HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 109
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 457/14, Urteil v. 18.12.2014, HRRS 2015 Nr. 109
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 13. Mai 2014 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der im Tatzeitraum (4. bis 20. Juni 2007) 15 Jahre alte Angeklagte und die zum damaligen Zeitpunkt erst 12 Jahre alte Nebenklägerin besuchten dieselbe Schule. Die Nebenklägerin schwärmte für den Angeklagten und gab ihm in Briefen ihre Zuneigung zu verstehen. Der Angeklagte, der wusste, dass die Nebenklägerin die 6. Klasse besuchte und ein erheblicher Altersunterschied zwischen ihnen bestand, war an einer ernsthaften Beziehung nicht interessiert, genoss jedoch die Schwärmerei der Nebenklägerin. Aus lediglich sexuellem Interesse nahm er wenige Wochen vor den Sommerferien Kontakt zu ihr auf. In der Folgezeit kam es zwischen beiden mehrfach zu heimlichen Treffen, bei denen auch Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden. Am 4. Juni 2007 erschien die Nebenklägerin zu einer Verabredung mit dem Angeklagten in der Annahme, dieser wolle mit ihr einen Spaziergang machen. Nachdem sie in einem Waldstück nahe einem Steinbruch angekommen waren, deutete der Angeklagte seinen Wunsch nach Geschlechtsverkehr an und küsste die an einen Baum gelehnte Nebenklägerin. Diese fühlte sich durch die Situation überfordert, zumal sie über keine sexuellen Vorerfahrungen verfügte, und erklärte entschieden, dass sie dies nicht wolle. Der Angeklagte bewog die Zeugin dennoch dazu, sich auf den Waldboden zu legen, zog ihr daraufhin die Hose bis zu den Knöcheln herunter, entkleidete ihren Unterkörper, entblößte seinen Penis und legte sich auf sie. Anschließend vollzog er mit ihr den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr. Ob es dabei zum Samenerguss kam, konnte nicht festgestellt werden. Die Nebenklägerin wollte die Durchführung des Geschlechtsverkehrs nach wie vor nicht, leistete jedoch auf Grund der körperlichen Überlegenheit des Angeklagten keine Gegenwehr. Sie nahm außerdem an, "so müsse es in einer Beziehung wohl sein". Aus Angst vor einer Schwangerschaft begab sie sich danach in die Behandlung einer Gynäkologin.
Bis zum Beginn der Sommerferien am 21. Juni 2007 setzten der Angeklagte und die Nebenklägerin ihre Treffen fort. Dabei kam es an zwei nicht näher feststellbaren Tagen zwischen dem 6. und dem 20. Juni 2007 erneut zum vaginalen Geschlechtsverkehr, in einem Fall in der (elterlichen) Wohnung des Angeklagten, im anderen in der Wohnung des Vaters der Nebenklägerin. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte in diesen Fällen ein Kondom verwendete.
2. Das Landgericht hat in allen drei Fällen die Voraussetzungen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Sinne von § 176 Abs. 1 StGB als erfüllt angesehen. Im Verhalten des Angeklagten komme eine gravierende Missachtung grundlegender sozialer Normen und Werte zum Ausdruck, was unter Berücksichtigung der charakterlichen Haltung und des Persönlichkeitsbildes des Angeklagten, so wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen seien, die Verhängung von Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) erforderlich mache. Zwar werde nicht verkannt, dass der Angeklagte die Taten begangen habe, als er selbst gerade erst 15 Jahre alt gewesen sei und sich in der Pubertät befunden habe. Gleichwohl sei in den Taten, insbesondere in der ersten Tat, eine nicht unerhebliche Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber dem Wohl und dem Willen der Nebenklägerin sichtbar geworden. Er habe sich deren kindliche Schwärmerei zunutze gemacht, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Im ersten Fall habe er die Nebenklägerin in einem abgelegenen Waldstück mit seinem Wunsch nach Geschlechtsverkehr konfrontiert und sich über ihren deutlich geäußerten entgegenstehenden Willen hinweggesetzt.
Die Rechtsfolgenentscheidung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Dass das Landgericht die Voraussetzungen der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG bejaht und gegen den Angeklagten Jugendstrafe verhängt hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Verhängung von Jugendstrafe unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG nicht nur dann in Betracht kommen, wenn der jugendliche oder heranwachsende Täter ein Kapitalverbrechen begangen hat, sondern auch dann, wenn eine andere besonders schwere Straftat abzuurteilen ist; dazu können auch gravierende Sexualdelikte gehören (Senatsbeschluss vom 20. Januar 1998 - 4 StR 656/97, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 2; Beschluss vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 404/09, NStZ-RR 2010, 56; Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StV 2011, 588; Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 5). Dabei ist der Begriff "Schwere der Schuld" nicht abstrakt nach dem verwirklichten Tatbestand messbar, sondern jeweils nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, sodass der äußere Unrechtsgehalt der Tat nicht unberücksichtigt bleiben darf (Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2008 - 4 StR 543/08, NStZ 2009, 450 mwN).
b) Gemessen daran sieht der Senat in der Verhängung von Jugendstrafe im vorliegenden Fall keinen Rechtsfehler. Die vom Generalbundesanwalt insoweit erhobenen Bedenken werden den Besonderheiten des Falles nicht gerecht.
Die Strafkammer hat bei ihrer Rechtsfolgenentscheidung zum einen berücksichtigt, dass der Angeklagte die Schwärmerei des erst zwölf Jahre alten Tatopfers aus rein sexuellem Interesse ausnutzte. Dabei handelt es sich um eine zulässige Erwägung, die die persönliche Vorwerfbarkeit des verschuldeten Tatunrechts im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG betrifft. Zum anderen hat das Landgericht den äußeren Unrechtsgehalt des Geschehens in den Blick genommen. Dabei hat es rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass der Angeklagte die Geschädigte, die bis dahin noch keinerlei sexuelle Erfahrungen gemacht hatte, bei der ersten Tat am 4. Juni 2007 völlig unvermittelt mit seinem Wunsch nach Durchführung einer erheblichen sexuellen Handlung in Form von Geschlechtsverkehr konfrontierte und sich bei der Ausführung der Tat über deren deutlich geäußerten entgegenstehenden Willen hinwegsetzte. Nach den Feststellungen hatte die konkrete Tatsituation aus Sicht der Geschädigten - allein mit dem körperlich überlegenen Angeklagten in einem abgelegenen Waldstück und auf Widerstand verzichtend - zumindest in objektiver Hinsicht Züge einer Straftat nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall in einem wesentlichen Punkt von dem Sachverhalt, über den der 2. Strafsenat in seinem Beschluss vom 5. Juni 2013 (2 StR 189/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 6) zu entscheiden hatte, da im dortigen Fall im Rahmen einer vergleichbaren Beziehungslage stets einvernehmlicher - und geschützter - Geschlechtsverkehr stattfand, weshalb die Bejahung der Schwere der Schuld durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnete.
c) Dass das Landgericht die Jugendstrafe hier zu Unrecht dem Strafrahmen des § 18 Abs. 1 Satz 2 JGG entnommen hat, der Jugendstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht, statt sich an § 18 Abs. 1 Satz 1 JGG zu orientieren (sechs Monate bis fünf Jahre Jugendstrafe), gefährdet den Bestand des Rechtsfolgenausspruchs ebenfalls nicht.
Lassen die Urteilsgründe erkennen, dass der Tatrichter die Bemessung der Jugendstrafe rechtsfehlerfrei am maßgeblichen Erziehungszweck (§ 18 Abs. 2 JGG) ausgerichtet hat, kann in der Regel ausgeschlossen werden, dass er eine niedrigere Strafe verhängt hätte, wenn er vom zutreffenden Strafrahmen ausgegangen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1998 - 3 StR 419/98). So verhält es sich hier.
Die Strafkammer hat die Verhängung einer Jugendstrafe von einem Jahr für erforderlich gehalten, sich damit ersichtlich an der Strafrahmenuntergrenze orientiert und ihre Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen erzieherischen Einwirkung trotz der zwischen Tat und Hauptverhandlung verstrichenen Zeit ausführlich begründet. Einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten vermag der Senat nicht zu erkennen.
2. Die Entscheidung über die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO. Für die Anwendung von § 74 JGG sieht der Senat keinen Anlass.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 109
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 102
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel