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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2017
18. Jahrgang
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1. Im Auslieferungsverfahren haben die deutschen Gerichte zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte des ersuchenden Staates mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen und dem nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard vereinbar sind. Letzteres gilt insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind.
2. Allerdings ist dem ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen.
Dies gilt in besonderem Maße gegenüber den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, im Grundsatz jedoch auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr. Das gegenseitige Vertrauen kann jedoch im Einzelfall durch entgegenstehende tatsächliche Anhaltspunkte erschüttert werden.
3. Völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen des ersuchenden Staates in Bezug auf eine konventionskonforme Behandlung des Betroffenen sind geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird. Diese Grundsätze gelten auch für die Zusicherung, dass der Spezialitätsgrundsatz eingehalten werden wird.
4. Eine Auslieferungsentscheidung wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht, soweit stichhaltige Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der ersuchende Staat nach der Auslieferung den Spezialitätsgrundsatz nicht oder nur nach einem entsprechenden Protest des ausliefernden Staates beachten würde (Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 24. März 2016 – 2 BvR 175/16 – [= HRRS 2016 Nr. 399]; Entscheidung „Suarez“ [= HRRS 2016 Nr. 398]).
5. Zweifel an einer erteilten Zusicherung, den Spezialitätsgrundsatz einzuhalten, ergeben sich nicht aus einer Erklärung des ersuchenden Staates, man sehe sich bei der Strafverfolgung nicht an die im Auslieferungsersuchen enthaltene Zusammenfassung des Sachverhalts gebunden und dürfe sich aller zulässigen Beweismittel bedienen, wenn damit nach dem Gesamtzusammenhang nicht zum Ausdruck gebracht werden sollte, es sei zulässig oder gar beabsichtigt, den Betroffenen wegen weiterer Straftaten als derjenigen zu verfolgen, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt.
1. Angesichts der nicht ausschließbaren gesundheitlichen Gefahren des Passivrauchens greift die gemeinschaftliche Unterbringung eines nichtrauchenden Gefangenen mit einem rauchenden Gefangenen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein, sofern der Betroffene der gemeinsamen Unterbringung nicht ausdrücklich zustimmt.
2. Die Durchsetzung von auf den Schutz von Nichtrauchern zielenden Regelungen kann im Bereich des Strafvollzuges nicht dem Gefangenen überlassen bleiben. Vielmehr muss die Anstalt durch geeignete, von Beschwerden des betroffenen Nichtrauchers unabhängige Vorkehrungen (wie zum Beispiel Rauchmelder) für eine systematische Durchsetzung des gesetzlichen Verbots sorgen.
3. Mit der Rüge, in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum gemeinsam mit rauchenden Gefangenen untergebracht gewesen zu sein, macht ein Untersuchungshäftling einen gewichtigen Grundrechtseingriff geltend, der ein Feststellungsinteresse begründet.
4. Eine Verfassungsbeschwerde genügt den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Darlegungsanforderungen nicht, wenn der Beschwerdeführer die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt, auf welche sich die angegriffene gerichtliche Entscheidung maßgeblich stützt, nicht vorlegt.
Der auch im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren geltende Grundsatz der Subsidiarität ist nicht
gewahrt, wenn der Antragsteller gegen die Durchsicht von bei der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei vorläufig sichergestellten Beweismitteln zwar eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt hat, wenn er jedoch die Entscheidung über die hiergegen gerichtete Beschwerde nicht abgewartet und bei dem Beschwerdegericht auch keinen Antrag auf vorläufige Aussetzung der Vollziehung gestellt hat, obwohl nicht dargetan ist, dass ihm dies nicht zuzumuten wäre.
Der auch im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren geltende Grundsatz der Subsidiarität ist nicht gewahrt, wenn der Antragsteller gegen die Durchsicht von bei der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei vorläufig sichergestellten Beweismitteln zwar eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt hat, wenn er jedoch die Entscheidung über die hiergegen gerichtete Beschwerde nicht abgewartet und bei dem Beschwerdegericht auch keinen Antrag auf vorläufige Aussetzung der Vollziehung gestellt hat, obwohl nicht dargetan ist, dass ihm dies nicht zuzumuten wäre.
1. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, § 172 Abs. 3 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigt.
2. Die Darlegungsanforderungen werden allerdings in einer gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßenden Weise überspannt, wenn von der an einer Persönlichkeitsstörung erkrankten, bei einem gegen sie gerichteten Polizeieinsatz verletzten Antragstellerin, die die Strafverfolgung der an dem Einsatz beteiligten Beamten erstrebt, gefordert wird, die zeugenschaftlichen Angaben ihres an dem Geschehen nicht beteiligten Betreuers wiederzugeben, ohne dass erkennbar ist, von welcher Bedeutung diese Bekundungen für die Beurteilung des Sachverhalts sein könnten.
3. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nahe, wenn ein Gericht in den Entscheidungsgründen auf den Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer für das Verfahren wesentlichen Frage nicht eingeht, sofern der Vortrags nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war.
4. Der Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist nur gewahrt, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht nur formal, sondern in der sachlich gebotenen Art und Weise erschöpft. Eine zum Rechtsweg gehörende Anhörungsrüge muss daher die gerügte Gehörsverletzung so darlegen, dass ihre Korrektur im fachgerichtlichen Verfahren möglich ist.
1. Erstrebt ein Gefangener die Unterbringung im offenen Vollzug, so wird er durch deren Versagung in seinem grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse berührt. Dies gilt auch für einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten.
2. Nach der Konzeption des Strafvollzugsgesetzes ist der offene Vollzug, soweit keine Flucht- oder Missbrauchsgefahr besteht, für geeignete Gefangene die Regelvollzugsform und nicht etwa eine besondere Vergünstigung.
3. Soweit eine Strafvollstreckungskammer davon ausgeht, dass an einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten im Hinblick auf die persönliche Eignung für die Unterbringung im offenen Vollzug besonders hohe Anforderungen zu stellen seien, ist dies mit Blick auf den Resozialisierungsanspruch verfassungsrechtlich nicht haltbar.
4. Trotz Heranziehung eines zu engen Prüfungsmaßstabs durch die Strafvollstreckungskammer bleibt eine gegen die Versagung der Unterbringung im offenen Vollzug gerichtete Verfassungsbeschwerde ohne Erfolg, wenn sich der Fehler im konkreten Fall nicht zum Nachteil des Gefangenen ausgewirkt hat, weil die Vollzugsbehörde bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der persönlichen Eignung den Rahmen des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraums eingehalten hat.
1. Bei der Einräumung von Ermessen begründet das Willkürverbot eine Verpflichtung zu dessen sachgerechter Ausübung.
2. Will ein Gericht nach der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, so muss es nicht nur überzeugt sein, dass der Angeklagte ohne das zur Einstellung führende Verfahrenshindernis
verurteilt worden wäre. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeklagten die Auslagenerstattung zu versagen. Übt das Gericht insoweit kein Ermessen aus, so ist seine Entscheidung willkürlich.
3. Besondere Veranlassung, das Absehen von einer Auslagenerstattung eingehend zu begründen, besteht dann, wenn das Verfahrenshindernis nicht vom Angeklagten schuldhaft selbst herbeigeführt wurde, sondern von dem Gericht zu vertreten ist, weil sich der Eröffnungsbeschluss fehlerhaft auf eine zurückgenommene Anklageschrift bezog. Bei der Ermessensausübung ist es auch zu berücksichtigen, wenn dem Angeklagten nach der Verfahrenseinstellung eine Verurteilung in einem neuen Verfahren droht, so dass eine doppelte Belastung mit den notwendigen Auslagen in Betracht kommt.
1. Die gesetzlichen Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Freiheitsgrundrechts. Das Vollstreckungsgericht muss eine rechtzeitige Entscheidung vor Ablauf der Überprüfungsfrist sicherstellen und dabei berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören und gegebenenfalls sachverständig zu begutachten ist.
2. Im Falle einer Überschreitung der Überprüfungsfrist hat das Vollstreckungsgericht die Gründe der Fristüberschreitung in der Fortdauerentscheidung darzulegen. Dies dient der verfahrensrechtlichen Absicherung des Freiheitsgrundrechts und soll eine Überprüfung ermöglichen, ob die Fristüberschreitung trotz sorgfältiger Führung des Verfahrens zustande kam oder ob sie auf einer Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht beruhte.
3. Eine Fortdauerentscheidung erfüllt diese verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, wenn zur Begründung der Fristüberschreitung von über einem Jahr lediglich auf die lange Dauer der Gutachtenerstattung und der Terminsfindung verwiesen und insbesondere nicht näher erläutert wird, weshalb die Sachverständigenanhörung erst auf einen Termin drei Monate nach Eingang des schriftlichen Gutachtens anberaumt wurde und inwieweit das Gericht auf eine rasche Erstellung des dann für erforderlich erachteten Ergänzungsgutachtens hingewirkt hat.