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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2020
21. Jahrgang
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1. Die Verurteilung des Beteiligten eines familiengerichtlichen Verfahrens wegen Beleidigung, der in einer Dienstaufsichtsbeschwerde moniert hatte, der Familienrichter habe ihm bei der Beschlussverkündung mit „dämlichem Grinsen“ auf die Möglichkeit einer – später ins Leere gegangenen – Beschwerde hingewiesen, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, wenn die Strafgerichte die gebotene Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nicht vornehmen, sondern lediglich den ehrverletzenden Gehalt der Äußerung hervorheben und verkennen, dass diese wegen des sachlichen Bezuges zum beruflichen Tätigwerden des Richters nicht als Schmähkritik einzustufen ist.
2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschrift des § 185 StGB gehört. Bei dessen Anwendung ist grundsätzlich eine die konkreten Umstände des Falles berücksichtigende Abwägung zwischen der Beeinträchtigung erforderlich, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht. Bei der Abwägungsentscheidung kommt der Meinungsfreiheit kein genereller Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsschutz zu.
3. Eine Verurteilung wegen Beleidigung kann ausnahmsweise auch ohne Abwägung gerechtfertigt sein, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt. An diese Fallkonstellationen sind jedoch jeweils strenge Kriterien anzulegen. Um eine Formalbeleidigung handelt es sich nur bei einem kleinen Kreis sozial absolut tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere Personen herabzusetzen.
4. Den Charakter einer Schmähung nimmt eine Äußerung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person
als solcher geht. Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, selbst wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient.
5. Bei der Gewichtung der grundrechtlichen Interessen ist dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik Rechnung zu tragen. Hierzu gehört die Freiheit der Bürger, Amtsträger ohne Furcht vor Strafe grundsätzlich auch in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen zu können.
6. Auch der Gesichtspunkt der Machtkritik bleibt allerdings in eine Abwägung eingebunden und erlaubt nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern. Welche Äußerungen hinzunehmen sind und welche nicht, hängt von Art und Umständen der Äußerung ebenso ab wie davon, welche Position der Betroffene innehat und welche öffentliche Aufmerksamkeit er für sich beansprucht. Ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern liegt im öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann.
7. Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann von Bedeutung sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder mit Vorbedacht gefallen ist, ob dem Äußernden aufgrund seiner beruflichen Stellung, Bildung oder Erfahrung die Wahrung der äußerungsrechtlichen Grenzen auch in besonderen Situationen zuzumuten ist und ob für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand. So ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Anliegen zu unterstreichen (sogenannter „Kampf ums Recht“).
8. Bei der Abwägung ist außerdem die konkrete Verbreitung und Wirkung einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung in Rechnung zu stellen. Maßgeblich ist, welcher Kreis von Personen von der Äußerung Kenntnis erhält, ob die Äußerung schriftlich oder anderweitig perpetuiert wird und ob sie in wiederholender und anprangernder Weise, etwa unter Nutzung von Bildnissen der Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium wie dem Internet getätigt wird.
1. Die Verurteilung eines Sicherungsverwahrten wegen Beleidigung, der eine Sozialarbeiterin in einer erregten Auseinandersetzung wegen der verspäteten Auszahlung seines Taschengeldes als „Trulla“ bezeichnet hatte, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, wenn die Strafgerichte die gebotene Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nicht vornehmen, sondern lediglich den ehrverletzenden Gehalt der Äußerung hervorheben und verkennen, dass diese wegen des sachlichen Bezuges zu einem den Beschuldigten belastenden Missstand in der Vollzugsanstalt nicht als Schmähkritik einzustufen ist.
2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschrift des § 185 StGB gehört. Bei dessen Anwendung bedarf es zunächst einer der Meinungsfreiheit gerecht werdenden Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung. Darauf aufbauend ist grundsätzlich eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen erforderlich, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Bei der Abwägungsentscheidung kommt der Meinungsfreiheit kein genereller Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsschutz zu.
3. Eine Verurteilung wegen Beleidigung kann ausnahmsweise auch ohne Abwägung gerechtfertigt sein, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt. An diese Fallkonstellationen sind jedoch jeweils strenge Kriterien anzulegen.
4. Den Charakter als Schmähung oder Schmähkritik nimmt eine Äußerung erst an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde oder der bezugslosen Verunglimpfung im Internet. Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, selbst wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient.
5. Die Strafgerichte haben die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik klar kenntlich zu machen und sie in einer auf die konkreten Umstände des Einzelfalles bezogenen, gehaltvollen und verfassungsrechtlich tragfähigen Weise zu begründen. In Grenzfällen kann sich eine hilfsweise Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz anbieten.
1. Die Verurteilung eines Bürgers wegen Beleidigung, der einen Beamten der Bundespolizei aus Verärgerung über eine Einreisekontrolle gefragt hatte, ob dieser kein Deutsch verstehe und nicht in der Lage sei, einfachste Sachverhalte zu erfassen, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, wenn die Strafgerichte die gebotene Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nicht vornehmen und außer Acht lassen, dass die Äußerung spontan in einem hitzigen Wortwechsel gefallen und wegen ihres noch erkennbaren Bezuges zum beruflichen Tätigwerden des Beamten nicht als Schmähkritik einzustufen ist.
2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschrift des § 185 StGB gehört. Bei dessen Anwendung ist grundsätzlich eine die konkreten Umstände des Falles berücksichtigende Abwägung zwischen der Beeinträchtigung erforderlich, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits droht.
3. Eine Verurteilung wegen Beleidigung kann ausnahmsweise auch ohne Abwägung gerechtfertigt sein, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbeleidigung oder als Schmähung darstellt. An diese Fallkonstellationen sind jedoch jeweils strenge Kriterien anzulegen.
4. Bei der Gewichtung der grundrechtlichen Interessen ist dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik Rechnung zu tragen, wobei diese allerdings in eine Abwägung eingebunden bleibt. Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann von Bedeutung sein, ob sie spontan in einer hitzigen Situation oder mit längerem Vorbedacht gefallen ist und ob sie von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden konnte.
1. Macht ein Angeklagter geltend, eine Ladung zur Hauptverhandlung verletzte ihn in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, weil ihm wegen verschiedener Vorerkrankungen aufgrund der Infektionsgefahr hinsichtlich des Coronavirus erhebliche Gesundheitsgefahren drohten, so ist seine insoweit erhobene Verfassungsbeschwerde mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig, wenn er es unterlassen hat, zuvor Beschwerde gegen die Terminsbestimmung einzulegen.
2. Eine drohende Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Teilnahme an einer Hauptverhandlung ist nicht erkennbar, wenn das sachverständig beratene Strafgericht nachvollziehbar dargelegt hat, dass der Angeklagte trotz seiner Vorerkrankungen mangels einer Beeinträchtigung seiner Immunabwehr kein im Vergleich zur Allgemeinheit höheres Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) hat, und wenn es im Rahmen einer tragfähigen Abwägung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass dem mit einer möglichen Infektion einhergehen gesteigerten Risiko eines schweren Verlaufs durch die konkret getroffenen Maßnahmen zur Minimierung der Ansteckungsgefahr (Hygienekonzept nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts) hinreichend begegnet werden kann.
3. Gerichtliche Zwischenentscheidungen, zu denen auch Terminsladungen gehören, können nur dann selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn ein dringendes schutzwürdiges Interesse daran besteht, dass über die Verfassungsmäßigkeit sofort und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der Endentscheidung erkannt wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Zwischenentscheidung für den Betroffenen bereits einen bleibenden rechtlichen Nachteil nach sich zieht, der nicht mehr oder doch nicht vollständig behoben werden könnte.
4. Zwar ist die Beschwerde gegen Terminsbestimmungen grundsätzlich nicht statthaft. Wendet sich ein Betroffener aber nicht gegen die Zweckmäßigkeit einer Terminsbestimmung, sondern macht er geltend, die Terminsanordnung sei rechtswidrig, weil das Gericht das ihm zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe und in dieser fehlerhaften Ausübung eine besondere, selbständige Beschwer liege, steht § 305 Satz 1 StPO der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen.
5. Drohen dem Angeklagten durch die Hauptverhandlung erhebliche Gesundheitsgefahren, so sind die Pflichten des Staates zur Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einerseits und zum Schutz der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Grundrechte andererseits gegeneinander abzuwägen. Dabei können vor allem Art, Umfang und mutmaßliche Dauer des Strafverfahrens, Art und Intensität der zu befürchtenden Gesundheitsschädigung sowie Möglichkeiten, dieser entgegenzuwirken, Beachtung erfordern. Den staatlichen Stellen kommt insoweit allerdings ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.
6. Besteht die naheliegende, konkrete Gefahr, dass der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde, so verletzt ihn die Fortsetzung des Strafverfahrens in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Grundrechtsgefährdung ist in diesem Fall einer Grundrechtsverletzung gleich zu achten. Dabei kann allerdings nur eine hinreichend sichere Prognose über den Schadenseintritt die Einstellung des Verfahrens vor der Verfassung rechtfertigen.
7. Die Verfassung gebietet keinen vollkommenen Schutz vor jeglicher mit einem Strafverfahren einhergehender Gesundheitsgefahr. Die Möglichkeit, dass ein Angeklagter den Belastungen einer Hauptverhandlung nicht gewachsen ist, lässt sich letztlich niemals ausschließen; derartige Risiken sind innerhalb gewisser Grenzen unvermeidbar und müssen im Interesse einer wirksamen Strafrechtspflege hingenommen werden.
1. Die Verwerfung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl als verspätet und damit unzulässig verletzt den Beschuldigten in seinen Rechten auf effektiven Rechtsschutz, auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren, wenn das Strafgericht die Wirksamkeit der Zustellung des Strafbefehls nicht prüft, obwohl es sich angesichts des Verteidigervortrags und eines betreuungsrechtlichen Sachverständigengutachtens aufdrängt, dass der Beschuldigte aufgrund einer akuten psychotischen Erkrankung verhandlungsunfähig ist.
2. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz verbietet es, den Zugang zum Gericht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Dies gilt neben dem Bereich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in gleicher Weise für die Auslegung und Anwendung prozessrechtlicher Fristvorschriften und hier in besonderem Maße für die Einspruchsfrist im summarischen Strafbefehlsverfahren.
3. Das Recht auf ein faires Verfahren verbietet es, den von einer persönlichen Beeinträchtigung betroffenen Beschuldigten zu einem Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen; er muss vielmehr in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich zu machen. Die Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, den Gerichten.
4. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Einspruch rechtzeitig erhoben worden ist, hat das Gericht von Verfassungs wegen besondere Sorgfalt anzuwenden. Es hat sich die erforderliche Überzeugung vom Beginn der Einspruchsfrist zu verschaffen, die eine wirksame Zustellung des Strafbefehls voraussetzt und an der es bei Zustellungen an eine nicht verhandlungsfähige Person fehlt. Verhandlungsunfähigkeit ist (nur) bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten anzunehmen, deren Auswirkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte auch durch verfahrensrechtliche Hilfen nicht hinreichend ausgeglichen werden können.
5. Das Recht auf ein faires Verfahren gebietet die Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn es nach der konkreten Fallgestaltung, insbesondere bei Besonderheiten und Schwierigkeiten im persönlichen Bereich, als evident erscheint, dass der Beschuldigte sich angesichts seiner psychischen Erkrankung nicht selbst verteidigen kann.
1. Die Beschlagnahme der Kamera eines Journalisten anlässlich der Dokumentation einer Demonstration wegen des Verdachts einer Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist einstweilen außer Vollzug zu setzen, wenn die Gerichte bei der Überprüfung der Maßnahme weder eine mögliche Beeinträchtigung der Pressefreiheit in den Blick genommen noch nachvollziehbar dargelegt haben, inwiefern die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme zum Nachweis der möglichen Straftat erforderlich ist.
2. Das Grundrecht auf Pressefreiheit schützt auch nur nebenberuflich tätige Journalisten vor einer Beeinträchtigung bei ihrer Berichterstattung durch strafprozessuale Maßnahmen wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Die wertsetzende Bedeutung der Pressefreiheit ist dabei auch auf der Rechtsanwendungsebene zu wahren.
3. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind Beeinträchtigungen der Pressefreiheit auch dann in die Gewichtung einzustellen, wenn die Vorschriften der Strafprozessordnung ein pressespezifisches Beschlagnahmeverbot nicht vorsehen. Geboten ist eine Abwägung der Pressefreiheit mit dem sich auf die konkret in Rede stehende Tat beziehenden Strafverfolgungsinteresse.
Kommt eine Justizvollzugsanstalt der einstweiligen Anordnung einer Strafvollstreckungskammer nicht nach, einen Strafgefangenen umgehend ärztlich untersuchen und schmerzlindernd behandeln zu lassen, so kann die Kammer unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf effektiven Rechtsschutz gehalten sein, ihre Anordnung durch Androhung und Festsetzung eines Zwangsgeldes durchzusetzten.
1. Geht eine Strafvollstreckungskammer bei einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus vom Fortbestehen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ im Sinne des § 20 StGB aus und lehnt sie deshalb eine Erledigterklärung der Maßregel nach § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB ab, so wird sie dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gerecht, wenn sie sich mit einem Sachverständigengutachten, das die bestehende Hebephilie des Untergebrachten mangels Dranghaftigkeit keinem Merkmal im Sinne des § 20 StGB zugeordnet hatte, auseinandergesetzt und im Einzelnen begründet hat, aufgrund welcher Umstände sie nach mündlicher Anhörung sowohl des Sachverständigen als auch der behandelnden Ärzte zu dem zwischen diesen streitigen Merkmal der Auffassung letzterer gefolgt ist.
2. Die Berücksichtigung des Fundes kinderpornographischer Bilder bei einem wegen vielfachen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern Untergebrachten bei dessen prognostischer Beurteilung verletzt auch ohne diesbezügliche rechtskräftige Verurteilung nicht die Unschuldsvermutung. Den Vollstreckungsgerichten ist es nicht verwehrt, im Rahmen der von ihnen zu treffenden Prognoseentscheidungen ein die Rechtsordnung möglicherweise verletzendes Verhalten des Betroffenen zu berücksichtigen, wenn und soweit der Anknüpfungspunkt das Verhalten als solches und nicht dessen strafrechtlicher Gehalt ist.
3. Ein Fortdauerbeschluss genügt insbesondere bei langjähriger Unterbringung nicht den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen hinsichtlich der Bestimmung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit künftig von dem Untergebrachten zu erwartender Straftaten, wenn die Vollstreckungsgerichte nach unkommentierter Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen von einer „hohen Gefahr künftiger sexueller Missbrauchshandlungen an Kindern“ ausgehen und dabei außer Acht lassen, dass § 176 StGB eine breite Palette von Straftaten mit einem weiten Strafrahmen umfasst, so dass unklar bleibt, welche konkreten rechtswidrigen Delikte nach Auffassung der Gerichte zu erwarten sind.
4. Das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt auch für den Straf- und Maßregelvollzug. Es ist jedenfalls dann verletzt, wenn das Tatgericht unter Berücksichtigung der Beweislage zu einer bestimmten Überzeugung noch nicht hätte gelangen dürfen, weil nach allgemeiner Lebenserfahrung damit zu rechnen war, dass die Ausschöpfung eines noch nicht verwerteten Beweismittels eine entscheidungserhebliche Tatsache widerlegen, infrage stellen oder erst bestätigen würde.
5. Bei der Prognose über die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten ist das Vollstreckungsgericht in der Regel verpflichtet, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dabei darf das Gericht die Prognoseentscheidung nicht dem Sachverständigen überlassen, sondern hat diese selbst zu treffen. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, dass das Gutachten hinreichend substantiiert ist und das Gericht in den Stand setzt, sich die tatsächlichen Voraussetzungen für eine eigene Prognoseentscheidung zu erarbeiten.
6. Einen weiteren Sachverständigen hat das Gericht im Einzelfall beizuziehen, wenn die Beweisfrage nach wie vor offen oder (möglicherweise) unzulänglich beantwortet ist und die Befragung eines anderen Sachverständigen Klärung erwarten lässt. Hingegen kann die Einholung eines weiteren Gutachtens unterbleiben, wenn hiervon keine weitere Aufklärung zu erwarten ist, weil die tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung bereits geklärt sind.
7. Bei der rechtlichen Zuordnung der tatsächlichen Feststellungen zu den Eingangsmerkmalen der §§ 20, 21 StGB im Ausgangsurteil handelt es sich um einen juristischen Subsumtionsvorgang, der der Rechtskraft fähig ist. Daher ist in Fällen „rechtlicher Fehleinweisung“ – wenn also die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von Anfang an nicht erfüllt waren – für eine Erledigterklärung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 StGB kein Raum.