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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2018
19. Jahrgang
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Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist die Öffentlichkeit zwingend für die Schlussvorträge aller Verfahrensbeteiligten auszuschließen. (BGHSt)
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgrund polizeilicher Tatprovokation vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt (vgl. BGHSt 60, 276 Rn. 24). Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist gegeben, wenn eine polizeiliche Vertrauensperson in Richtung auf das Wecken der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt.
2. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen (vgl. BGHSt 60, 276 Rn. 24).
3. Vorstrafen begründen für sich allein keinen ausreichenden Anhalt für die Annahme möglicher Tatgeneigtheit (vgl. BGHSt 60, 276 Rn. 27).
4. Spricht eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation (vgl. BGHSt 60, 238 Rn. 24 f.).
5. Der Senat kann offenlassen, ob und unter welchen Bedingungen aus einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Verfahrenshindernis resultiert (vgl. hierzu BVerfG NJW 2015, 1083 Rn. 43; BGHSt 60, 276 Rn. 24). Dabei wäre aber zu beachten, dass aus dem Rechtsstaatsgedanken herzuleitende Verfahrenshindernisse eine seltene Ausnahme darstellen, weil das Rechtsstaatsgebot nicht nur die Belange des Beschuldigten, sondern auch das Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung schützt (vgl. BVerfG NJW 2015, 1083, 1084 ff.).
Der zollrechtlichen Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Fahrzeuguntersuchung bereits ein Anfangsverdacht einer Straftat gegen den Angeklagten vorlag, der auch ein Vorgehen nach §§ 102, 105 StPO ermöglicht hätte. Es besteht kein Vorrang strafprozessualer Vorschriften gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht, vielmehr stehen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung als staatliche Aufgaben mit unterschiedlicher Ziel gleichberechtigt nebeneinander (vgl. BGH NJW 2017, 3173, 3176).
1. Aus der besonderen rechtlichen Ausgestaltung eines Deliktstatbestands kann sich ergeben, dass erhöhte Anforderungen an die Umgrenzung der Tat durch die Anklageschrift zu stellen sind. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Präzisierungsgebots gilt dies etwa für den Untreuetatbestand.
2. Eine Anklage ist dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen (st. Rspr.). Mängel der Informationsfunktion berühren ihre Wirksamkeit dagegen nicht (vgl. BGHSt 56, 183, 185). Die Umgrenzungsfunktion der Anklage dient dazu, den Prozessgegenstand festzulegen, mit dem sich das Gericht aufgrund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist (st. Rspr.). Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen (vgl. BGHSt 56, 183, 186). Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören dagegen nicht zur Bezeichnung der Tat. Wann die Tat in dem beschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles festgelegt werden (vgl. BGHSt 56, 183, 186).
3. Allein der Staatsanwaltschaft obliegt die Pflicht, den Verfahrensgegenstand festzulegen. Es widerspräche dem Anklageprinzip des § 151 StPO, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, eine nicht hinreichend umgrenzte und damit an sich unwirksame Anklage zu konkretisieren, damit sie der erforderlichen Umgrenzungsfunktion genügt. Es ist dem Tatrichter deshalb versagt, eine Anklageschrift, die wie hier auch nach der unter Berücksichtigung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen gebotenen Auslegung der Umgrenzungsfunktion nicht genügt und deshalb unwirksam ist, durch Rückgriff auf außerhalb liegende Umstände zu ergänzen und damit zu heilen.
4. Soweit sich einige ältere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs mit den Möglichkeiten der Heilung von Mängeln bei der Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift befassen, betrafen sie Fälle der „fortgesetzten Handlung“ und sind mit der Aufgabe der Rechtsfigur der „fortgesetzten Handlung“ obsolet geworden.
5. Bei Anzeichen einer Krise hat der Geschäftsführer einer Gesellschaft die Pflicht, sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen und notfalls unter fachkundiger Prüfung zu entscheiden, ob eine positive Fortbestehungsprognose besteht.
1. Ein Fortsetzungstermin ist nur dann geeignet, die in § 229 StPO geregelten Unterbrechungsfristen zu wahren, wenn in ihm zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird. Die insofern zur Wahrung der sog. Konzentrationsmaxime zu ziehende Grenze ist jedenfalls dann überschritten, wenn sich ein „Fortsetzungstermin“ in der Abwicklung von Formalien erschöpft, die weder für die Urteilsfindung noch für den dorthin führenden Verfahrensgang eigenständiges Gewicht besitzen.
2. Indes kann auch in der Befassung lediglich mit Verfahrensfragen eine Förderung des Verfahrens in der Sache liegen, wenn deren Ziel die Klärung ist, durch welche Untersuchungshandlungen der Aufklärung des Sachverhalts Fortgang gegeben werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die für den Fortsetzungstermin in Aussicht genommene sonstige Förderung des Verfahrens infolge unvorhersehbarer Ereignisse nicht stattfinden kann, etwa wenn der Angeklagte ohne vorherige Ankündigung nicht zum Termin erscheint, wenn für einen Hauptverhandlungstermin nur ein Zeuge geladen wurde und dieser überraschend ausbleibt oder wenn die Verfahrensbeteiligten aufgrund etwa von der Staatsanwaltschaft kurzfristig überlassener Unterlagen, nicht in der Lage sind, sich auf die weitere Beweisaufnahme vorzubereiten.
1. Die nach § 187 GVG zu beurteilende Entscheidung, ob eine schriftliche Übersetzung des vollständig abgefassten Urteils anzufertigen und dem Angeklagten zu übermitteln ist, fällt in die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts; als Maßnahme der Verfahrensleitung entscheidet der Vorsitzende.
2. Ausgehend vom abgestuften System in § 187 Abs. 2 GVG ist eine schriftliche Übersetzung regelmäßig dann nicht notwendig, wenn der Angeklagte verteidigt ist. In diesem Fall wird die effektive Verteidigung des sprachunkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt und der Angeklagte die Möglichkeit hat, das Urteil mit ihm – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers – zu besprechen.
3. Das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK ist bereits dadurch gewahrt, dass dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung in der Hauptverhandlung durch einen Dolmetscher übersetzt wurde.
Der Grundsatz, wonach schriftliche Eingaben in fremder Sprache unbeachtlich sind (vgl. § 184 GVG), ist aus Gründen des Gemeinschaftsrechts immer dann einzuschränken, wenn es sich um ein für das Verfahren wesentliches Dokument handelt (vgl. EuGH HRRS 2016 Nr. 397). Diese Einschränkung gilt jedoch nicht bei einem verteidigten Angeklagten (siehe bereits BGH HRRS 2017 Nr. 329).
Zwar kann ein Wechsel der Einlassung eines Beschuldigten im Laufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit seiner Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder sogar ganz entfallen lassen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 88). Eine widerlegte Einlassung kann aber grundsätzlich nicht allein zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsdarstellung gemacht werden. Vielmehr bedarf es einer Gesamtwürdigung aller Indizien, in die der Umstand, dass die Einlassung des Angeklagten widerlegt worden ist, einzubeziehen ist.
1. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, ob eine Lichtbildvorlage vorschriftsmäßig erfolgt ist, wenn der
Zeuge den Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung nicht sicher zu identifizieren vermochte und die Lichtbildvorlage für den Beweiswert der Aussage dieses Zeugen deshalb von entscheidender Bedeutung war.
2. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, wenn das Urteil nicht erkennen lässt, ob das Instanzgericht sich mit dem eingeschränkten Beweiswert eines wiederholten Wiedererkennens - nach fehlerhafter Lichtbildvorlage - durch einen Zeugen in der Hauptverhandlung auseinandergesetzt hat.
1. Die Revision kann grundsätzlich auch auf die Anwendung des § 59 StGB beschränkt werden, ohne dass die Strafzumessung im Übrigen angegriffen werden müsste. Etwas anderes gilt nur, wenn die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte so eng mit den Strafzumessungserwägungen verknüpft sind, dass das Rechtsmittel notwendig den ganzen Strafausspruch erfasst, oder wenn die Gefahr besteht, dass das nach einem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamturteil nicht mehr frei von inneren Widersprüchen bliebe.
2. Liegen nur geringfügige Anlasstaten vor, gelten für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 Satz 2 StGB verschärfte Darlegungsanforderungen. Die besonderen Umstände im Sinne dieser Vorschrift müssen dann die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen.
Will der Tatrichter eine Frage, für deren Beantwortung er sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss er die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob er die Darlegungen des Sachverständigen zutreffend gewürdigt und aus ihnen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit dessen Ausführungen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt.
Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen als sonstige Maßnahmen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB kommen bei schuldunfähigen Tätern dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht. In dem insoweit gemäß § 440 Abs. 1 StPO aF bzw. § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO nF erforderlichen gesonderten Antrag ist nicht nur der betreffende Gegenstand zu bezeichnen, sondern darüber hinaus anzugeben, welche Tatsachen die Zulässigkeit der selbständigen Einziehung begründen.
1. § 302 Abs. 2 StPO bestimmt, dass ein Verteidiger zur Zurücknahme eines Rechtsmittels, das zugunsten des Angeklagten eingelegt wurde, einer ausdrücklichen Ermächtigung bedarf. Diese Vorschrift gilt nach ihrem Wortlaut nicht für Verfahrensbevollmächtigte von Nebenklägern.
2. Eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht. Mit der Sonderregelung wird im Hinblick auf die Wirkung der Zurücknahme des Rechtsmittels, das zugunsten des Angeklagten eingelegt worden war, dessen Schutz vor den Folgen einer unerwünschten Zurücknahme bezweckt. Es besteht kein Grund zu einer entsprechenden Anwendung, weil der Normzweck des Schutzes des Angeklagten vor dem Eintritt der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen Strafurteil, auf den Nebenkläger nicht ebenso zutrifft.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung in der Regel zumindest erforderlich ist, dass das Tatgericht mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist.