HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 705
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 484/20, Urteil v. 28.04.2021, HRRS 2021 Nr. 705
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 19. August 2020 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung aus der Vorverurteilung aufrechterhalten. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das zuungunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der wegen Diebstahls, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige vorbestrafte 28-jährige Angeklagte aufgrund eines Unfallgeschehens seit 2009 an einer organischen Wesensveränderung mit ? nicht behandelbarer ? frontotemporaler hirnorganischer Schädigung (ICD-10: F07.0) sowie mit symptomatischer Epilepsie (ICD-10: G40). Diese zeichnet sich unter anderem durch eine emotionale Labilität, flache und ungerechtfertigte Fröhlichkeit und einen leichten Wechsel zur Reizbarkeit sowie kurz andauernden Ausbrüchen von Wut und Aggression, eine Fixierung auf die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung sowie ein verändertes Sexualverhalten aus. Zudem besteht eine Cannabisabhängigkeit mit aktuellem Substanzkonsum (ICD-10: F12.24) und ein Psychostimulanzienmissbrauch im Sinne eines schädlichen Gebrauchs (ICD-10: F15.1).
2. Vor diesem Hintergrund kam es zu folgendem Tatgeschehen:
a) Am 17. Oktober 2018 kam der Angeklagte, der ohne Tagesstruktur lebt und an diesem Tag wie üblich mit dem Fahrrad unterwegs war, mit der ihm bis dahin unbekannten 84-jährigen Nebenklägerin vor deren Haus ins Gespräch. Im Verlauf der mehrere Stunden dauernden Unterhaltung entstand bei ihm der Wunsch, mit der Nebenklägerin Geschlechtsverkehr zu haben. Er gewann die irrige Vorstellung, dass dies auch ihrer Interessenlage entspräche. Nachdem die Nebenklägerin ihm gestattet hatte, die Toilette ihrer Wohnung zu benutzen, umschlang der Angeklagte ihren Körper von hinten mit beiden Armen in der Erwartung gemeinsamer sexueller Handlungen. Als die Nebenklägerin erwiderte, er solle aufhören, entschloss er sich spontan, seine überlegene Körperkraft auszunutzen und mit ihr dennoch geschlechtlich zu verkehren. Infolge der organischen Wesensveränderung aufgrund der hirnorganischen Schädigung war er gedanklich fixiert auf die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse. Zum Zwecke der sexuellen Befriedigung umfasste er mit beiden Händen von rechts und links die Brüste der Nebenklägerin oberhalb der Kleidung und drückte diese mit großer Kraft, wobei er die Verletzung der Nebenklägerin in Kauf nahm.
Um den Geschlechtsverkehr auszuführen, drängte er sie, weiterhin von hinten umfassend, ins Wohnzimmer, wo er „sie gewaltsam auf der dort befindlichen Couch zum Sitzen“ brachte. Er stellte sich dicht vor sie, zog seine Hose herunter, holte seinen nicht erigierten Penis hervor und forderte die Nebenklägerin auf, den Oralverkehr durchzuführen. Als die Nebenklägerin schrie, er solle aufhören und weggehen, hielt er ihr mit einer Hand den Mund zu. Er befürchtete, die Schreie seien auf der Straße zu hören. Da die Nebenklägerin dennoch weiter laut schrie, dass sie das nicht wolle, realisierte der Angeklagte die drohenden Konsequenzen und entschloss sich, von seinem Vorhaben abzulassen. Er zog sich an und verließ das Haus. Die Nebenklägerin erlitt in Folge des Übergriffs zahlreiche Hämatome.
b) Die Strafkammer ist, sachverständig beraten, davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten aufgrund seiner krankheitsbedingt gestörten Impulskontrolle eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB mit Sicherheit gegeben war. Eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit hat sie aufgrund seines mehretappigen und zielgerichteten Vorgehens ausgeschlossen.
c) Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat sie abgelehnt, weil sie die für die Gefährlichkeitsprognose erforderliche Überzeugung einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Angeklagte in Folge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, nicht gewinnen konnte. Zwar seien von dem Angeklagten in Zukunft weitere Straftaten zur Beschaffung der zum Eigenkonsum benötigten Betäubungsmittel zu erwarten. Auch sei mit Diebstahlsdelikten jedenfalls im Familienkreis zu rechnen. Solche Delikte erreichten indes nicht die notwendige Erheblichkeitsschwelle, um seine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen. Für die Begehung von Gewaltkriminalität, insbesondere von Sexualdelikten, bestehe keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades. Insoweit handele es sich bei dem zur Aburteilung stehenden Tatgeschehen nicht um das Fortschreiten einer delinquenten Entwicklung, sondern um ein vereinzelt gebliebenes Ausnahmegeschehen.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist ungeachtet des umfassenden Aufhebungsantrags ausweislich der Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift, die sich ausschließlich mit der unterbliebenen Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus befassen, auf die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB beschränkt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 ? 4 StR 65/17, juris Rn. 8 mwN). Diese Beschränkung ist wirksam; es liegt kein untrennbarer Zusammenhang zwischen Schuld- und Maßregelausspruch vor (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2017 ? 5 StR 537/16, NStZ-RR 2017, 253).
2. Die Revision ist unbegründet. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
a) Das Landgericht ist von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von diesem drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzung ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 ? 5 StR 388/17, juris Rn. 8; Beschluss vom 22. August 2017 ? 3 StR 249/17, juris Rn. 9 mwN).
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht. Das Landgericht ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, seines Vorlebens und der festgestellten Anlasstat zu dem Ergebnis gelangt, dass von ihm nicht mit der für eine Unterbringung erforderlichen Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB zu erwarten sind. Es hat dabei bedacht, dass die Gefahrenprognose anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entwickeln ist, alle hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte gesehen und vertretbar gewürdigt.
c) Die Revision der Staatsanwaltschaft deckt demgegenüber keinen Rechtsfehler auf.
aa) Die Urteilsgründe lassen zunächst nicht besorgen, dass das Landgericht bei seiner Gefährlichkeitsprognose davon ausgegangen ist, die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB setze die Gefahr gleichartiger Taten voraus (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Juni 2007 ? 2 StR 135/07, juris Rn. 6). Denn das Landgericht hat bei seiner Prognose die Möglichkeit weiterer Familiendiebstähle sowie die Erwartung weiterer Straftaten bei der Beschaffung der zum Eigenkonsum benötigten Betäubungsmittel ausdrücklich in den Blick genommen, diesen Taten jedoch rechtsfehlerfrei nicht die notwendige Erheblichkeit für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beigemessen.
bb) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin erweist sich die Gefahrenprognose der Strafkammer, mit der diese die Nichtanordnung der Maßregel rechtfertigt, als umfassend.
(1) Die Strafkammer konnte ihre Gefährlichkeitsprognose nicht auf die frühere Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in 24 Fällen, davon in 14 Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige stützen. Die dazu getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass auch diese Taten auf der hirnorganischen Schädigung des Angeklagten beruhten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. September 2019 ? 4 StR 24/19, juris Rn. 8 mwN). Vielmehr ergibt sich aus diesen, dass der Angeklagte die damals 16-jährigen Jugendlichen Haschisch beziehungsweise Cannabis mitkonsumieren ließ, nachdem diese ihm angesichts seiner unfallbedingten körperlichen Beeinträchtigung geholfen hatten, eine Haschisch- bzw. Cannabiszigarette zu fertigen. Die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen lassen auch im Übrigen nicht erkennen, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige auf der hirnorganischen Erkrankung des Angeklagten beruht. Insbesondere ist nicht dargestellt, dass das Motiv des Angeklagten für die Abgabe der Betäubungsmittel an die Jugendlichen auch darin lag, dass er aufgrund seiner unfallbedingten emotionalen Unreife nach Freundschaften mit Kindern und Jugendlichen strebte.
(2) Die Revisionsbegründung zeigt weder Widersprüche noch Lücken bei der Gefährlichkeitsprognose auf.
(a) Die Feststellungen der Strafkammer zu den Symptomen einer hirnorganischen Schädigung nach ICD 10: F07.0, wonach sich das emotionale Verhalten des Angeklagten unter anderem durch einen leichten Wechsel zur Reizbarkeit auszeichne und die durch die organische Wesensveränderung bedingte Persönlichkeitsveränderung unter anderem mit einer Reizbarkeit und Aggression sowie einer unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung einhergehe, stehen in keinem Widerspruch zu der Beschreibung der Gesamtpersönlichkeit des Angeklagten durch den Sachverständigen, der sich die Strafkammer ebenfalls angeschlossen hat, wonach bei diesem von einer gelegentlichen Reizbarkeit und Aggression berichtet worden sei. Denn die Einschränkung „gelegentlich“ quantifiziert lediglich das Auftreten der zuvor beschriebenen Symptomatik.
(b) Die Wertung der Strafkammer, von dem Angeklagten seien mit keiner höheren Wahrscheinlichkeit Delikte aus dem Bereich der Gewaltkriminalität bzw. insbesondere der Sexualdelikte zu erwarten, lässt keine Lücken erkennen.
(aa) Die Strafkammer hat die nur gelegentliche Reizbarkeit und Aggression des Angeklagten ausdrücklich in den Blick genommen und diesen Umstand - vertretbar - dadurch relativiert, dass sich mit Ausnahme eines viele Jahre zurückliegenden Angriffs auf einen Kollegen in einer Behindertenwerkstatt die Reizbarkeit und Aggression des Angeklagten, dessen Auftreten nach der übereinstimmenden Darstellung des psychiatrischen Sachverständigen und des Bewährungshelfers von Gutmütigkeit und einer heiteren Gemütslage gekennzeichnet sei, nicht in körperlichen Übergriffen geäußert habe. Einer weitergehenden Erörterung des Umstandes, dass der Angeklagte seine Bedürfnisbefriedigung meist ohne Berücksichtigung von Konsequenzen und sozialen Konventionen ausübt, bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.
(bb) Auch die - von der Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen abweichende ? Wertung der Strafkammer in der abzuurteilenden Tat sei keine Progredienz in dem delinquenten Verhalten des Angeklagten zu erkennen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
?) Das Tatgericht ist nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, weil dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2018 ? 5 StR 385/18, StV 2019, 226, Rn. 14). Will das Tatgericht allerdings eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat oder deren Inanspruchnahme - wie im Fall des § 246a StPO - gesetzlich vorgeschrieben ist, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlauben, ob es die Darlegungen des Sachverständigen zutreffend gewürdigt und aus ihnen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2018 - 1 StR 51/18, juris Rn. 10). Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit dessen Ausführungen zu den Gesichtspunkten, auf die das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 - 3 StR 368/17, juris Rn. 11).
?) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Die Strafkammer hat die Ausführungen des Sachverständigen unter Berücksichtigung der von ihm eingesetzten Prognoseinstrumente zutreffend gewürdigt und aus den gewonnenen Ergebnissen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen. Sie hat ? in Abweichung von der Wertung des Sachverständigen ? die Besonderheiten des Tatgeschehens herausgearbeitet, die dessen Wiederholung aus tatrichterlicher Sicht angesichts des bis dahin singulären Geschehens unwahrscheinlich erscheinen lassen. Sie hat sich mit der Wertung des Sachverständigen, „vergleichbare Tatgelegenheiten seien ubiquitär“, auseinandergesetzt und diese allgemeine Erwägung im bisherigen Lebensweg des Angeklagten nicht bestätigt gesehen. Dabei hat sie zusätzlich in den Blick genommen, dass nicht erkennbar sei, dass der Angeklagte entsprechende Tatsituationen anstrebe, und die gerade auf sexuell deliktisches Verhalten abzielenden Items der Prognoseinstrumente gezeigt hätten, dass der Angeklagte kein Sexualtäter sei. Denn der Sachverständige habe auf Nachfrage geschildert, dass der Angeklagte bei den Items, die sich auf sexuelle Verhaltensweisen oder Eigenschaften bezögen, nur einen niedrigen oder gar keinen „Score“ erziele.
Die Strafkammer hat auch - entgegen dem Revisionsvorbringen ? die Lebensumstände des Angeklagten, der regelmäßig mit seinem Fahrrad unterwegs ist und gegebenenfalls auch bei Freunden Betäubungsmittel konsumiert, in den Blick genommen. Selbiges gilt für die Geschehnisse in einer Werkstatt für Behinderte, bei denen der Angeklagte vor vielen Jahren einen anderen Beschäftigten körperlich angegriffen hatte, nachdem er von diesem beleidigt worden war. Das weitergehende Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Angeklagte sei mit Arbeitsschuhen direkt auf diesen Mitbeschäftigten losgegangen, erweist sich als urteilsfremd und ist daher der revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen.
Die Strafkammer war demgegenüber nicht gehalten, die Vorverurteilung aus dem Jahr 2011 wegen Fahrraddiebstahls und die damalige Einlassung des Angeklagten, er habe zu der Kirmes zurückkehren wollen, um sich an den „Kirmesburschen“, mit denen er einige Zeit zuvor in Streit geraten war und die er ursprünglich habe umbringen wollen, zu rächen, ausdrücklich zu erörtern. Die zu dieser Vorverurteilung mitgeteilten Feststellungen belegen bereits nicht, dass die damalige Tat auf der hirnorganischen Störung des Angeklagten beruhte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. September 2019 - 4 StR 24/19, juris Rn. 8 mwN). Es ist zudem nicht erkennbar, wie sich die veränderte Emotionalität des Angeklagten, die in der gesteigerten Reizbarkeit und Aggression sowie einer unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung zum Ausdruck kommt, in dem hier aus Sicht der Beschwerdeführerin planvollen Vorgehen des Angeklagten niedergeschlagen haben soll.
Gleiches gilt für das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Strafkammer habe den Substanzmissbrauch bei der Risikoeinschätzung außer Betracht gelassen, da die Cannabisabhängigkeit und der Psychostimulanzienmissbrauch für die Begehung der zur Aburteilung stehenden Sexualstraftat keine Relevanz besaßen. Der Sachverständige hat daher, ebenso wie die Strafkammer, keine Veranlassung gesehen, diesen Umstand in seine Gefährlichkeitsprognose für eine Gewalt- bzw. Sexualtat einzubeziehen. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
(c) Angesichts all dessen ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei dem zur Aburteilung stehenden Sexualdelikt des Angeklagten, der zur Tatzeit nur wegen eines einzigen Betäubungsmitteldelikts unter Bewährung stand und keine Vorstrafe wegen einer Gewalttat aufwies, trotz dessen krankheitsbedingt gestörter Impulskontrolle von einem vereinzelt gebliebenen Ausnahmegeschehen ausgegangen ist. Die von der Strafkammer vorgenommene Wertung ist möglich und vertretbar und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
Der Umstand, dass der Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 7. April 2021 wegen einer weiteren Tat vom 30. Juni 2020 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist, bleibt ohne Einfluss auf die revisionsrechtliche Bewertung des angefochtenen Urteils.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StPO. Angesichts der Erfolglosigkeit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft hat die Nebenklägerin ihre im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl. BGH, Urteil 28 29 vom 24. Mai 2018 ? 4 StR 642/17, juris Rn. 4; Beschluss vom 5. Oktober 2016 ? 3 StR 232/16, juris Rn. 3; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 473 Rn. 15).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 705
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 275; StV 2022, 296
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner