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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2020
21. Jahrgang
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1. Der subjektive Tatbestand des § 266a StGB verlangt das Bewusstsein und den Willen, die Beiträge in Kenntnis der Umstände, die die Abführungspflicht begründen, bei Fälligkeit nicht abzuführen. Der Arbeitgeber oder sein gesetzlicher Vertreter muss daher in einer zumindest laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber ist, dass eine Abführungspflicht existieren und er durch die fehlende Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angaben die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte; eine bloße Erkennbarkeit reicht insofern nicht aus.
2. Der formell bestellte Geschäftsführer handelt regelmäßig bereits dann vorsätzlich pflichtwidrig im Sinne des § 266a StGB, wenn er Anhaltspunkte für eine unzureichende Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den faktischen Geschäftsführer erlangt und dennoch nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat. Nach den Umständen des Einzelfalls kann es dabei ausreichen, wenn für den formellen Geschäftsführer Anzeichen dafür bestehen, dass die Verbindlichkeiten nicht ordnungsgemäß erfüllt werden.
3. Bei einer Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sind in den Urteilsgründen die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen. Dabei obliegt es dem Tatgericht, die geschuldeten Beträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, da die Berechnung der Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu erfolgen hat.
4. Sind solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich, kann die Höhe der vorenthaltenen Beträge auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden. Dabei gelten die Grundsätze entsprechend, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen bei verkürzten Steuern entwickelt hat.
1. Voraussetzung einer Unrechtsvereinbarung im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB aF ist, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung angenommen bzw. gewährt wird. Bevorzugung in diesem Sinne bedeutet dabei die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus. Dabei
ist das Tatbestandsmerkmal der Bevorzugung im Wettbewerb subjektiviert; es genügt, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet sind, eine Bevorzugung im Wettbewerb zu veranlassen. Der Vorstellung eines bestimmten verletzten Mitbewerbers bedarf es dabei nicht.
2. Mitbewerber sind nicht nur die Erwerbsgenossen, die sich im Einzelfall um den Absatz ihrer Waren oder Leistungen bemüht haben und für die Erfüllung der Aufträge in Aussicht genommen sind, sondern alle Gewerbetreibenden, die Waren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art herstellen oder in den geschäftlichen Verkehr bringen. Es genügt, dass der Bestechende mit der Möglichkeit des Wettbewerbs anderer gerechnet hat. Wegen der Beschränkung auf Bevorzugungen im Wettbewerb wurden sonstige Fälle der mit „Schmiergeldzahlungen“ erkauften Verletzung von Pflichten durch Angestellte oder Beauftragte eines Unternehmens außerhalb von Wettbewerbslagen jedoch nicht von § 299 Abs. 1 StGB aF erfasst.
3. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist (§ 261 StPO). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat. Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte.
1. Die verkürzte Steuer ist nur dann als ersparte Aufwendung er-
langtes Etwas im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB, wenn sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Dies ergibt sich daraus, dass die Einziehung an einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt.
2. Für die Hinterziehung von Verbrauch- und Warensteuern ist ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil nur dann gegeben ist, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Waren einen Vermögenszuwachs erzielt. Die Annahme eines Vermögenszuwachses setzt voraus, dass der Täter eine wirtschaftliche Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich dieser Waren hat, über diese also wirtschaftlich (mit-)verfügen kann.
3. Die (enge) Verknüpfung von Ware und darauf bezogener Verbrauchsteuer ist wertungsmäßig nicht nur bei der Bestimmung des erlangten Etwas bei der Steuerhinterziehung, sondern auch bei der Bestimmung des Umfangs der – vorliegend von vornherein allein möglichen – Einziehung des Wertersatzes für die ersparten Aufwendungen zu berücksichtigen. Dabei ist für eine Begrenzung des Umfangs des Wertersatzes maßgeblich, dass der Täter die wirtschaftliche Verwertung aus – von ihm nicht zu vertretenden Umständen – nicht realisieren konnte.
4. In dem Fall, dass der Täter die Waren wirtschaftlich verwertet, etwa weiter veräußert, hat, ist aufgrund der bestehenden Korrelation zwischen Ware und Verbrauchsteuer eine gleichzeitige Anordnung von Wertersatzeinziehung für die ersparten Aufwendungen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB und des erzielten Veräußerungserlöses gemäß § 375 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, § 74c Abs. 1 StGB ausgeschlossen. Anderenfalls käme es zu einer unzulässigen Doppelerfassung (vgl. BGHSt 28, 369, 370).
In Bezug auf Umsatzsteuerhinterziehungssysteme ist, wenn hinsichtlich derselben (Schein-)Waren mehrfach Umsatzsteuer hinterzogen wurde, im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass das Steueraufkommen des deutschen Fiskus nicht in der Summe der Hinterziehungen der am Hinterziehungssystem beteiligten Firmen, sondern nur im Umfang des jeweils höheren Hinterziehungsbetrages geschädigt wurde (st. Rspr.). Der Schaden, der sich aus den unrichtigen Erklärungen des einen Kettenglieds ergibt, setzt sich im Verhalten der nachfolgenden Glieder nur fort und vergrößert sich allenfalls (vgl. BGHSt 47, 343, 353 f.).
1. „Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist jeder Vermögenswert, der dem Tatbeteiligten durch die rechtswidrige Tat zugeflossen ist, also alles, was in irgendeiner Phase des Tatablaufs in seine tatsächliche Verfügungsgewalt übergegangen und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist. Beim Delikt der Steuerhinterziehung kann die verkürzte Steuer „erlangtes Etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese Steuern erspart (st. Rspr.). Dies gilt jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft.
2. Ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil ergibt sich allerdings nur, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Waren, auf die sich die Hinterziehung der Steuer bezieht, einen Vermögenszuwachs erzielt. Maßgeblich bleibt somit immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten (steuerlichen) Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt.
1. Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung einer Restjugendstrafe ist auch dann nach § 88 JGG zu treffen, wenn die Jugendstrafe gemäß § 89b JGG nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen wird und ihre Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 6 S. 1 JGG an die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde abgegeben worden ist. (BGHSt)
2. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 JGG ist zwingend eine Jugendstrafe mit den Strafrahmen der § 105 Abs. 1, 3, § 18 JGG und keine Freiheitsstrafe nach Erwachsenenstrafrecht zu verhängen. Dieser Vorgabe des Gesetzgebers ist auch in der Folge bei der Vollstreckung der Jugendstrafe Rechnung zu tragen. Der Charakter der verhängten Sanktion als Jugendstrafe ändert sich auch durch die etwaige Herausnahme aus dem Jugendstrafvollzug nicht. (Bearbeiter)
3. In einem Verfahren gegen einen zur Tatzeit Heranwachsenden, bei dem die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 JGG vorliegen, ist für die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht selbst dann kein Raum, wenn sich der Angeklagte im Zeitpunkt seiner Verurteilung bereits im (ggf. fortgeschrittenen) Erwachsenenalter befindet. In einem solchen Fall kommt dem Erziehungsgedanken allerdings bereits bei der Bestimmung von Art und Dauer der jugendrechtlichen Sanktion ein – wenn überhaupt – allenfalls geringes Gewicht zu. (Bearbeiter)
4. § 88 JGG stellt die Entscheidung über die Aussetzung der Restjugendstrafe in das pflichtgemäße Ermessen des Vollstreckungsleiters. Das bedeutet, dass insbesondere das Alter des Verurteilten sowie die weiteren Umstände, dass die gegen ihn verhängte Jugendstrafe gemäß § 89b JGG nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen wird und ihre Vollstreckung an die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde gemäß § 85 Abs. 6 JGG abgegeben worden ist, im Rahmen der durch § 88 JGG eingeräumten Ermessensausübung berücksichtigt werden können. Die genannten Umstände können es im Einzelfall rechtfertigen, an die Regelungen in § 57 StGB angelehnte Erwägungen bei der Ermessensausübung nach § 88 JGG anzustellen. (Bearbeiter)
5. § 57 StGB wird auch nicht im Wege einer „mittelbaren Verweisung“ über § 454 Abs. 1 StPO in Bezug genommen. In der die Abgabe der Vollstreckungsleitung ausdrücklich regelnden Vorschrift des § 85 Abs. 6 JGG wird gerade nicht auf materiellrechtliche Vorschriften verwiesen. § 454 Abs. 1 StPO betrifft nach seiner Stellung im Gesamtgefüge der allgemeinen Vorschriften das Verfahren gegen Erwachsene, ohne auf Besonderheiten des Jugendrechts einzugehen. (Bearbeiter)
1. Berufungen in Jugendsachen sind nach § 41 Abs. 2 Satz 1 JGG der Jugendkammer übertragen. Aus § 103 Abs. 2 Satz 2 JGG ergibt sich nichts anderes, weil diese Vorschrift lediglich ein Instrumentarium für die Lösung von Kompetenzkonflikten bereitstellen sollte, die auf der Ebene der erstinstanzlichen Strafkammern des Landgerichts auftreten. Eine analoge Anwendung auf das Berufungsverfahren kommt nicht in Betracht, weil dadurch die gesetzgeberische Grundentscheidung, Berufungen in Jugendsachen der Jugendkammer zuzuweisen, unterlaufen würde.
2. Die Zuständigkeit der Jugendgerichte ist deshalb im Revisionsverfahren nicht von Amts wegen zu prüfen, sondern nur auf eine Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 4 StPO zu berücksichtigen. Zwar betrachtete die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Verhältnis zwischen den Erwachsenengerichten und den Jugendgerichten zunächst als Frage der sachlichen Zuständigkeit; später hat sich jedoch die Ansicht durchgesetzt, dass die Jugendgerichte keine andersartige sachliche Zuständigkeit haben als die allgemeinen Strafgerichte, ihnen vielmehr nur innerhalb derselben Gerichtszuständigkeit ein besonderer sachlicher Geschäftsbereich zugewiesen ist.
1. Zur Ablehnung einer teleologischen Reduktion des Tatbestands des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. (BGHSt)
2. Nach der Qualifikationsnorm des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG macht sich unter anderem strafbar, wer mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel treibt und dabei eine Schusswaffe oder einen seiner Art nach zur
Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstand mit sich führt. Für die Erfüllung des Tatbestandes reicht es aus, wenn dem Täter die Schusswaffe oder der gefährliche Gegenstand bei einem Teilakt der auf den Umsatz einer nicht geringen Betäubungsmittelmenge bezogenen Bewertungseinheit des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zur Verfügung steht. Nicht erforderlich ist, dass der Täter zugleich auf die Schusswaffe oder den gefährlichen Gegenstand und die Betäubungsmittel zugreifen kann. Tatbestandlich erfasst werden vielmehr das Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstandes auch bei Teilakten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, die dem eigentlichen Güterumsatz vorausgehen oder nachfolgen. So macht sich wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch derjenige strafbar, der etwa bei der Fahrt zur Abholung einer zuvor bestellten Betäubungsmittellieferung oder beim Transport von Rauschgifterlösen eine Schusswaffe oder einen gefährlichen Gegenstand mit sich führt. (Bearbeiter)
3. Dass der Angeklagte nicht vorhatte, die Schusswaffe oder die gefährlichen Gegenstände bei seinen Betäubungsmittelgeschäften zum Einsatz zu bringen, ist ohne Bedeutung. Denn der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt eine tatbezogene Verwendungsabsicht nicht voraus. (Bearbeiter)
4. Eine den Anwendungsbereich der Norm einschränkende Auslegung des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist nicht geboten. Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht tragend erwogen worden ist, Fälle, in denen nach Lage der Dinge schlechterdings keine Gefahr für das geschützte Rechtsgut besteht, im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschrift von der Strafbarkeit nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auszunehmen, folgt der Senat dem nicht. (Bearbeiter)
Im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung verbindet die Bezahlung einer zuvor auf Kommission erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.
Eigennützigkeit setzt ein Streben des Täters nach Gewinn oder nach einem anderen persönlichen materiellen oder immateriellen Vorteil voraus. Eigennützigkeit beschreibt die Handlungsmotivation des Täters bezogen auf die verfahrensgegenständliche Tat; demgegenüber ist Gewerbsmäßigkeit ? insoweit über die einzelne Tat hinausweisend ? nur gegeben, wenn der Täter die Absicht hegt, sich durch künftige wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Die Feststellung von Eigennützigkeit führt daher nicht stets zur Annahme von Gewerbsmäßigkeit, beide Tatmotivationen sind nicht deckungsgleich, so dass die Grundsätze der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe die Annahme von Doppelrelevanz nicht erfordern.