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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2021
22. Jahrgang
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1. Ein auf Beweiserhebung gerichteter Antrag stellt nach bisher st. Rspr. (siehe etwa BGH HRRS 2018 Nr. 552) keinen Beweisantrag im Rechtssinne dar, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung lediglich „aufs Geratewohl“ und „ins Blaue hinein“ aufgestellt wird. Daran hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Beweisantragsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 festgehalten,
was in dem Definitionsmerkmal „ernsthaft“ in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO einen objektiven Ausdruck gefunden hat. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist ungeachtet des Umstandes hinzunehmen, dass sich dadurch ein systematisch schwer auflösbarer Widerspruch zur Neuregelung in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO ergibt.
2. Die Frage, ob ein „aufs Geratewohl“ gestellter Antrag vorliegt, beurteilt sich danach aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen. Es kommt dagegen nicht darauf an, ob das Tatgericht eine beantragte Beweiserhebung für erforderlich hält. Nicht ausreichend für die Einordnung als Beweisermittlungsantrag ist zudem, dass die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Beweisbehauptung ergeben hat oder dass die unter Beweis gestellte Tatsache objektiv ungewöhnlich oder unwahrscheinlich erscheint oder eine andere Möglichkeit nähergelegen hätte.
3. Weil die Herabstufung eines ansonsten formgerechten Beweisantrags zu einem bloß unter Aufklärungsgesichtspunkten beachtlichen Beweisermittlungsantrag regelmäßig in ein Spannungsverhältnis zu den notwendig starken Beweisteilhaberechten der Verfahrensbeteiligten und dem das Beweisantragsrecht prägenden Verbot der Beweisantizipation gerät, ist bei der Ablehnung derartiger Anträge mangels Ernsthaftigkeit äußerste Zurückhaltung geboten. Die Ablehnung eines Beweisantrags als „ins Blaue hinein” oder „aufs Geratewohl” gestellt wird demnach nur ausnahmsweise in Betracht kommen und erfordert einen hohen argumentativen Aufwand des Tatrichters, der nicht durch die bloße Behauptung, er sei davon überzeugt, dass die Beweisbehauptung aus der Luft gegriffen worden sei, ersetzt werden kann.
4. Ob es dem Antrag an der notwendigen Ernsthaftigkeit des Beweisbegehrens mangelt, lässt sich regelmäßig nur aus einer Gesamtschau aller insoweit relevanten Faktoren ableiten. Erforderlich ist, dass sich die Bestätigung der Beweisbehauptung nach dem Verlauf der bereits durchgeführten Beweisaufnahme als offensichtlich unwahrscheinlich darstellt. Dabei können der Inhalt des Beweisbegehrens, die bisherige Beweissituation und das bisherige Prozessverhalten des Antragstellers berücksichtigt werden. Ein tragfähiges Indiz für den Mangel an Ernsthaftigkeit kann etwa sein, dass eine Mehrzahl neutraler Zeugen eine Tatsache übereinstimmend bekundet hat und ohne Beleg für entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte das Gegenteil in das Wissen eines weiteren, völlig neu benannten Zeugen gestellt wird, dessen Zuverlässigkeit offensichtlichen Zweifeln begegnet.
Eine Verweisung in den Urteilsgründen auf den Inhalt eines elektronischen Speichermediums stellt keine wirksame Bezugnahme im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO dar.
1. Das Verfahrensgrundrecht, das die Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert, wird im Revisionsverfahren für den beschwerdeführenden Angeklagten dadurch gewährleistet, dass er seine Revision innerhalb einer bestimmten Frist begründen und eine Gegenerklärung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft abgeben kann. Grundsätzlich hat der Beschwerdeführer gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zwar Anspruch darauf, dass das Revisionsgericht auch seine nachgeschobenen Ausführungen zur Kenntnis nimmt und prüft, nicht jedoch kann er verlangen, dass ihm die Gründe, aus denen seine Beanstandungen für nicht durchgreifend erachtet werden, im Verwerfungsbeschluss mitgeteilt werden. Ebenso wenig ist es geboten, wegen nachträglicher Ausführungen zur Sachrüge die Akten an den Generalbundesanwalt zurückzugeben, damit dieser seine Antragsschrift ergänzt.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder „Nachbesserung“ von Verfahrensrügen kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall ist bei einem mehrfach verteidigten Angeklagten im Allgemeinen nicht gegeben, wenn schon die übrigen Verteidiger die Revision form- und fristgerecht begründet haben. Eine von der Rechtsprechung anerkannte besondere Verfahrenslage, in der die Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensbeanstandungen ausnahmsweise gewährt werden kann, kommt nur in Betracht, wenn dies zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten unerlässlich erscheint.
3. Erfolgt in Fällen der Mehrfachverteidigung entgegen Nr. 154 Abs. 1 Satz 2 RiStBV die Zustellung an mehrere Verteidiger zu unterschiedlichen Zeiten, führt dies für den Verurteilten zu einer faktischen Fristverlängerung.
1. Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll.
2. Bei einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegenüber Kindern, die häufig erst nach längerer Zeit angezeigt werden, ist eine Individualisierung nach Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oftmals nicht möglich. Die Taten als Verfahrensgegenstand werden in diesen Fällen durch die Festlegung des zeitlichen Rahmens der Tatserie, die Nennung der Höchstzahl der nach dem Anklagevorwurf innerhalb dieses Rahmens begangenen Taten, die Person des Tatopfers und die wesentlichen Grundzüge des Tatgeschehens bestimmt. Verändert sich im Laufe eines Verfahrens das Bild des Geschehens, auf das die Anklage hinweist, so kommt es darauf an, ob die „Nämlichkeit der Tat“ trotz der Abweichung noch gewahrt ist. Dies ist – ungeachtet gewisser Unterschiede – weiterhin dann der Fall, wenn bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Beim sexuellen Missbrauch von Kindern im häuslich-familiären Bereich ist für die Frage, ob festgestellte einzelne Taten von der Anklage umfasst sind, die zeitliche Einordnung des Geschehens vor allem dann von besonderer Bedeutung, wenn ein gleichförmiges Handlungsmuster vorliegt.
3. Zwar braucht eine Veränderung oder Erweiterung des Tatzeitraums die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist. Bei wie gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit unterscheidbaren Serientaten heben dagegen Veränderungen und Erweiterungen des Tatzeitraumes die Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf.
1. Nach dem im Regelungszusammenhang des § 247 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung eng auszulegenden Begriff der Vernehmung ist die Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises, selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt wird.
2. Eine Verfahrenskonstellation, in welcher ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler ausnahmsweise denkgesetzlich ausgeschlossen ist, liegt nicht vor, wenn zwar der Angeklagte die betroffene Tat gestanden, das Tatgericht jedoch ausgeführt hat, dass dieses Geständnis unter anderem durch die Angaben des in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen gestützt wird.
3. Gibt das Gericht einem Adhäsionsantrag nur teilweise statt, unterliegt der weitergehende Teil nicht der Abweisung. Vielmehr ist insoweit von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abzusehen.
Die Hemmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO tritt kraft Gesetzes ein. Der Feststellungsbeschluss nach Satz 2 hat nur insofern konstitutive Bedeutung, als er den Beginn und das Ende der Hemmung unanfechtbar feststellt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2020 – 4 StR 431/20 mwN).
1. Aufgrund des eingeschränkten Beweiswerts von Angaben eines Zeugen vom Hörensagen sind bei der Beurteilung der Aussage strengere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung zu stellen, weil das Tatgericht die Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Beweisperson und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht originär, sondern nur vermittelt über Berichte anderer beurteilen kann. Auf die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen kann daher eine Feststellung nur dann gestützt werden, wenn sie durch andere wichtige und im unmittelbaren Bezug zum Tatgeschehen stehende Gesichtspunkte bestätigt wird (vgl. BGHSt 44, 153, 158).
2. An die Sachdarstellung und Erörterung der Beweislage in Fällen von „Aussage gegen Aussage“ bestehen gesteigerte revisionsgerichtliche Anforderungen wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung einzelner Taten nicht gefolgt wird oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Auch sonst hat das Tatgericht in Fällen, in denen es den Angeklagten aufgrund derselben Zeugenaussage teilweise verurteilt, während es sich von anderen angeklagten Taten nicht überzeugen kann, genau darzulegen, warum es der Zeugenaussage in den Verurteilungsfällen folgt.
1. Die Kognitionspflicht (vgl. § 264 StPO) gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozess-
stoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar. Bezugspunkt dieser Prüfung ist die Tat im Sinne von § 264 StPO, also ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll.
2. Die Tat als Prozessgegenstand ist nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung und durch das Tatopfer bestimmt. Liegen nach dieser Maßgabe verschiedene Lebenssachverhalte und mithin mehrere selbständige prozessuale Taten vor, so sind diese Gegenstand der Urteilsfindung, wenn sich nach dem aus der Anklageschrift erkennbaren Willen der Staatsanwaltschaft ergibt, dass sie sämtlich einer Aburteilung zugeführt werden sollen.
3. Spricht das Tatgericht den Angeklagten frei, muss es in der Regel in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen feststellen und davon ausgehend darlegen, dass sich diese Vorwürfe entweder aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht bestätigt haben. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss zudem in der Beweiswürdigung dargelegt werden, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen ? zusätzlichen ? Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten.
1. Nicht um Beweisanträge im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, sondern um nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu beurteilende Beweisermittlungsanträge handelt es sich, wenn kein bestimmtes Beweismittel bezeichnet wird, sondern die Anträge darauf abzielen, bis dahin noch nicht vorhandene Augenscheinsobjekte herzustellen, von denen dann (gegebenenfalls) einzelne als konkrete Beweismittel in Betracht kommen sollten.
2. Werden Beweisanträge „vorsorglich“ gestellt, muss die Revision vortragen, unter welcher Bedingung die Antragstellung erfolgte und warum diese Bedingung eingetreten ist, sodass ihre Ablehnung nur durch einen Beschluss unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StPO erfolgen durfte.
Nach Abschluss der kostenverursachenden Instanz kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Etwas anderes gilt ausnahmsweise für den Fall, dass vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens ein Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen gestellt, aber nicht bzw. nicht vorab beschieden worden ist und der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan hat.
Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch Vereinbarung der beteiligten Gerichte, sondern in Fällen, in denen die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts herbeigeführt werden.