HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2021
22. Jahrgang
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Strafrechtliche/strafverfahrensrechtliche Entscheidungen des BVerfG/EGMR/EuGH


Entscheidung

400. BVerfG 2 BvR 408/21 (1. Kammer des Zweiten Senats) – Beschluss vom 19. März 2021 (Brandenburgisches OLG)

Auslieferung an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung (russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Herkunft; Recht auf effektiven Rechtsschutz; gerichtliche Sachaufklärungspflicht; Einhaltung der unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze auch im Falle der Durchführung des Strafverfahrens in Tschetschenien; Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens; völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen; Nachprüfung der Belastbarkeit im Einzelfall; fehlende Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung).

Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 25 GG; Art. 79 Abs. 3 GG; § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG; § 92 BVerfGG; § 33 IRG; § 73 IRG

1. Die Entscheidung eines Oberlandesgerichts, mit der die Auslieferung eines russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Herkunft an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung wegen eines Betäubungsmitteldelikts für zulässig erklärt wird, ist unter dem Gesichtspunkt der Sachaufklärungspflicht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Gericht aufgrund einer fallbezogenen, aktuellen und alle verfügbaren Erkenntnisquellen berücksichtigenden Stellungnahme des Auswärtigen Amtes nachvollziehbar zu der

Einschätzung gelangt, die von den russischen Behörden abgegebenen Zusicherungen hinsichtlich der Einhaltung der menschen- und völkerrechtlichen Mindeststandards seien auch für den Fall einer Durchführung des Strafverfahrens in Tschetschenien belastbar und überprüfbar und dem Betroffenen drohe keine politische Verfolgung (Folgeentscheidung zum Beschluss vom 22. November 2019 – 2 BvR 517/19 – [= HRRS 2020 Nr. 2]).

2. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz erfordert eine zureichende gerichtliche Sachverhaltsaufklärung. Die Fachgerichte dürfen auf die Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten nur verzichten, wenn Beweismittel unzulässig, schlechterdings untauglich, unerreichbar oder für die Entscheidung unerheblich sind, nicht hingegen, wenn die Aufklärung besonders arbeits- oder zeitaufwendig erscheint.

3. Im Verfahren über die Zulässigkeit einer Auslieferung sind die Gerichte zu einer eigenständigen Prüfung verpflichtet, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze und das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz sowie den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren. Letzteres gilt insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind.

4. Auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr mit Staaten außerhalb der Europäischen Union ist dem ersuchenden Staat grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen, solange dieses nicht im Einzelfall durch entgegenstehende Tatsachen, etwa systemische Defizite im Zielstaat, erschüttert wird.

5. Völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen des ersuchenden Staates sind geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird. Eine Zusicherung entbindet das zuständige Gericht allerdings nicht von der Pflicht, eine eigene Gefahrenprognose hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten im Zielstaat anzustellen und die Belastbarkeit der Zusicherung im Einzelfall nachzuprüfen.


Entscheidung

404. BVerfG 2 BvR 194/20 (1. Kammer des Zweiten Senats) – Beschluss vom 17. März 2021 (BayObLG / LG Augsburg)

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Anhaltung des Briefs eines Strafgefangenen (allgemeines Persönlichkeitsrecht; Schutz der Privatsphäre und der vertraulichen Kommunikation; Kreis möglicher Vertrauenspersonen; Angehörige und rein freundschaftliche Vertrauensverhältnisse; beleidigungsfreie Sphäre; Briefkontrolle im Strafvollzug; Zuordnung zur Vertrauenssphäre trotz staatlicher Überwachung; weitgehender Schutz vor Sanktionen oder sonstigen Eingriffen; Einschränkung des Ehrschutzes); Meinungsfreiheit und Schmähkritik (Erfordernis einer Einordnung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls); Recht auf effektiven Rechtsschutz (Zugrundelegung der Einschätzung der Justizvollzugsanstalt bei streitigem Sachverhalt nur mit einzelfallbezogener Begründung).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; § 31 Abs. 1 Nr. 4 StVollzG; § 109 Abs. 2 StVollzG; Art. 34 Abs. 1 Nr. 1 BayStVollzG

1. Eine Strafvollstreckungskammer verkennt die Reichweite des aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgenden Schutzes der vertraulichen Kommunikation, wenn sie die Anhaltung eines – abwertende Äußerungen über den Staat und über einen Vorgesetzten enthaltenden – Briefs eines Strafgefangenen an seine frühere Verlobte und langjährige Freundin deshalb bestätigt, weil sie fehlerhaft davon ausgeht, nur die Kommunikation zu einem Angehörigen unterfalle dem besonderen Schutz der Vertraulichkeit.

2. Legt ein Gefangener in einem strafvollzugsrechtlichen Verfahren substantiiert dar, dass eine Briefadressatin als seine Vertrauensperson anzusehen sei, so verletzt die Strafvollstreckungskammer das Recht auf effektiven Rechtsschutz, wenn sie nicht näher ausführt, aus welchen konkreten Gründen sie im Einzelfall von der Richtigkeit der gegenteiligen Bewertung der Justizvollzugsanstalt ausgeht.

3. Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann. Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge – auch rein freundschaftliche – Vertrauensverhältnisse.

4. Am Schutz der Privatsphäre nimmt auch die vertrauliche Kommunikation teil. Bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebenskreisen ist eine beleidigungsfreie Sphäre zuzugestehen, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und wenn keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht.

5. Der Schutz der Vertrauenssphäre gilt auch für die Briefkontrolle bei Strafgefangenen. Die gesetzliche Kontrollbefugnis eröffnet zwar eine Kenntnisnahme von Äußerungen, ändert jedoch nichts an deren Zugehörigkeit zur grundrechtlich geschützten Privatsphäre. Der vertrauliche Charakter einer Mitteilung entfällt nicht bereits deshalb, weil der Verfasser von der staatlichen Überwachung weiß.

6. An die im Zuge der Überwachung zwangsläufig gewonnenen Kenntnisse vom Inhalt der Kommunikation des Gefangenen mit Personen seines besonderen Vertrauens dürfen nicht in gleicher Weise Sanktionen oder sonstige Eingriffe geknüpft werden, wie dies bei Äußerungen außerhalb derartiger Vertrauensbeziehungen zulässig wäre. Daher sind die in Bezug auf Einschränkungen der Meinungsfreiheit sonst geltenden Abwägungsregeln nicht ohne Weiteres anwendbar. Dasselbe gilt, soweit es um Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt geht.

7. Die Meinungsfreiheit schützt Werturteile ungeachtet ihres möglicherweise ehrschmälernden Gehalts. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts. Dies gilt auch für Schmähkritik, bei der die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht. Allerdings tritt in Fällen der Schmähkritik die Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen der gebotenen Abwägung regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurück. Diese für die Meinungsfreiheit schwerwiegende Folge gebietet es, die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik klar kenntlich zu machen und in einer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls bezogenen, gehaltvollen und verfassungsrechtlich tragfähigen Weise zu begründen. Dabei sind ausgehend vom Wortlaut der Äußerung auch ihr sprachlicher Kontext und ihre Begleitumstände zu würdigen.


Entscheidung

401. BVerfG 2 BvR 866/20 (1. Kammer des Zweiten Senats) – Beschluss vom 3. März 2021 (KG / LG Berlin)

Gewährung von begleiteten Ausgängen und Ausführungen im Strafvollzug (Resozialisierungsanspruch des Strafgefangenen; Vollzugslockerungen; Reichweite lockerungsbezogener Festlegungen im Vollzugsplan; gesonderte Prüfung einer Rechtsverletzung durch die konkrete Lockerungsentscheidung; Versagungsgründe der Flucht- oder Missbrauchsgefahr; gesteigerte Begründungsanforderungen bei Versagung von Ausführungen; Schutz von Familienbeziehungen des Gefangenen; Beurteilungsspielraum der Justizvollzugsanstalt; Nachprüfung durch die Vollstreckungsgerichte).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 GG; § 7 StVollzG; § 11 StVollzG; § 10 StVollzG Bln; § 42 StVollzG Bln; § 45 Abs. 1 StVollzG Bln

1. Eine Strafvollstreckungskammer verkennt Bedeutung und Tragweite des Resozialisierungsanspruchs eines Strafgefangenen, wenn sie die Ablehnung von Lockerungsmaßnahmen allein unter Verweis auf die bestandskräftigen Feststellungen im Vollzugsplan und das Fehlen neuer Umstände seit der letzten Vollzugsplankonferenz für rechtmäßig erklärt und dabei die – gerichtlich vollumfänglich zu prüfende – Frage der richtigen Auslegung und Anwendung der Versagungsgründe in der konkreten Entscheidung der Justizvollzugsanstalt über einzelne Lockerungsmaßnahmen übergeht.

2. Konzipiert der Gesetzgeber den Vollzugsplan – wie in § 7 StVollzG (Bund) oder § 10 StVollzG Bln – als eigenständiges Instrument eines auf Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzuges, so ist die Frage, ob lockerungsbezogene Inhalte des Vollzugsplans Rechte des Gefangenen verletzen, von der Frage einer Rechtsverletzung durch konkrete Entscheidungen über Vollzugslockerungen zu trennen.

3. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, den Strafvollzug auf eine Resozialisierung des Gefangenen auszurichten. Besonders bei langjährig Inhaftierten ist es erforderlich, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und die Lebenstüchtigkeit des Betroffenen in Freiheit zu erhalten und zu festigen. Dies gilt nicht erst dann, wenn der Gefangene bereits Anzeichen einer haftbedingten Depravation aufweist.

4. Die Versagung von Vollzugslockerungen nach mehrjährigem Freiheitsentzug berührt den grundrechtlich geschützten Resozialisierungsanspruch des Strafgefangenen. Sie darf nicht auf lediglich abstrakte Wertungen gestützt werden. Vielmehr sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, die geeignet sind, eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren.

5. Bei langjährig Inhaftierten können auch ohne Bestehen einer konkreten Entlassungsperspektive zumindest Lockerungen in Form von Ausführungen verfassungsrechtlich geboten sein, bei denen die Justizvollzugsanstalt einer angenommenen Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen entgegenwirkt.

6. Bei Ausführungen genügt die einfache Feststellung einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr grundsätzlich nicht zur Ablehnung, denn die vorgesehene Begleitung des Gefangenen durch Vollzugsbedienstete dient gerade dem Zweck, einer solchen Gefahr entgegenzuwirken. Auch sind Ausführungen keine Behandlungsmaßnahmen, deren Gewährung von der Erstellung eines Behandlungskonzepts oder dem Abschluss einer Therapie abhängig gemacht werden kann.

7. Für das Resozialisierungsziel, auf das der Strafvollzug von Verfassungs wegen auszurichten ist, haben die familiären Beziehungen des Gefangenen wesentliche Bedeutung. Den Belastungen und Gefährdungen, die der Vollzug einer Freiheitsstrafe für diese Beziehungen naturgemäß bedeutet, muss die Ausgestaltung des Vollzuges nach Kräften entgegenzuwirken suchen. Die Erhaltung des Kontakts zu den Familienangehörigen im Strafvollzug bleibt ein bei Vollzugsentscheidungen zu berücksichtigender, grundrechtlich geschützter Belang.

8. Der Versagungsgrund der Flucht- und Missbrauchsgefahr eröffnet der Vollzugsbehörde bei ihrer Prognoseentscheidung einen Beurteilungsspielraum. Gleichwohl haben die Vollstreckungsgerichte den Sachverhalt umfassend aufzuklären und dabei festzustellen, ob die Vollzugsbehörde eine hinreichende tatsächliche Grundlage für ihre Entscheidung geschaffen hat.


Entscheidung

402. BVerfG 2 BvR 1304/17 (2. Kammer des Zweiten Senats) – Beschluss vom 23. Februar 2021 (OLG Düsseldorf)

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Nichteinleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (formelle Anforderungen an einen Ermittlungserzwingungsantrag wie bei der Klageerzwingung; Ermittlungserzwingung nur in engen Ausnahmefällen bei Absehen von Ermittlungen aus Rechtsgründen; keine Verletzung des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung bei umfassender Aufklärung eines Todesfalls nach einem Polizeieinsatz).

Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 2 Abs. 2 GG; § 152 Abs. 2 StPO; § 172 Abs. 2 StPO; § 172 Abs. 3 StPO

1. Ein Ermittlungserzwingungsantrag, der sich gegen die Nichteinleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens richtet, unterliegt als Sonderform des Klageerzwingungsantrages denselben formellen Anforderungen. Er ist grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Aktenbestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert worden sind; denn es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst aus den (möglicherweise unsystematisierten) Anlagen zusammenzustellen.

2. Eine bloße Ermittlungserzwingung anstatt der Klageerzwingung kommt nur in engen Ausnahmefällen in Betracht. Von einem solchen Ausnahmefall ist auszugehen, wenn die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht nicht aufgeklärt hat. Damit ist es nicht gleichzusetzen, wenn die Staatsanwaltschaft Untersuchungshandlungen vorgenommen und das Verfahren dann mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, in ihrem Einstellungsbescheid jedoch unzutreffend ausgeführt hat, es bestehe bereits kein Anfangsverdacht.

3. Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Todes eines Mannes, der unter Drogeneinfluss randaliert hatte und im Rahmen des anschließenden Polizeieinsatzes an multiplem Organversagen verstorben war, verletzt nicht den Anspruch auf effektive Strafverfolgung, wenn die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage umfassender medizinischer Untersuchungen und Zeugenvernehmungen zu dem Ergebnis gelangt, dass das Verhalten der an der Festnahme beteiligten Polizeibeamten nicht (mit-)ursächlich für den Todeseintritt war.


Entscheidung

403. BVerfG 2 BvR 1746/18 (3. Kammer des Zweiten Senats) – Beschluss vom 3. März 2021 (LG Darmstadt)

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen eine Durchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche (Wohnungsgrundrecht; Erfordernis eines „doppelten Anfangsverdachts“; Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer Katalogvortat im Sinne des Geldwäschetatbestandes; keine Übertragbarkeit der geringeren Voraussetzungen einer Verdachtsmitteilung nach dem Geldwäschegesetz auf den strafprozessualen Anfangsverdacht der Geldwäsche; verfassungsrechtliches Verbot der Begründung eines Anfangsverdachts erst durch die Durchsuchung); Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Beschwerdebefugnis; Schutz des Wohnungsgrundrechts bei Geschäftsräumen regelmäßig nur für den Geschäftsinhaber; Beschwerdebefugnis anderer Personen nur bei Zuordnung der durchsuchten Räume zu ihrer persönlichen Privatsphäre).

Art. 13 Abs. 1 GG; § 90 Abs. 1 BVerfGG; § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; § 102 StPO; § 105 StPO; § 152 Abs. 2 StPO; § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 43 GwG

1. Eine Durchsuchungsanordnung lässt eine grundsätzlich unrichtige Anschauung des Wohnungsgrundrechts erkennen, wenn der Anfangsverdacht einer Geldwäsche lediglich darauf gestützt wird, dass dem Betroffenen aus dem Ausland ein hoher Geldbetrag überwiesen worden ist und er als Rechtsgrund der Zahlung auf Nachfrage der Bank einen Darlehensvertrag vorgelegt hat, an dessen Echtheit nach seiner äußeren und inhaltlichen Gestaltung erhebliche Zweifel bestehen. Dies rechtfertigt zwar den Anfangsverdacht für den Versuch einer Verschleierung der Herkunft des Geldes, nicht jedoch dafür, dass dieses gerade aus einer Katalogvortat im Sinne des Geldwäschetatbestandes herrührt.

2. Der mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundene schwerwiegende Eingriff in die durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte räumliche Lebenssphäre des Einzelnen setzt zu seiner Rechtfertigung einen Anfangsverdacht voraus, der über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen und auf konkreten Tatsachen beruhen muss. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind.

3. Eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche setzt voraus, dass ein Anfangsverdacht nicht nur für eine Geldwäschehandlung, sondern auch dafür besteht, dass der Vermögensgegenstand aus einer bestimmten Katalogvortat im Sinne von § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB herrührt (sog. doppelter Anfangsverdacht), die allerdings nicht bereits in ihren Einzelheiten bekannt sein muss. Erst die Vortat versieht den Vermögensgegenstand mit dem Makel, der einer neutralen, sozialtypischen Handlung das Unwerturteil der Strafbarkeit zuweist.

4. Für die Annahme eines strafprozessualen Anfangsverdachts der Geldwäsche reicht es nicht aus, wenn lediglich die – deutlich geringeren – Voraussetzungen einer Verdachtsmitteilung nach § 43 GwG erfüllt sind. Diese soll lediglich einen Anstoß zur Klärung der Frage geben, ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Beantragung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen veranlasst ist.

5. Der Schutz des Wohnungsgrundrechts kommt bei Geschäftsräumen regelmäßig nur dem Unternehmer als Nutzungsberechtigtem zugute. Nutzen natürliche Personen Geschäftsräume, ohne selbst Geschäftsinhaber zu sein, sind sie lediglich dann beschwerdebefugt, wenn die Räume auch als individueller Rückzugsbereich fungieren und sie deshalb der persönlichen beziehungsweise räumlichen Privatsphäre zuzuordnen sind. Dies kann bei dem Geschäftsführer einer Ein-Personen-Gesellschaft unterstellt werden, nicht jedoch für Geschäftsführer oder Gesellschafter einer Unternehmensgruppe mit einer Vielzahl von Gesellschaften und verschiedenen Geschäftssitzen.