HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2018
19. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

491. BGH 5 StR 538/17 - Beschluss vom 12. April 2018 (LG Göttingen)

Begriff und Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Insolvenzstrafrecht (betriebswirtschaftliche Methode; wirtschaftskriminalistische Methode; stichtagsbezogene Gegenüberstellung; Abgrenzung zur Zahlungsstockung; Drei-Wochen-Frist; Beweisanzeichen); Anforderungen an die Anklageschrift bei Anklage wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (Umgrenzungsfunktion; Informationsfunktion; Heilung durch richterlichen Hinweis).

§ 266a StGB; § 283 StGB; § 15a InsO; § 200 StPO

1. Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt in der Regel durch die betriebswirtschaftliche Methode. Sie setzt eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraus. Zur Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung ist diese Methode um eine Prognose darüber zu ergänzen, ob innerhalb der Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit hinreichend sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen.

2. Daneben kann eine Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO auch durch wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen belegt werden. Als solche Warnzeichen kommen beispielsweise in Betracht die ausdrückliche Erklärung, nicht zahlen zu können, das Ignorieren von Rechnungen und Mahnungen, gescheiterte Vollstreckungsversuche sowie die Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern, der Sozialversicherungsabgaben oder der sonstigen Betriebskosten.

3. Bei einer Anklage wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) genügt es für die Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage, wenn der Anklagesatz die Stellung des Angeklagten als Arbeitgeber, seinen Geschäftsort, die Einzugsstelle und die dieser gegenüber zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge – aufgeschlüsselt nach Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen – zu konkret bezeichneten Beschäftigungs- und Beitragsmonaten mitteilt.

4. Erforderlich sind mit Blick auf die Umgrenzungsfunktion der Anklage dagegen weder nähere Angaben zu den Einkünften der einzelnen Arbeitnehmer und zu dem jeweiligen Berechnungssatz für die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge noch Differenzierungen nach einzelnen Personen bei der Auflistung der nach Beschäftigungsmonaten abgegrenzten Taten. Insoweit bestehende Mängel in der Informationsfunktion der Anklageschrift lassen sich im weiteren Verfahren durch gerichtliche Hinweise zur Gewährung rechtlichen Gehörs beheben.


Entscheidung

500. BGH 2 StR 1/18 - Beschluss vom 18. April 2018 (LG Bonn)

Konkurrenzen (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln).

§ 29 Abs. 1 BtMG; § 29a Abs. 1; § 30 Abs. 1 BtMG; § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB

1. Beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln steht der Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG in Gesetzeskonkurrenz zum Grundtatbestand nach § 29 Abs. 1 BtMG sowie zu den weiteren Qualifikationstatbeständen nach § 29a Abs. 1 und § 30 Abs. 1 BtMG. Bei Gesetzeskonkurrenz entfaltet, ebenso wie bei Tateinheit gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB, das zurücktretende Delikt zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe.

2. Für die nach dem verdrängenden und dem verdrängten Strafgesetz zu vergleichenden Mindeststrafen gilt, da es um die Ermittlung der gerechten Strafe geht, eine konkrete Betrachtung, so dass auch jeweils vorliegende spezialgesetzliche oder im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches vorgesehene Strafmilderungsgründe zu berücksichtigen sind.