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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1072

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 47/22, Urteil v. 21.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1072


BGH 6 StR 47/22 - Urteil vom 21. September 2022 (LG Weiden i.d. OPf.)

Aussetzung mit Todesfolge (Obhuts- und Beistandspflicht: Heranziehung der Grundsätze der Garantenstellung, wesentliche Veränderung der Situation des Hilfsbedürftigen; Erlöschen der Pflicht; keine Garantenstellung aus Übernahme einer Verantwortung: Beteiligung an der Suche nach dem Tatopfer; keine Gemeinschaft: lose Zusammenschlüsse); verminderte Schuldfähigkeit (Gesamtwürdigung: Blutalkoholkonzentration, psychodiagnostische Leistungskriterien); unterlassene Hilfeleistung; Tötungsdelikt (Vorsatz: besonders gefährliche Handlung, Umstände des Einzelfalles; Nachtatverhalten der Angeklagten: Chatnachrichten).

§ 221 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB; § 323c Abs. 1 StGB; § 211 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; 21 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zur Beurteilung der Frage nach der Obhuts- und Beistandspflicht bei der Aussetzung sind die Grundsätze heranzuziehen, die für die Entstehung der Garantenstellung im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte gelten. Hilfspflichten wie diejenigen aus § 323c Abs. 1 StGB, die jedermann treffen, reichen zur Begründung einer Beistandspflicht nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht aus. Sie folgt auch nicht allein daraus, dass einem Verunglückten oder sonst Hilfsbedürftigen Beistand geleistet wird, sondern entsteht erst dann, wenn der Helfende die Situation für den Hilfsbedürftigen wesentlich verändert, namentlich andere, nicht notwendigerweise sichere Rettungsmöglichkeiten ausschließt oder vorher jedenfalls nicht in diesem Maße bestehende Gefahren schafft.

2. Zwar können die Pflichten einer aus tatsächlicher Übernahme resultierenden Garantenstellung grundsätzlich aufgekündigt oder widerrufen werden. Die Beistandspflicht erlischt aber erst, wenn der auf den Schutz Vertrauende anderweitig eine Gefahrenvorsorge treffen kann, sich nicht mehr in hilfloser Lage befindet oder die Hilfe erkennbar nicht mehr will.

3. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft begründet noch keine gegenseitigen Hilfspflichten. Diese entstehen erst mit einer erkennbaren Übernahme einer besonderen Schutzfunktion gegenüber Hilfsbedürftigen aus dieser Gruppe in bestimmten Gefahrenlagen. Dies ist bei losen Zusammenschlüssen etwa zum gemeinsamen Konsum von Alkohol oder Drogen, bei Wohngemeinschaften, bei Fahrgemeinschaften und bei Personen, die sich lediglich zufällig in derselben Gefahrensituation befinden, regelmäßig nicht der Fall.

4. Die Beteiligung an der Suche nach einem Geschädigten begründet keine Garantenstellung aus Übernahme einer Verantwortung. Weder genügt insoweit die bloße Kenntnis der Hilfsbedürftigkeit, noch folgt allein aus einem tatsächlich geleisteten Beistand eine Pflicht zur Vollendung einer begonnenen Hilfeleistung.

5. Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei besonders gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an.

6. Das Tatgericht kann bei der Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz auch das Nachtatverhalten der Angeklagten - hier: von ihnen versendete Chatnachrichten - heranziehen.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Angeklagten Gr. und Mo. sowie die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 20. August 2021 werden verworfen.

2. Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Nebenkläger tragen die dem Angeklagten G. im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten Gr. und Mo. wegen Aussetzung mit Todesfolge zu Freiheitsstrafen von fünf Jahren und sechs Monaten bzw. vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten G. hat es wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revisionen der Angeklagten Gr. und Mo. sowie der Nebenkläger haben keinen Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat festgestellt:

Der Angeklagte Gr. war der beste Freund des Geschädigten und ein ehemaliger Arbeitskollege der Angeklagten Mo., der Angeklagte G. ein guter Bekannter aus dem gemeinsamen Freundeskreis.

Zusammen fuhren sie am Abend des 11. September 2020 in eine Bar. Sämtliche Beteiligte konsumierten an den Wochenenden regelmäßig beträchtliche Mengen an Alkohol, nicht selten bis zum Eintritt von Rauschzuständen. Bereits während der Anfahrt tranken sie Bier und Wein. In der Bar bestellten sie neben drei Shisha-Pfeifen unter anderem eine Flasche Wodka. Von dieser trank der von den Angeklagten Gr. und Mo. hierzu animierte Geschädigte derart viel, dass er auf dem Weg zur Toilette stürzte, die glühende Kohle einer Shisha-Pfeife mit der bloßen Hand aufnahm, vom Stuhl rutschte und eine zeitlang auf dem Boden liegen blieb. Der Angeklagte G. hingegen, der an diesem Abend als Fahrer fungierte, trennte sich nach kurzer Zeit von der Gruppe und kehrte erst zurück, als er von dem Angeklagten Gr. verständigt wurde, um den gemeinsamen Heimweg anzutreten.

Beim Verlassen der Bar benötigte der Geschädigte Hilfe beim Anziehen seiner Jacke und beim Treppensteigen, die er von den Angeklagten Gr. und Mo. erfuhr. Andere Gäste der Bar sahen vor diesem Hintergrund davon ab, dem Geschädigten zu helfen. Der Angeklagte G. unterstützte weder die Mitangeklagten noch entfaltete er eigene Bemühungen. Vielmehr wurde er von dem Geschädigten auf dem Weg zum Parkhaus zunächst verbal und dann auch körperlich angegriffen. Nachdem der Angeklagte G. den Geschädigten ohne große Kraftanstrengung zu Boden gebracht hatte, lief er vorweg, während jener, stark schwankend, in seinem Zustand völlig hilflos und zu keiner Risikoabwägung mehr fähig, abwechselnd von den Angeklagten Mo. und Gr. beim Laufen gestützt und an der Hand geführt wurde.

Während die Gruppe einige Minuten vor dem Parkhaus stand, entfernte sich der Geschädigte unbemerkt. Er stürzte hinter dem Parkhaus eine Böschung hinab und blieb bäuchlings am Ufer eines Flutkanals liegen, wo die Angeklagten ihn wenig später fanden. Der Angeklagte G. verblieb oberhalb der vier Meter hohen Böschung, die anderen beiden stiegen zu dem Geschädigten hinab, der seinen Kopf kaum heben konnte, schluchzte und mehrfach stöhnend gegenüber der Angeklagten Mo. äußerte:“ mir geht’s nicht gut“. Diese filmte mit Gr. s Mobiltelefon einige Szenen.

Obwohl den Angeklagten bewusst war, dass sich der Geschädigte nicht mehr selbständig helfen konnte, unternahmen sie mehrere Minuten lang keine Anstrengungen, um diesem beizustehen. Der Angeklagte G. forderte die anderen zwar auf, den Geschädigten die Böschung hinaufzubringen. Er setzte jedoch seine Ankündigung, einen Notruf abzusetzen, nicht um und unternahm auch sonst nichts. Nachdem ihm nicht geholfen worden war, versuchte der Geschädigte mindestens fünf Sekunden lang, sich selbst aufzurichten, wobei er schließlich in den mehrere Meter breiten Flutkanal fiel. Währenddessen lachte jedenfalls die Angeklagte Mo. laut auf. Der Angeklagte G. schrieb derweil über das Geschehen eine Textnachricht an einen Bekannten. Der Geschädigte, der sich nur kurzzeitig mit unkontrollierten Bewegungen über Wasser halten konnte, entfernte sich aus dem Sichtfeld der Angeklagten und ertrank innerhalb der nächsten Minuten.

Die Angeklagten suchten ihn einige Zeit im Bereich des Parkhauses und der Einsturzstelle, bevor sie den Heimweg antraten. Noch in der Nacht schrieb der Angeklagte Gr. Nachrichten an den Geschädigten und fragte nach dessen Verbleib. Am nächsten Morgen erkundigte sich die Angeklagte Mo. per ebenfalls an den Geschädigten gerichteter SMS nach dessen Wohlergehen. Der Leichnam wurde am Abend dieses Tages nahe der Stelle gefunden, an der der Geschädigte ins Wasser gefallen war.

Der Verstorbene wies zum Todeszeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,36 Promille sowie eine erhebliche Konzentration des Cannabimimetikums FUB-AMB auf. Der Angeklagte Gr. hatte zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,8 bis 1,5 Promille und die Angeklagte Mo. eine solche von höchstens 1,2 Promille, während der Angeklagte G. nüchtern war.

2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten Gr. und Mo. als Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 StGB) gewertet. Es hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass sie mit der Realisierung der Todesgefahr rechneten und sich mit dem Tod ihres Freundes abfanden oder diesem auch nur gleichgültig gegenüberstanden (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB). Hinsichtlich des Angeklagten G. hat es lediglich den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) als erfüllt angesehen, weil er keine nach den Maßstäben der Garantenstellung begründeten Obhuts- und Beistandspflichten gehabt habe.

II. Revisionen der Angeklagten Gr. und Mo.

1. Die Verfahrensrügen der Angeklagten Mo. dringen nicht durch.

a) Soweit sich die Revision gegen die Zurückweisung von Anträgen auf eine weitergehende Auswertung des Mobiltelefons des Geschädigten und die Einholung eines (weiteren) rechtsmedizinischen Gutachtens zu möglichen Schwimmbewegungen des Geschädigten wendet, sind diese Rügen unzulässig. Die Revision teilt in den Anträgen in Bezug genommene Dokumente, insbesondere den Untersuchungsbericht des sachverständigen Zeugen H. vom 21. April 2021 (bezüglich der Auswertung des Mobiltelefons) sowie zwei Gutachten und ein Ergänzungsgutachten des Rechtsmediziners Be. (bezüglich möglicher Schwimmbewegungen) nicht im maßgeblichen Umfang mit (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

b) Die Anträge auf Einholung einer 3D-Scan-Ausmessung des Tatortes und auf Auswertung des Mobiltelefons des Geschädigten dahingehend, dass dieser regelmäßig seine Glukosewerte abgefragt habe, stellen mangels konkret bezeichneter Beweistatsachen nur Beweisermittlungsanträge dar. Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht den ersten Antrag teilweise als Beweisantrag behandelt und wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2015 - 2 StR 318/14 Rn. 21). Auch die Aufklärungspflicht gebot die Beweiserhebung nicht.

c) Soweit die Beschwerdeführerin mit zwei weiteren Rügen die Ablehnung der Einholung von Sachverständigengutachten zu näher bezeichneten Beweistatsachen im Zusammenhang mit der Taschenlampen- und Videofunktion des Mobiltelefons des Angeklagten Gr. beanstandet, entspricht das Vorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil die Revision es versäumt, mit der ersten Rüge das Bild aus dem Extraktionsbericht und mit der zweiten Rüge einen vorhergehenden Beweisantrag vorzulegen, auf den sowohl der Beweisantrag als auch die ablehnende Entscheidung der Strafkammer Bezug nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 1986 - 4 StR 496/86, NStZ 1987, 36).

d) Die Rüge, die sich gegen die Nichtbescheidung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Auswertung der Schrittzählerfunktion des Mobiltelefons der Angeklagten wendet, ist unzulässig, weil die relevanten Verfahrenstatsachen nicht mit Bestimmtheit behauptet, sondern lediglich als möglich dargestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2014 - 1 StR 352/14; grundlegend RGSt 48, 288, 289).

e) Unzulässig erhoben sind auch die insgesamt drei Rügen, mit denen die Beschwerdeführerin die Ablehnung ihrer Anträge beanstandet, ein weiteres Sachverständigengutachten zu ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit einzuholen. Die Rüge, die Ablehnung der Einholung eines biomechanischen Gutachtens verletze § 244 Abs. 3 Satz 3 StPO, genügt den Darlegungsanforderungen nicht, weil die Revision die Begründung des Beweisantrags nur auszugsweise mitteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. April 2019 ? 4 StR 38/19, NStZ 2020, 758; vom 11. Mai 2021 - 5 StR 110/21). Soweit die Revision bemängelt, ein Antrag sei „inhaltlich“ nicht beschieden worden, weil sich das Landgericht nicht mit dem eigentlichen Beweisziel auseinandergesetzt habe, fehlt die Mitteilung weiterer Tatsachen, die hier erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. August 1999 - 3 StR 277/99, NStZ 2000, 49, 50; vom 1. April 2004 - 1 StR 101/04, NStZ 2005, 222, 223; BeckOK StPO/Wiedner, 44. Edition, April 2022, § 344 Rn. 71). Die Revision verhält sich weder zu einer Beanstandung der Ablehnungsentscheidung, einem ergänzenden bzw. klarstellenden Beweisantrag noch zu einem erklärten Verzicht auf die weitere Beweiserhebung oder einer anderweitigen Erledigung des Beweisantrages (vgl. BGH, Urteile vom 17. Februar 1987 - 5 StR 552/86; vom 28. Januar 2003 - 5 StR 378/02, NStZ 2003, 381). Hinsichtlich des dritten Antrags folgt die Unzulässigkeit daraus, dass der Ablehnungsbeschluss des Landgerichts Bezug auf den vorangegangenen Ablehnungsbeschluss nimmt, die Revision diesen jedoch nicht (nochmals) vorlegt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 1986 - 4 StR 496/86, aaO).

f) Schließlich lässt die Ablehnung der beantragten Einholung eines schalltechnischen Gutachtens zur Hörbarkeit etwaiger Hilferufe wegen eigener, durch den vorangegangenen Augenschein und die Angaben von Passanten vermittelter Sachkunde keinen Verstoß gegen § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO erkennen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 100/97, NStZ 1998, 366; Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09, NStZ 2010, 586).

2. Die aufgrund der Sachrüge veranlasste materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler aufgedeckt. Näherer Erörterung bedürfen lediglich nachfolgende Umstände:

a) Das Landgericht hat in nicht zu beanstandender Weise eine Obhuts- und Beistandspflicht der Angeklagten Gr. und Mo. nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB angenommen.

aa) Es sind die Grundsätze heranzuziehen, die für die Entstehung der Garantenstellung im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte gelten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1974 - 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 37). Hilfspflichten wie diejenigen aus § 323c Abs. 1 StGB, die jedermann treffen, reichen zur Begründung einer Beistandspflicht nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht aus (vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 14). Sie folgt auch nicht allein daraus, dass einem Verunglückten oder sonst Hilfsbedürftigen Beistand geleistet wird, sondern entsteht erst dann, wenn der Helfende die Situation für den Hilfsbedürftigen wesentlich verändert, namentlich andere, nicht notwendigerweise sichere Rettungsmöglichkeiten ausschließt oder vorher jedenfalls nicht in diesem Maße bestehende Gefahren schafft (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 1974 - 4 StR 529/74, aaO S. 39 vom 22. Juni 1993 - 1 StR 264/93; NJW 1993, 2628; vom 11. September 2019 - 2 StR 563/18; vom 31. März 2021 - 2 StR 109/20 Rn. 26; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 13 Rn. 27).

bb) So verhält es sich hier. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen halfen die Angeklagten Gr. und Mo. dem „höchstgradig intoxikierten“ Geschädigten nicht nur beim Ankleiden, Treppensteigen und Gehen. Indem sie ihn aus dem Lokal führten und stützend zum Parkhaus begleiteten, entfernten sie ihn zugleich aus dem Einflussbereich des Wirtes und weiterer Gäste, die bereits auf seinen hilflosen Zustand aufmerksam geworden waren, sich aufgrund der erkennbaren Unterstützung jedoch nicht zu eigenen Hilfestellungen veranlasst sahen. Hierdurch erhöhten sich die dem Geschädigten außerhalb der Bar drohenden Gefahren wesentlich.

cc) Die Pflicht entfiel - anders als die Revision meint - nicht, als der Geschädigte sich am Parkhaus von der Gruppe entfernte. Zwar können die Pflichten einer aus tatsächlicher Übernahme resultierenden Garantenstellung grundsätzlich aufgekündigt oder widerrufen werden. Die Beistandspflicht erlischt aber erst, wenn der auf den Schutz Vertrauende anderweitig eine Gefahrenvorsorge treffen kann (vgl. für den Fall der Aufkündigung durch den Garanten Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 29), sich nicht mehr in hilfloser Lage befindet (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1974 - 4 StR 529/74, aaO S. 39) oder die Hilfe erkennbar nicht mehr will (vgl. OLG Karlsruhe, JZ 1960, 178, 179; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 24; BeckOK StGB/Heuchemer, 54. Edition, August 2022, § 13 Rn. 44), was hier jeweils nicht der Fall war. Denn nach der rechtsfehlerfrei gewonnenen Überzeugung des Landgerichts befand sich der Geschädigte aufgrund seiner erheblichen Intoxikation im Moment des Verlassens der Gruppe in einem Zustand, der erkennbar ein eigenverantwortliches Handeln ausschloss.

b) Indem die Angeklagten dem am Uferrand liegenden und um Hilfe flehenden Geschädigten eine aussichtsreiche, ihnen mögliche und zumutbare Hilfeleistung versagten, namentlich, weil sie keinen Notruf absetzten, ihn weder beruhigten noch am Aufstehen hinderten, setzten sie ihn der Gefahr aus, infolge eines Sturzes in den Flutkanal schwere Gesundheitsschäden oder den Tod zu erleiden. Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob den Angeklagten eine Rettung des Geschädigten aus dem Flutkanal möglich und zumutbar war, kommt es nicht an. Der Geschädigte befand sich nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen bereits in einer sein Leben gefährdenden Lage, bevor er ins Wasser fiel.

c) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich die der Aussetzung eigentümliche Gefahr in der eingetretenen schweren Folge verwirklicht hat (§ 221 Abs. 3 StGB). Aus den rechtsfehlerfreien Feststellungen ergibt sich jedenfalls ein für die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes ausreichendes, zumindest fahrlässiges Verhalten der Angeklagten.

3. Auch die Strafaussprüche, insbesondere die Strafrahmenwahl, begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zwar hat das Landgericht die Blutalkoholkonzentrationen der Angeklagten Gr. und Mo. nicht rechtsfehlerfrei bestimmt, weil bereits die Berechnung revisionsgerichtlich nicht nachvollziehbar ist. Insoweit sind nicht nur die Trinkmengen zum Teil nicht hinreichend belegt, es fehlen auch Angaben zum Gewicht der Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2003 - 3 StR 60/03, NStZ 2004, 32, 33 [dort nicht abgedruckt]). Zudem lassen die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es in der Folge zur Feststellung niedrigerer als der errechneten Blutalkoholwerte gelangt ist, die Anwendung eines fehlerhaften Maßstabes besorgen. Denn das Tatgericht darf insbesondere nicht den aufgrund für glaubhaft erachteter Trinkmengenangaben errechneten Blutalkoholwert durch die Annahme relativieren, dass ein geringerer dem Erscheinungsbild und Leistungsverhalten des Täters eher entspreche (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 2 StR 478/97, NStZ-RR 1998, 68). Die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB bedarf vielmehr grundsätzlich einer Gesamtwürdigung, in die sowohl die ermittelte Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Leistungskriterien einzustellen sind (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 71 ff.; Beschlüsse vom 29. November 2005 - 5 StR 358/05, NStZ-RR 2006, 72 f; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247, 250 ff.).

Der Senat kann aber im Hinblick auf die im Raum stehenden Trinkmengen und die im Übrigen rechtsfehlerfreien Feststellungen und Wertungen zum Leistungsverhalten der Angeklagten ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffenden Feststellungen zu den Blutalkoholkonzentrationen der Angeklagten zur Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit oder zur Annahme eines minder schweren Falles gelangt wäre. Ausschließen kann der Senat auch, dass die Strafkammer der Alkoholisierung im Rahmen der konkreten Strafzumessung ein größeres Gewicht beigemessen hätte.

III. Revisionen der Nebenkläger

Die zulässigen Revisionen der Nebenkläger sind unbegründet.

1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Verneinung einer Garantenpflicht des Angeklagten G. für das Wohlergehen des Geschädigten.

a) Zwar bildeten die Angeklagten und der Geschädigte aufgrund ihres gemeinsamen Ausflugs eine Gemeinschaft. Die bloße Zugehörigkeit zu einer solchen begründet aber noch keine gegenseitigen Hilfspflichten. Diese entstehen erst mit einer erkennbaren Übernahme einer besonderen Schutzfunktion gegenüber Hilfsbedürftigen aus dieser Gruppe in bestimmten Gefahrenlagen (vgl. BGH, Urteile vom 7. November 1986 - 2 StR 494/86, NJW 1987, 850; vom 4. Dezember 2007 - 5 StR 324/07, NStZ 2008, 276, 277; vom 11. September 2019 - 2 StR 563/18 Rn. 12). Dies ist bei losen Zusammenschlüssen etwa zum gemeinsamen Konsum von Alkohol oder Drogen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1954 - 1 StR 612/53, NJW 1954, 1047, 1048), bei Wohngemeinschaften (vgl. BGH, Urteile vom 7. September 1983 - 2 StR 239/83, NStZ 1984, 163; vom 7. November 1986 - 2 StR 494/86, aaO), bei Fahrgemeinschaften (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 1. Oktober 2004 - 9 U 138/04, VersR 2005, 1689) und bei Personen, die sich lediglich zufällig in derselben Gefahrensituation befinden (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 2019 - 2 StR 563/18, aaO), regelmäßig nicht der Fall.

b) Eine Obhuts- und Beistandspflicht ergab sich für den Angeklagten G. auch nicht aus einer einseitigen Übernahme einer Beschützerfunktion. Denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat dieser - über die freundschaftliche Zusage von Fahrdiensten hinaus - weder durch ausdrückliche Erklärung noch durch schlüssige Handlung zu verstehen gegeben, dass er für das Wohlergehen des Geschädigten in besonderem Maße Sorge tragen werde. Anders als die Mitangeklagten hat er weder unmittelbar Hilfe geleistet noch diese bei ihren Handlungen unterstützt, sondern vielmehr eine gewisse Distanz zum Geschädigten gehalten.

c) Ebensowenig begründete die Beteiligung an der Suche nach dem Geschädigten - entgegen der Ansicht der Revisionen der Nebenkläger - eine Garantenstellung aus Übernahme einer Verantwortung. Weder genügt insoweit die bloße Kenntnis der Hilfsbedürftigkeit, noch folgt allein aus einem tatsächlich geleisteten Beistand eine Pflicht zur Vollendung einer begonnenen Hilfeleistung.

2. Soweit die Vollstreckung der gegen den Angeklagten G. erkannten Freiheitsstrafe, die infolge der Anrechnung der Untersuchungshaft (§ 51 Abs. 1 StGB) bereits voll verbüßt war, rechtsfehlerhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. August 2017 - 3 StR 179/17; vom 12. Februar 2014 - 1 StR 36/14; vom 8. Januar 2002 - 3 StR 453/01, NStZ 2002, 367), ist dem Senat trotz § 301 StPO eine Korrektur verwehrt (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2022 - 2 StR 41/21, NJW 2022, 1263, 1264 f.; nicht tragend Beschluss vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20 Rn. 10; LR/Wenske, StPO, 27. Aufl., § 400 Rn. 34).

3. Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung hat auch insoweit keinen Rechtsfehler ergeben, als das Landgericht einen Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint hat.

a) Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei besonders gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. BGH, Urteile vom 23. März 2022 - 6 StR 343/21; vom 26. November 2014 - 2 StR 54/15, NStZ 2015, 516).

aa) Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. August 2021 - 2 StR 178/20; vom 31. Januar 2019 - 4 StR 432/18 Rn. 10) vorgenommen und sich dabei nicht mit allgemeinen, formelhaften Wendungen begnügt. Es hat seine Überzeugung davon, dass sich der Vorsatz der Angeklagten jeweils nicht auf eine Realisierung der erkannten Gefahr erstreckte, vielmehr mit auf den konkreten Fall abgestellten Erwägungen begründet.

bb) Insbesondere erweist sich die fehlende ausdrückliche Erörterung der vom Landgericht bejahten kognitiven Komponente des bedingten Tötungsvorsatzes nicht als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat im Rahmen seiner Begründung des für § 221 Abs. 1 StGB erforderlichen Gefährdungsvorsatzes die Kenntnisse der Angeklagten tragfähig dargestellt und gewürdigt. Eine erneute Darstellung dessen im Rahmen ihrer naheliegender Weise hierauf ebenfalls abstellenden Würdigung zum bedingten Tötungsvorsatzes war - auch eingedenk der unterschiedlichen Bezugspunkte von Gefährdungs- und Schädigungsvorsatz (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 1967 - 4 StR 441/67, BGHSt 22, 67, 73; vom 24. Juli 1975 - 4 StR 165/75, BGHSt 26, 176, 182; vom 12. Juni 2008 - 4 StR 78/08, NStZ-RR 2008, 308, 309) - entbehrlich. Da die Gefahr begrifflich nichts anderes beschreibt als die naheliegende Möglichkeit einer Schädigung (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1967 - 4 StR 441/67 aaO), bleibt beim Vorliegen eines auf die Gefahr des Todes bezogenen Vorsatzes kein Raum mehr für die Verneinung des kognitiven Elements eines bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 1967 - 4 StR 441/67 aaO; vom 31. Januar 2019 - 4 StR 432/18 Rn. 13). Denn derjenige, der die Gefahrenlage für das Leben anderer erkennt und sich mit ihr abfindet, weiß um die Möglichkeit des Eintritts eines tödlichen Erfolgs (vgl. Radtke, NStZ 2000, 88, 89).

b) Soweit die Revision einwendet, der mit bedingtem Vorsatz handelnde Täter habe regelmäßig kein Tötungsmotiv, ist dies im Ansatz zwar zutreffend (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2015 - 4 StR 442/14), führt aber nicht zur Fehlerhaftigkeit der Erwägung des Landgerichts, das Fehlen eines solchen spreche in diesem Fall gegen ein vorsätzliches Handeln. Denn die Art der Beweggründe kann für die Prüfung von Bedeutung sein, ob der Täter nach der Stärke des für ihn bestimmenden Handlungsimpulses bei der Tatausführung eine Tötung billigend in Kauf nahm (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 - 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 - 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318; Beschluss vom 30. Juli 2019 ? 2 StR 122/19; NStZ 2020, 288; 289). Hier fehlt im Hinblick auf die festgestellte enge Freundschaft des Angeklagten Gr. zum Geschädigten und den Verlauf des Abends ein einsichtiger Grund dafür, dass die Angeklagten in der konkreten Situation seinen Tod billigend in Kauf genommen hätten.

c) In nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht bei der Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz auch das Nachtatverhalten der Angeklagten und hier insbesondere die von ihnen versendeten Chatnachrichten herangezogen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 - 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142; Beschlüsse vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267; vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91; vom 22. April 2009 - 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503, 504; sowie konkret zu Äußerungen im Nachgang der Tat Urteil vom 21. November 1985 - 4 StR 465/85, StV 1986, 197). Seine Ausführungen lassen dabei weder besorgen, dass es den zur Beurteilung der Vorsatzfrage maßgebenden (Tat-)Zeitpunkt verkannt hat, noch deutet die Wendung „nur dadurch“ darauf hin, dass es andere Interpretationsmöglichkeiten von vornherein außer Acht gelassen hat. Der gezogene Schluss - die Angeklagten hätten im Tatzeitpunkt auf ein gutes Ende vertraut - ist jedenfalls revisionsrechtlich hinzunehmen.

d) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht schließlich die alkoholbedingte Enthemmung der Angeklagten als weiteren Umstand zur Entkräftung des Tötungsvorsatzes in den Blick genommen. Dies ist auch in Fällen geboten, in denen das Tatgericht eine uneingeschränkte Schuldfähigkeit bejaht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 - 2 StR 122/19, aaO), so dass sich das Landgericht nicht in Widerspruch zu seinen vorhergehenden Feststellungen gesetzt hat. Ohne Einfluss bleibt, dass diese nicht rechtsfehlerfrei getroffen worden sind, weil eine erhebliche Alkoholisierung der Angeklagten mit enthemmender Wirkung nicht in Zweifel steht.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1072

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede