HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2020
21. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

"Keine bloße Formsache" – Notizen zum Richtervorbehalt

Von Rechtsanwalt Hans Meyer-Mews, Bremen

Der Richtervorbehalt erschöpft sich in der Praxis – die moderne Kommunikationstechnik macht es möglich – in der Anwendung der Copy-and-paste-Technik: Der dem Staatsanwalt unter Zuhilfenahme von mehr oder weniger passenden Textbausteinen entworfene Beschluss wird vom Ermittlungsrichter handschriftlich lediglich um Datum und Aktenzeichen ergänzt und sodann gegengezeichnet. Damit ist dem Richtervorbehalt scheinbar genüge getan. Im Eifer dieses routinemäßigen Gegenzeichnens kann es allerdings schon mal vorkommen, dass Tatbeteiligte oder die zu durchsuchenden Objekte verwechselt werden oder dem Überwachungsbeschluss die falsche Telefonnummer zu entnehmen ist. Es scheint fast so, als legalisiere der gute Zweck die Wahl der ungesetzlichen Mittel.

Nachfolgend sollen am Beispiel dieser von den Staatsanwaltschaften hierzulande praktizierten Arbeitstechnik die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Richtervorbehalt und die Folgen ungenügender Beachtung desselben unter Einfügung einschlägigen Entscheidungen des BVerfG und des BGH entnommener Textbausteine, die unter Verwendung der Copy-and-paste-Technik in den Text eingearbeitet sind, dargestellt werden.[*]

I. Einleitung

Zur Rechtfertigung der vorstehend skizzierten Praxis tragen Ermittlungsrichter beispielsweise Folgendes vor:

§   In seltenen Fällen räumen Ermittlungsrichter ein, dass sie sich die Ermittlungsakten nicht ansehen oder diese gar durcharbeiten, sondern sich mit dem Sachvortrag des Dezernenten der Staatsanwaltschaft begnügen. Diesen würden sie seit Jahren kennen und er sei aus ihrer Sicht vertrauenswürdig und absolut zuverlässig.

§   Andere Ermittlungsrichter räumen freimütig ein, dass die Beantragung in ständiger Übung in der Weise erfolgt, dass die Staatsanwaltschaft den Ermittlungsrichtern einen fertigen Beschlussentwurf vorlegt. Die Beschlussentwürfe seien unter Verwendung der bei der Staatsanwaltschaft vorliegenden Textbausteine erstellt worden. Die Textbausteine würden dem jeweiligen Ermittlungsstand angepasst. Dies könne dazu führen, dass der Sachverhalt des Beschlussentwurfs auch solche Informationen enthalte, die für die Prüfung des Beschlussentwurfs entbehrlich sind oder andere Beschuldigte betreffen.

§   Soweit der Beschlussentwurf durch die verwendeten Textbausteine irrelevante Informationen zu anderen Tatbeteiligten oder Tippfehler enthalte, sei dies unschädlich, es sei denn, es handele sich um sinnentstellende Fehler.

§   Die Tatsache, dass der Akt des Unterschreibens eines von der Staatsanwaltschaft vorgefertigten Entwurfs weniger zeitaufwendig ist, als die eigenhändige Anfertigung eines Beschlusses bringe es mit sich, dass mehr Zeit für die Prüfung der Anträge bleibe.

Rechtsreferendare berichten schon mal von Staatsanwälten, die in aller Offenheit ihren Referendaren Herrschaftswissen anvertrauen, nach dem es sehr viel leichter ist, den gewünschten Beschluss zu erwirken, wenn dem Ermittlungsrichter ein von der Staatsanwaltschaft gefertigter Beschlussentwurf vorgelegt werde. Der eine oder andere Rechtsreferendar mag sich in dieser Situation etwas verstört an das Staatsorganisationsprinzip der Gewaltenteilung erinnert haben.

Diese die ungesetzliche "Arbeitsteilung" zwischen Ermittlungsrichtern und Staatsanwaltschaften betreffenden Rechtfertigungsversuche genügen den Anforderungen an den Richtervorbehalt einerseits noch nicht einmal ansatzweise und es ist andererseits nicht belegt, dass auch nur die von den Richtern behauptete rudimentäre Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen in jedem Fall erfolgt.

II. Anforderungen an den Richtervorbehalt

Die Anforderungen an den Richtervorbehalt hat das BVerfG 2001 exemplarisch für Durchsuchungsbeschlüsse konkretisiert. In diesem Urteil heißt es zur Bedeutung des Richtervorbehalts und zum Umfang der Überprüfung der Anordnungsvoraussetzungen durch den Ermittlungsrichter u. a.:

"Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab (…). Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können (…). Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung führt (…), ist der Richter – entsprechend der Trennung von Anklagebehörde und Gericht im deutschen Strafprozess – unbeteiligter Dritter, der nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig wird (…). Bei Maßnahmen wie der Durchsuchung oder auch dem Haftbefehl, die i. d. R. ohne vorherige Anhörung des Betroffenen ergehen, soll seine Einschaltung insbesondere auch für eine gebührende Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten sorgen (…)."[1]

Der Ermittlungsrichter hat sich mithin den Hut des Betroffenen aufzusetzen und den Antrag des Staatsanwalts im berechtigten Interesse des betroffenen Beschuldigten zu prüfen. Diese Aufgabe kann der Ermittlungsrichter selbstverständlich nicht an die Staatsanwaltschaft delegieren. Die Pflicht des Ermittlungsrichters, die Gegengründe zur Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen, hat zur Folge, dass dem Anordnungsbeschluss regelmäßig zu entnehmen sein muss, welche hypothetischen Einwände der Beschuldigte mutmaßlich erhoben hätte, wäre ihm vorheriges rechtliches Gehör angeboten worden. Solche Ausführungen enthalten Beschlussentwürfe, die ein Staatsanwalt nach Art einer Schreibhilfe für das Gericht gefertigt hat, in aller Regel nicht.

Zur Frage, ob es dem Ermittlungsrichter gestattet ist, Beschlussentwürfe der Staatsanwaltschaft ggfs. auch nach eigenständiger Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen, gegenzuzeichnen hat, das BVerfG u. a. ausgeführt:

"Zur Effektivität des Rechtsschutzes gehört es, dass das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüft. Das Gericht muss die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen. Die gerichtliche Entscheidung muss deshalb die Voraussetzungen des Eingriffsrechts prüfen und darf sich nicht auf formelhafte Bemerkungen zurückziehen, die letztlich offenlassen, ob die Voraussetzungen der gesetzlichen Eingriffsermächtigung im Einzelfall vorliegen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht (…)."[2]

Die gebotene umfassende Abwägung ist eine höchstpersönliche Pflicht des zur Entscheidung berufenen Richters. Wie auch soll der Staatsanwalt, der die Anordnung der von ihm beantragten Ermittlungsmaßnahme anstrebt, stellvertretend für den Richter unabhängig von seiner subjektiven Interessenlage eine Abwägung vornehmen? Demgemäß enthalten die von der Staatsanwaltschaft entworfenen Beschlüsse regelmäßig gar keine Abwägung. Den von Staatsanwälten entworfenen Beschlüssen ist lediglich die pauschale Begründung zu entnehmen, die Maßnahme sei angesichts der Schwere der Tat verhältnismäßig, mildere Maßnahmen kämen nicht in Betracht.

Das Institut des Richtervorbehalts ist Ausdruck des staatsorganisatorischen Prinzips der Gewaltenteilung. Die Gewaltenteilung erfordert die Vermeidung jeder auch nur mittelbaren informellen Einflussnahme auf die richterliche Entscheidung:

"Als Ausdruck der Gewaltenteilung und als elementare Voraussetzung für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 IV GG gewährleistet Art. 97 I GG, dass der Richter seine Entscheidungen frei von Weisungen fällen kann (…) und dass jede vermeidbare, auch mittelbare, subtile oder psychologische Einflussnahme der Exekutive auf die Rechtsstellung des Richters unterbleibt (…)."[3]

Somit ist bereits auch nur der Anschein einer Einflussnahme der Staatsanwaltschaft auf die Entscheidung des Ermittlungsrichters zu vermeiden. Und es muss auch vermieden werden, dass der Ermittlungsrichter sich dem Beschlussentwurf der Staatsanwaltschaft wegen Überlastung oder gar aus Bequemlichkeit dankbar zu eigen macht, um die Begründung seiner Entscheidung nicht selbst erarbeiten zu müssen, ja, um nicht selbstständig und eigenverantwortlich eine Entscheidung zu treffen.

Ferner hat das BVerfG exemplarisch für das Arrestverfahren zur Indizwirkung der eigenhändigen Anfertigung und Niederlegung eines Beschlusses durch den Ermittlungsrichter ausgeführt, dass Ermittlungsrichter, "die tatsächlichen Grundlagen einer Arrestanordnung selbst ermitteln und

ihre rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen (müssen). Eine Bindung der Gerichte an die im Verfahren der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen wird dadurch ausgeschlossen."[4]

Die eigenhändige Absetzung des Beschlusses durch den Ermittlungsrichter ist mithin das maßgebliche Indiz dafür, dass der Ermittlungsrichter seine Entscheidung unabhängig von der Staatsanwaltschaft getroffen und die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig geprüft hat. Hat der Ermittlungsrichter seinen Beschluss einschließlich der Beschlussgründe in diesem Sinne selbst zu Papier gebracht, so streitet eine – freilich widerlegbare – Vermutung dafür, dass er die Anordnungsvoraussetzungen selbst und frei von Bindungen an die Feststellungen und Wertungen der Exekutive geprüft hat. Dies muss aus dem Beschluss auch hervorgehen:

"Dass der Ermittlungsrichter diese Eingriffsvoraussetzung selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat (…), muss in dem Beschluss zum Ausdruck kommen."[5]

Das Fertigen eines Beschlusses samt Begründung erweist sich somit als eine unvertretbare Amtshandlung des Ermittlungsrichters. Der Richtervorbehalt darf aus den vorstehenden Gründen nicht zur bloßen Formsache verkommen.[6] An die an den Richtervorbehalt zu knüpfenden Voraussetzungen ändert auch der Kammerbeschluss des BVerfG vom 1. August 2014[7], auf den sich die Vertreter der Copy-and-paste-Praxis gern beziehen und wonach allein die wörtliche Übernahme einer Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft durch den Ermittlungsrichter nicht die Annahme rechtfertigen soll, eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Richter habe nicht stattgefunden, nichts. Denn bei dieser Entscheidung handelt es sich um einen Nichtannahmebeschluss einer Kammer des BVerfG. Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG haben rein formalen Charakter und nehmen an der Bindungswirkung der Rechtsprechung des BVerfG nicht teil.[8] Außerdem ist dieser Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 1. August 2014 nur schwer vereinbar mit der vom BVerfG festgestellten – Bindungswirkung für die Fachgerichte entfaltenden – Indizwirkung, nach der eine etwaige Bindung der Gerichte an die im Verfahren der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen gerade dadurch ausgeschlossen wird, dass der Ermittlungsrichter die tatsächlichen Grundlagen selbst ermittelt und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnt und begründet.[9]

Last, not least bedürfte die faktische Degradierung der Ermittlungsrichter zu Urkundsbeamten der Staatsanwaltschaft einer gesetzlichen Grundlage, wie sie jedoch nur für Urteile in § 267 IV S. 1 2. HS StPO besteht. Danach kann bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder die neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis, und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage, den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden.[10] In allen anderen Fällen ist dem Richter die Übernahme geistiger Ergüsse der Staatsanwaltschaft in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage untersagt – abschreiben verboten!

1. Durchsuchung

In einem die Durchsuchung der Redaktionsräume der vom Bauerverlag seinerzeit herausgegebenen Illustrierten "Quick" betreffenden Beschluss hat das BVerfG bereits 1976 ausgeführt:

"Die Beschreibung des Tatvorwurfs steckt den äußeren Rahmen, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist, ab. Sie hat bei richtiger Handhabung eine begrenzende, die Privatsphäre des Betroffenen schützende Funktion. Zugleich versetzt sie ihn in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten.

Die Beschreibung der aufzuklärenden Straftaten wird durch die Angaben über die Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, ergänzt. Sie sollen verhindern, dass sich die Zwangsmaßnahme auf Gegenstände erstreckt, die vom Durchsuchungsbeschluss nicht erfasst werden und entfalten damit ihrerseits eine weitere Schutzwirkung zugunsten der Grundrechte des Betroffenen."[11]

Nach diesem Beschluss des BVerfG muss der Betroffene anhand der Beschlussgründe die Rechtmäßigkeit der Maßnahme und ihre Grenzen erkennen können. Allein der Beschluss muss den Betroffenen in die Lage versetzen, zu beurteilen, ob den Anforderungen an den Richtervorbehalt entsprochen worden und ob die Art und Weise der Durchsuchung von der richterlichen Durchsuchungsanordnung (noch) gedeckt ist. Und die Durchsuchung ist auf den Zweck, zu dem sie angeordnet worden ist, beschränkt.

Das BVerfG hatte über die Vereinbarkeit des folgenden amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses mit den an den Richtervorbehalt zu knüpfenden Minimalanforderungen zu entscheiden:

"Die getroffene Anordnung beruht auf §§ 94, 98, 102, 103, 105, 162 StPO.

Nach den bisherigen Ermittlungen ist die Beschuldigte der Steuerhinterziehung verdächtig.

Die Durchsuchung soll zur Auffindung von Beweismitteln führen, nämlich von Kontounterlagen, Unterlagen über Kapitalanlagen im Ausland, wozu auch Kontoauszüge gehören, Aufzeichnungen über Einkünfte und Vermögen, Disketten.

Es liegen Tatsachen vor, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchten Sachen sich in den zu durchsuchenden Räumen befinden (§§ 102, 103 StPO)."[12]

Trotz des zumeist größeren formalen Begründungsaufwands ist den meisten von Staatsanwälten entworfenen Durchsuchungsbeschlüssen substanziell nicht sehr viel mehr zu entnehmen. Nicht viel anders als in diesem Fall verhält es sich nämlich, wenn den Beschlüssen zwar die aufzuklärende Tat zu entnehmen ist, aber schon nicht mehr, welche zum Tatvorwurf passenden Beweismittel gesucht werden. Wenn dem Beschuldigten vorgeworfen wird, vor Monaten an einen gesondert Verfolgten 100 gr Kokain veräußert zu haben, kann die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten kaum den Zweck verfolgen, Betäubungsmittel aus dieser Tat sicherzustellen; dennoch werden derartige Durchsuchungs"beschlüsse" serienmäßig von womöglich überlasteten Ermittlungsrichtern gegengezeichnet.

Das BVerfG hat zu dem vorstehend wiedergegebenen Durchsuchungsbeschluss u. a. ausgeführt:

"Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (…). Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. (…). Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (…). Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem den Inhalt der konkret gesuchten Beweismittel nicht erkennen lässt, wird rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ohne Weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (…)."[13]

So mag es durchaus überraschen, wenn von Ermittlungsbeamten berichtet wird, die anlässlich ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung[14] auf die Frage, warum sie nicht unmittelbar nach Erlass des Durchsuchungsbeschlusses durchsucht haben, antworten, man habe auf einen günstigen Zeitpunkt zugewartet. Schließlich habe man nach der Rechtsprechung des BVerfG für die Durchsuchung sechs Monate Zeit. Der Aufklärung des im Durchsuchungsbeschluss mitgeteilten Tatverdachts und der Generierung der dazu passenden Beweismittel dienen Durchsuchungen in diesen Fällen jedenfalls nicht.

2. TKÜ-Beschlüsse

Hinsichtlich der Voraussetzungen an den Richtervorbehalt bei der Anordnung von TKÜ-Maßnahmen kann zunächst auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen werden.[15] Für die TKÜ hat das BVerfG die Anforderungen an den Richtervorbehalt folgendermaßen umrissen:

"Es ist die Aufgabe und Pflicht des Ermittlungsrichters, sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden und nicht etwa die Anträge der Staatsanwaltschaft … nach einer nur pauschalen Überprüfung einfach gegenzuzeichnen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Die richterliche Anordnung des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen sich der Eingriff halten muss (…)."[16]

Der Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis aus Art. 10 GG ist danach streng zweckgebunden und darf nicht zu gesetzlich nicht vorgesehenen bzw. der Anordnung nicht zu entnehmenden Zwecken missbraucht werden:

"Der Gesetzgeber hat das Gebot vorbeugender richterlicher Kontrolle in spezifischer und normenklarer Form mit strengen Anforderungen an den Inhalt und die Begründung der gerichtlichen Anordnung zu verbinden (vgl. BVerfGE 109,

279, 358 f.). (…) Der Anordnungsbeschluss des Gerichts muss gehaltvoll begründet werden. Überdies sind die zu übermittelnden Daten nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinreichend selektiv und in klarer Weise zu bezeichnen (vgl. BVerfGE 103, 142, 151), so dass die Diensteanbieter eine eigene Sachprüfung nicht vornehmen müssen. Diese dürfen nur auf der Grundlage klarer Anordnungen zur Datenübermittlung verpflichtet und berechtigt sein."[17]

Obwohl die vorstehend zitierte Entscheidung des BVerfG unmittelbar nur die Vorratsdatenspeicherung betrifft, ist die Begrenzung der TKÜ auf die Überwachung der Telekommunikationsinhalte gemäß § 100a StPO zu erstrecken. Das folgt aus den bei der Erhebung personenbezogener Daten nunmehr auch im Strafverfahren zu beachtenden Grundsätzen der Datenminimierung und der Datensparsamkeit (siehe unten unter Gliederungspunkt II. 2. c).

a) Verdachtsgrad

Zum Verdachtsgrad, der dafür streitet, dass eine bestimmte Tat begangen worden ist, die mittels TKÜ aufgeklärt werden darf, hat der 3. Strafsenat des BGH u. a. Folgendes ausgeführt:

"Vielmehr erfordert § 100a StPO nur einen einfachen Tatverdacht, der allerdings auf bestimmten Tatsachen beruhen muss. Dabei sind mit Blick auf das Gewicht des in Rede stehenden Grundrechtseingriffs Verdachtsgründe notwendig, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen; der Verdacht muss sich auf eine hinreichende Tatsachenbasis gründen und mehr als nur unerheblich sein. Es müssen solche Umstände vorliegen, die nach der Lebenserfahrung, auch der kriminalistischen Erfahrung, in erheblichem Maße darauf hindeuten, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Katalogtat begangen hat; erforderlich ist, dass der Verdacht durch schlüssiges Tatsachenmaterial bereits ein gewisses Maß an Konkretisierung und Verdichtung erreicht hat. Den die Maßnahme anordnenden Stellen steht bei der Prüfung des Tatverdachts ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Maßstab für die auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkte Prüfung nach § 101 VII S. 2 StPO ist insoweit, ob die genannten Stellen diesen Beurteilungsspielraum gewahrt oder überschritten haben. Die Tatsachengrundlage hierfür bietet der jeweilige damalige Ermittlungs- und Erkenntnisstand (…)."[18]

Zweck der Maßnahme muss zudem die Aufklärung einer bestimmten bereits begangenen Straftat sein (§ 100a I S. 1 StPO).

b) Gesetzliche Tenorierungs- und Begründungsanforderungen

Das die TKÜ betreffende gesetzliche Regelwerk ist durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017[19] grundlegend geändert worden. Die Änderungen erschließen sich schon durch die bloße Kenntnisnahme des Wortlauts der Neuregelungen.

Der Entscheidungsformel müssen danach gem. § 100e III S. 2 StPO u. a. der Tatvorwurf, zu dessen Aufklärung die TKÜ angeordnet worden ist und die Art der durch die Maßnahme zu erhebenden Informationen und ihre Bedeutung für das Verfahren zu entnehmen sein. Schon diesen Anforderungen genügen staatsanwaltschaftliche Beschlussentwürfe in aller Regel nicht. Staatsanwälte werden in der Entscheidungsformel nicht die durch die Maßnahme aufzuklärende Tat und die Art der durch die Maßnahme zu generierenden Informationen und deren Bedeutung für das Verfahren aufnehmen, wenn sie durch die ermittelnden Beamten erfahren haben, dass die Maßnahme in Wahrheit der Klärung eines Zukunftsverdachts dienen soll.

In die Begründung der Anordnung oder Verlängerung von Maßnahmen nach § 100a StPO sind die wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte einzustellen (§ 100e IV StPO). Außerdem sind die bestimmten Tatsachen, die den Verdacht begründen (§ 100e IV Nr. 1 StPO) und die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Beschlussbegründung anzugeben (§ 100e IV Nr. 2 StPO). Sowohl wegen des Abwägungserfordernisses als auch wegen der gebotenen Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit darf die Abfassung eines die Anordnung der TKÜ betreffenden Beschlusses nicht der Staatsanwaltschaft überlassen werden.

c) Kernbereich privater Lebensgestaltung

Die zum Schutz des Kernbereichs erforderlichen Sicherungen sind in TKÜ-Beschlüssen i. d. R. nicht enthalten.

Die gesetzlichen Voraussetzungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ergeben sich neben dem § 100d StPO auch aus dem neuen BDSG und dort aus den Vorschriften, die den Datenschutz für Polizei und Justiz regeln (§§ 45ff. BDSG).

Das Datenschutzrecht ist technikneutral ausgestaltet. Für die automatisierte Datenverarbeitung gelten mithin die Grundsätze, die auch sonst datenschutzrechtlich zu beachten sind. Anstelle einer bloß reaktiven Kontrolle soll der Datenschutz bereits proaktiv bei der Gestaltung von Verarbeitungsprozessen und der dabei eingesetzten Technik gesichert werden.[20] Nach § 71 I BDSG hat der datenschutzrechtlich Verantwortliche (§ 46 Nr. 7 BDSG) zum Zeitpunkt der Festlegung der Mittel für die Verarbeitung und auch zum Zeitpunkt der Verarbeitung angemessene Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Datenschutzgrundsätze, wie etwa die Datensparsam-

keit und Datenminimierung wirksam umzusetzen.[21] Insbesondere sind die Verarbeitung personenbezogener Daten und die Auswahl und Gestaltung von Datenverarbeitungssystemen an dem Ziel auszurichten, so wenig personenbezogene Daten wie möglich zu verarbeiten (Datenminimierung). Der datenschutzrechtlich Verantwortliche hat gem. § 71 II BDSG zudem geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass durch Voreinstellungen grundsätzlich nur solche personenbezogenen Daten verarbeitet werden können, deren Verarbeitung für den jeweiligen Verarbeitungszweck erforderlich ist.[22] Für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Strafverfahren sieht § 47 BDSG ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vor.[23] Die Verarbeitung durch TKÜ-Maßnahmen erhobener personenbezogener Daten ist mithin nur unter den in § 71 BDSG genannten Voraussetzungen zulässig.

Nach § 71 II BDSG haben die Ermittlungsbehörden daher – etwa durch Rufumleitung oder den Einsatz von Selektoren – sicherzustellen, dass Telefonkontakte mit Anwälten, Ärzten, Seelsorgern, nahen Angehörigen und engen Freunden i. d. R. gar nicht erst erfasst werden. Dies entspricht i. Ü. der Rechtsprechung des BVerfG.

Auf der Stufe der Erhebung personenbezogener Daten durch Anordnung der TKÜ ist daher zu prüfen, ob die Wahrscheinlichkeit der Erfassung höchstprivater Gespräche besteht, deren Überwachung gegebenenfalls zu verbieten ist. Können solche nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit identifiziert werden, darf die Überwachung durchgeführt werden – nach Maßgabe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall auch in Form einer automatischen Dauerüberwachung.

Das BVerfG hat für Regelungen, die bereits auf der Stufe der Datenerhebung Sicherungen zum Kernbereichsschutz vorsehen, sogar den vollständigen Verzicht auf eine unabhängige Sichtung als verfassungsmäßig erachtet; "es hat dabei freilich das auf der Erhebungsstufe geregelte Verbot von Telekommunikationsüberwachungen bei einem ausschließlichen Kernbereichsbezug sehr streng verstanden und danach eine Telekommunikationsüberwachung immer schon dann als verboten angesehen, wenn den Behörden erkennbar ist, dass es sich um die Kommunikation zwischen Personen des höchstpersönlichen Vertrauens handelt (...). Wenn in dieser Weise die Erfassung kernbereichsrelevanter Gespräche schon bei der Datenerhebung vermieden wird und so Zweifelsfälle weitgehend ausgeschlossen werden, ist eine Sichtung durch eine unabhängige Stelle für die Telekommunikationsüberwachung nicht erforderlich. (…). Erlaubt der Gesetzgeber in dieser Weise auch die Erhebung von Informationen, für die Zweifel bestehen können, ob sie dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterfallen, bedarf es für solche Aufzeichnungen dann aber auch der Sichtung durch eine unabhängige Stelle."[24]

Nach bisheriger Rechtsauffassung war die Missachtung der Anforderungen an den Kernbereichsschutz revisionsrechtlich unbeachtlich, wenn nicht dargetan wurde, dass und in welchem Umfang es zu Kernbereichsverletzungen gekommen ist.[25] Gemessen an dem in Art. 104 I GG und Art. 5 I EMRK garantierten Rechtsschutz durch Verfahren war dies indes schon früher zweifelhaft.[26] Nunmehr dürfen personenbezogene Daten im Strafverfahren allein auf rechtmäßige Weise verarbeitet werden (§ 47 Nr. 1 BDSG). Es besteht für den Umgang mit personenbezogenen Daten im Strafverfahren mithin eine strenge Gesetzesbindung.

3. Haftbefehl

Der Erlass eines Haftbefehls ist die höchstpersönliche Aufgabe des zuständigen Ermittlungsrichters. Die vorstehenden Ausführungen zum Verbot der Copy-and-paste-Technik gelten daher in besonderem Maße für das Haftrecht. Die Freiheit der Person ist im GG nicht nur durch Art. 2 II 2 GG geschützt. Das gesamte Freiheitsentziehungsrecht steht zudem unter dem Regime des Art. 104 I GG und des Art. 5 I EMRK. Diese Vorschriften garantieren den Schutz der persönlichen Freiheit durch Verfahren. Das BVerfG hat dazu u. a. ausgeführt:

"In die materielle Freiheitsgarantie des Art. 2 II 2 GG darf nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen eingegriffen werden (…). Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 II 2 GG in einem unlösbaren Zusammenhang (…). Art. 104 I GG nimmt den schon in Art 2 II 2 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz, die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (…).Verstöße gegen die Voraussetzungen und Formen freiheitsbeschränkender Gesetze stellen daher stets auch eine Verletzung der Freiheit der Person dar (…). Inhalt und Reichweite freiheitsbeschränkender Gesetze sind deshalb von den Gerichten so auszulegen und anzuwenden, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten."[27]

Der Haftrichter ist wegen der einschneidenden Folgen eines Haftbefehls in besonderer Weise "gehalten, die Akten – trotz aller etwa gebotenen Eile – sorgfältig und genau durchzuarbeiten, ehe er sich entschließen darf, einen Haftbefehl zu erlassen."[28] Es kann grundsätzlich nicht gebilligt werden, dass ein Haftrichter einen Haftbefehl erlässt, wenn er die Akten nur flüchtig durchgesehen hat, oder wenn er sich

darauf beschränkt, die von der Staatsanwaltschaft als wesentlich bezeichneten Teile der Akten anzusehen.[29]

Hinsichtlich der Feststellungen zur Intensität des Tatverdachts, also der Feststellung, ob im Einzelfall ein dringender Tatverdacht als notwendige Voraussetzung für die Anordnung der Untersuchungshaft gegeben ist, steht dem Ermittlungsrichter nach h. M. ein Beurteilungsspielraum zu.[30] Die Ausübung des Beurteilungsspielraums ist höchstpersönliche Aufgabe des Ermittlungsrichters, somit unvertretbar und kann daher auch nicht an die Staatsanwaltschaft delegiert werden.

Der Ermittlungsrichter höchstpersönlich hat vor einer Entscheidung über den Haftantrag der Staatsanwaltschaft oder über die Haftfortdauer das Freiheitsinteresse des Beschuldigten gegen das staatliche Strafverfolgungsinteresse abzuwägen:

"Wird die von Verfassungs wegen gebotene Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse (…) nicht – auch nicht ansatzweise – vorgenommen, die Haftfortdauer lediglich mit der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts begründet oder nicht einmal die weitere gesetzliche Voraussetzung einer Rechtfertigung der Fortdauer der Untersuchungshaft überhaupt erwähnt (…), liegt mit anderen Worten ein Abwägungsausfall vor, so hat dies regelmäßig eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 II S. 2 GG) zur Folge. Gleiches hat auch für den Fall eines für das Abwägungsergebnis erheblichen Abwägungsdefizits (es wird nicht eingestellt, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss) oder einer Abwägungsdisproportionalität (Fehlgewichtung einzelner oder mehrerer Belange) zu gelten (…)."[31]

Nicht erst der Abwägungsausfall, sondern schon Abwägungsdefizite oder Abwägungsdisproportionalitäten begründen nach der vorstehend zitierten Entscheidung des BVerfG eine Verletzung des Grundrechts der Freiheit der Person.

III. Beweisverbote, Verarbeitungsverbote

1. Beweisverbote

Das BVerfG hat Beweisverwertungsverbote zwar einerseits als begründungsbedürftige Ausnahmen angesehen, andererseits aber auch ausgeführt:

"Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen würden, nicht bejaht werden, wo dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein (…)."[32]

Auf das daraus folgende Verwertungsverbot kann sich auch ein Mitbeschuldigter berufen, sofern die Durchsuchungsergebnisse zu seinen Ungunsten verwertet worden sind.[33]

2. Fernwirkung, Fortwirkung

a) Fernwirkung

Verstöße gegen den Richtervorbehalt haben Beweisverwertungsverbote mit Fernwirkung zur Folge; dies hat der BGH schon früh für unzulässige TKÜ-Maßnahmen entschieden.[34] Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung ganz allgemein ausgeführt, dass Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht folgenlos bleiben dürfen.[35] Würde ein die in diesem Verfahren erlassenen Beschlüsse des Ermittlungsrichters betreffendes Beweisverwertungsverbot nicht anerkannt, so würden die mit diesem Beschlüssen verbundenen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedoch folgenlos bleiben.

b) Fortwirkung

Die verbotene Beweiserhebung kann sich auf das weitere Prozessverhalten des Beschuldigten auswirken. Jedenfalls im Hinblick auf das Aussageverhalten des Beschuldigten wird regelmäßig die Fortwirkung der vorangegangenen ungesetzlichen Ermittlungsmaßnahme zu unterstellen sein, wenn die Angaben unter dem Eindruck der in ungesetzlicher Weise gewonnenen Erkenntnisse erfolgen, für den Beschuldigten mithin eine Verfahrenslage besteht, in der aus seiner Sicht ein Leugnen oder Schweigen sinnlos

wäre.[36] So auch der BGH für den Fall einer ungesetzlichen Tonaufnahme:

"Hat der Beschuldigte dagegen einmal unter dem Eindruck eines Vorhalts des Tonbandes ausgesagt, dürfen auch spätere Aussagen, die noch von dem Vorhalt beeinflusst worden sind, nicht verwertet werden. In der Regel kann erst eine spätere Aussage verwertet werden (…), auf die sich das Tonband nicht mehr ausgewirkt hat, etwa weil längere Zeit verstrichen ist und dem Vernommenen das Tonband oder die früheren unverwertbaren Vernehmungen nicht mehr vorgehalten worden sind."[37]

In Sonderheit für die TKÜ hat der BGH ausgeführt:

"Auch dürfen die aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht als Beweismittel in Strafverfahren verwendet werden (…). Richtig ist es schließlich auch, dass ein Beweisverwertungsverbot für solche Bekundungen von Beschuldigten besteht, die unter dem Eindruck des Vorhalts von unzulässig gewonnenen Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung gemacht worden sind (…)."[38]

Mithin führen Verstöße gegen die Anforderungen an den Richtervorbehalt, aufgrund derer es zu ungesetzlichen Beweiserhebungen gekommen ist, zu einem Beweisverwertungsverbot mit Fern- und Fortwirkung.

3. Hypothetisch rechtmäßiger Ermittlungsverlauf

Darauf, ob die Beschlüsse ebenso auf hypothetisch rechtmäßige Weise hätten erlassen werden können, kommt es nicht an[39]:

"Der durch den Richtervorbehalt bezweckte Schutz liefe leer, wenn es ausreichend wäre, dass eine Durchsuchungsanordnung – im Wege einer Nachbesserung – verfassungsrechtlichen Anforderungen möglicherweise hätte genügen können (…)."[40]

In diesem Sinn hat der 2. Strafsenat des BGH in seiner den Richtervorbehalt betreffenden Entscheidung vom 21.04.2016 u. a. Folgendes ausgeführt:

"Die Einhaltung der durch § 105 I 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungseingriffs als Abwägungskriterium ... stets unterlaufen und der Richtervorbehalt letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtung des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichwertiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (…)."[41]

Ebenso der 3. Strafsenat des BGH:

"Auch von der Frage, ob das Beweismittel auf anderem Wege hätte gewonnen werden können oder ob es zur Zeit der beabsichtigten Verwertung noch gewonnen werden könnte, kann die Zulässigkeit der Verwertung als Beweismittel nicht abhängen (…); diese Frage lässt sich in der Regel, namentlich für das Revisionsgericht, nachträglich nicht mehr klären."[42]

Die Geltendmachung eines Verwertungswiderspruchs wegen Nichtbeachtung oder ungenügender Beachtung des Richtervorbehalts bedarf, sofern durch die Maßnahme Sachbeweise gewonnen werden sollen, keines rechtzeitigen Widerspruchs in der Hauptverhandlung.[43]

Der 3. Strafsenat des BGH hat die Ratio, die hinter der Lehre von den Beweisverboten steht, treffend so zusammengefasst:

"… könnte aber ein »sicherer Beweis« mithilfe einer Beweiserhebung geführt werden, welche die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten in einer in der Strafprozessordnung nicht vorgesehenen Art und Weise beschränkt, so muss auf ein solches »sicheres Beweismittel« jedenfalls dann verzichtet werden, wenn der Angeklagte dem Verfahren widerspricht. Anderenfalls würden die dem Schutze des Angeklagten dienenden Vorschriften des Strafverfahrensrechts allein deshalb außer Kraft gesetzt werden, weil sie einer möglichen Verurteilung im Wege stehen (…)."[44]

IV. Was tun?

Auf den unter Hinweis auf die vorstehend zitierte Rechtsprechung des BVerfG zum Richtervorbehalt erhobenen Verwertungswiderspruch der Verteidigung erklärte jüngst ein Strafkammervorsitzender mit geradezu entwaffnender Offenheit, bei der von der Verteidigung vorgetragenen Rechtsprechung handele es sich um die reine Lehre. Allerdings fehle es am Gerichtsort an der genügenden Ausstattung mit Richterpersonal, um der reinen Lehre entsprechen zu können. Man sei daher leider nach wie vor auf die Verwendung von Textbausteinen und auch auf die Copy-and-paste-Technik angewiesen. Diese der Macht des Faktischen folgende Entwertung des Richtervorbehalts erweist sich wiederum gemessen an der Rechtsprechung des BVerfG als verfassungswidrig. Defiziten der Wirksamkeit des Richtervorbehalts müssen danach "sowohl die Gerichte – die einzelnen Ermittlungsrichter ebenso wie die für die Bestellung der Ermittlungsrichter und die Geschäftsverteilung zuständigen Präsidien (§ 21e I S. 1 GVG) – als auch die Strafverfolgungsbehörden entgegenwirken."[45]

Der Entwertung des Richtervorbehalts zur bloßen Formsache kann von der Verteidigung durch Widerspruch in der Hauptverhandlung und ggfs. durch sachgerechtes Eingreifen schon im Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahren entgegengewirkt werden. Dies wird – womöglich aufgrund der Beratungsresistenz des einen oder anderen Richters – oft nicht zum gewünschten Erfolg führen. Spätestens im Revisionsverfahren sollten in geeigneten Fällen entsprechende Verfahrensrügen dann aber erhoben werden.

Ferner wären Amtshaftungsansprüche gem. § 839 BGB (in Haftsachen gem. Art. 5 V EMRK) in den Fällen, in denen Ermittlungsrichter Ermittlungsmaßnahmen auf Grundlage von Beschlüssen angeordnet haben, die von der Staatsanwaltschaft entworfen worden sind und die erkennen lassen, dass der Richter seiner Prüfungs- und Begründungspflicht nicht nachgekommen ist, zu erwägen.[46] In diesem Zusammenhang wird sogar die Ansicht vertreten, wonach sich der Ermittlungsrichter persönlich haftbar machen könnte.[47] Das BVerfG hat zwar in seiner die Vorratsdatenspeicherung betreffenden Senatsentscheidung zu erkennen gegeben, dass hierfür eine Gesetzesänderung erforderlich wäre[48]; der EGMR (Große Kammer) hat jedoch im Menschenrechtsbeschwerdeverfahren Gäfgen gegen Deutschland entschieden, dass die Opferstellung des Verletzten bei Verstößen gegen die Garantien der EMRK durch einen Signatarstaat nicht allein dadurch entfällt, dass diese im Strafverfahren festgestellt wird und Gäfgen einen Entschädigungsanspruch zugesprochen.[49]

Es ist Verteidigerpflicht, die Ermittlungsbehörden zur Beachtung rechtsstaatlicher Mindeststandards zu veranlassen. Dafür braucht es Geduld, Ausdauer und Zähigkeit.


[*] Um die Nachvollziehbarkeit und Kontrolle der nachfolgend zitierten Entscheidungen zu erleichtern, werden neben Datum und Aktenzeichen der Entscheidungen auch die geläufigen Veröffentlichungsquellen angegeben.

[1] BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00, Rn. 27 = BVerfGE 103, 142[Hervorhebungen d. d. Verf.].

[2] BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2005 – 2 BvR 1822/04, Rn. 43 = HRRS 2015, Nr. 590 = StraFo 2005, 338; ebenso BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03, Rn. 46 = HRRS 2004, Nr. 536.

[3] BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, Rn. 81 = BVerfGE 139, 245 = HRRS 2015, Nr. 693[Hervorhebungen d. d. Verf.].

[4] BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 2 BvR 820/06, Rn. 21 = HRRS 2006, Nr. 566 = NStZ 2006, 639 = StV 2006, 449.

[5] BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2006 – 2 BvR 950/05 = HRRS 2006, Nr. 722 = NJW 2006, 2974 = StV 2006, 505.

[6] Vgl. BVerfG Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, Rn. 6 unter Hinweis auf BVerfGE 9, 89, 97; BVerfGE 57, 346, 355 f.; BVerfGK 2, 310, 314 = BVerfGE 139, 245 = HRRS 15, Nr. 693 = NJW 2015, 2787 = NStZ 2015, 529 = StV 2015, 606 = wistra 2015, 467, ebenso BVerfG, Beschluss vom 08. März 2004 – 2 BvR 27/04 .

[7] Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 = HRRS 2014, 825.

[8] Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2005 – 2 BvR 1964/05, Rn. 73 = HRRS 2005, Nr. 900 = NJW 2006, 672.

[9] Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2006 – 2 BvR 820/06, Rn. 21 = HRRS 2006, Nr. 566 = NStZ 2006, 639 = StV 2006, 449.

[10] Vgl. zu den Folgen eines Verstoßes gegen § 267 IV StPO, LG Köln, Urteil vom 28. Juli 2016 – 152 Ns 59/15.

[11] BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1976 – 2 BvR 294/76 = BVerfGE 42, 212, 221.

[12] BVerfG, Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00 = NJW 2002, 1941 = NStZ 2002, 372 = StV 2002, 346.

[13] BVerfG, Beschluss vom 6. März 2002, a. a. O.; ebenso BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2002 – 2 BvR 863/01 = StV 2002, 406.

[14] Die Beweisaufnahme in Hauptverhandlungen vor dem LG wird nicht wörtlich protokolliert und kann deshalb nicht revisionsrechtlich fruchtbar gemacht werden.

[15] Zu den Anforderungen an TKÜ-Maßnahmen nach altem Recht: Meyer-Mews StraFo 2016, 133 (Teil 1), 177 (Teil 2).

[16] BVerfG, Urteil vom 12. März 2003 – 1 BvR 330/96, Rn. 90 = BVerfGE 107, 299 = NStZ 2003, 441, ebenso BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, Rn. 249 = NJW 2010, 833 = NStZ 2010, 341, LG Leipzig, Beschluss vom 7. April 2016 – 8 KLs 100 Js 37331/14.

[17] BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, Rn. 249 = BVerfGE 125, 260, Rn. 252. = HRRS 2008, Nr. 1005 = NJW 2010, 855-856 = NStZ 2010, 341 = StV 2010, 281.

[18] BGH, Beschluss vom 11. August 2016 – StB 12/16, Rn. 9; ebenso BVerfGE 107, 299; BGH NStZ 2003, 499.

[19] BGBl. I, 3202.

[20] Vgl. Marnau in Gola/Heckmann (Hrsg.) BDSG13 § 71, Rn. 1.

[21] Vgl. ders., a. a. O., Rn. 23.

[22] Vgl. ders., a. a. O., Rn. 33.

[23] Vgl. Braun in Gola/Heckmann, a. a. O., § 47, Rn. 11.

[24] BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 20. April 2016 – 1 BvR 966/09 -, Rn. 239ff = BVerfGE 141, 220.

[25] Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 -, Rn. 95ff. (Rn. 100) = BVerfGE 130, 1 = HRRS 2012, Nr. 27.

[26] Vgl. zum Rechtsschutz durch Verfahren Heidebach, Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung (Diss.) 2014; Meyer-Mews StraFo 212. 7 – passim.

[27] BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 – Rn. 24 = HRRS 2006, Nr. 65 = StV 2006, 139[Hervorhebungen d. d. Verf.].

[28] BGH, Urteil vom 29. Mai 1958 – III ZR 38/57 = BGHZ 27, 338, 348.

[29] Vgl. BGH, a. a. O.

[30] Vgl. BVerfG, BVerfG, Beschluss vom 28. März 2002 – 2 BvR 2104/01 = NStZ 2002, 606.

[31] BVerfG, Beschluss vom 4. April 2006 – 2 BvR 523/06 -, Rn. 22 = HRRS 2006, Nr. 301 = StV 2006, 251[Hervorhebungen d. d. Verf.].

[32] BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09, Rn. 117, siehe Fn. 25[Hervorhebungen d. d. Verf.].

[33] Vgl. Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt StPO62, § 100e, Rn. 31.

[34] Vgl. BGH, 18.04.1980 – 2 StR 731/79 = BGHSt 29, 244 = MDR 1980, 775 = NJW 1980, 1700 .

[35] Vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, Rn. 252, siehe Fn. 17 .

[36] Vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juni 2016 – 3 RvS 46/16 = StV 2017, 12.

[37] BGH Urteil vom 22. Februar 1978 – 2 StR 334/77 = BGHSt 27, 355, 358.

[38] BGH, Urteil vom 24. August 1983 – 3 StR 136/83 = BGHSt 32, 68, 70.

[39] A. A. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 – 1 StR 455/03, Rn. 4 = HRRS 2007, Nr. 612 = NStZ 2004 , 449.

[40] BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2005 – 2 BvR 984/04 = NStZ-RR 2005, 203; unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2000 – 2 BvR 2212/99 = StV 2000, 465, 466.

[41] BGH, Beschluss vom 21. April 2016 – 2 StR 394/15, Rn. 16 = HRRS 2016, Nr. 660 = StraFo 2016, 338 = StV 2016, 539; ebenso BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 2 StR 46/15, Rn. 26 = BGHSt 61, 266 = HRRS 2017, Nr. 374 .

[42] BGH, Urteil vom 28. März 1973 – 3 StR 385/72 = BGHSt 25, 168, 171 = MDR 1973, 597 = NJW 1973, 1289.

[43] Vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 2 StR 46/15, Rn. 13, siehe Fn. 41 .

[44] BGH, Urteil vom 5. November 1982 – 2 StR 250/82 = BGHSt 31, 148, 153 = MDR 1983, 334 = NJW 1983, 1005 = StV 1983, 49.

[45] BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00, Rn. 33 , Siehe Fn. 1[Hervorhebungen d. d. Verf.].

[46] Vgl. hierzu insbesondere BGHZ 27, 355, 358; BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 – III ZR 9/03 Meyer-Mews MDR 2004, 1218.

[47] Vgl. Caspari DRiZ 2010, 348.

[48] Vgl. BVerfG, 02.03.2010 – 1 BvR 256/08, Rn. 252 = BVerfGE 125, 260 = HRRS 2008, Nr. 1005 = NJW 2010, 855 = NStZ 2010, 341 = StV 2010, 281.

[49] Vgl. EGMR (Große Kammer) Gäfgen/Deutschland, Urteil vom 1. Juni 2010 – App.-No. 22978/05 = HRRS 2010, Nr. 744 = NJW 2010, 3145.