Handlung selbst, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Bei einem solchen Täter entfällt gegebenenfalls das Mordmerkmal des Handelns aus niedrigen Beweggründen, nicht jedoch seine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die vorsätzliche Tötung. Das gilt selbst dann, wenn dieselben Umstände sowohl für die Schuldfähigkeit als auch für die Mordqualifikation erheblich sein können (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1986 - 2 StR 307/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 2).
(2) Insoweit sind die vom Landgericht hervorgehobenen Gründe für die beim Angeklagten erhaltene Wahrnehmungs- und nur eingeschränkte Steuerungsfähigkeit allein nicht ausreichend, um zugleich zu begründen, dass der Angeklagte zur Tatzeit in der Lage war, seine gefühlsmäßigen Regungen gedanklich zu beherrschen und sie willensmäßig zu steuern.
(3) Das Ergebnis liegt hier auch nicht auf der Hand. Konnte der Angeklagte 10 bis 15 Jahre lang dem von Anfang an vorhandenen Rachegedanken jedenfalls soweit widerstehen, dass er keine Bemühungen unternahm, den Kokaindieb zu ermitteln, und hat er dem Drang zur Erfüllung seines Racheschwurs - nach der Ausrichtung des Racheziels auf den Nebenkläger zu einem unbekannten Zeitpunkt - im Zweifel so lange widerstanden, bis sein Hemmungsvermögen infolge des hirnorganischen Psychosyndroms beeinträchtigt wurde, so spricht dies tendenziell gegen eine zur Tatzeit vorhandene Fähigkeit zur willensmäßigen Steuerung (nur) der auf Rache ausgerichteten Gefühlsregung. Das Landgericht hat den langen Vorlauf auf dem Weg zum Versuch des Tötungsverbrechens dagegen nur als Hinweis auf das Vorliegen niedriger Beweggründe bewertet. Das geht an der gebotenen Gesamtwürdigung hinsichtlich der Fähigkeit zur gedanklichen Erfassung und Steuerung der gefühlsmäßigen Regung vorbei.
c) Der Rechtsfehler bei der Bewertung des Tatmotivs des Tötungsversuchs als niedriger Beweggrund im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB zwingt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers, auch soweit der Angeklagte wegen tateinheitlich begangenen Führens und Besitzes einer Kurzwaffe verurteilt wurde, was für sich genommen rechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Senat kann den Schuldspruch nicht selbst ändern, da auch andere Feststellungen möglich erscheinen.
d) Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, das der Angeklagte eingeräumt und der Geschädigte ebenso beschrieben hat, können bestehen bleiben; denn sie werden von dem Rechtsfehler nicht berührt. Dagegen hebt der Senat die Feststellungen zur inneren Tatseite auf, weil sie insgesamt von dem Rechtsfehler bei der Prüfung der Motivationslage beeinflusst sein können (§ 353 Abs. 2 StPO).
2. Soweit der Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe verurteilt wurde, ist der Schuldspruch rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Bewertung als rechtlich selbständige Tat weist keinen Fehler auf.
aa) Tateinheitlicher Besitz verschiedener Waffen liegt zwar auch vor, wenn diese sich an mehreren Orten befinden und der Täter zugleich die tatsächliche Gewalt über sie ausübt. Zwischen Besitz und Führen liegt ebenfalls Tateinheit vor, wenn der Täter von mehreren Waffen, die er besitzt, nur einen Teil mit sich führt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2023 - 3 StR 120/23, BeckRS 2023, 19207 mwN).
bb) Grundsätzlich verbindet ein Delikt, das sich über einen längeren Zeitraum hinzieht, andere Straftaten zur Tateinheit, wenn es jeweils damit tateinheitlich begangen wird. Eine solche Klammerwirkung tritt aber nicht ein, wenn ein leichteres Dauerdelikt mit schwereren Gesetzesverstößen zusammentrifft (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 1992 - 1 StR 243/92, NStZ 1993, 39, 40). Beim unerlaubten Waffenbesitz stellt der Entschluss des Täters, seine Waffe bei einer anderen Straftat zu verwenden, zudem einen gravierenden Einschnitt dar, sofern diese Tat schwerer wiegt als das Waffenvergehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 1989 - 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, 152 ff.). Insbesondere der konkrete Entschluss zur Begehung eines Tötungsverbrechens führt daher zu einer Zäsur (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 1998 - 2 StR 670/97, NStZ-RR 1999, 8, 9). Die Verbrechen des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und des versuchten Totschlags oder Mordes werden aus diesem Grund hier nicht durch den andauernden Waffenbesitz zur Tateinheit verklammert.
b) Dass der unerlaubte Besitz von Munition nicht gesondert abgeurteilt wurde, beschwert den Angeklagten nicht. Dieses Delikt ändert auch nichts an der genannten konkurrenzrechtlichen Bewertung.
3. Die Strafzumessung wegen des Drogendelikts ist rechtsfehlerhaft.
a) Das Landgericht hat sich nach der Strafrahmenmilderung wegen Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG und § 29a Abs. 2 BtMG durch § 50 StGB an einer nochmaligen Berücksichtigung der minderen Qualität der Betäubungsmittel und deren Eigenschaft als weiche Droge gehindert gesehen.
b) Dies ist insoweit rechtsfehlerhaft, als für die konkrete Strafzumessung eine Gesamtbetrachtung aller Umstände geboten ist, darunter auch diejenigen, die eine Strafrahmenmilderung bewirkt haben; diese sind mit verringertem Gewicht in die Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 1992 - 2 StR 535/92, juris Rn. 5 f.; vom 4. Februar 2014 - 3 StR 452/13, BeckRS 2014, 4124; vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 512/19, NStZ-RR 2020, 204, 205). Daher war das Landgericht gehalten, die schlechte Qualität der Betäubungsmittel und die Eigenschaft von Haschisch als weiche Droge auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn - wenngleich mit minderem Gewicht - mildernd zu berücksichtigen.
c) Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Ausspruchs über die insoweit verhängte Einzelstrafe. Da nur ein Wertungsfehler vorliegt, können die zur Strafzumessung getroffenen Feststellungen aufrechterhalten bleiben.
4. Der Wegfall der Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe ihre Grundlage, so dass sie mit aufzuheben ist.
5. Der Maßregelausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. August 2017 - 3 StR 249/17, BeckRS 2017, 127537 Rn. 9; Urteile vom 28. April 2021 - 2 StR 484/20, NStZ-RR 2021, 275, 276 und vom 20. April 2023 - 3 StR 380/22, BeckRS 2023, 13479).
b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
aa) Das Landgericht hat ausgeführt, die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sei anzuordnen, weil er den Mordversuch im Zustand erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit aufgrund des dauerhaft vorhandenen hirnorganischen Psychosyndroms begangen habe. Es seien von ihm auch weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten; denn durch das hirnorganische Psychosyndrom sei er in seiner Affektregulation erheblich eingeschränkt. Der Umstand, dass der Angeklagte behauptet habe, die Tat begangen zu haben, um inhaftiert und in einer Justizvollzugsanstalt versorgt zu werden, begründe die Besorgnis, dass er in Zukunft erhebliche Straftaten begehen werde, um dieses Ziel weiter zu verfolgen. Seine eingeschränkte Beweglichkeit aufgrund eines zwischenzeitlich erlittenen Schlaganfalls spreche nicht gegen die Gefahr künftiger Gewalttaten, denn er sei immer noch in der Lage, eine Schusswaffe abzufeuern. Die Tatsache, dass er seinen Schwur zur Ausübung von Rache 10 bis 15 Jahre nach dem Kokaindiebstahl umgesetzt hat, spreche nicht gegen die Gefahr künftiger Straftaten, sondern eher dafür.
bb) Diese Ausführungen zur Gefahrenprognose sind rechtsfehlerhaft.
(1) Der Hinweis darauf, der Angeklagte habe das Ziel verfolgt, in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht zu werden, steht tendenziell in Widerspruch dazu, dass die Strafkammer dem Angeklagten nicht geglaubt hat, ein solches Ansinnen sei auch Begleitmotiv des Angriffs auf den Nebenkläger gewesen. Die Urteilsgründe lösen diesen Widerspruch nicht nachvollziehbar auf.
(2) Das Tatmotiv der Rache für einen 10 bis 15 Jahre zurückliegenden Kokaindiebstahl betrifft ein spezielles Ereignis. Die Wahrscheinlichkeit eines Wiederholungsfalls erscheint insoweit gering. Das Landgericht hat keine Ausführungen dazu gemacht, welche Art von weiteren rechtswidrigen Taten es im Blick hatte.
6. Der Adhäsionsausspruch zugunsten des Geschädigten ist rechtsfehlerfrei und kann, unbeschadet der Urteilsaufhebung hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Adhäsionsklägers, deren äußerer Ablauf bindend festgestellt ist, bestehen bleiben. Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des angefochtenen Urteils berührt die zu Gunsten des Nebenklägers ergangene Adhäsionsentscheidung hier nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2023 - 4 StR 442/22, BeckRS 2023, 3912 Rn. 12).
a) Die Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs, die ohne Hinweis auf das Tatmotiv des Angeklagten erfolgt ist und auch bei der Annahme eines versuchten Totschlags angemessen ist, und der Ausspruch über die Zinshöhe sind rechtlich nicht zu beanstanden.
b) Der Senat ändert die Entscheidung nur hinsichtlich des Zinsbeginns. Entsprechend § 187 Abs. 1 BGB stehen dem Adhäsionskläger die Prozesszinsen ab dem auf die Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs (§ 404 Abs. 2 StPO) folgenden Tag zu (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2015 - 4 StR 411/15, BeckRS 2015, 20717). Das ist hier der Tag nach der Antragstellung in der Hauptverhandlung vom 25. Oktober 2022, mithin der 26. Oktober 2022.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 162
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede