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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2018
19. Jahrgang
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Von Dr. Gerhard Timpe, Regensburg
Im absolutistischen Staat des 18. Jahrhunderts war noch "die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit … das höchste und letzte Gesetz im gemeinen Wesen, und demnach die Regel, danach man alles im gemeinen Wesen zu entscheiden hat, diese: Thue was die gemeine Wohlfahrt befördert und die gemeine Sicherheit erhält. Unterlaß, was die gemeine Wohlfahrt hindert und der gemeinen Sicherheit zuwieder ist"[1]. Mit dem Aufkommen des liberalen Rechtsstaats zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte sich die Frage, welche Gründe strafrechtlicher Verpflichtungen normativ akzeptabel seien, neu. Die Antwort, die Hegel[2] auf diese Frage gab, hat bis heute Gültigkeit. Im liberalen Rechtsstaat beschränkt sich Rechtlichkeit "auf ein Negatives, die Persönlichkeit und das daraus Folgende nicht zu verletzen", mit der Folge, dass es "nur Rechtsverbote" gibt, "und die positive Form von Rechtsgeboten ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen" hat. Jeder hat also nur die Folgen seines eigenen, andere schädigenden Verhaltens zu verantworten. Helfend eingreifen muss aber nur ein besonders Verpflichteter[3]. Denn "ich bin im Recht als einzelner Person für mich, ich soll den Anderen auch in seiner Einzelheit lassen, nicht berühren, nicht stören und er mich ebenso. Die Grundbestimmung ist das gegenseitige Ausschließen, das lassen des Anderen wie er ist"[4]. Hegel entkoppelt damit den Rechtsgrund einer Pflicht von der Verhaltensform, weil negative Pflichten, also Pflichten andere nicht zu schädigen, nicht nur durch ein Tun, sondern auch durch ein Unterlassen verletzt werden können[5]. Dies deshalb, weil ein Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung durch Verbote allein nicht zu garantieren[6] ist. Denn Tun und Unterlassen sind in technischen und sozialen Systemen bereichsweise austauschbar[7], ohne dass sich durch den Austausch der Verhaltensform die Außenwirkungen ändern. Wer z.B. als Autofahrer auf einen anderen zufährt, indem er Gas gibt, verstößt gegen ein Verbot, wenn er ihn verletzt. Lenkt er aber nicht beiseite oder bremst er nicht ab, wenn ein Fußgänger unachtsam auf die Straße tritt, missachtet er eine Gebotsnorm, haftet aber aus dem gleichen Grund, aus dem auch der Begehenstäter haftet, weil das Tun bei einem steten Wechsel der Verhaltensformen, wie z.B. beim Autofahren, keinen anderen Regeln folgen kann, als das Unterlassen. Ist ein Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung durch Verbote allein aber nicht zu garantieren, weil Tun und Unterlassen bereichsweise vertauscht werden können, ohne dass sich die Folgen ändern, muss auch der Haftungsgrund von Tun und Unterlassen in Organisationszuständigkeit derselbe sein[8], Jeder Inhaber eines Organisationskreises hat für die Verkehrssicherheit des von ihm unter Ausschluss aller anderen beanspruchten Bereichs zu sorgen, muss also tätig eingreifen[9], wenn sein Organi-
sationskreis in einen verkehrsunsicheren Zustand zu geraten droht, dies nicht aus Solidarität mit den Gefährdeten, sondern um Schaden von ihnen abzuwenden. Rechtlich maßgeblich ist also nicht die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen, sondern diejenige zwischen positiven, auf das In-Funktion-Setzen einer bestandsnotwendigen Institution gerichteten Pflichten, die ohne den Beitrag des besonders Verpflichteten virtuell bliebe[10], und negativen Pflichten. Die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen betrifft dagegen nur die von der zufälligen und deshalb manipulierbaren Gestaltung der Situation abhängige Frage wie der Inhaber des Organisationskreises organisieren muss, um seine Pflichten zu erfüllen, also nur noch eine "Frage von durchaus sekundärer Bedeutung"[11].
Gegen die Herleitung von Erklärungspflichten aus den "allgemeinen Garantestellungen" wenden sich Schmitz und Wulf[12] mit dem Argument, "dass § 13 StGB (konstruktiv) eine gesetzliche Ermächtigung enthält, die Handlungstatbestände des Besonderen Teils im Wege der Analogiebildung in Unterlassungstatbestände umzuformen". Nach dem "gesetzgeberischen Willen" sei diese "Analogiebildung" durch die Neufassung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aber bereits abschließend erfolgt. "Dieser gesetzgeberische Wille würde umgangen, wenn man die sich aus der Fassung von (§ 370 Abs. 1) Nr. 2 … ergebenden Beschränkungen durch die Anwendung von § 13 StGB … umgehen wollte"[13]. Der Einwand unzulässiger "Analogiebildung" beruht auf dem Missverständnis, dass es "sich bei der (Lehre von den Garantenstellungen) um ein Sondergut der sogenannten unechten Unterlassungsdelikte handelt"[14], das beim Begehen keine Entsprechung" findet, weil dem Begehenden der "Erfolg nicht deswegen zugerechnet (werde), weil er Garant sei, sondern einfach deswegen, weil er ihn bewirkt hat"[15]. Diese Argumentation ist aber schon deshalb unvollständig, weil nicht nur der Unterlassungstäter, sondern auch der Begehenstäter Garant sein muss[16]. Die Garantestellung des Begehenden ist als Sicherungspflicht für den eigenen Körper zwar regelmäßig gegeben, aber doch nicht immer. Beim erlaubten Risiko, dem Handeln auf eigene Gefahr, dem Vertrauensgrundsatz oder dem Regressverbot bedingt der Täter zwar den Erfolg, haftet aber trotzdem nicht aus dem Begehensdelikt, weil der Schadensverlauf (beim erlaubten Risiko) als Unglück erklärt werden kann, oder es sich um eine Gestaltung handelt, bei der der Schadensverlauf durch eine weitere Person (die auch das Opfer selbst sein kann, wie z.B. beim Handeln auf eigene Gefahr) vermittelt wird, ohne dass sich die erste Person auf die Art und Weise der Vermittlung einstellen muss. Wird eine nicht deliktisch befangene Leistung in einem ebenso unauffälligen Kontext erbracht, also z.B. ein Auto verkauft, hat auch dann nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger zu garantieren, dass mit dem Auto keine Rennen auf öffentlichen Straßen unternommen werden, wenn Anlass zu der Annahme bestand, dass das Auto derart verwendet wird.
Um eine Umformung von "Handlungstatbeständen" im Wege der "Analogiebildung" geht es bei den "allgemeinen Garantestellungen" vor allem aber deshalb nicht, weil Pflichteninhalt und Verhaltensform nicht korrespondieren, negative Pflichten gegen andere also nicht nur durch ein Tun sondern auch durch ein Unterlassen verletzt werden können. Ist aber ein "Negatives"[17] das Verbote und Gebote einigende Band, und der Haftungsgrund von Tun und Unterlassen in Organisationszuständigkeit deshalb identisch, gehört zum Begriff der Steuerhinterziehung die Verletzung einer negativen Beziehung, eben die Kränkung des Rechts der Finanzbehörde, nicht in Unkenntnis belassen oder in die Irre geführt zu werden (§ 150 AO), dies mit der Folge, dass das fehlerhafte Verhalten bei der Steuerhinterziehung nicht darin besteht, ein ohne die Leistung des Steuerpflichtigen nur virtuelles Gut nicht herzustellen, sondern darin, dass ein bestehendes Gut (der staatliche Steueranspruch, § 38 AO) weder geschädigt noch gefährdet wird, eine negative Pflicht. In beiden Varianten des § 370 Abs. 1 AO ist das Verhältnis des Erklärenden zum Gut nur-negativ (nicht schädigen) definiert, und die Steuerhinterziehung demgemäß auch in der Unterlassungsvariante kein "echtes Sonderdelikt"[18] (Pflichtdelikt), sondern ein Allgemeindelikt[19]. Denn dem Erklärenden ist in beiden Tatbestandsvarianten des § 370 Abs. 1 AO nur aufgegeben, das Vermögen des Staates zu respektieren, es also durch die Entstellung der Wahrheit weder zu schädigen noch zu gefährden, und der Erklärende demgemäß verpflichtet, so zu organisieren, dass das Steueraufkommen des Staates keinen Schaden nimmt. während die Unterscheidung der Verhaltensformen nur die nachrangige, eher technische Frage betrifft, wie der Pflichtige (ausgehend vom aktuellen[zufälligen]Stand seiner Angelegenheiten) zu organisieren hat, um seinen Pflichten zu erfüllen. Ob der Steuerpflichtige tätig eingreifen muss, weil er fahrlässig falsche Angaben gemacht hat (§ 153 AO), oder die Wahrheit nicht entstellen darf (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), hat mit dem Haftungsgrund nichts zu tun, weil er jeweils die Folgen seiner eigenen Organisationen zu verantworten hat. Die "Mitwirkungspflichten" des Steuerpflichtigen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) präzisieren das garantiewidrige Verhalten, und § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ergänzt den Pflichtenkatalog der Nr. 2[20] um die Verkehrssicherungspflichten ("unrichtige Angaben machen"), die Übernahme (§§ 34, 35 AO) und die Ingerenz[21].
Das ist nicht unbestritten. So ist z.B. Wulf[22] der Ansicht, dass der "Verhaltensnormverstoß" bei der Steuerhinterziehung in der "Nicht-Herbeiführung des intendierten Zustands" bestehe, und folgert daraus[23], dass das "tatbestandliche Unrechtsverhalten … stets in der Verletzung steuergesetzlicher Mitwirkungspflichten" bestehe, das "Merkmal der Pflichtwidrigkeit aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (also in die Nr. 1) zu übernehmen" sei. Die Steuerhinterziehung kann aber schon deshalb kein Pflichtdelikt[24] sein, weil es nicht Aufgabe eines jeden Steuerpflichtigen sein kann, "die Funktionsfähigkeit des Steuersystems insgesamt aufrechtzuerhalten", eine positive Pflicht. Dafür ist nur der Inhaber eines besonderen Status im "System" zuständig, also nur ein Amtsträger, wie z.B. der Leiter eines Finanzamts, dem aufgrund seines Status (und nicht seines Verhaltens) die Pflicht zugeschrieben wird, das "System" Steuerverwaltung in Funktion zu setzen und in Funktion zu halten hat, weil es ohne die Leistung des besonders Verpflichteten virtuell bliebe. Entscheidet z.B. der Inhaber eines Status im "System" Steuerverwaltung eine Steuersache nicht oder falsch, um
einem Steuerpflichtigen einen Gefallen zu tun, schädigt er nicht ein insoweit bestehendes "System", sondern stellt es in seinem Bereich erst gar nicht her[25].
Im Kontext negativer Pflichten ist die Kränkung des dem Staat garantierten Rechts auf Wahrheit in allen Angelegenheiten, die für die Steuerfestsetzung erheblich sind (§ 150 AO), das die Tatbestandsalternativen des § 370 Abs. 1 AO einigende "geistige Band"[26], und der Steuerpflichtige deshalb nicht nur Garant für die pünktliche Abgabe einer Steuererklärung, sondern auch für deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Niemand darf die Finanzbehörden "pflichtwidrig"[27] über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis[28] lassen, dies aber nicht aus Solidarität mit den Finanzbehörden, sondern um das Vermögen des Staates vor Schaden zu bewahren, eine negative Pflicht[29]. Auch bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen verletzt der Steuerpflichtige negativ begründete Handlungsgebote, weil dem Steuerpflichtigen auch in der Unterlassungsvariante des § 370 AO nur aufgegeben ist, dass Vermögen des Staates zu respektieren, also so zu organisieren, dass kein Steuerschaden entsteht. Wie er zu organisieren hat, damit kein Steuerschaden entsteht, sagen ihm die steuerlichen "Mitwirkungspflichten", die darauf zielen, den Finanzbehörden die Kenntnisse zu verschaffen, die sie ohne das tätige Eingreifen der Steuerbürger nicht hätten, aber benötigen, um den Steueranspruch festsetzen und durchsetzen zu können, weil ein Steueranspruch der zwar entstanden (§ 38 AO), den Finanzbehörden aber nicht bekannt ist[30], und von ihnen deshalb auch nicht festgesetzt und durchgesetzt werden kann, keinen vollen Wert besitzt. Erklärungspflichten treffen nicht jeden der zur Aufklärung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts tatsächlich beitragen kann, sind aber auch keine Besonderheit gerade des Steuerstrafrechts. Als Kehrseite von Verkehrssicherungspflichten entstehen Erklärungspflichten z.B. dann, wenn ein Bauunternehmer auf einer öffentlichen Straße eine Grube aushebt, und Passanten deshalb vor der Gefahrenquelle warnen muss. Auf das Steuerstrafrecht übertragen: Gerät ein Gut (der Steueranspruch) bereits dann in Gefahr[31], wenn der Inhaber des Guts (der Staat) nicht weiß, dass das Gut existiert, dann ist dem Inhaber des Guts garantiert, dass der für das Entstehen des Guts Zuständige[32], also derjenige der Einkünfte erzielt, Um-
sätze generiert hat oder Erbe geworden ist, ihn (den Inhaber des Guts) über die Existenz des Guts informiert, damit er es für sich sichern (die Steuer festsetzen) und verwerten, die Steuerschuld also nötigenfalls zwangsweise beitreiben kann. Ebenso, wie ein Bauunternehmer, der eine Grube aushebt, Passanten auf die Gefahr hinweisen muss, ist jeder steuerpflichtige Inhaber eines Organisationskreises, den er von öffentlicher Kontrolle frei verwaltet, verpflichtet, die Finanzbehörden über die in seinem Organisationskreis eingetretenen steuerlich erheblichen Ereignisse in Kenntnis zu setzen, also über die von ihm erzielten Einkünfte informieren (§ 149 AO, § 25 Abs. 3 EStG), eine angefallene Erbschaft anzeigen (§§ 30, 31 ErbStG) oder die von ihm selbst berechnete Umsatzsteuer anzumelden (§§ 150 Abs. 1 Satz 2, 167 AO, § 18 Abs. 1 UStG[33]), wenn die Realisierung des Steueranspruchs anderenfalls gefährdet wäre. Die Mitwirkungspflichten der Steuerbürger sind nur phänotypisch positive Handlungspflichten[34], in der Sache aber negativ (nicht schädigen) begründete Handlungsgebote, die jeden treffen ("wer", § 370 Abs. 1 AO) der durch seinen Verhalten einen Steuertatbestand verwirklicht (§ 38 AO), dies mit der Folge, dass § 370 Abs. 1 AO auch in der Unterlassungsvariante kein Sonderdelikt ist, sondern ein Allgemeindelikt. Zu den Verkehrssicherungspflichten hat Samson[35] den Fall gebildet, dass ein Vater mit "seinem minderjährigen (zur Zollhinterziehung entschlossenen) Sohn die Grenze zu überschreiten beginnt …, als Überwachergarant zwar die Pflicht (habe), den Sohn vom Schmuggel abzuhalten; er ist jedoch nicht verpflichtet, bei der Zollstelle die bereits im Versuchsstadium stehende Tat des Sohnes anzuzeigen, da insoweit Unzumutbarkeit gegeben ist. In diesem Fall scheidet (§ 370 Abs. 1) Nr. 2 (AO) mangels einer Pflicht zur Mitteilung (nach den Zollgesetzen) und wegen Entschuldigung aus. Die Pflicht, den Sohn vom Schmuggel abzuhalten, scheint also nach dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 (AO) nicht strafbewehrt zu sein", ist es aber nicht, weil der Vater als Verkehrssicherungspflichtiger dafür sorgen muss, dass sein minderjähriger Sohn die Zollgesetze nicht verletzt.
Erklärungspflichtig ist der Steuerpflichtige (§§ 33 AO), der als natürliche Person für das Werk seiner Hände, sein Verhalten, sicherungspflichtig[36] ist, also gegenüber den Finanzbehörden zu garantieren hat, dass er seine steuerlichen Pflichten pünktlich[37] und korrekt erfüllt. Ist der Steuerpflichtige Inhaber eines Unternehmens, so ist er nicht nur für sein Verhalten sicherungspflichtig, sondern auch für sein Unternehmen, weil er das Unternehmen (unter Ausschluss aller anderen) nach seinem Belieben organisieren und führen darf. Das Synallagma dieser Freiheit ist die Zuständigkeit des Inhabers des Unternehmens (oder wer für ihn handelt[38], §§ 34, 35 AO[39]) für die Verkehrssicherheit des von ihm beanspruchten Bereichs[40]. Als der für das Unternehmen Sicherungspflichtige ist der Inhaber des Unternehmens als Garant dafür zuständig, dass Erklärungen rechtzeitig abgegeben werden und sich deshalb das unerlaubte Risiko des Unterlassens der rechtzeitigen Abgabe der Erklärungen nicht in der Gefährdung des Vermögens des Staates verwirklicht[41], also ein Steuerschaden entsteht. Der für die Verkehrssicherheit des Unternehmens zuständige Inhaber muss deshalb z.B. tätig eingreifen, wenn er erfährt, dass Mitarbeiter des Unternehmens bei den Finanzbehörden fehlerhafte Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht haben und entweder die Finanzbehörden über den wahren Sachverhalt informieren oder dafür sorgen, dass die fehlerhaften Erklärungen die Finanzbehörden erst gar nicht erreichen[42]. Schreitet er nicht ein, sind ihm die Folgen (§§ 167, 168 AO) aus demselben Grund zurechenbar, aus dem sie ihm zurechenbar wären, wenn er die Erklärungen selbst abgegeben hätte, scil. wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, entweder über den eigenen Körper oder den von ihm unter Ausschluss aller anderen beanspruchten Bereich. Denn wer sonst könnte für Verkehrssicherheit sorgen, wenn nicht der Inhaber eines Organisationskreises, der sich jede Eimischung Außenstehender verbitten darf?
Der Inhaber eines Unternehmens wird regelmäßig Teile der Organisation an Mitarbeiter delegieren, denen er einen Gestaltungsspielraum und die für die Erledigung der übertragenen Aufgaben erforderlichen Weisungsbefugnisse eingeräumt hat. Mit der Delegation der Aufgaben übernehmen diese Mitarbeiter für die in ihrem Aufgabenbereich anfallenden Aktionen die Verkehrssiche-
rungspflichten des Unternehmers[43] (verbindende Arbeitsteilung), und haben deshalb auch gegenüber den Finanzbehörden die rechtzeitige Abgabe der Steuerklärungen des Unternehmens zu garantieren. Die Mitarbeiter, die nicht die für die Übernahme von Aufgaben im Unternehmen erforderliche Eigenständigkeit besitzen, weil sie zur Vertretung des Unternehmens nicht berechtigt, sondern weisungsgebunden (§ 106 GewO) sind, wie z.B die Sachbearbeiter in der Steuerabteilung, sind arbeitsvertraglich zwar verpflichtet, in Krisensituationen helfend einzugreifen und Störungen in den Unternehmensabläufen und sonstige Auffälligkeiten der Unternehmensleitung anzuzeigen[44], also z.B. darauf hinzuweisen, dass der Termin für die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen abzulaufen droht, ersetzen aber nicht die dem Inhaber gegenüber den Finanzbehördenhaben obliegenden Verkehrssicherungspflichten, und haben deshalb auch nicht zu garantieren, dass Erklärungen pünktlich abgegeben werden[45], trennende Arbeitsteilung[46].
Der Steuerpflichtige muss nicht nur dann tätig Eingreifen, wenn das dem Staat garantierte Recht auf den ungeschmälerten Bestand seines Vermögens ohne sein Eingreifen in Gefahr gerät, sondern er muss auch die Schadensverläufe neutralisieren, die die Schutzsphäre der Finanzbehörden bereits erreicht haben[47], dies nicht als Pflicht zum Ersatz eines bereits eingetretenen Schadens, sondern zur Vermeidung von Weiterungen[48], weil die Verkehrssicherungspflichten und die Ingerenz dieselbe systematische Wurzel haben, scil. die Verkehrssicherheit des Organisationskreises des Steuerpflichtigen[49]. Unterschiedlich ist nur die äußere Gestalt des Verhaltens, mit dem der Steuerpflichtige situationsabhängig seine Pflichten zu erfüllen hat. So tritt z.B. für den Geschäftsführer einer GmbH (§ 34 AO) an die Stelle des ursprünglichen Gefährdungsverbots (unrichtige oder unvollständige Angaben machen, § 370 Abs. 1 Nr 1 AO) ein (negativ begründetes) Berichtigungsgebot (§ 153 AO), wenn er dem Rat eines Kollegen folgt und sein Geschäftsführergehalt nicht als Einkünfte deklariert, seinen Fehler später aber, fachkundig beraten, entdeckt und nun verpflichtet ist, sein Steuererklärung zu korrigieren, um doch noch eine richtige Festsetzung seiner Einkommensteuer zu erreichen. Das Tätigwerden in einer, für die Realisierbarkeit des Steueranspruchs bedrohlichen Lage mag phänotypisch zwar als fördernde Hilfe erscheinen, wie z.B. bei der Berichtigung einer fahrlässig falschen Steuererklärung (§ 153 AO), ist in der Sache aber doch nur Sicherung vor den Weiterungen der eigenen Organisationen und deshalb mit dem Haftungsgrund verbotswidrigen Tuns identisch. Nochmals beispielhaft: Wer als Mitglied einer auf den Schmuggel von Zigaretten spezialisierten Bande die Transporte zwar nicht eigenhändig als Fahrer oder Beifahrer ausführt, die Schmuggelfahrten aber gemeinsam mit anderen Bandenmitgliedern veranlasst und vorbereitet hat, ist auch dann Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen, wenn die den Transport Ausführenden gutgläubig waren[50]. Denn gestellungspflichtig (Art. 38, 40 ZK) ist auch derjenige, der den Transport organisiert, "die Zigaretten (also) nicht unverzüglich bei der in Art. 38 ZK bezeichneten Zollstelle gestellen (ließ) und dadurch die Nichtfestsetzung der Einfuhrabgabe" bewirkte[51]. Verbringer ist also nicht nur derjenige, der die Schmuggelware eigenhändig einführt, sondern auch, wer die Einfuhr organisiert[52], und deshalb aufgrund seines vorangegangenen gefahrschaffenden Verhaltens (Ingerenz) zur Gestellung verpflichtet ist. Denn es wäre Formalismus ohne Sinn, alles, was die Mitglieder der Schmugglerbande nicht eigenhändig erledigen, als das Werk fremder Hände zu begreifen.
Ist der Organisationskreis des Steuerpflichtigen in einen verkehrsunsicheren Zustand geraten, und hat der Schadensverlauf die Finanzbehörden sogar schon erreicht, soll der Verursacher der Gefahr nach üblicher Lehre[53] nur dann verpflichtet sein, den Schadensverlauf zu neutralisieren, wenn das Vorverhalten pflichtwidrig gewesen sei, kennt aber zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz, in denen auch rechtmäßiges Handeln zu einer Ingerenzverantwortlichkeit führen kann[54]. So soll z.B. derjenigen der im aggressiven Notstand (§ 34) eine Tür öffnet, um ein Feuer zu löschen, verpflichtet sein, die Tür wieder zu schließen, wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass Diebe in das Haus eindringen. In einer risikobewusst gewordenen und technisch saturierten Gesellschaft kann der Verursacher einer Gefahr auch dann nicht von den Folgen seines Verhaltens distanziert werden, der ein Sonderrisiko in Anspruch genommen hat, das die Welt zu seinem (des Gefahrverursachers) Vorteil gefährlicher gemacht hat, als sie ohne das Verhalten gewesen wäre[55], wie z.B. beim Autofahren oder dem Vertrieb gefährlicher Produkte[56]. Hinweise auf das Vorhandensein eines Sonderrisikos sind Gefährdungshaftungen (§ 7 StVG) und die Absicherung der Ansprüche aus dieser Haftung durch Pflichtversicherungen.
Da den Finanzbehörden Wahrheit in allen Angelegenheiten garantiert ist, die die Steuerfestsetzung betreffen (§ 150 AO), ist jeder Steuerpflichtige (oder wer für ihn handelt, 34, 35 AO) nicht nur verpflichtet, eine richtige und vollständige Steuererklärung abzugeben (Verkehrssicherungspflicht, §§ 90, 149 AO), sondern auch fahrlässig falsche Angaben unverzüglich[57] anzuzeigen[58] und (innerhalb einer angemessenen Frist) zu berichtigen, wenn er nachträglich, aber vor Ablauf der Festsetzungsfrist[59], Kenntnis von ihrer Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit erlangt[60] (Ingerenz, § 153 AO), dies aber nicht aus Solidarität mit den Finanzbehörden, sondern um das Vermögen des Staates vor Schaden zu bewahren. Auch die Pflichten des Steuerpflichtigen nach § 153 AO sind Teil der "ursprünglichen Verbindlichkeiten der Bürger"[61], andere nicht zu schädigen[62], bedürfen also keines "besonderen Rechtsgrundes"[63], wie z.B. das auf Hilfe und Solidarität in einer bereichsweise gemeinsamen Welt gerichtete Eltern-Kind-Verhältnis oder das besondere Vertrauen. Ein Steuerberater, der einen Mandanten zurechenbar falsch berät, ist deshalb zwar nicht nach § 153 AO[64], wohl aber wegen seines Vorverhaltens verpflichtet, seinen Mandanten dazu anzuhalten seine Erklärung zu berichtigen[65] (§ 153 AO) oder (wenn dies misslingt) die Finanzbehörde über den wahren Sachverhalt zu unterrichten, wenn der Mandant seinem Rat gefolgt ist und fahrlässig eine unrichtige oder unvollständige Steuererklärung abgegeben hat[66].
Die Berichtigungspflicht trifft nicht nur denjenigen, der selbst eine unrichtige Erklärung abgegeben hat, und der deshalb schon nach den §§ 33 ff. AO zur Anzeige verpflichtet ist, sondern auch denjenigen, für den eine solche Erklärung von einem nicht anzeigepflichtigen abgegeben wurde[67], Für einen anderen ist eine Erklärung dann abgegeben, wenn derjenige, der die Erklärung abgibt die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten des Steuerpflichtigen tatsächlich übernommen hat, namentlich also ein Steuerberater oder ein Notar[68], die selbst nicht nach § 153 AO anzeige- und berichtigungspflichtig sind. Gibt derjenige, der die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten des Steuerpflichtigen tatsächlich übernommen hat, eine fehlerhafte Erklärung ab, verdichten sich die beim Steuerpflichtigen verbliebenen Kontroll- und Überwachungspflichten zur Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO. - Einem nur-negativ Verpflichteten werden seine Pflichten nicht zugeschrieben, wie z.B. den Eltern ihre Pflichten gegenüber ihren minderjährigen Kindern, die auch dann Hilfe leisten müssen, wenn sie die Erkrankung ihres Kindes nicht verursacht haben, sondern er bestimmt sie durch sein Verhalten (Delegation, Übernahme, Gefahrschaffung) selbst. Ein Steuerpflichtiger ist deshalb nicht verpflichtet, Fehler seiner Erklärung anzuzeigen, die ihre Ursache nicht in seinem Verhalten haben, sondern z.B. in einer geänderten Rechtsprechung, oder die den Finanzbehörden ohne sein Zutun bei der Bearbeitung seines Steuerfalls unterlaufen sind[69].
Der BGH[70] hat zwar entschieden, dass eine "Berichtigungspflicht … auch dann anzunehmen (sei), wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben … billigend in Kauf genommen" und erst später sichere Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben erlangt habe. Die Garantestellung aus Ingerenz nach dem Vollzug des tatbestandsmäßigen Verhaltens ist aber allenfalls von dem Gewicht einer aktiven Beihilfehandlung, und deshalb gegenüber der Pflicht, keine unvollständigen und unrichtigen Angaben zu machen, nur nachrangig. Ihre Verletzung kann also schon deshalb nicht als vollendete Steuerhinterziehung bestraft werden, weil anderenfalls die Förderung der eigenen Tat zu Täterschaft aufgewertet würde[71].
Auch ein Steuerberater, der nicht nur beratend oder bei der Vorbereitung der Steuererklärung seines Mandanten tätig ist[72], kann Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen sein. Träger der Verkehrssicherungspflichten (pflichtwidrig in Unkenntnis lassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) und der Pflichten aus Ingerenz (§ 153 AO) ist zwar der Mandant und nicht der Steuerberater. Muss der Mandant seine steuerrechtlichen Pflichten aber nicht persönlich erfüllen (§ 150 Abs. 2 AO), wie z.B. bei Umsatzsteuervoranmeldungen, Lohnsteueranmeldungen oder Erbschaftssteuererklärungen, kann er sie in garantiebegründender Weise auf seinen Steuerberater übertragen[73]. Übernimmt der Steuerberater die Pflichten des Mandanten tatsächlich und unterschreibt er auch die Steuererklärungen seines Mandanten, sind die Verkehrssicherungspflichten des Mandanten auch seine eigenen Pflichten. Denn die Übernahme ist (neben den Verkehrssicherungspflichten und der Ingerenz) eine weitere Form der Haftung wegen eines Organisationsverhaltens, die z.B. aus der Überleitung von einem Garanten (dem Mandanten) entstehen kann. Derjenige, der eine Pflicht tatsächlich übernommen hat, ist Garant, weil der die Aufgabe Delegierende wegen des Versprechens des Übernehmenden, für Verkehrssicherheit zu sorgen, effektiven anderweitigen Schutz aufgibt, also z.B. einen Buchhalter entlässt, der bisher seine steuerlichen Angelegenheiten betreut hat, oder gar nicht erst besorgt[74], weil er sich darauf verlässt, dass der die Pflicht Übernehmende sich
sorgfaltsgemäß verhält. Ein Steuerberater, der für seinen Mandanten[75] fahrlässig eine unrichtige oder unvollständige, von ihm aber unterschriebene Erklärung abgibt macht sich also wegen Steuerhinterziehung strafbar[76], wenn er seinen Fehler nicht unverzüglich anzeigt.
[1] Christian Wolff, Vernünfftige Gedanken, 6. Aufl., 1736, Nachdruck 1975, § 238; vgl. auch Preußisches Allgemeines Landrecht von 1794, § 73 Einleitung, wonach die Förderung des "Wohl(s) … des gemeinen Wesens" Pflicht eines jeden Bürgers sei.
[2] Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1993, § 38.
[3] Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 14. Aufl., 1847, § 24: "Ohne (besonderen Rechtsgrund) wird man durch Unterlassung kein Verbrecher".
[4] Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1815-1831, Bd. 4, 1974, S. 176; vgl. auch Luden, Abhandlungen aus dem gemeinen teutschen Strafrecht, Bd. 2, 1840, S. 220 f., der normtheoretisch argumentiert, dass "in jedem Gebote immer ein Verbot, sowie umgekehrt in jedem Verbote ein Gebot enthalten sei". "Denn wenn eine Handlung verboten ist, so ist damit geboten, sowie umgekehrt, wenn sie geboten ist, damit verboten ist, dieselbe zu unterlassen"..
[5] Hegel, Die Philosophie des Rechts. Die Vorlesungen von 1821/22, 2005, S. 45, 224, nennt als Beispiel die Verpflichtung zur Vertragstreue. Die Verpflichtung, wirksam zustande gekommene Verträge zu erfüllen, enthalte zwar auch positive Handlungen; "allein die Grundlage bleibt doch negativ; dass ich das, worauf der andere schon ein Recht hat, nicht für mich behalte".
[6] Anders Feuerbach, der in § 24 seines Lehrbuch(s) des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 14. Aufl., 1847, apodiktisch formuliert, dass, dass die "ursprünglichen Verbindlichkeiten der Bürger" nur auf Unterlassungen gerichtet seien, dabei aber verkennt, dass gegenseitige Nichtbeeinflussung durch Verbote allein nicht zu gewährleisten ist, und sich negative Pflichten deshalb auch in Geboten äußern können.
[7] Phillips, Der Handlungsspielraum, 1974, S. 140 ff.; vgl. auch Bender wistra 2004, 368 ff., 371, der darauf hinweist, dass es auch "von der zufälligen Ausgestaltung des materiellen Steuerrechts abhängt, ob eine Steuerhinterziehung unter Nr. 1 oder 2 des § 370 Abs. 1 AO fällt".
[8] Anders Schünemann, Grund und Grenzen unechter Unterlassungsdelikte, 1971, S. 122, der bestreit, dass es möglich sei, Gebote aus dem Sinn und Zweck von Verbotsnormen zu entwickeln. Das Gegenteil ist seit Hegel belegt.
[9] Die Pflicht zu tätigem Eingreifen ist nur phänotypisch eine Pflicht zu positiv solidarischer Zuwendung, genotypisch aber ein negativ begründetes Handlungsgebot, das darauf zurückzuführen sind, dass der Inhaber eines Organisationskreises, z.B. ein Unternehmer, durch seine Inhaberschaft andere von dessen Verwaltung ausschließt und deshalb für dessen Verkehrssicherheit zu sorgen hat, also tätig eingreifen muss wenn Außenstehende ohne seine Mitwirkung in Gefahr gerät. Die übliche Lehre bleibt dem Phänotyp verhaftet; vgl. nur Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 29, 104, der meint, dass der Unterlassende für "fremde Rechtsgüter eine Leistung zu erbringen" habe und "jedes Unterlassungsdelikt (deshalb ein) Sonderdelikt" sei. Verwirklicht also ein Autofahrer, der nicht bremst ein Sonderdelikt, aber ein Allgemeindelikt, wenn er Gas gibt? Können Tun und Unterlassen aber gegeneinander vertauscht werden, ist nicht zu erwarten, dass sich "beim Unterlassen in Organisationszuständigkeit … eine neue Welt der Zurechnung auftut", Jakobs, Theorie der Beteiligung, 2014, S. 53.
[10] Vgl. zu den positiven Pflichten Jakobs, Rechtsgüterschutz? Zur Legitimation des Strafrechts, 210, S. 17 ff. ; ders,. System der strafrechtlichen Zurechnung, 2012, S. 83 ff.; Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, 2013, S. 175 ff.
[11] Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, 1996, S. 35.
[12] Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 332; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 104 ff., 112, 116. 118 f., 122 f. Das "Problem der mangelnden Bestimmtheit der Gleichstellungsklausel in § 13 StGB" stellt sich dann nicht, wenn die Garantenstellungen kraft Organisationszuständigkeit aus dem Grundsatz "neminem laede" hergeleitet werden; Schlepp wistra 2004, 454 ff.; Schuhmann wistra 1994, 45 ff., 46; anders Samson, in: Franzen/Gast/Samson Steuerstrafrecht, 3. Aufl., 1985, § 370 Rn. 77 ff., der zwischen der Nichthinderung der Entstehung eines Irrtums und der Nichtaufklärung eines bereits entstandenen Irrtums unterscheidet. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO regele nur die Nichtbeseitigung bestehender Unkenntnis der Finanzbehörden. Die Nichthinderung des Entstehens eines Irrtums könne deshalb nur über § 13, §§ 369, 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfasst werden; Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 1996, S. 30 ff.; Hoff, Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, 1999, S. 27; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 237, der aber meint, dass "die allgemeinen Garantepflichten … nur eine untergeordnete praktische Rolle" spielen.
[13] Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 332. Schmitz/Wulf machen noch geltend, dass die Unterlassungsvariante überflüssig wäre, weil der "gesetzlich geregelte Unterlassungstatbestand … durch die Anwendung von § 13 StGB als milderes Gesetz (wegen der fakultativen Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB) verdrängt" werde, verkennen dabei aber, dass § 13 Abs. 2 bei einem Unterlassen in Organisationszuständigkeit keinen Anwendungsbereich hat. Denn bei den zugunsten einer Strafmilderung für den in Organisationszuständigkeit Unterlassenden angeführten Gesichtspunkten handelt es sich nicht um .unterlassungsspezifische Umstände, die deshalb nur im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsüberlegungen zur berücksichtigen sind; vgl. dazu Timpe, Die Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, 1983, S. 162 ff.; Lerman GA 2008, 78 ff.
[14] Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 159.
[15] Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 159.
[16] Herzberg JZ 1988, 573 ff., 579; ders., Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, 172 f., 195 f., der zeigt, dass die Herrschaft über den Körper als legitimer Zurechnungsgrund der "Mediatisierung durch den Gedanken der Sonderverantwortlichkeit" bedarf. Der "für die Gefahrenquelle allerverantwortlichste Aktivtäter (erweise sich damit als) ein Garant par excellence"; vgl. auch Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, 2012, S. 27, 35; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 159 ff.
[17] Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1993, § 38
[18] Anders die übliche Lehre, die § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als Sonderdelikt versteht; vgl. nur Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht, 50. Lfg., 2014, § 370 Rn. 87 ff., 276; Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 280 f.; Wulf Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 196 ff.; Gaede Der Steuerbetrug, 2016, S, 733 f., 744 ff. Dagegen spricht, dass bei den Pflichtdelikten regelmäßig die Adresse des besonders Verpflichteten, des Richters, des Amtsvorgesetzten oder der Eltern, genannt wird, weil nicht jedermann verpflichtet ist, der Institution beizustehen, sondern nur der Inhaber eines besonderen Status. Niemand darf Güter anderer durch seine Organisationen schädigen. Helfend eingreifen muss aber nur ein besonders Verpflichteter. Ein den besonders Verpflichtenden charakterisierenden "Statusbegriff" enthält § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aber gerade nicht; vgl. auch BGH DStR 2013, 1177 ff., 1181; Höll wistra 2013, 455 ff.; Bender wistra 2001, 69 ff.; Gaede Der Steuerbetrug, 2016, S, 746 f.
[19] Im Ergebnis ebenso Kuhlen Jung FS, 2007, 445 ff., 450, 457 f. Kuhlen verweist zur Begründung auf den "Gesetzeswortlaut" des § 370 Abs. 1 AO ("wer") und darauf, dass das Merkmal "pflichtwidrig" (wie BGHSt 41, 1 ff., 4 entschieden habe) ein "strafrechtliches Jedermanns-Gebot für einen nicht nach individuellen Merkmalen gekennzeichneten Personenkreis" sei. Handele es sich bei dem Merkmal "pflichtwidrig" aber um ein "Jedermannsgebot", so könne seine "Verletzung nur ein Jedermannsdelikt, nicht aber ein Sonderdelikt begründen"; ähnlich Bender wistra 2004, 368 ff., 371.
[20] Vgl. auch BGH DStR 2013, 1177 ff., wonach sich "Offenbarungspflichten … auch aus den allgemeinen Garantenpflichten (den Verkehrssicherungspflichten, der Übernahme oder der Ingerenz) ergeben" können. Reichen negativ begründete Handlungsgebote aber aus, um "Offenbarungspflichten" zu generieren, so kann es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht um eine "Sonderdelikt" handeln. Denn bei den negativ begründeten Handlungsgeboten werden dem Verpflichteten seine Pflichten nicht aufgrund des Status zugeschrieben, den er in einer unverzichtbaren Institution inne hat, sondern er bestimmt seine Pflichten (wie "jedermann") durch sein Verhalten; ähnlich BGHSt 41, 1ff., wonach die steuerrechtlichen Erklärungspflichten negativ begründete Handlungsgebote und deshalb keine besonderen persönlichen Merkmale (§ 28) seien.
[21] Anders Gaede, Der Steuerbetrug, 2016, S. 736, 739, 743 f., der eine "Erweiterung des § 153 AO" vorschlägt, um "Vorhersehbarkeitsmängel zu vermeiden"; denn es sei nicht Aufgabe des § 13 Abs. 1, als "Auffangtatbestand" die "Lücken einer vom Gesetzgeber ausgestalteten Unterlassungsstrafbarkeit" zu füllen
[22] Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 154, 196 ff., 204, 206; Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 283; ähnlich Hoff, Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, 1999, S. 108, der argumentiert, dass jeder Steuerpflichtige "Teil einer steuerrechtlichen Solidargemeinschaft (sei), die das Gemeinwesen Staat finanziell trägt".
[23] Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 141.
[24] Die Lehre vom Pflichtdelikt hat den Vorteil, dass die Unterscheidung der Verhaltensformen zur Nebensache wird, da bei den Pflichtdelikten jeder Pflichtige unabhängig davon Täter ist, ob er getan oder unterlassen hat; zu den Pflichtdelikten grundlegend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 9. Aufl., 2015, S. 352 ff., 452 ff.; vgl. auch Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, 2012, S. 85 ff.
[25] Vgl. dazu Jakobs, Rechtsgüterschutz? Zur Legitimation des Strafrechts, 2012, S. 17 f.
[26] Weidemann Herzberg FS, 2008, 289 ff., 303. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist also nicht, wie Hoff, Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, 1999, S. 54 f., meint, "inkongruent".
[27] Das Moment der Pflichtwidrigkeit ist keine Besonderheit gerade des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, sondern ist sämtlichen Delikten eigen, weil jeder Täter eines Delikts Garant sein muss, auch der Täter einer Steuerhinterziehung durch Tun, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die Garantenpflicht des Begehenstäters ist als Sicherungspflicht für den eigenen Körper zwar regelmäßig vorhanden, kann aber ausnahmsweise fehlen, wenn der Täter im erlaubten Risiko oder das Opfer auf eigene Gefahr handelt, ferner beim Regressverbot (trennende Arbeitsteilung) um dem Vertrauensgrundsatz, vgl. dazu Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, 2012, S. 27, 35; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 159 ff. Die übliche Lehre entscheidet anders und rechnet dem Begehenstäter den Erfolg zu, nicht weil er ihn als Garant zu vermeiden hatte, sondern weil er ihn verursacht hat, Gimbernat-Ordeig ZStW 111, 1999, 307 ff., 333 f.
[28] Der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO stellt sicher, dass die Finanzbehörde über die für die Steuerfestsetzung erforderlichen Informationen verfügt. In Unkenntnis befindet sich die Finanzbehörde deshalb schon dann, wenn die Verwertbarkeit der (Ist-)Informationen hinter der Verwertbarkeit des (Soll-)Informationen (der Kenntnisstand der Finanzbehörde bei vollständiger Erfüllung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen) zurückbleibt, Jakobs JR 1983, 421 ff. Abzustellen ist also auf die bei der Finanzbehörde vorhandene Beweislage; ähnlich BayObLG wistra 1990, 159 ff., 162; BGH wistra 2000, 64 ff.; Herbertz HRRS 2012, 318 ff., 330; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 169 f.; vgl. auch Schauf/Höpfner PStR 2017, 13 5 ff.
[29] Im Ergebnis ebenso Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 237, der anmerkt, der "behördenfremde Bürger nicht >Hüter< des Steueranspruchs ist", daraus aber keine systematischen Konsequenzen zieht; anders Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 128; "partielle Beschützergarantenpflicht".
[30] Nicht jede Mitwirkungspflicht ist auch eine Garantepflicht. Daran fehlt es z.B. bei den Pflichten, die den Finanzbehörden Kenntnis von der Person des Steuerpflichtigen verschaffen sollen, §§ 137 ff AO; vgl. dazu Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht, 43. Lfg., 2010, § 370 Rn. 316.
[31] Nicht gefährdet zu werden, ist dem Inhaber des Guts garantiert.
[32] Gefahrschaffend ist das Verhalten, das den Steueranspruch zum Entstehen bringt, dessen Durchsetzbarkeit ohne die Mitwirkung des Steuerschuldners aber gefährdet ist. Der staatliche Steueranspruch war vor der Verwirklichung eines Steuertatbestands zwar nicht vorhanden, entsteht aber als rechtlich vor Gefährdungen geschütztes Gut; anders Samson/Horn NJW 1971, 1686 f.; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 126, der aber einräumt, dass der "Verwirklichung des Steuertatbestands … die Hervorrufung der Gefahr insoweit immanent (sei), als die Behörde keine Kenntnis von dessen Entstehung" habe. Den Finanzbehörden ist zwar nicht das Vorhandensein von Steueransprüchen garantiert, wohl aber deren Durchsetzbarkeit, vgl. BGHSt 24, 178 ff., 181. Die Durchsetzbarkeit eines Steueranspruchs wiederum hängt von der Kenntnis der Finanzbehörden vom Vorhandensein des Anspruchs, und damit von der Mitwirkung des Steuerpflichtigen ab, ist also gefährdet, wenn den Finanzbehörden nicht garantiert ist, dass der Steuerpflichtige z.B. Umsätze anmeldet oder erzielte Einkünfte erklärt, ein negativ begründetes Handlungsgebot. So wie derjenige, der einen fremden Acker besät, verpflichtet ist, dem Eigentümer (§§ 946, 94 BGB) zu offenbaren, was er angerichtet hat, damit der Eigentümer (um Weiterungen vorzubeugen) die Saat entweder beseitigen oder für sich sichern kann, ist auch ein Steuerpflichtiger, der einen Steuertatbestand verwirklicht, verpflichtet, die Steuerbehörde davon in Kenntnis zu setzen, damit die für die Sicherung des Anspruchs erforderlichen Maßnahmen getroffen werden können. Es ist zwar nicht verboten, Einkünfte zu erzielen, zu erben oder Umsätze zu tätigen. Die Einbeziehung rechtmäßig geschaffener Gefahren ist bei den Verkehrssicherungspflichten aber allgemein anerkannt. Auch ein Autofahrer, der sich ordnungsgemäß verhält, muss bremsen, wenn ein Fußgänger unachtsam auf die Straße tritt; vgl. nur Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 183.
[33] Die Vollendung der Steuerhinterziehung tritt mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraum ein, Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 248.
[34] Vgl. nur Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, 2013, S. 175.
[35] Samson, in: Franzen/Gast/Samson Steuerstrafrecht, 3. Aufl., 1985, § 370 Rn. 80.
[36] Jakobs Yamanaka FS, 2017, 105 ff., 114 Fn. 46.
[37] Die verspätete Abgabe einer Steuererklärung steht der Nichtabgabe gleich, wie sich aus § 370 Abs. 4 Satz 1 AO ergibt, wonach auch die nicht rechtzeitige Steuerfestsetzung ein Verkürzungserfolg ist.
[38] Schmidt-Salzer NJW 1988, 1937 ff., 1938: "Einzelunternehmer werden immer seltener".
[39] Der Inhaber eines Unternehmens kann eine natürliche oder eine juristische Person sein. Ist der Inhaber eine juristische Person, richtet sich die Zuständigkeit für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten des Unternehmens nach den §§ 34, 35 AO, liegt also z.B. bei den Geschäftsführern einer GmbH, den Vorständen einer AG oder bei dem Verfügungsberechtigten; vgl. zum Begriff des Verfügungsberechtigten BGH DStR 2013, 1177 ff.; zum faktischen Geschäftsführer vgl. Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht, 40. Lfg., 2009, § 370 Rn. 100 ff. Sind mehrere Personen gesetzliche Vertreter des Steuerpflichtigen, obliegt ihnen die Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten des Unternehmens im Außenverhältnis auch dann gemeinschaftlich, wenn intern nur einer von ihnen für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten zuständig ist (§ 34 AO). Vertraut der nach der intern getroffenen Aufgabenverteilung Unzuständige aber darauf, dass der Zuständige seine Aufgaben ordnungsgemäß erledigen wird und hat er auch keinen Anlass zu Misstrauen, handelt er ohne Vorsatz, wenn der intern Zuständige versagt, und der Vertrauende nicht dafür sorgt, dass Steuererklärungen rechtzeitig abgegeben werden; vgl. dazu Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht, 43. Lfg., 2010, § 370 Rn. 294; Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 326 ff.
[40] Vgl. dazu Otto Schroeder FS, 2010, 339 ff., 341.
[41] Ransiek Puppe FS, 2010, 1269 ff., 1277.
[42] Vgl. zur Geschäftsherrenhaftung Timpe StraFo 2016, 237 ff .
[43] Solange nichts gegen ihre Zuverlässigkeit spricht, darf der Inhaber des Unternehmens auf die ordentliche Erledigung der Aufgaben vertrauen, Vertrauensgrundsatz; vgl. dazu Timpe StraFo 2016, 7 ff.
[44] Vgl. zur arbeitsvertraglichen "Kernpflicht (eines jeden Beschäftigten) zur Informationsweitergabe", Rönnau/Schneider ZIP 2010, 56 ff., 59
[45] Im Ergebnis ebenso Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 335; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 244 f.
[46] Bei der trennenden Arbeitsteilung (Regressverbot) fehlt dem Verhalten bei objektiver Betrachtung der deliktische Sinnbezug; grundlegend dazu Jakobs ZStW 89, 1977, 1 ff., 15 ff. ders. Herzberg FS, 2010, 395 ff. ders. Theorie der Beteiligung, 2014, S. 28 ff. Der Sachbearbeiter hat zwar arbeitsteilig zum Gelingen der Steuerhinterziehung beigetragen, aber nur durch eine fix definierte Leistung, so dass nicht er, sondern der Steuerpflichtige zu garantieren hat, dass es nicht zur Schädigung des Vermögens des Staates kommt, weil er sein Verhalten nicht spezifisch auf eine deliktischen Planung zugeschnitten hat.
[47] Anders Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, S. 315 ff., der sich mit dem Argument gegen die Garantenstellung aus vorangegangenem gefährdenden Tun wendet, dass der Unterlassende mangels aktueller Erfolgsbeherrschung lediglich das Unrecht eines qualifizierten echten Unterlassungsdelikts verwirkliche; Schünemann, Amelung FS, 2008, 303 ff., 313 rehabilitiert des Ingerenzgedanken aber stillschweigend wieder, wenn er die "Herrschaft über das zur Rechtsgutsverletzung führende Geschehen" ausreichen lässt; dazu kritisch Timpe HRRS 2017, 272 ff., 276 ff.
[48] Vgl. dazu Timpe HRRS 2017, 272 ff.
[49] Vgl. zur Herleitung der Ingerenz aus dem Grundsatz neminem laede Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, 1996, S 17 ff.; Timpe, Die Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, 1983, S. 175, 187; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, 2012, S. 180 ff.
[50] Unterstellt, dass es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO um ein Sonderdelikt handelt, ist der Hintermann auch dann nicht mittelbarer Täter einer Steuerhinterziehung, wenn der gutgläubige Vordermann nicht nur die Gestellung der Schmuggelware unterlässt, sondern anschließend eine unzutreffende summarische Anmeldung der transportierten Ware abgibt (Art. 47 ZK), also unrichtige Angaben macht. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist zwar ein Jedermannsdelikt, und Beteiligung deshalb nach den allgemeinen Regeln möglich. Die "Einfuhrabgaben (sind aber) schon infolge der Nichtgestellung entstanden …und (können durch die nachfolgende unrichtige Erklärung des gutgläubigen Vordermanns) nicht noch einmal entstehen", Weidemann wistra 2006, 45 ff., 46; anders Kuhlen Jung FS, 2007, 445 ff. 453, der den Verkürzungserfolg für "graduierbar" hält.
[51] BGH wistra 2007, 224 ff.; anders wohl EuGH ZfZ 2005, 192 ff.; vgl. dazu Bender wistra 2004, 368 ff.; Weidemann wistra 2003, 241 ff.
[52] Vgl. jetzt auch Art. 95 Abs. 1 lit. B, Art. 4 Nr. 27 MZK, VO (EG) Nr. 450/2008 v. 23.4.2008, ABl. EU Nr. I. 145 v. 4.6.2008, I.
[53] Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz, 1966, S. 153, 157 ff., 167; ders. JR 1974, 160 ff.; ders. JR 1987, 162 ff., Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 238.
[54] Zusammenfassend Sowada Jura 2003, 238 ff
[55] Jakobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., 1991, 39/42; ders. BGH FG Bd. IV, 2000, 29 ff., 43 ff.; vgl. auch Otto Hirsch FS, 1999, 291 ff., 307 f.; Freund JuS 1990, 213 ff.; Kuhlen NStZ 1990, 566 ff., 568; Beulke/Bachmann JuS 1992, 737 ff., 740; Hoyer GA 1996, 160 ff. 175 ff., der ergänzend anmerkt, dass "rechtmäßiges Vorverhalten" dann genüge, wenn die Pflicht aus Ingerenz als "Korrelat für die gezogenen Vorteile" erscheine, und es deshalb einer "gerechten Lastenverteilung (entspreche), zur Bewältigung der eingegangenen Risiken primär diejenigen heranzuziehen, denen der damit verbundene Nutzen … tatsächlich zugeflossen ist".
[56] BGHSt 37, 108 ff.
[57] Zum Begriff Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 315, 317; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 265.
[58] Hat der Steuerpflichtige keine Erklärung abgegeben, so ist er dazu nicht etwa nach § 153 AO verpflichtet, sondern nach § 149 AO; vgl. dazu Samson wistra 1990, 245 ff., 248.
[59] Die Erfüllung der Anzeige- und Berichtigungspflicht nach einer fahrlässig fehlerhaften Erklärung kann eine geschehene Steuerverkürzung (§ 378 AO) nicht ungeschehen machen, und ihre Verletzung führt dann zu keiner weiteren Steuerverkürzung, wenn die Steuer bereits aufgrund der unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Steuerpflichtigen falsch festgesetzt worden ist (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO), der Verkürzungserfolg also nicht auf der Verletzung der Anzeige- und Berichtigungspflicht beruhen kann, weil die Steuerhinterziehung kein Dauerdelikt ist, BGH DStR 2013, 1177 ff.; vgl. auch Samson wistra 1990, 245 ff., 247, der aber erwägt, dass Ausbleiben eines Berichtigungsbescheids (§ 173 AO) als steuerrechtlichen Erfolg (Belassen eines ungerechtfertigten Steuervorteils) anzusehen; dazu kritisch Hoff, Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, 1999, S. 96 f.; Wulf PStR 2009, 190 ff., 194, der eine "Kaskade von gewissermaßen täglich erneut begangenen Steuerhinterziehungen" befürchtet; die Folge wäre die "Abschaffung der Strafverfolgungsverjährung". Die Verpflichtung zur Anzeige und Berichtigung unrichtiger oder unvollständiger Angaben nach der Festsetzung der Steuer ist systematisch ein Nachtatverhalten (§ 46), das die Strafe wegen der bereits geschehenen Steuerverkürzung nicht nur mindert, sondern auch dann ganz entfallen lässt, wenn die Berichtigung noch nicht erfolgt ist und die verkürzte Steuer nicht nach gezahlt wurde; anders Samson wistra 1990, 245 ff., 247 f., der meint, dass die Berichtigung "in der Regel" als Selbstanzeige (§ 378 Abs. 4 AO) anzusehen sei. Das nutzt dem Berichtigungspflichtigen aber dann nichts, wenn ihm die Mittel zur Nachzahlung fehlen, die "Kollision" mit "dem Nemo-tenetur-Prinzip" insoweit also bestehen bleibt.
[60] Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 310. Es reicht aus, dass der Steuerpflichtige damit rechnet, dass seine Angaben fehlerhaft sind.
[61] Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Aufl., 1847, § 24.
[62] Ebenso Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht 49. Lfg., 2013, § 370 Rn. 335: "§ 153 Abs. 1 AO stellt einen gesetzlich geregelten Fall einer Garantestellung kraft vorangegangenen Tuns dar", also ein negativ begründetes Handlungsgebot.
[63] Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Aufl., 1847, § 24.
[64] BGH wistra 1996, 184 ff.
[65] Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 1996, S. 38; anders Jessen BB 2011, 1431 ff., 1432. Steuerberater leben offenbar in einer paradoxen Welt. Sie sind zwar durch die Erwartung definiert, dass sie die steuerlichen Angelegenheiten ihrer Mandanten korrekt erledigen. Unterläuft ihnen aber ein Fehler, verhalten sie sich so, als ginge sie das, was sie angerichtet haben, nichts an.
[66] Anders Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S. 115 Fn. 314, der einwendet, dass die "Mitwirkung des Steuerberaters für diesen nicht pflichtenbegründend wirken" könne, da bei "einer falschen Steuererklärung vielfach nur ein Unterlassen und damit keine Verursachung vorliegt". Wulf verkennt, dass negative Pflichten auch durch Unterlassen verletzt werden können. So verursacht ein Autofahrer, der nicht bremst, wenn ein Fußgänger unachtsam auf die Straße tritt, "pflichtwidrig" eine Gefahr, die zu bereinigen er (z.B. durch Ausweichen) verpflichtet ist, wenn Bremsen nicht mehr möglich sein sollte.
[67] Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 264.
[68] BGH NStZ 2009, 273 ff.
[69] vgl. auch Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht, 49. Lfg., 2013, § 370 Rn. 335.
[71] Kritisch auch Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht, 49. Lfg., 2013, § 370 Rn. 337, der befürchtet, dass durch "die Berichtigungspflicht die Verjährungsfrist ausgehebelt" und das "Nemo-tenetur-Prinzip" verletzt werde; Wulf PStR 2009, 190 ff.; Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 308; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht, 8. Aufl., 2015, § 370 Rn. 263; Hellmann Achenbach FS, 2011, 141 ff., 153 ff.; Samson wistra 1990, 245 ff., 246; Weidemann wistra 2010, 5 ff., 7.
[72] Ist der Steuerberater nur beratend oder unterstützend bei der Erstellung der Steuererklärung des Mandanten tätig, indem er z.B. ihm vom Steuerpflichtigen überlassene Belege zusammenstellt und auf deren Grundlage einen Jahresabschluss erstellt, hat nicht die Richtigkeit und Vollständigkeit der Steuererklärung des Steuerpflichtigen zu garantieren, sondern nur die korrekte Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben. Der nur beratend oder unterstützend tätige Steuerberater ist dienstvertraglich zwar verpflichtet, seinen Mandaten z.B. auf die Berichtigungspflicht des § 153 AO hinzuweisen, wenn er erkennt, dass sein Mandant unwissentlich eine fehlerhafte Erklärung abgegeben hat. Er muss sich aber auch dann nicht darum kümmern, wie der Mandant an seine Gestaltungsvorschläge anschließt, wenn er vermutet oder sogar weiß, dass der Mandant plant, Steuern zu hinterziehen, trennende Arbeitsteilung, Regressverbot; vgl. auch Ransiek Puppe FS, 2010, 1269 ff. 1280.
[73] Anders Schmitz/Wulf, in: MK StGB, 2. Aufl., 2015, § 370 Rn. 334; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001, S.116 Fn. 316, der die Regelung der §§ 34, 35 AO für abschließend hält und zudem anmerkt, dass ein "Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit dem Steuerpflichtigen … regelmäßig nicht zum Schutz … des Steuergläubigers" bestehe. Es gibt aber auch Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
[74] Anders Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 182 ff., der die Übernahme einer Schutzaufgabe als solche genügen lässt, also nicht danach fragt, ob der Begünstigte anderweitigen Schutz aufgegeben oder gar nicht erst beschafft hat. Damit geht aber die legitimationstheoretisch wesentlich Unterscheidung zwischen positiven, auf das In-Funktion-Setzen einer ohne den Beitrag des besonders Verpflichteten nur virtuellen, für den Bestand der Gesellschaft aber unverzichtbaren Institution, wie z.B. das Eltern-Kind-Verhältnis, und den negativen, auf die Neutralisierung von Gefahrenquellen gerichteten Pflichten verloren
[75] Gibt der Steuerberater für seinen Mandanten eine unrichtige oder unvollständige Erklärung ab und erkennt der Mandant die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung, so haftet er neben dem Steuerberater, wenn er seine Anzeige- und Berichtigungspflicht (§ 153 AO) verletzt.
[76] Vgl. zu den Pflichten eines Notars BGH NStZ 2009, 273 ff.