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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2024
25. Jahrgang
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1. Eine Entscheidung über die Fortdauer einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ist nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise begründet, wenn das Vollstreckungsgericht es an einer eigenständigen richterlichen Prognose fehlen lässt, sondern lediglich erklärt, die Einschätzungen der Maßregelvollzugsklinik und des Sachverständigen zu teilen, dabei jedoch übergeht, dass in der ärztlichen Stellungnahme des Klinikums das Risiko dem Anlassdelikt vergleichbarer Taten der (einfachen) Körperverletzungen im Zusammenhang mit Nachstellungshandlungen „durchaus als hoch“ bewertet wird, während der herangezogene externe Sachverständige „gegenwärtig kaum konkrete Anhaltspunkte für eine aktuelle fortbestehende Gefährlichkeit“ gesehen hat.
2. Eine Fortdauerentscheidung genügt darüber hinaus nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wenn sie sich nicht mit der Dauer der seit über sechs Jahren vollzogenen Unterbringung und dem durch den Sachverständigen thematisierten Umstand auseinandersetzt, dass die bisherige Form der Unterbringung bei dem Betroffenen zu einem anhaltenden „Totstellreflex“ geführt habe, der Behandlungsfortschritte bisher verhindert habe.
3. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts – einschließlich der Unterbringung eines Straftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Maßgabe des § 63 StGB.
4. Bei der Entscheidung über die Fortdauer einer freiheitsentziehenden Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung zu tragen, dass das
Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.
5. Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist hinreichend zu konkretisieren; Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten sind zu bestimmen. Abzustellen ist dabei auf das frühere Verhalten des Untergebrachten, die von ihm bislang begangenen Taten und die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände.
6. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.
7. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch zu erörtern, inwieweit etwaigen Gefahren durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden kann.
1. Eine Entscheidung über die Fortdauer einer seit sieben Jahren vollzogenen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus ist nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise begründet, wenn das Vollstreckungsgericht zu Art und Grad der Wahrscheinlichkeit der künftig drohenden rechtswidrigen Taten lediglich pauschal ausführt, von dem zur Tatzeit minderjährigen Untergebrachten seien Straftaten zu erwarten, bei denen die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder gefährdet würden. Dies gilt umso mehr, wenn die eingeholten fachärztlichen Stellungnahmen das Risiko für einen erneuten schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes uneinheitlich teilweise als hoch, teilweise jedoch nur als moderat bis erhöht einstufen.
2. Die Überschreitung der gesetzlichen Überprüfungsfrist beruht auf einer Fehlhaltung gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten sichernden Verfahrensrechts, wenn das Vollstreckungsgericht eine erhebliche Verfahrensverzögerung dadurch verursacht, dass es unter Verstoß gegen § 463 Abs. 4 Satz 3 StPO zunächst einen Sachverständigen beauftragt, der – wie dem Gericht bekannt – in der Klinik angestellt ist, in der auch die Maßregel vollzogen wird. Entsprechendes gilt, wenn das Gericht nicht überwacht, ob der neu bestellte Sachverständige seinem Gutachtenauftrag fristgerecht nachkommt, und wenn es nach über zehn Monate verspäteter Vorlage des Gutachtens weitere zwei Monate bis zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung verstreichen lässt.
3. Das Einverständnis der Verteidigerin des Untergebrachten mit einer Überschreitung der Überprüfungsfrist ist für die Frage einer Verletzung des Freiheitsgrundrechts jedenfalls dann unbeachtlich, wenn der Zeitraum, auf den es sich erstreckte, von dem Vollstreckungsgericht nochmals deutlich überschritten wird.
4. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts – einschließlich der Unterbringung eines Straftäters in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Maßgabe des § 63 StGB.
5. Bei der Entscheidung über die Fortdauer einer freiheitsentziehenden Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung zu tragen, dass das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.
6. Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist hinreichend zu konkretisieren; Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten sind zu bestimmen. Abzustellen ist dabei auf das frühere Verhalten des Untergebrachten, die von ihm bislang begangenen Taten und die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände.
7. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.
8. Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Freiheitsgrundrechts. Das Vollstreckungsgericht muss eine rechtzeitige Entscheidung vor Ablauf der Überprüfungsfrist sicherstellen. Hierfür ist im Geschäftsgang der Strafvollstreckungskammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorzusehen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören und gegebenenfalls sachverständig zu begutachten ist.
9. § 463 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 StPO konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren, indem durch die Hinzuziehung eines bisher nicht mit der untergebrachten Person befassten Gutachters, der in kritischer Distanz zu den bisherigen Stellungnahmen steht, der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt und die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden soll. Eine das Freiheitsgrundrecht berücksichtigende Auslegung der Norm ergibt, dass sich das Verbot der Bestellung eines in der Unterbringungseinrichtung tätigen Sachverständigen auch auf Fälle erstreckt, in denen der Arbeitsbereich des Sachverständigen und die die Unterbringung vollstreckende Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses zu einer betrieblichen Einheit gehören und zudem ein gemeinsamer Krankenhausträger sowie eine gemeinsame Rechtsform mit gemeinsamer Leitungs- und Verwaltungsebene bestehen.
Die im Exequaturverfahren für zulässig erklärte Vollstreckung einer in Ungarn verhängten mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Menschenschmuggels hat einstweilen zu unterbleiben, wenn der Verurteilte substantiiert eine Verletzung des Schuldprinzips im ungarischen Verfahren sowie einen Verstoß gegen sein Recht auf den gesetzlichen Richter geltend macht und ausführt, die Verurteilung sei ohne Nachweis seiner Schuldfähigkeit ergangen und das Oberlandesgericht hätte das Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegen müssen.
1. Eine Richtervorlage betreffend eine landesrechtliche Vorschrift über die Höhe der Vergütung von Arbeitstätigkeiten in der Sicherungsverwahrung genügt den Darlegungsanforderungen nicht, wenn das Gericht zur Unvereinbarkeit der Norm mit dem Resozialisierungsgebot lediglich die Erwägungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vergütung von Gefangenenarbeit für übertragbar erachtet (Urteil des Zweiten Senats vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 166/16 u. a. –, BVerfGE 166, 196 [= HRRS 2023 Nr. 743]) und beschreibt, dass im Strafvollzug ebenso wie in der Sicherungsverwahrung Arbeit jeweils nur eine von mehreren Behandlungsmaßnahmen darstelle, ohne allerdings die jeweiligen Resozialisierungs- und Behandlungskonzepte im Einzelnen aufzuarbeiten und insbesondere zu klären, welchen Zwecken die vom Gesetzgeber festgelegte Vergütung dienen soll.
2. Bemängelt das Vorlagegericht die Vorschriften über die Kostenbeteiligung von Sicherungsverwahrten als zu weitgehend, so ist eine zumindest beispielhafte Darlegung
erforderlich, wie hoch die Zusatzbelastung durch die Kostenbeteiligung bei den einzelnen Untergebrachten ist beziehungsweise sein kann und in welchem Verhältnis sie zu den jeweiligen Verdienstmöglichkeiten steht. Der Erörterung bedarf es auch, wenn die Beteiligung hauptsächlich Kosten für optionale Leistungen wie etwa den Betrieb elektronischer Geräte, Telefongespräche oder den Schrift- und Paketverkehr beziehungsweise solche Kosten betrifft, die aufgrund eines Suchtmittelmissbrauchs entstehen (Suchtmitteltests), und wenn die Untergebrachten an den Kosten für Gesundheitsleistungen höchstens bis zum Umfang gesetzlich Versicherter beteiligt werden können.
3. Eine Vorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist nur dann hinreichend begründet, wenn die Ausführungen erkennen lassen, dass das Gericht sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat. Hierfür ist nachvollziehbar darzulegen, dass es bei der anstehenden Endentscheidung auf die Gültigkeit der Norm ankommt und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht von der Unvereinbarkeit der Norm mit der Verfassung überzeugt ist.
4. Zur Begründung der Entscheidungserheblichkeit muss der Sachverhalt umfassend dargestellt und dargelegt werden, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle der Ungültigkeit. Insoweit ist die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern sie nicht unhaltbar ist.
5. Die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen unter Einbeziehung von Rechtsprechung und Schrifttum nachvollziehbar und umfassend darlegen.
6. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des von ihm festgelegten Resozialisierungskonzepts Arbeit als Behandlungsmaßnahme zur Erreichung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots vorsieht, aus den gesetzlichen Regelungen klar erkennbar sein, welcher Stellenwert dem Faktor Arbeit im Gesamtkontext des Resozialisierungskonzepts beigemessen wird. Hierbei ist insbesondere gesetzlich festzuschreiben, in welchem Verhältnis (Pflicht-)Arbeit zu anderen Behandlungsmaßnahmen, etwa zur schulischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung, zur Arbeitstherapie und zu therapeutischen Behandlungs- oder anderen Hilfs- oder Fördermaßnahmen, steht.
1. Für die Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Revisionsgerichts, mit dem die Anhörungsrüge eines Angeklagten gegen die Verwerfung seiner Revision zurückgewiesen wird, fehlt es regelmäßig an einem Rechtschutzbedürfnis (Folgeentscheidung zu BGH, Beschlüsse vom 23. April 2020 und vom 4. November 2020 – 1 StR 559/19 –, sowie vom 1. Juli 2021 – 1 StR 204/21 – [= HRRS 2020 Nr. 1142, HRRS 2021 Nr. 22 und Nr. 973]).
2. Der Beschluss, mit dem über eine Anhörungsrüge entschieden wird, kann nur dann Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn mit ihm eine eigenständige Beschwer verbunden ist. Hieran fehlt es, wenn im Anhörungsrügeverfahren lediglich die Korrektur des gerügten Gehörsverstoßes unterbleibt. In diesen Fällen besteht kein schützenswertes Interesse, im Wege der Verfassungsbeschwerde gegen den über die Anhörungsrüge gefassten Beschluss vorzugehen. Der ursprünglich gerügte Anhörungsmangel kann dann nur durch eine Verfassungsbeschwerde gegen die mit der Anhörungsrüge beanstandete Entscheidung geltend gemacht werden.