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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2017
18. Jahrgang
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1. Die Festlegung einer gesetzlichen Frist für die Revisionseinlegung ist zur Sicherstellung einer geordneten Rechtspflege und insbesondere zur Wahrung der Rechtssicherheit unerlässlich. Wegen der geringen Anforderungen an die Revisionseinlegung und der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wirft die sehr kurze Revisionseinlegungsfrist von einer Woche nach § 341 Abs. 1 StPO deshalb keine Fragen nach Art. 6 Abs. 1 EMRK auf.
2. Besondere Umstände können aber – vorliegend das Zusammentreffen der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers, seine rechtlich wie persönlich schwierige Lage, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und Zustellungsprobleme bei der Revisionseinlegung sowie darüber hinaus die fehlende aktive Unterstützung durch seinen Verteidiger – das Verschulden des Beschwerdeführers bei der Revisionseinlegung bei einem falschen Gericht derart verringern, dass eine
verwehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf den Zweck, der mit einer Revisionseinlegungsfrist verfolgt wird, unverhältnismäßig ist und eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt.
3. Art. 6 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, Rechtsmittel- oder Kassationsgerichte vorzusehen. Bestehen solche Gerichte jedoch, so müssen die Garantien des Art. 6 EMRK erfüllt sein.
4. Das „Recht auf ein Gericht“, welches das Recht auf Zugang zu einem Gericht als einen Teilaspekt miteinschließt, ist kein absolutes Recht; es unterliegt implizit zulässigen Einschränkungen. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Rechtsmittels geht. Gleichwohl müssen Einschränkungen des Gerichtszugangs einer Person ein rechtmäßiges Ziel verfolgen, sie müssen verhältnismäßig sein und sie dürfen den Zugang nicht dergestalt oder soweit einschränken, dass das Recht in seinem Kerngehalt beeinträchtigt wird. Dies gilt insbesondere für die gerichtliche Auslegung von Verfahrensvorschriften wie beispielsweise Fristen zur Einreichung von Unterlagen oder zur Einlegung von Rechtsmitteln.
5. Im Interesse der Rechtssicherheit und der geordneten Rechtspflege sind die nach dem innerstaatlichen Recht geltenden Fristen im Allgemeinen einzuhalten und durchzusetzen. Sie müssen allerdings in außergewöhnliche Fällen mit Flexibilität gehandhabt werden, damit gewährleistet ist, dass der Gerichtszugang nicht konventionswidrig eingeschränkt wird. Eine rein formalistische Betrachtung kann insofern dem Grundsatz einer praktikablen und wirksamen Anwendung der Konvention zuwiderlaufen.
1. Die vorläufige Außerkraftsetzung eines Gesetzes im Wege einer einstweiligen Anordnung ist wegen des damit verbundenen erheblichen Eingriffs in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nur aus besonders gewichtigen Gründen zulässig. Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder nur sehr schwer revidierbar sind.
2. Eine Aussetzung der durch das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Vorratsdatenspeicherungsgesetz) neu geschaffenen §§ 113a und 113b TKG scheidet aus. Die dort angeordnete Datenspeicherung verdichtet und konkretisiert sich erst mit dem Abruf der Daten zu einer möglicherweise irreparablen Beeinträchtigung der Freiheit und Privatheit der Betroffenen. Auch das Gewicht eines denkbaren Einschüchterungseffekts hängt maßgeblich davon ab, unter welchen Voraussetzungen die bevorrateten Daten abgerufen und verwertet werden können.
3. Ein besonders schwerer Nachteil ergibt sich auch nicht daraus, dass beim Short Message Service (SMS) Verkehrsdaten und Kommunikationsinhalte möglicherweise nicht getrennt werden können. Insoweit wären zunächst die technischen Bedingungen zu schaffen, um die Speicherpflicht erfüllen zu können; denn der Wortlaut des § 113b Abs. 5 TKG schließt ein technisch bedingtes „Mitloggen“ von Kommunikationsinhalten eindeutig aus.
4. Eine Aussetzung des Vollzugs ist auch nicht hinsichtlich des § 100g StPO geboten. Wenngleich der Abruf von Telekommunikations-Verkehrsdaten angesichts seiner möglichen Streubreite und der aus den Daten zu gewinnenden Erkenntnisse schwerwiegend in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG eingreift, erscheint dies bis zur Entscheidung in der Hauptsache hinnehmbar und im Vergleich zu den mit einer Aussetzung verbundenen Nachteilen für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung weniger gewichtig. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der für den Abruf erforderlichen qualifizierten Voraussetzungen bezüglich der Schwere der Straftat und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.
5. Auch im Hinblick auf §§ 101a, 101b StPO ist eine einstweilige Anordnung nicht geboten. Die Erhebung von Verkehrsdaten steht danach unter Richtervorbehalt, und es gelten spezifische Begründungsanforderungen. Aus der vorläufigen Anwendung dieser Vorschriften ergibt sich jedenfalls kein besonders schwerer Nachteil.
6. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Europäische Grundrechtecharta oder sonstiges Unionsrecht für die Beurteilung der angegriffenen Vorschriften Bedeutung entfaltet, ist erst im Hauptsacheverfahren zu entscheiden.
1. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschriften der §§ 185, 193 StGB
gehören. Bei deren Auslegung und Anwendung haben die Fachgerichte das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend zu berücksichtigen. Erforderlich ist grundsätzlich eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung einerseits und der Einschränkung der Meinungsfreiheit andererseits. Zu beachten ist dabei, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern dass gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden darf.
2. Eine Abwägung ist allerdings regelmäßig entbehrlich, soweit es um herabsetzende Äußerungen geht, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellen. Hiervon darf wegen der für die Meinungsfreiheit einschneidenden Folgen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ausgegangen werden. Auch eine überzogene oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung erst dann zur Schmähung, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
3. Äußert der Versammlungsleiter einer Demonstration aus dem rechten Spektrum mit Blick auf einen Bundestagsabgeordneten, dieser geriere sich als „Obergauleiter der SA Horden“, nachdem der Abgeordnete sich an einer Gegendemonstration beteiligte, der es um eine aktive Blockade des Aufzuges ging und aus der heraus dessen Teilnehmer als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“ beschimpft wurden, so ist die Einordnung der Äußerung des Versammlungsleiters als Schmähkritik verfassungsrechtlich nicht haltbar.
4. Vor einer Verurteilung des Versammlungsleiters wegen Beleidigung ist vielmehr eine Abwägung zwischen dessen Grundrecht auf Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Abgeordneten vorzunehmen, bei der einerseits dessen auf aktive Verhinderung einer Demonstration gerichtetes Vorverhalten und andererseits das schwere Gewicht der Ehrverletzung zu berücksichtigen ist, das sich aus dem individuell adressierten Vergleich mit Funktionsträgern des nationalsozialistischen Unrechtsregimes ergibt.
1. Einem Beschwerdeführer ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er sein Beschwerdeschreiben ordnungsgemäß und so rechtzeitig zur Post zu geben hat, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Diese Voraussetzungen sind bei einem im Maßregelvollzug untergebrachten Beschwerdeführer erfüllt, wenn seine Verfassungsbeschwerde von der Vollzugseinrichtung erst mit zwei Tagen Verzögerung zur Post gegeben worden und sie erst am sechsten Tag nach ihrer Übergabe an die Anstalt beim Bundesverfassungsgericht eingegangen ist.
2. Ordnet die Strafvollstreckungskammer auf den vollzugsrechtlichen Verpflichtungsantrag eines Strafgefangenen – gerichtet auf Herausgabe einer Festplatte – lediglich eine Neubescheidung an und bleibt ihre Entscheidung damit hinter dem Antragsbegehren zurück, so verletzt das Rechtsbeschwerdegericht das Willkürverbot und das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, wenn es eine Beschwer des Gefangenen verneint und seine Rechtsbeschwerde deshalb als unzulässig verwirft.
1. Die eine gegenüber einem Sicherungsverwahrten ergangene Fesselungsanordnung bestätigende Entscheidung einer Strafvollstreckungskammer begegnet Bedenken im Hinblick auf das Resozialisierungsgebot, wenn die Kammer eine Entweichungsgefahr unter Heranziehung über acht und bis zu 18 Jahre alter externer Sachverständigengutachten begründet, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit diesen gegenwärtig noch eine prognostische Kraft zukommen kann.
2. Die schlichte Erklärung des Betroffenen kann vor dem Hintergrund des Rechts auf effektiven Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör als Mittel der Glaubhaftmachung ausnahmsweise zuzulassen sein, wenn in der konkreten Fallgestaltung andere Mittel nicht zur Verfügung stehen. Dies liegt etwa nahe, wenn ein Sicherungsverwahrter im Gehörsrügeverfahren den Zeitpunkt des Zugangs des angegriffenen Beschlusses glaubhaft zu machen hat, der zugehörige Briefumschlag jedoch nicht mit einem Poststempel versehen war.
3. Eine Verfassungsbeschwerde wegen einer strafvollzugsrechtlichen Fesselungsanordnung ist nicht hinreichend substantiiert und damit unzulässig, wenn sie we-
der die einschlägigen Gefährlichkeitsgutachten noch den zuletzt ergangenen Beschluss über die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung oder den aktuellen Vollzugs- und Behandlungsplan vorlegt, aus denen die der angegriffenen Anordnung zugrunde gelegte Entweichungsgefahr hergeleitet worden ist.