HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2020
21. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

685. BGH 4 StR 474/19 - Beschluss vom 26. Februar 2020 (LG Mönchengladbach)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Konkurrenzen: Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Beurteilung der Behandlungsaussicht bei Zurückstellung der Strafvollstreckung).

§ 29 Abs. 1 BtMG; § 29 Abs. 3 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 64 StGB

1. Nimmt das Tatgericht einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 3 BtMG an, so hat es in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob der im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängte Straftatbestand des § 29a Abs. 1 BtMG eine Sperrwirkung hinsichtlich seiner Mindeststrafe entfaltet, oder ob auch insoweit ein minder schwerer Fall anzunehmen wäre. Bejaht das Tatgericht (auch) einen minder schweren Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG, so entfällt die Sperrwirkung des im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten Straftatbestands mit der Folge, dass es bei dem gesetzlichen Strafrahmen des minder schweren Falles im Sinne des § 30a Abs. 3 sein Bewenden hat.

2. Dem Grundtatbestand des § 29 BtMG einschließlich des darin für besonders schwere Fälle eröffneten Sonderstrafrahmens des § 29 Abs. 3 BtMG ist keine Sperrwirkung in diesem Sinne beizumessen.

3. Einer besonders eingehenden Erörterung bedarf die Frage der Behandlungsaussicht in Fällen, in denen das Tatgericht einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zustimmt und damit zu erkennen gibt, dass es den Angeklagten grundsätzlich für therapiefähig hält.


Entscheidung

759. BGH 1 StR 43/20 - Beschluss vom 13. Mai 2020 (LG Nürnberg-Fürth)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 Abs. 1 StGB

Es ist nicht zulässig, jede schon unter das Merkmal des Handeltreibens zu subsumierende Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihr Gewicht für das Gesamtgeschehen und das Interesse des Beteiligten am Gelingen des Umsatzgeschäfts mittäterschaftlichem Handeltreiben gleichzusetzen. Beim Betäubungsmittelhandel gelten für die Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe die allgemeinen Grundsätze über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen. Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist danach in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Auch beim Betäubungsmittelhandel deutet deshalb eine ganz untergeordnete Tätigkeit eines Tatbeteiligten im Rahmen eines Gesamtgeschäftes schon objektiv darauf hin, dass der Beteiligte nur Gehilfe ist. Die auf die Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe bezogene wertende Betrachtung ist vom Tatrichter in einer vom Revisionsgericht nachprüfbaren Weise vorzunehmen.


Entscheidung

767. BGH 1 StR 641/19 - Beschluss vom 22. April 2020 (LG Baden-Baden)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Begriff des Handeltreiben: dem Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge, hier: Vereinbarung von Zahlungsaufschüben; Beendigung des Handeltreibens durch Tilgung von Schulden; Tateinheit).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 52 Abs. 1 StGB

1. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne der § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, wobei verschiedene Betätigungen, die auf die Förderung ein und desselben Güterumsatzes abzielen, eine tatbestandliche Bewertungseinheit bilden (vgl. BGHSt 63, 1 Rn. 19 f. mwN).

2. Einer Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unterfallen nicht nur Handlungen, die unmittelbar der Beschaffung und der Überlassung von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern auch dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge wie etwa die Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer zum Lieferanten oder das Beitreiben des Kaufpreises (vgl. BGHSt 43, 158, 162). Auch Tätigkeiten, die der Erfüllung von Zahlungsverbindlichkeiten dienen, z.B. das Bemühen um das Eintreiben des Kaufpreises oder das Bemühen um einen Zahlungsaufschub oder dessen Vereinbarung, gehören daher noch zu demselben Betäubungsmittelgeschäft.

3. Beendet sind das Handeltreiben und damit die Tat, wenn der Käufer die vereinbarte Menge an Betäubungsmitteln und sein Verkäufer das Entgelt dafür erhalten haben (vgl. BGHSt 61, 14 Rn. 21) oder die Schulden getilgt sind und damit nach der Vorstellung des Beteiligten jedweder Rauschgiftumsatz, zu dem die auf den Erlös gerichteten Bemühungen Bezug haben können, abgeschlossen ist. Auf der untersten Ebene der Handelskette zwischen Abnehmer und Lieferant ist die Tat beendet, wenn die Drogen geliefert sind und das Entgelt gezahlt ist, auch wenn Forderungen des Großhändlers noch offen bleiben. Im Rahmen der Betätigung von Drogengroßhändlern in einem organisierten Absatzsystem bzw. im Rahmen eines eingespielten Bezugs- und Vertriebssystems ist die Tat beendet, wenn der Lieferant den Kaufpreis erhalten hat und der Geldfluss als Entgelt der Drogenlieferung „zur Ruhe gekommen“ ist (vgl. BGHSt 43, 158, 162).

4. Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) kann auch durch Ausführungshandlungen nach Vollendung bis zur Beendigung der Taten begründet werden (st. Rspr.). Auch die Besonderheiten des weiten Tatbegriffs beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln begründen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme von Tateinheit infolge von Verbaläußerungen in Gestalt der Vereinbarung von Zahlungsaufschüben oder -ermäßigungen.


Entscheidung

742. BGH 5 StR 111/20 - Beschluss vom 12. Mai 2020 (LG Berlin)

Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Mitsichführen einer Schusswaffe; Aufbewahrung von Betäubungsmitteln und Waffe in unterschiedlichen Räumen; jederzeitige Verwendbarkeit; Darlegung durch das Tatgericht).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG

Die Voraussetzungen des Mitsichführens einer Schusswaffe im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG können auch

dann erfüllt sein, wenn Betäubungsmittel und Schusswaffe innerhalb derselben Wohnung in unterschiedlichen Räumen aufbewahrt werden. Allerdings muss das Tatgericht in einer solchen Konstellation die konkreten Umstände des Einzelfalls in der Weise darlegen, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung möglich ist, ob der Täter die Schusswaffe tatsächlich jederzeit verwenden kann. Dies gilt umso mehr, wenn der sofortige Zugriff auf die – zudem noch nicht gebrauchsbereite – Waffe nur nach Überwindung weiterer Hindernisse möglich ist (hier: Aufbewahrung hinter einem Schrank mit in einem verknoteten Zellophanbeutel eingewickelte Patronen).