HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2022
23. Jahrgang
PDF-Download

IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

1085. BGH 3 StR 359/21 – Urteil vom 25. August 2022 (OLG Frankfurt a.M.)

Rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung (Grenzen der umfassenden Würdigung von Tatumständen und Beweisergebnissen; Anforderungen an freisprechendes Urteil); Inbegriffsrüge; Ablehnung eines Beweisantrags als bedeutungslos (Begründungsanforderungen); Mordmerkmale (sonstige niedrige Beweggründe bei politisch motivierter Tötung); Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (rassistischer und ausländerfeindlicher Hintergrund einer Tötung); Doppelverwertungsverbot.

§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO; § 261 StPO; § 46 StGB; § 211 StGB

1. Die Verfahrensrüge nach § 261 StPO („Inbegriffsrüge“), mit der die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung wegen der nicht erschöpfenden Würdigung des Beweismaterials gerügt wird, weil ein Beweismittel, dessen Existenz sich zwar nicht aus den Urteilsgründen, aber aus außerhalb dieser liegenden Umständen ergibt, im Urteil keinen Niederschlag gefunden hat, kann der Revision nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn sich mit Rücksicht auf die sonstigen Feststellungen eine Erörterung aufdrängen musste, mithin das Revisionsgericht die Erörterungsbedürftigkeit des übergangenen Beweismittels ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung aus den Urteilsgründen selbst beurteilen kann. Hinsichtlich der Erörterungsbedürftigkeit gelten für die revisionsgerichtliche Kontrolldichte die gleichen Grundsätze wie bei der Prüfung der Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung im Rahmen der Sachrüge.

2. Tatsächlich bedeutungslos im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO sind Indiz- bzw. Hilfstatsachen, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung kein Sachzusammenhang besteht oder sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulassen und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Tatsache so, als wäre sie erwiesen, in ihrem vollen Umfang ohne Umdeutung, Einengung oder Verkürzung in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der potentiell berührten Haupttatsache beziehungsweise zum Beweiswert der anderen Beweismittel in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde. Die Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit erlaubt es dem Tatgericht dabei nicht, die Bedeutungslosigkeit lediglich aus dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme abzuleiten, die Richtigkeit der behaupteten Tatsache in Frage zu stellen oder den Beweiswert in Zweifel zu ziehen.

3. Eine Tötung aus politischen Gründen erfüllt auch ohne Hinzutreten eines rassistischen und ausländerfeindlichen Hintergrunds das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe. Eine politische Tatmotivation ist jenseits des Widerstandsrechts aus Art. 20 Abs. 4 GG grundsätzlich als nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend zu bewerten, da die bewusste Missachtung des Prinzips der Gewaltfreiheit der politischen Auseinandersetzung durch physische Vernichtung politischer Gegner mit der Rechtsordnung schlichtweg unvereinbar ist. Einzelheiten der Motivlage sind dabei regelmäßig nicht von Bedeutung.

4. Eine über den Gesichtspunkt der politischen Tötung hinausgehende Tatmotivation kann bei der Entscheidung über die besondere Schuldschwere berücksichtigt werden, soweit sie für sich genommen menschenverachtenden Charakter hat. Dies ist bei einem Handeln aus rassistischen und ausländerfeindlichen Motiven der Fall, zumal diese in § 46 Abs. 2 Satz 2 Gruppe 1 StGB ausdrücklich aufgeführt sind.

5. Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt oder erkennen lässt, dass das Tatgericht überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Überzeugung gestellt hat.

6. Zwar verpflichtet § 261 StPO das Tatgericht, alle festgestellten Tatumstände und Beweisergebnisse, soweit sie für oder gegen den Angeklagten sprechen können oder beide Möglichkeiten zulassen, einer umfassenden Würdigung zu unterziehen; diese ist in den Urteilsgründen darzulegen. Die dort dargestellte Beweiswürdigung kann jedoch ihrer Natur nach nicht in dem Sinne erschöpfend sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten ausdrücklich abgehandelt werden. Eine solche exzessive Erörterung überstiege die Möglichkeiten und Ressourcen der Gerichte, ohne dass jemals absolute Vollständigkeit erreicht werden könnte. Ausreichend ist die Angabe des für die Entscheidung Wesentlichen; die Urteilsgründe müssen deutlich machen, dass das Tatgericht naheliegende erhebliche Beweistatsachen nicht übersehen oder unvertretbar gewertet hat.

7. Aus einzelnen tatsächlich bestehenden oder denkbaren Lücken der ausdrücklichen Erörterung kann nicht abgeleitet werden, das Tatgericht habe nach den sonstigen

Urteilsgründen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht. Eine revisionsrechtlich beachtliche Lücke liegt vielmehr erst vor, wenn eine wesentliche Feststellung überhaupt nicht erörtert oder ein aus den Urteilsgründen ersichtliches bedeutsames Beweisergebnis übergangen wird.

8. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Das Fehlen einer geschlossenen Darstellung wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten bzw. der Angaben des einzigen Belastungszeugen in der Hauptverhandlung und – jedenfalls bei mangelnder Konstanz der Aussage – auch der im Ermittlungsverfahren kann einen Darstellungsmangel begründen. Die zusammenhängende Darstellung derartiger Angaben ist jedoch kein Selbstzweck; vielmehr reicht es aus, wenn das Urteil den Inhalt der Einlassung bzw. der Aussage so darlegt, dass eine revisionsrechtliche Prüfung dahin möglich ist, ob das Tatgericht den Anklagevorwurf zu Recht für nicht nachweisbar erachtet hat.


Entscheidung

1105. BGH 2 StR 269/21 – Beschluss vom 23. Juni 2022 (LG Hanau)

Revisionsbegründung (Verfahrensrüge: Darlegung, Mangel begründende Tatsachen, mitteilungspflichtiges Gespräch, mangelnde Protokollierung, Darlegung des Gegenstands der Erörterung); Verständigung (Mitteilungs- und Protokollierungspflicht: Gegenstand der Erörterung verständigungsfähig, prozessuales Verhalten, Konnex zum Verfahrensergebnis, Naheliegen der Frage nach oder Äußerung zu einer Straferwartung, Rahmengeschehen); Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (keine Nachholung oder Nachbesserung einer Verfahrensrüge).

§ 344 StPO; § 243 Abs. 4 StPO; § 273 Abs. 1a StPO; § 44 StPO

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für eine zulässige Verfahrensrüge die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären. Für die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO ist danach erforderlich, dass Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ein nach dieser Vorschrift mitteilungspflichtiges Gespräch stattgefunden hat und dessen wesentlicher Inhalt in der Hauptverhandlung nicht oder nicht ausreichend mitgeteilt und protokolliert wurde.

2. Ist nach dem Revisionsvorbringen klargestellt, dass eine Mitteilung eines von der Strafkammervorsitzenden angefertigten Vermerks in der Hauptverhandlung nicht erfolgt ist, bedarf es zwar nicht der Darlegung des Inhalts eines richterlichen Vermerks, wohl aber der Darlegung des Gegenstands der Erörterungen, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, dass es sich um ein mitteilungspflichtiges Gespräch gehandelt hat.

3. Keiner Mitteilung bedarf es, wenn Gespräche stattgefunden haben, die vom Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes nicht betroffen waren. Mitteilungspflichtig nach § 243 Abs. 4 StPO und protokollierungspflichtig nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO sind daher nur Erörterungen, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Davon ist auszugehen, sobald Fragen des prozessualen Verhaltens von Verfahrensbeteiligten in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag.

4. Im Einzelfall kann es zwar genügen, dass sich der Verständigungsbezug ohne weiteres aus dem vom Beschwerdeführer mitgeteilten Rahmengeschehen ergibt. Das ist aber noch nicht der Fall, wenn von der Revisionsbegründung pauschal behauptet wird, es habe außerhalb der Hauptverhandlung „ein Rechtsgespräch“ stattgefunden. Dasselbe gilt, wenn pauschal ohne Mitteilung konkreter Umstände behauptet wird, es habe ein „Gespräch mit dem Ziel einer Absprache“ stattgefunden. Zur Ermöglichung der revisionsgerichtlichen Überprüfung, ob mitteilungspflichtige Erörterungen stattgefunden haben, hat der Beschwerdeführer konkrete Tatsachen zum Gegenstand der Erörterungen vorzutragen.

5. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Nachbesserung einer Verfahrensrüge kommt, wenn die Revision sonst form- und fristgemäß begründet worden ist, grundsätzlich nicht in Betracht. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient nicht zur Heilung von Zulässigkeitsmängeln bei Verfahrensrügen; denn dies passt nicht zur Systematik der § 344 Abs. 2 Satz 2, § 345 Abs. 1 StPO.


Entscheidung

1143. BGH 4 StR 307/22 – Beschluss vom 15. September 2022 (LG Essen)

Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage (Hinweispflicht: faires Verfahren, rechtliches Gehör, sachgemäße Verteidigung, wesentliche Veränderung des Tatbildes im Vergleich zu dem in der zugelassenen Anklage konkretisierten Sachverhalt, Art des Hinweises, Einrichten der Verteidigung, Erteilen des Hinweises durch den Vorsitzenden, kein „für sich stehen“ notwendig, Verbindung mit einer anderen Zweckbestimmung, Betroffenheit der Verteidigungsinteressen für den Angeklagten eindeutig erkennbar, keine Änderung durch die Einführung von § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO).

§ 265 StPO

1. Die Hinweispflichten nach § 265 StPO dienen der Gewährleistung eines fairen Verfahrens und dem rechtlichen Gehör. Sie sollen eine sachgemäße Verteidigung des Angeklagten sichern. Daher ist eine Hinweispflicht auf eine geänderte Sachlage gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes im Vergleich zu dem in der zugelassenen Anklage konkretisierten Sachverhalt etwa betreffend Tatzeit, Tatort, Tatrichtung oder die Person eines Beteiligten zu bejahen. Ein erforderlicher Hinweis muss in der Weise erfolgen, dass der Angeklagte eindeutig erkennen kann, es werde für das erkennende Gericht bei der Beurteilung seines strafbaren Verhaltens auf die geänderte Sachlage ankommen und er werde daher seine Verteidigung hierauf einzurichten haben.

2. Ein Hinweis gemäß § 265 StPO wird zwar in der Hauptverhandlung in der Regel von dem Vorsitzenden erteilt, kann aber auch durch Gerichtsbeschluss erfolgen. Darüber hinaus muss das Wort „Hinweis“ in der an den Angeklagten gerichteten Erklärung nicht notwendig enthalten sein. So können selbst Ausführungen des Rechtsmittelgerichts in einer dem Angeklagten bekannt gemachten zurückverweisenden Entscheidung einen Hinweis beinhalten. Hieraus folgt zugleich, dass ein solcher auch nicht „für sich stehen“ muss. Vielmehr kann er mit einer anderen Zweckbestimmung der gerichtlichen Anordnung, wie sie in der Verfahrenssicherung durch die Untersuchungshaft liegt, verbunden sein, sofern nur für den Angeklagten die Betroffenheit seiner Verteidigungsinteressen eindeutig erkennbar bleibt.

3. Durch die Einführung von § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO im Jahr 2017 hat sich an diesen Grundsätzen nichts geändert, denn der Gesetzgeber wollte insoweit keine weiterreichenden Hinweispflichten als in der Rechtsprechung entwickelt kodifizieren.


Entscheidung

1181. BGH 5 ARs 36/22 – Beschluss vom 13. September 2022

Rechtsschutzgarantie bei missbräuchlichen, wiederholenden oder sinnlosen Anträgen.

Art. 20 Abs. 3 GG

Die Rechtsschutzgarantie aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG umfasst nicht den Anspruch, eine förmliche Entscheidung auch auf Eingaben zu erhalten, die missbräuchlich, offensichtlich wiederholend oder sinnlos vorgebracht werden. Gerichte müssen eindeutig missbräuchliche Anträge ebenso wenig bescheiden wie ganz offensichtlich schlicht wiederholende, den Streit lediglich verlängernde Anträge in derselben Sache. Dies gilt auch dann, wenn die Anträge zwar formal auf neue Entscheidungen gerichtet sind, letztlich aber demselben Muster folgen und dazu dienen, eine andere Entscheidung in der Sache zu erwirken, über die gerichtlich bereits entschieden worden war.


Entscheidung

1154. BGH 169/22 – Beschluss vom 30. August 2022 (LG Görlitz)

Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (Angriffsrichtung der Rüge; Unzulässigkeit; Aussetzung der Hauptverhandlung wegen Erkrankung des Verteidigers; Vorlage eines Gerichtsbeschlusses; Kausalzusammenhang).

§ 145 StPO; § 338 Nr. 8 StPO; § 344 Abs. 2 StPO

Will der Beschwerdeführer die unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO aufgrund einer unterbliebenen Aussetzung der Hauptverhandlung wegen Krankheit des eingearbeiteten Verteidigers rügen, ist regelmäßig ein auf die Beschränkung der Verteidigung durch die unterbliebene Aussetzung gerichteter Gerichtsbeschluss vorzutragen. Der bloße Verweis auf das Sitzungsprotokoll genügt hingegen nicht den Anforderungen einer zulässigen Rüge.


Entscheidung

1125. BGH 4 StR 61/22 – Beschluss vom 5. Juli 2022 (LG Münster)

Beweisverwertungsverbot (ausländische Ermittlungsmaßnahme: Nichteinhaltung deutschen Rechts bei einer ausländischen Ermittlungsmaßnahme, ordre public, Verhältnismäßigkeitsprüfung, besondere Verwendungsvorbehalte); Online-Durchsuchung (Beweisverwertungsverbot: Zweck der Verfahrensnorm, Rechtskreis, Grundrechtsschutz des Nutzers des betroffenen informationstechnischen Systems, Nutzereigenschaft, Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO); Europäische Ermittlungsanordnung (Unterrichtungspflicht: Verletzung, Beweisverwertungsverbot, individualschützende Wirkung, Beweisverwendung im Ausland).

§ 261 StPO; § 100b StPO; § 100e StPO; Art. 31 RL 2014/41

1. Die bloße Nichteinhaltung deutschen Rechts bei einer ausländischen Ermittlungsmaßnahme kann nicht per se ein unselbständiges Beweisverwertungsverbot begründen. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards wird in solchen Fällen durch Prüfung der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem nationalen und europäischen ordre public und eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Beweisverwertung unter Annahme besonderer Verwendungsvorbehalte gewährleistet.

2. Die Verletzung einer Verfahrensnorm, die nicht dem Schutz des Beschuldigten dient, führt ihm gegenüber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot und kann daher nicht erfolgreich mit der Revision gerügt werden, da sein Rechtskreis nicht betroffen ist.


Entscheidung

1057. BGH 1 StR 63/22 – Beschluss vom 6. September 2022 (LG Landshut)

Ablauf der Zeugenvernehmung (kein ordnungsgemäßer Ablauf bei Wiederholung der Zeugenaussage und ausschließlichem Vorhalt der früheren Aussage).

§ 69 Abs. 1 StPO

Der Ablauf der Zeugenvernehmung ist nicht ordnungsgemäß, wenn ein Zeuge, nachdem seine Vernehmung in der Hauptverhandlung wiederholt werden muss, die ihm vorgehaltenen Angaben, die er zuvor im Rahmen der Hauptverhandlung gemacht hatte, lediglich bestätigt.


Entscheidung

1083. BGH 3 StR 251/22 – Beschluss vom 8. September 2022 (LG Kleve)

Pflicht zur elektronischen Übermittlung (Revision und Revisionsbegründungsschrift; Übermittlung mit qualifizierter elektronischer Signatur; Einreichung auf sicherem Übermittlungsweg mit Signatur).

§ 32a StPO; § 32d Satz 2 StPO

1. Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung dem Gericht als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung.

2. § 32a Abs. 3 StPO hält zwei Möglichkeiten der Übermittlung solcher dem Schriftformerfordernis unterliegender Dokumente im elektronischen Rechtsverkehr bereit:

Ein Weg ist die Übermittlung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person. Diese Alternative entspricht der Vorgehensweise, die bis zum 31. Dezember 2017 in § 41a StPO geregelt war. Die andere – mit § 32a StPO zum 1. Januar 2018 zusätzlich eingeführte – Möglichkeit ist die (einfache) Signatur der verantwortenden Person bei gleichzeitiger Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg. Zu den sicheren Übermittlungswegen zählen die abschließend in § 32a Abs. 4 StPO aufgeführten, darunter derjenige zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) nach § 31a der BRAO und der elektronischen Poststelle des Gerichts.


Entscheidung

1077. BGH 3 StR 200/22 – Beschluss vom 20. September 2022 (LG Mönchengladbach)

Hinweispflicht des Gerichts bei Veränderung der Tatsachengrundlage.

§ 265 StPO; § 250 StGB

Ein Hinweis auf die mögliche Verurteilung nach einer weniger strengen Norm ist entbehrlich, wenn deren Anwendbarkeit nur darauf beruht, dass ein den schwereren Qualifikationstatbestand begründender Umstand entfällt und hierdurch die Verteidigung des Angeklagten nicht berührt wird. Der Hinweis ist hingegen nicht entbehrlich, wenn ein Sachverhalt herangezogen wird, der sich gegenüber dem Geschehen, auf das die Anklage den Tatvorwurf stützt, nicht lediglich als ein Weniger darstellt, sondern abweichende Tatumstände umfasst.


Entscheidung

1066. BGH 6 StR 225/22 – Urteil vom 7. September 2022 (LG Nürnberg-Fürth)

Lückenhafte Beweiswürdigung (Erforderlichkeit der Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten; Vorstellungsbild des Angeklagten); versuchtes Tötungsdelikt (Vorsatz, bedingter Vorsatz); keine Unterstellung von Geschehensabläufen zugunsten des Angeklagten ohne Anhaltspunkte.

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 212 Abs. 1 StGB

1. In einem Strafurteil ist die Einlassung des Angeklagten zumindest in wesentlichen Grundzügen in einer geschlossenen und zusammenhängenden Darstellung wiederzugeben und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu würdigen (st. Rspr.).

2. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen.