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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2018
19. Jahrgang
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1. Die zur Ausfüllung des Straftatbestands der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vorgenommene Auslegung von § 3a Abs. 4 Nr. 1 UStG in der Fassung vom 13. Dezember 2006, wonach der dort verwendete Begriff der „ähnlichen Rechte“ Emissionszertifikate einschließt, verstößt weder gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG noch gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gemäß Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. (BGHSt)
2. Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist Auslegung des Begriffs der „ähnlichen Rechte“ in der Mehrwertsteuerrichtlinie durch den EuGH auch im Rahmen des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) zugrundezulegen; denn § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 1 UStG in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung setzt die unionsrechtlichen Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in nationales Recht um. (Bearbeiter)
3. Da es sich in § 3a Abs. 4 Nr. 1 UStG a.F. um eine steuerrechtliche Vorschrift handelt, ist die Ähnlichkeit anderer Rechte nicht aus dem Blickwinkel des Rechts des geistigen Eigentums zu bestimmen, sondern aus der „Außensicht“ des Steuerrechts, der eine wirtschaftliche Betrachtungsweise immanent ist. Es kommt also auf die steuerrechtliche Vergleichbarkeit an. Da das Gesetz weder den Grad der Ähnlichkeit noch ihre Kriterien benennt, ist die Wortsinngrenze selbst dann nicht überschritten, wenn die Rechte, die unter § 3a Abs. 4 Nr. 1 UStG a.F. subsumiert werden, nur in einem einzigen Kriterium, das steuerrechtliche Bedeutung haben kann, übereinstimmen. Keine Bedeutung hat demgegenüber die Frage, ob es sich nach zivilrechtlicher Bewertung um ein „ähnliches Recht“ handelt. (Bearbeiter)
4. Zum Gewährleistungsinhalt des Art. 103 Abs. 2 GG gehört die den Gesetzgeber treffende Verpflichtung, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen (vgl. BVerfGE 105, 135, 153). Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie. Ausgeschlossen ist dabei jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Der mögliche Wortsinn markiert die äußere Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (st. Rspr.). (Bearbeiter)
5. Bei Blankettstrafgesetzen unterliegen neben der Strafnorm auch die sie ausfüllenden Vorschriften den sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei § 370 Abs. 1 AO um eine solche Blankettstrafnorm, die durch die Vorschriften der Einzelsteuergesetze ausgefüllt wird. Daher ist auch die Auslegung und Anwendung der ausfüllenden steuerrechtlichen Vorschriften am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen (vgl. BVerfG wistra 2011, 458 mwN). (Bearbeiter)
6. Für die Bestimmung des möglichen Wortsinns können gesetzessystematische und teleologische Erwägungen von Bedeutung sein (vgl. BVerfG wistra 2011, 458). Die für das Verbot strafbegründender Analogie maßgebliche Wortbedeutung erschließt sich bei dem hier maßgeblichen Begriff der „Ähnlichkeit“ erst durch den Vergleich. Der mögliche Wortsinn, der „die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation“ absteckt, ergibt sich daher nicht aus dem Wort selbst, sondern aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Vorschrift. Um den Wortsinn zu ermitteln, ist daher der Zusammenhang des Normgefüges in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 82, 236, 270). (Bearbeiter)
7. Die Frage, ob der Tatbestand der Strafnorm „gesetzlich bestimmt“ im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG ist, kann auch davon abhängen, an welchen Kreis von Adressaten sich die Vorschrift wendet (vgl. BVerfGE 87, 399, 411). Die Sinngrenze ist also nach dem Verständnis des jeweiligen Normadressaten, mithin aus dem Empfängerhorizont des Bürgers zu bestimmen (vgl. BVerfGE 73, 206, 235). Richtet sich die Strafnorm ausschließlich an Personen, bei denen aufgrund ihrer Ausbildung oder praktischen Erfahrungen bestimmte Fachkenntnisse regelmäßig vorauszusetzen sind, begegnet die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auch dann keinen Bedenken, wenn der Adressat aufgrund seines Fachwissens imstande ist, den Regelungsinhalt solcher Begriffe zu verstehen und ihnen konkrete Verhaltensanforderungen zu entnehmen. (Bearbeiter)
8. Das nach objektiven Maßstäben zu bestimmende Merkmal des Regelbeispiels der Hinterziehung „in großem Ausmaß“ ist bereits dann erfüllt, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 Euro übersteigt (vgl. BGHSt 61, 28). Werden steuermindernde Tatsachen geltend gemacht, bleibt es bei der Wertgrenze von 50.000 Euro. Diese Grundsätze sind auch in Fällen der Beihilfe anzuwenden (vgl. BGH NStZ 2012, 637). Bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist aber für die Strafrahmenwahl nicht entscheidend, ob sich die Tat des Haupttäters, zu der Beihilfe geleistet wird, als besonders schwerer Fall erweist; zu prüfen ist vielmehr, ob sich die Beihilfe selbst – bei Berücksichtigung des Gewichts der Haupttat – als besonders schwerer Fall darstellt (st. Rspr.). (Bearbeiter)
9. Der Hinterziehungsbetrag ist zwar ein bestimmender Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung, der eine an der Höhe der verkürzten Steuern ausgerichtete Differenzierung der Einzelstrafen nahelegt (vgl. BGH wistra 1998, 269, 270). Allein das Ausmaß der Steuerverkürzung kann jedoch nicht in dem Sinne ausschlaggebend für die Strafhöhenbemessung sein, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrages schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen. Bereits bei der Strafrahmenwahl hat das Tatgericht damit dem typisierten Milderungsgrund der Beihilfe und den besonderen beihilfebezogenen Umständen, wie etwa dem Gewicht der Beihilfehandlungen, angemessen Rechnung zu tragen. (Bearbeiter)
1. Sport im Sinne des AntiDopG ist nicht nur der Leistungssport, sondern auch der nicht mit Wettkampfteilnahmen verbundene Breiten- und Freizeitsport. Dem Begriff des Sports unterfällt auch der gezielte, mit körperlichen Anstrengungen verbundene Muskelaufbau im Rahmen von Kraftsport.
2. Verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich der strafrechtlichen Sanktionierung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 2 Abs. 3 AntiDopG bestehen entgegen dem Revisionsvorbringen nicht. Die Regelung über die Vorfeldstrafbarkeit ist hinreichend bestimmt. Der Gesetzgeber hat zudem im Rahmen von § 2 Abs. 3 AntiDopG die Strafbarkeit auf den Besitz nicht geringer Dopingmittelmengen beschränkt und damit der fehlenden Strafwürdigkeit des Besitzes kleinerer Mengen zum Eigenkonsum und einer damit einhergehenden eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Rechnung getragen.
1. Dem Tatgericht obliegt es bei einer Verurteilung nach § 266a Abs. 1 StGB, die geschuldeten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 1996, 543), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 376).
2. Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (vgl. BGH NStZ 2010, 635). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 376). Deshalb genügt es nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben (vgl. BGH NJW 2002, 2480, 2483). Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (vgl. BGH StV 1993, 364).
3. Zwar kann ein Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt, andere Straftaten, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinanderstehen, zur Tateinheit verbinden, wenn es seinerseits mit jeder dieser Straftaten tateinheitlich zusammentrifft. Diese Wirkung tritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber dann nicht ein, wenn eine minderschwere Dauerstraftat jeweils mit schwereren Gesetzesverstößen zusammentrifft (vgl. BGH NStZ 2013,158 mwN). Die Vergehen der Beihilfe zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG sind aufgrund ihres geringen Gewichts nicht geeignet, die übrigen Taten zu verklammern, so dass die Beihilfe nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG jeweils tateinheitlich neben die übrigen Taten tritt.
1. Die Erwägung im Rahmen der Strafzumessung, der Angeklagte habe die Schleusungsfahrten „geschäftsmäßig organisiert“, geht über das Merkmal „gewerbsmäßig“ des § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG hinaus. Da gewerbsmäßig nur die Absicht umschreibt, sich eine
fortlaufende Einnahmequelle zu sichern, aber nicht notwendig eine geschäftsmäßige Organisation umfasst, liegt keine unzulässige Doppelverwertung vor.
2. In unionsrechtlichen Rechtsquellen ist unter dem gewöhnlichen Aufenthalt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Kern der Mittelpunkt der Lebensinteressen einer Person zu verstehen, der aufgrund einer Gesamtabwägung der tatsächlichen Umstände (wie Dauer des Aufenthalts, soziale und familiäre Bindungen, Beweggründe) zu bestimmen ist. Dafür, dass der Regelungskontext und der Zweck des Art. 1 Abs. 2 Satz 2, 3. Spiegelstrich EG-Visa-VO, anerkannten Flüchtlingen (und Personen ohne Staatsangehörigkeit) ein visumfreies Passieren der EU-Außengrenzen für Kurzaufenthalte zu ermöglichen, ein grundlegend anderes Verständnis erfordern könnten, ist nichts ersichtlich.
3. Den gewöhnlichen Aufenthalt im Einzelfall festzustellen, ist Sache der nationalen Gerichte.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei einem zeitnahen Umtausch um keine erneute selbstständige Tat des unerlaubten Handeltreibens, sondern um ein einheitliches Umsatzgeschäft. Die Bemühungen um die Rückgabe der mangelhaften und die Nachlieferung einer mangelfreien Ware sind auf die Abwicklung ein- und desselben Rauschgiftgeschäfts gerichtet.
2. Die unterschiedlichen Begehungsformen tateinheitlicher Einfuhren, einmal als Anstiftung, einmal täterschaftlich, sind im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen, um den Unrechts- und Schuldgehalt der Gesamttat abzubilden.
1. Lassen die Urteilsgründe erkennen, dass der Tatrichter die Bemessung der Jugendstrafe rechtsfehlerfrei am maßgeblichen Erziehungszweck ausgerichtet hat, kann in der Regel ausgeschlossen werden, dass er eine niedrigere Strafe verhängt hätte, wenn er vom zutreffenden Strafrahmen ausgegangen wäre.
2. Eine Vergewaltigung ist nur bei Vorliegen der in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 StGB genannten Voraussetzungen eine Katalogtat i.S.d. § 100a Abs. 2 StPO.
Der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist schon dann verwirklicht, wenn der zur Verletzung von Personen geeignete und bestimmte gefährliche Gegenstand in einem Stadium des Tathergangs zur Verfügung steht.
Ein Mitsichführen einer Schusswaffe i.S.d. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist gegeben, wenn der Täter diese in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in Griffweite hat, dass er sich ihrer jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. Die insofern notwendige räumliche Nähe ist zwar in der Regel vorhanden, wenn sich die Waffe in dem Raum befindet, in dem Handel getrieben wird. Auch dann muss jedoch festgestellt werden, welche Maßnahmen und welcher Zeitaufwand im Einzelnen erforderlich ist, damit der Täter auf die Waffe zugreifen kann.