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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2021
22. Jahrgang
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1. Zur Pflichtverletzung durch die Gewährung von Übergangsgeldern an Vorstandsmitglieder einer kassenärztlichen Vereinigung. (BGHSt)
2. Das den gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung überspannende haushaltsrechtliche Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit stellt einen untreuerelevanten Maßstab dar. Es ist für die kassenärztlichen Vereinigungen in § 69 Abs. 2 SGB IV i.V.m. § 78 Abs. 6 SGB V normiert und enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, die eine Mittel-Zweck-Relation beschreiben mit dem Ziel,
bei der Verwendung von Haushaltsmitteln das Maß des Notwendigen nicht zu überschreiten. Bei der praktischen Umsetzung dieses Gebots muss aber schon wegen der sachbedingten Schwierigkeiten einer Erfolgskontrolle den einzelnen Verwaltungsträgern bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit einer Maßnahme ein Rahmen belassen werden, der durch das Selbstverwaltungsrecht noch verstärkt wird. (Bearbeiter)
3. Für die Höhe der im Bereich der öffentlichen Verwaltung gezahlten Vergütungen ist ein verhältnismäßig weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eröffnet. Sofern ihn nicht öffentlich-rechtliche Vorschriften begrenzen, überschreitet der zur Entscheidung Berufene seinen Ermessensspielraum regelmäßig nicht, wenn er eine angemessene Vergütung bezahlt. Eine pflichtwidrige Verletzung des Sparsamkeitsgebots liegt daher regelmäßig erst dann vor, wenn eine sachlich nicht gerechtfertigte und damit unangemessene Gegenleistung gewährt wird. Wann dies der Fall ist, entzieht sich einer generalisierenden Betrachtungsweise. (Bearbeiter)
4. Finanzielle Zuwendungen an Mitarbeiter können auch dann vom Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gedeckt sein, wenn sie im Interesse einer qualitativ befriedigenden und effektiven Aufgabenerfüllung geleistet werden. Insoweit ist die Rechtslage vergleichbar mit Sonderzahlungen im privatrechtlichen Bereich, bei denen eine treupflichtwidrige Verwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens verneint wird, wenn die Zahlung einen zukunftsbezogenen Nutzen zum Wohle des Unternehmens aufweist. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ist aber jedenfalls bei Zuwendungen anzunehmen, die keine Gegenleistung zum Gegenstand haben und auch nicht durch die Verfolgung legitimer öffentlicher Aufgaben als gerechtfertigt angesehen werden können. (Bearbeiter)
5. Der Vorsitzende der Vertreterversammlung einer kassenärztlichen Vereinigung (hier: der kassenärztlichen Vereinigung Berlin) ist regelmäßig Inhaber einer Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. § 266 StGB. Das gilt jedenfalls dann, wenn eine Kontrollbefugnis gegenüber dem Vorstand sowie eine Befugnis zum formellen Abschluss der Dienstverträge mit den Vorstandsmitgliedern besteht; auf das Vorliegen von Vertretungsmacht kommt es dann nicht an. Die Funktion der Vertreterversammlung ist insoweit vergleichbar mit derjenigen von Aufsichtsräten bei juristischen Personen des Privatrechts. (Bearbeiter)
1. Bei der Prüfung, ob eine unerlaubte Einreise oder ein unerlaubter Aufenthalt nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 96 Abs. 1 AufenthG vorliegt, ist bei einem von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellten Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 21 Abs. 1 SDÜ – vorbehaltlich der Regelung in § 95 Abs. 6 AufenthG – allein auf das objektive Kriterium eines gültigen Aufenthaltstitels abzustellen; auf den individuell verfolgten Aufenthaltszweck kommt es nicht an (Weiterführung von BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105). (BGHSt)
2. Der Versuch des Einschleusens von Ausländern in der Tatbestandsalternative des Hilfeleistens erfordert in subjektiver Hinsicht, dass der Vorsatz des Schleusers auf die Förderung einer in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Bezugstat im Sinne des § 96 Abs. 1 AufenthG gerichtet ist. Die objektiven Voraussetzungen des Versuchs sind erfüllt, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, mit der er nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Förderung der präsumtiven Bezugstat ansetzt. Maßgebend ist, wie weit sich der Täter bereits dem von ihm anvisierten Unterstützungserfolg angenähert und durch sein Handeln eine Gefahr für das betroffene Rechtsgut begründet hat (. Sowohl für die Anforderungen, die an den Tatvorsatz des Täters zu stellen sind, als auch für die Prüfung des unmittelbaren Ansetzens kann ergänzend die Rechtsprechung zur versuchten Anstiftung herangezogen werden. (Bearbeiter).
3. Für die Annahme einer Bandentat ausreichen, dass sich ein Bandenmitglied zur Überwindung besonderer Schwierigkeiten zur Verfügung hält. (Bearbeiter)
1. Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB liegt bei der Wahrnehmung unternehmerischer Führungs- und Gestaltungsaufgaben erst vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vermögensbetreuungspflichtigen aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss. Unter diesen Voraussetzungen liegt ein Verstoß gegen gesellschaftsrechtliche Pflichten vor, der zugleich eine Pflichtwidrigkeit gemäß § 266 Abs. 1 StGB begründet. Ein solcher Pflichtenverstoß stellt sich – gleichsam „automatisch“ – als gravierend im Sinne der zur Begrenzung des Untreuetatbestands entwickelten Rechtsprechung dar.
2. Nicht jede Missachtung der gebotenen Sorgfalt bei der Entscheidungsfindung begründet eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, verletzt mithin die Vermögensbetreuungspflicht als Hauptpflicht. So liegt es namentlich bei einem Verstoß gegen Informations- und
Prüfungspflichten. Ihm kommt im Grundsatz nur indizielle Bedeutung zu. Wiegt er allerdings schwer, kann er – abhängig vom Charakter des zu beurteilenden unternehmerischen Handelns – schon für sich gesehen zu einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht führen.
3. Die Rechtsprechung zu § 266 Abs. 1 StGB korreliert mit der gesellschaftsrechtlichen Beurteilung, die als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften kodifiziert, jedoch allgemein anwendbar ist, soweit unternehmerisches Handeln im fremden Interesse bewertet wird. Der Verstoß gegen die Business Judgement Rule, etwa die Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage, indiziert in der Regel Pflichtverletzung, die jedoch stets positiv festzustellen ist. Sie ist letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Leitungsfehler muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen.
4. Aus dem öffentlich-rechtlichen Sparsamkeitsgebot ergibt sich nichts anderes. In ihm findet ebenfalls der äußere Begrenzungsrahmen des dem Unternehmer eingeräumten weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraums Ausdruck. Eine im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB pflichtwidrige Verletzung dieses Gebots liegt regelmäßig erst dann vor, wenn eine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende und damit – ersichtlich – unangemessene Gegenleistung gewährt wird.
Eine pauschale Betrachtungsweise bei der Feststellung des Vermögensnachteils kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere dann genügen, wenn an den Treunehmer im Rahmen eines von ihm für seinen Treugeber vermittelten Vertragsschlusses eine „Schmiergeldzahlung“ fließt, die aus den Leistungen des Treugebers an dessen Geschäftspartner bewirkt wird. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass jedenfalls in Höhe des „Schmiergelds“ der entsprechende Betrag dem Treugeber auch in Form von günstigeren Vertragskonditionen – Preisnachlass bzw. -aufschlag – hätte gewährt werden können.
1. Die wegen Überschreitens der Lieferschwelle des § 3c Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 2 UStG in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union steuerbaren Umsätze sind gegenüber den dort zuständigen Behörden nach dort geltendem Umsatzsteuerrecht zu erklären. Eine insofern unterlassene Erklärung ist weiterer Gesetzesverstoß, der wegen des unterschiedlichen Erklärungsadressaten eine andere prozessuale Tat darstellt als die unterlassene Abgabe von Umsatzsteuererklärungen gegenüber den deutschen Finanzbehörden. Es kann mithin nicht offenbleiben, welche Teile der nicht erklärten Umsätze wegen Überschreitung der Lieferschwelle in einem anderen Mitgliedstaat und welche in Deutschland zu erklären gewesen wären.
2. Aus einem steuerrechtlichen Haftungsbescheid folgt nicht die gesamtschuldnerische Haftung als strafrechtlicher Einziehungsschuldner. Denn der Haftungsanspruch als – gegenüber der Steuerschuld – selbständiger Anspruch des Fiskus wird erst auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung der Finanzbehörden durch Haftungsbescheid (§ 191 AO) verwirklicht, kann damit also Folge der Steuerverkürzung sein, stellt aber keinen unmittelbar durch die Steuerhinterziehung erlangten Vermögenswert dar, sondern eine Belastung.
1. Eine für die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB erforderliche Verknüpfung der Tatbestände liegt in der Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen; dies gilt auch im Bereich der Betäubungsmittelstraftaten.
2. Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG sind nicht nur Tätigkeiten, die unmittelbar der Beschaffung und der Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern auch dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge. Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen (st. Rspr.).
3. Bereits die Vereinbarung einer neuen Lieferung stellt eine Tathandlung des Handeltreibens im Sinne des § 29
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG dar, für die es ausreicht, wenn der Täter eine auf Umsatz gerichtete Tätigkeit entfaltet.
4. Verzichtet der Angeklagte wirksam auf die Rückgabe des beschlagnahmten, unmittelbar aus einer Straftat – hier aus einem Betäubungsmittelgeschäft – herrührenden Geldbetrags, so ist dieser bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen abzuziehen.