HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 759
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 78/08, Urteil v. 12.06.2008, HRRS 2008 Nr. 759
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 17. Juli 2007 werden verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, wobei er mit der Sachrüge geltend macht, lediglich fahrlässig gehandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, dass der Angeklagte nicht auch wegen tateinheitlich begangenen vierfachen Mordversuchs verurteilt worden ist. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte nach einem Verkehrsunfall im Jahre 2002, durch den er u.a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit einer Schädigung des Stirnhirns erlitten hatte, an einer Beeinträchtigung im Bereich der Stimmungen und Affekte. Auch kam es - bedingt durch die Hirnschädigungen - zu einer Betonung zwanghafter Persönlichkeitsmerkmale mit einem Streben nach Dominanz und Kontrolle. Der Angeklagte versuchte nach dem Unfall bereits dreimal, sich das Leben zu nehmen, und befand sich in ständiger psychiatrischer Behandlung.
Nachdem seine knapp 20jährige Tochter M., die ihm "besonders am Herzen (lag)", von zu Hause ausgezogen und in das Elternhaus ihres Freundes gezogen war und der Angeklagte ihr Auto verkauft hatte, kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis. Der Angeklagte beobachtete an den Abenden vor der hier abgeurteilten Tat jeweils für einige Stunden das Haus, in dem seine Tochter jetzt wohnte, um sie allein abzupassen und mit ihr zu sprechen. Dabei konnte er ihn Erfahrung bringen, dass M. ein Zimmer im Dachgeschoss des Hauses bewohnte. Zu einem Gespräch kam es jedoch nicht. Der Angeklagte schrieb seiner Tochter einen Brief, in dem er sich versöhnlich zeigte und sie bat, sich bei ihm zu melden. Als sie darauf nicht reagierte, verfiel er in eine depressive, verzweifelte Stimmung. Am Tatabend trank er Alkohol und versuchte Kontakt zu seiner Tochter aufzunehmen, was ihm jedoch nicht gelang. Dann beschloss er, sich durch Autoabgase, und als dies fehlschlug, sich mit dem Übergießen und Anzünden von Benzin das Leben zu nehmen. Hierzu füllte er den Kraftstoff in drei oder vier größere Beutel. Er wollte sich damit in sein Auto setzen, das sich in der Garage befand, die Beutel zerreißen und dann das Benzin entzünden. Als ihm bewusst wurde, dass seine im Haus schlafende Familie bei diesem Vorhaben ebenfalls getötet werden könnte, änderte er seinen Plan dahin, dass er sich vor M. s Augen anzünden und umbringen wollte. Er wollte ihr damit zeigen, "wie das ist, zu leiden".
Der Angeklagte begab sich gegen 2 Uhr nachts zu dem Haus, in dem M. wohnte und versuchte, seine Tochter mit Steinwürfen gegen ein Dachgeschossfenster aufzuwecken. M. war jedoch - was der Angeklagte nicht wusste - nicht anwesend. In dem Haus schliefen vier Personen. Da seine Tochter ihn nicht bemerkt hatte, begann der Angeklagte aus Verzweiflung zu weinen. Er sah keinen Grund mehr, sich vor dem Haus umzubringen, und gab deshalb sein Vorhaben auf, sich selbst anzuzünden. Dennoch wollte er M. leiden sehen. Er warf daher einen der mit Benzin gefüllten Beutel in Richtung auf ein Dachgeschossfenster. Dann nahm er die anderen Beutel und verteilte das Benzin vor oder an der Hauseingangstür. Er entzündete das Benzin-Luft-Gemisch und als die Tür zu brennen begann, lief er weg.
Da der im Haus befindliche Hund den Brand bemerkte und lautstark zu bellen anfing und auch ein Rauch-Feuermelder ausgelöst wurde, konnten die schlafenden Hausbewohner die Gefahr erkennen. Die Hauseingangstür brannte zu diesem Zeitpunkt bereits selbständig. Flur und Treppenhaus waren verqualmt. Es gelang einem Hausbewohner, den Brand zu löschen, bevor die alarmierte Feuerwehr eintraf. In diesem Zeitpunkt hatte die Tür schon 20 bis 30 Minuten gebrannt, und die Flammen hatten u.a. bereits ein Stück Dachrinne und einen Teil des dahinter befindlichen Dachkastens beschädigt. Es entstand ein Sachschaden von ca. 3.000 Euro. Eine Hausbewohnerin erlitt eine leichte Rauchvergiftung, die anderen Bewohner blieben unverletzt.
Mit der Inbrandsetzung der Tür nahm der Angeklagte nach den Feststellungen die Ausbreitung des Feuers auf andere Gebäudeteile in Kauf. Er hatte auch erkannt, dass in dem Haus zur Tatzeit mindestens vier Hausbewohner schliefen, wobei er davon ausging, dass sich seine Tochter in dem Haus befand. Ihm war bekannt, dass er den einzigen Fluchtweg, nämlich durch die Eingangstür, durch deren Inbrandsetzung versperrte. Er wusste aber nicht, dass sich hinter der Tür ein Rauch-Feuermelder befand und konnte auch nicht davon ausgehen, dass der Hund die Hausbewohner auf den Brand aufmerksam machen würde.
Dass der Angeklagte erkannte und billigte, dass durch die Brandlegung Menschen zu Tode kommen, er also mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat die Strafkammer nicht feststellen können.
Nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, dem das Schwurgericht folgt, war der Angeklagte bei Begehung der Tat auf Grund seines chronischen hirnorganischen Psychosyndroms nach einem Schädel-Hirn-Trauma in Verbindung mit seiner Alkoholisierung (seine BAK zur Tatzeit betrug ca. 2,8 ‰) in seiner Fähigkeit, sein Verhalten entsprechend seiner vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern, erheblich eingeschränkt (§ 21 StGB).
2. Die Strafkammer wertet das Verhalten des Angeklagten als versuchte besonders schwere Brandstiftung (§§ 306 b Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit schwerer Brandstiftung (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Der Tatbestand des § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB sei nicht vollendet, weil wegen der rechtzeitigen Warnung der Hausbewohner durch den Hund und den Rauch-Feuermelder objektiv keine konkrete Gefahr für das Leben der Hausbewohner bestanden habe. Dies sei dem Angeklagten bei der Inbrandsetzung aber nicht bekannt gewesen, so dass ein Versuch der besonders schweren Brandstiftung vorliege. Der Angeklagte habe nämlich durch den Brand vorsätzlich Menschen in die Gefahr des Todes bringen wollen. Die unbemerkte Ausbreitung des Feuers sei aus seiner Sicht wahrscheinlich und damit die Gefahr für das Leben der Hausbewohner auch konkret gewesen.
Ein - bedingter - Tötungsvorsatz sei dagegen nicht sicher feststellbar: Zwar könnten für einen solchen die objektiven Umstände der Tat sprechen: Die Tat sei zur Nachtzeit begangen worden, als - wie der Angeklagte wusste - sämtliche Bewohner des Hauses schliefen; die zum Bau des Hauses verwendeten Materialien seien leicht brennbar gewesen; es habe im Wesentlichen nur eine Fluchtmöglichkeit, nämlich durch die Eingangstür, die in Brand gesetzt worden sei, gegeben; aus dem oberen Stockwerk sei die Flucht nur über die Treppe möglich gewesen, die sich in der Nähe des Brandherdes befunden habe; der Angeklagte habe die hölzerne Eingangstür mittels eines Brandbeschleunigers entzündet, wodurch ein Übergreifen des Feuers auf andere wesentliche Gebäudeteile sehr wahrscheinlich gewesen sei, und er habe einen weiteren Brandbeschleuniger auf dem Hausdach platziert.
Gegen diese gewichtigen Indizien für einen (bedingten) Tötungsvorsatz spräche aber, dass der Angeklagte kein nachvollziehbares Motiv für eine Tötung gehabt habe. Er habe die Verbindung zu seiner Tochter wieder herstellen wollen. Er habe sie nicht töten, sondern nur in psychischer Hinsicht leiden sehen wollen, möglicherweise, indem er ihr "das Heim" nehmen und sie zur Rückkehr nach Hause habe bewegen wollen. Hinzu komme, dass sich der Angeklagte, bedingt durch seine hirnorganische Störung in Verbindung mit seiner Alkoholisierung, in einem Zustand affektiver Labilität und kognitiver Einengung befunden habe. Eine Reflexion über mögliche Folgen der Brandstiftung - die sich als Spontantat darstelle - sei ihm daher nur eingeschränkt möglich gewesen.
Die Bejahung des Gefährdungsvorsatzes im Sinne des § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB stelle keinen Widerspruch zur Ablehnung des bedingten Tötungsvorsatzes dar; denn die vorsätzliche Herbeiführung einer Lebensgefahr sei nicht gleichbedeutend mit einem bedingten Tötungsvorsatz.
Revision des Angeklagten
1. Die Verfahrensrüge (Aufklärungsrüge) ist schon nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision die - für die Beantwortung der Frage weiteren Aufklärungsbedarfs (vgl. BGH NStZ 1999, 45; BGH bei Sander/ Cirener NStZ-RR 2008, 1, 5) wesentlichen - Anlagen zu dem verlesenen Schreiben des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt vom 28. Februar 2007 (RB S. 14 - Bd. II Bl. 31/32 d.A.) und das zur Frage der Inbrandsetzung in der Sitzung vom 13. Juli 2007 ebenfalls (auszugsweise) verlesene Gutachten des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt vom 5. März 2007 (Bd. II Bl. 36 f., Bd. III Bl. 93 d.A.) nicht mitgeteilt hat. Die Rüge ist im Übrigen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 4. März 2008 genannten Gründen auch unbegründet.
2. Soweit der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung des Landgerichts angreift, ist die Revision ebenfalls unbegründet. Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte die Inbrandsetzung vorsätzlich - und nicht nur fahrlässig - begangen hat und dass er mit Gefährdungsvorsatz im Sinne des § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB handelte, in rechtsfehlerfreier Weise nachvollziehbar dargelegt. Auf ungeschickten Formulierungen im Zusammenhang mit der Verneinung eines Tötungsvorsatzes, die den Gefährdungsvorsatz scheinbar in Frage stellen (vgl. UA 14, 16), beruht das Urteil ersichtlich nicht.
Revision der Staatsanwaltschaft
Der Staatsanwaltschaft ist zuzugeben, dass die Feststellungen des Landgerichts einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nahe legen.
Das Schwurgericht hat diese Frage aber umfassend geprüft und sich wegen der Motivlage des Angeklagten und insbesondere wegen seiner psychischen Verfassung nicht davon überzeugen können, dass er mit (bedingtem) Tötungsvorsatz handelte und den für möglich gehaltenen Tod der Hausbewohner gebilligt hat (vgl. zur Bejahung des Gefährdungsvorsatzes einerseits und zum Ausschluss des (bedingten) Tötungsvorsatzes andererseits: BGHSt 22, 67, 73 ff.; 26, 176, 182; BGH NStZ 2007, 150, 151 [bei einer psychischen Beeinträchtigung]).
Auch wenn eine andere Würdigung möglich gewesen wäre, weist diese - Wertung - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift eingehend dargelegt hat - keinen Rechtsfehler auf. Sie ist daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 759
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2008, 309
Bearbeiter: Karsten Gaede