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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2022
23. Jahrgang
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1. Verwaltungsakzessorische Straftatbestände verstoßen grundsätzlich nicht deswegen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder andere verfassungsrechtliche Vorgaben, weil der in Bezug genommene Verwaltungsakt seinerseits nicht veröffentlicht wurde (vgl. BGHSt 65, 257, Rn. 49 ff.). Der Bestimmtheitsgrundsatz bedeutet insofern nur, dass Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen allgemein hinreichend genau beschrieben sein müssen, nicht aber, dass eine Subsumtion im Einzelfall anhand öffentlich zugänglicher Informationen möglich sein muss. Ob einzelne Beteiligte den Inhalt eines für die strafrechtliche Beurteilung wesentlichen Verwaltungsakts kannten, ist keine Frage der Gesetzesbestimmtheit, sondern des subjektiven Tatbestands im jeweiligen Einzelfall.
2. Ein in Bezug auf Antidumpingzölle abgegebenes Verpflichtungsangebot und dessen Annahme sind nach den Maßstäben des deutschen Rechts ein öffentlich-rechtlicher Vertrag und ersetzen einen Verwaltungsakt in der Sonderform der Allgemeinverfügung, weil sie mit der zollrechtlichen Privilegierung eine öffentlich-rechtliche Eigenschaft regeln. Unter Bestimmtheitsgesichtspunkten gilt daher für sie nichts Anderes.
3. Die Annahme eines Verpflichtungsangebots und die öffentliche Listung des Einführenden mit der Folge, dass dessen Einfuhren von Antidumpingzöllen befreit werden, stellen einen Steuervorteil im Sinne von § 370 AO dar.
4. Eine solche Auslegung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, insbesondere nicht gegen das „Verschleifungsverbot. Im Verhältnis zwischen Steuerverkürzung und nicht gerechtfertigtem Steuervorteil greift das „Verschleifungsverbot“ schon deswegen nicht ein, weil es sich nicht um kumulative, sondern um alternative Tatbestandsmerkmale handelt.
5. Der Umstand, dass hinterzogene Zölle nicht mehr erhoben werden, steht einer Bestrafung wegen deren Hinterziehung nicht entgegen. Das gilt auch vor dem Hintergrund von Art. 49 Abs. 1 Satz 3 EuGRCh.
1. Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG (zur Tatzeit § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG aF) sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Hierunter fallen nicht nur objektiv tatsächlich therapeutisch wirksame Stoffe, sondern auch solche, die lediglich subjektiv eine entsprechende Zweckbestimmung aufweisen.
2. Von dem Begriff der Präsentationsarzneimittel werden neben „echten“ Arzneimitteln auch solche Produkte erfasst, die nur den Anschein erwecken, therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zu dienen. Der Verbraucher soll auch vor solchen Produkten geschützt werden, die zur Erfüllung der erwünschten therapeutischen oder prophylaktischen Zwecke ungeeignet sind. Abzustellen ist auf die ausdrückliche oder konkludente Präsentation und Bezeichnung als Arzneimittel, wobei auf die Perspektive eines Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist; dabei können die Ähnlichkeit mit einem „echten“ Arzneimittel in äußerer Form und Aufmachung und der Inhalt von Werbemaßnahmen relevant sein.
1. Bei Blüten von Cannabispflanzen mit hohem Cannabidiolanteil (CBD-Blüten) handelt es sich um Betäubungsmittel im Sinne des § 1 Abs. 1 BtMG iVm Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG, sofern ein Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen ist. Unter diesen Umständen fallen CBD-Blüten nicht unter die Ausnahmeregelung gem. Buchst. b zur Position Cannabis in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG. Ein Missbrauch zu Rauschzwecken ist etwa dann nicht auszuschließen, wenn bei bestimmten Zubereitungsformen der CBD-Blüten (etwa durch Erhitzen beim Backen) zusätzliches THC freigesetzt wird, das bei einem Konsum einen Cannabisrausch erzeugen kann.
2. CBD-Blüten als unbearbeitete Teile der Cannabispflanze, die THC enthalten und deren THC-Gehalt weiter erhöht werden kann, sind Suchtstoffe im Sinne des Einheits-Übereinkommens der Vereinten Nationen von 1961. Für solche Suchtstoffe (einschließlich derjenigen auf Hanfbasis) gilt, dass ihre Schädlichkeit allgemein anerkannt und daher ein Inverkehrbringen in allen Mitgliedstaaten verboten ist. Lediglich ein streng überwachter Handel, der der Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke dient, ist davon ausgenommen. Betäubungsmittel außerhalb des streng überwachten Handels zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke fallen bereits ihrem Wesen nach unter ein Einfuhr- und Verkehrsverbot, sodass sich ein Unionsbürger für ihren Verkauf nicht auf die Verkehrsfreiheiten berufen kann.
3. Auch losgelöst von der Suchtstoffeigenschaft verstoßen die Strafvorschriften des BtMG zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln iVm der Ausnahmevorschrift unter Buchst. b zur Position Cannabis in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34 AEUV. Nach der Wertung des Gesetzgebers wird durch die Möglichkeit des Missbrauchs von CBD-Blüten mit ihrem erzielbaren THC-Gehalt zu Rauschzwecken die öffentliche Gesundheit gefährdet. Ein Verkehrsverbot stellt vor diesem Hintergrund eine verhältnismäßige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar. Der Senat sieht dementsprechend keinen Anlass, den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV zu einer Vorabentscheidung anzurufen.
Der Scheinlieferant in einem Umsatzsteuerkarussell, der selbst keine Waren liefert, begeht keine Steuerhinterziehung, wenn er in seiner Umsatzsteuererklärung Falschangaben über angebliche Erwerber in anderen europäischen Mitgliedstaaten macht. Insoweit fehlt es an einem steuerbaren Umsatz.
1. Durch die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach den allgemeinen Regeln strafbare Teilnahmehandlungen an den in § 96 Abs. 1 AufenthG in Bezug genommenen Taten nach § 95 AufenthG zu selbständigen, in Täterschaft begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Teilnehmer zugleich eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG geregelten Schleusermerkmale erfüllt. Trotz dieser tatbestandlichen Verselbständigung zur Täterschaft gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme, einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät. Ob bei der akzessorischen Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt sowohl von der Anzahl der Beihilfehandlungen als auch von der Zahl der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Beziehen sich mehrere Unterstützungshandlungen
auf dieselbe Haupttat, liegt Tateinheit vor. Das gilt auch, wenn es sich bei der Haupttat um mehrere Taten handelt, die in Tateinheit stehen.
2. Reist ein Ausländer unerlaubt ins Bundesgebiet ein und hält sich im Anschluss dort auf, stehen die unerlaubte Einreise und der unerlaubte Aufenthalt in Idealkonkurrenz. Dient die durch § 96 Abs. 1 AufenthG tatbestandlich verselbständigte Beihilfe daher sowohl der Förderung der unerlaubten Einreise als auch des anschließenden unerlaubten Aufenthalts eines Ausländers, ist nur eine Tat gegeben. Da bei der Tenorierung der Strafbarkeit des Schleusers nicht zwischen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt unterschieden wird, handelt es sich um ein (einheitliches) Einschleusen von Ausländern.
3. Bestimmt das Tatgericht die Höhe der Steuerverkürzung im Wege der Schätzung, ist es gehalten, eine Schätzungsmethode zu wählen, die dem Ziel, durch Wahrscheinlichkeitsrechnung möglichst nahe zu kommen, am besten gerecht wird. Bei der Auswahl kommt ihm ein Beurteilungsspielraum zu. Die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob das Tatgericht nachvollziehbar dargelegt hat, warum es sich der gewählten Schätzungsmethode bedient hat und weshalb diese dafür geeignet ist.
1. Die Strafbarkeit einer Ausländerin bemisst sich bei der Einreise und ihrem Aufenthalt bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien.
2. Durch die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er dessen faktischer Verfügungsgewalt unterliegt. Zwischen der Tat und dem Erlangen des einzuziehenden Etwas muss mithin ein Kausalzusammenhang bestehen. Dieser ist dann gegeben, wenn der Vermögenszufluss auf der Verwirklichung des Tatbestandes beruht. Daran fehlt es bei solchen Vermögenswerten, die dem Täter erst durch weitere, nicht tatbestandsmäßige Handlungen oder Rechtsgeschäfte zufließen.
3. Der Tatbestand des § 96 Abs. 1 AufenthG erfordert neben der tauglichen Haupttat der geschleusten Person und der Beihilfehandlung des Schleusers, dass dieser für seine Beteiligung an der illegalen Einreise einen Vorteil (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AufenthG) oder in den übrigen Fällen der Unterstützung einen Vermögensvorteil (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) erhalten hat oder sich hat versprechen lassen. Zwischen der Förderung des illegalen Verhaltens und dem Erhalten oder Sich-versprechen-lassen des (Vermögens-)Vorteils muss ein kausaler und finaler Zusammenhang bestehen.
Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich allein nach der deliktischen Vereinbarung, der sogenannten Bandenabrede. Das auf Dauer angelegte Zusammenwirken mehrerer selbständiger, eigene Interessen verfolgender Geschäftspartner begründet beim Betäubungsmittelhandel auch dann keine Bande, wenn die Beteiligten in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem im Rahmen einer andauernden Geschäftsbeziehung tätig werden. Ob eine Person, die regelmäßig von einem bestimmten Verkäufer Betäubungsmittel zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs bezieht, in dessen Absatzorganisation als verlängerter Arm eingebunden ist oder dieser auf der Abnehmerseite als selbständiger Geschäftspartner gegenübersteht, beurteilt sich wesentlich nach der getroffenen Risikoverteilung
1. Eine Verurteilung wegen täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln erfordert zwar keinen eigenhändigen Transport des Betäubungsmittels über die Grenze. Eine Mittäterschaft bestimmt sich jedoch nach allgemeinen Grundsätzen, wobei hierbei der Einfuhrvorgang selbst der entscheidende Bezugspunkt ist. Erschöpft sich der Tatbeitrag danach in der gemeinsamen Tatplanung und der Zusage, nach dem Grenzübertritt bereitzustehen, ist regelmäßig (nur) eine Beihilfe verwirklicht.
2. Bei der Verurteilung wegen bandenmäßiger Ein- bzw. Ausfuhr von Betäubungsmitteln ist der Zusatz „in nicht geringer Menge“ in der Urteilsformel entbehrlich, weil das Gesetz die Bandenein- bzw. -ausfuhr nur für nicht geringe Mengen an Betäubungsmitteln vorsieht.
3. Der Bandenhandel von Betäubungsmitteln verbindet in den Fällen des § 30a Abs. 1 BtMG die im Rahmen ein und desselben Güterumsatzes aufeinander folgenden Teilakte zu einer einzigen Tat im Sinne einer Bewertungseinheit. Insoweit zugleich verwirklichte Ein- oder Ausfuhrtaten gehen danach im Bandenhandel auf.