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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1083

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 251/22, Beschluss v. 08.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1083


BGH 3 StR 251/22 - Beschluss vom 8. September 2022 (LG Kleve)

Pflicht zur elektronischen Übermittlung (Revision und Revisionsbegründungsschrift; Übermittlung mit qualifizierter elektronischer Signatur; Einreichung auf sicherem Übermittlungsweg mit Signatur).

§ 32a StPO; § 32d Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters:

1. Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung dem Gericht als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung.

2. § 32a Abs. 3 StPO hält zwei Möglichkeiten der Übermittlung solcher dem Schriftformerfordernis unterliegender Dokumente im elektronischen Rechtsverkehr bereit: Ein Weg ist die Übermittlung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person. Diese Alternative entspricht der Vorgehensweise, die bis zum 31. Dezember 2017 in § 41a StPO geregelt war. Die andere - mit § 32a StPO zum 1. Januar 2018 zusätzlich eingeführte - Möglichkeit ist die (einfache) Signatur der verantwortenden Person bei gleichzeitiger Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg. Zu den sicheren Übermittlungswegen zählen die abschließend in § 32a Abs. 4 StPO aufgeführten, darunter derjenige zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) nach § 31a der BRAO und der elektronischen Poststelle des Gerichts.

Entscheidungstenor

Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 30. März 2022 zulässig ist.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

1. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen, weil es nicht wirksam eingelegt und begründet worden sei. Dem Landgericht seien zwar entsprechende Schriftsätze übermittelt worden. Mangels Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach genügten die Schreiben jedoch nicht den Anforderungen des § 32d Satz 2 StPO.

2. Der Senat erachtet die Revision demgegenüber für zulässig.

a) Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung dem Gericht als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 - 4 StR 68/22, juris Rn. 3 mwN). § 32a Abs. 3 StPO hält zwei Möglichkeiten der Übermittlung solcher dem Schriftformerfordernis unterliegender Dokumente im elektronischen Rechtsverkehr bereit:

Ein Weg ist die Übermittlung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person. Diese Alternative entspricht der Vorgehensweise, die bis zum 31. Dezember 2017 in § 41a StPO geregelt war. Verwendet der Absender eine solche qualifizierte elektronische Signatur, ist die Authentizität des Dokuments sichergestellt. Für derart signierte Dateien regelt § 4 Abs. 1 ERVV die Übermittlung. Möglich ist der sichere Übermittlungsweg (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV), ausreichend der schlichte Versand „an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht“ (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV).

Die andere - mit § 32a StPO zum 1. Januar 2018 zusätzlich eingeführte - Möglichkeit ist die (einfache) Signatur der verantwortenden Person bei gleichzeitiger Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg. Anders als im Fall der qualifizierten elektronischen Signatur gewährleisten hier besondere Eigenschaften der Übertragungsart die Urheberschaft und Integrität des Dokuments. Zu den sicheren Übermittlungswegen zählen die abschließend in § 32a Abs. 4 StPO aufgeführten, darunter derjenige zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) nach § 31a der BRAO und der elektronischen Poststelle des Gerichts (§ 32a Abs. 4 Nr. 2 StPO; vgl. zum Ganzen BT-Drucks. 18/9416 S. 45; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22, juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2022 - III-5 RVs 53/22, juris Rn. 7 mwN; juris PK - ERV/Radke, Stand: 5. September 2022, § 32 a StPO Rn. 27 ff. mwN).

b) Vorliegend hat der Verteidiger für die Revisionseinlegung und ihre Begründung das Einreichungsverfahren mittels qualifizierter elektronischer Signatur gewählt und die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür jeweils erfüllt.

aa) Das folgt für das Revisionsbegründungsschreiben aus dem vom elektronischen Empfangspostfach des Landgerichts Kleve automatisch ausgestellten Prüfvermerk vom 7. Juni 2022. Dieser weist als Ergebnis der technischen Prüfung den Eingang über das Elektronische Gerichtsund Verwaltungspostfach (EGVP), den Verteidiger als Absender nebst seiner Nutzer-ID sowie den Umstand aus, dass das eingereichte elektronische Dokument durch diesen Rechtsanwalt „qualifiziert signiert nach ERVB“ worden sei. Damit genügt die Einreichung ohne Weiteres den Anforderungen von § 32d Satz 2, § 32a Abs. 3 Alternative 1 StPO.

bb) Für das Revisionseinlegungsschreiben gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar weist der hierfür relevante Prüfvermerk vom 1. April 2022 nur den Eingang über das EGVP und den Verteidiger nebst Nutzer-ID als Absender aus. Er enthält ferner die Angabe, das eingereichte Dokument sei nicht qualifiziert elektronisch signiert gewesen. Dem widerstreiten jedoch zwei Umstände: Zum einen hat das System auf dem beim Landgericht gefertigten Ausdruck der Revisionseinlegungsschrift den Vermerk „signiert durch [es folgt der vollständige Name des Verteidigers] (gültig)" angebracht und damit den gleichen Vermerk, der sich auf dem Ausdruck der unzweifelhaft qualifiziert elektronisch signierten Revisionsbegründungsschrift findet. Zum anderen liegen aus dem Computersystem des Verteidigers generierte Zustellnachweise für die Revisionseinlegungs- und die -begründungsschrift vor. Aus diesen ergibt sich, dass er beide Dokumente mit einer Signaturdatei versehen hat und jeweils beides - Schreiben und Signatur - beim Landgericht eingegangen ist. Ausweislich des ebenfalls systemgenerierten Prüfprotokolls ist das dem Verteidiger seitens der Bundesnotarkammer erteilte Zertifikat für die elektronische Signatur im maßgeblichen Zeitraum auch durchgehend gültig gewesen. Diese Nachweise lassen den Senat freibeweislich darauf schließen, dass die Revisionseinlegungsschrift ebenfalls mit einer qualifiziert elektronischen Signatur des Verteidigers versehen gewesen und jene systemseitig nicht richtig erkannt oder nicht vollständig ausgewiesen worden ist.

c) Die Revisionsschriften des Verteidigers sind überdies beide im PDF-Format und damit in für die Bearbeitung beim Gericht geeigneter Form eingegangen (§ 32a Abs. 2 StPO i.V.m. § 2 Abs. 1 ERVV; vgl. dazu näher OLG Koblenz, Beschluss vom 7. Juni 2022 - 4 OLG 4 Ss 67/22, juris Rn. 10 ff.). Damit ist die Revision insgesamt zulässig eingelegt und begründet worden.

3. Der hilfsweise gestellte Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfristen ist deshalb gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2022 - 3 StR 122/22, NStZ-RR 2022, 285 mwN).

4. Da der Generalbundesanwalt noch keinen Sachantrag zur Revision des Angeklagten gestellt hat, sind ihm die Akten zur entsprechenden Antragstellung zurückzugeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1083

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede