HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2016
17. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

§ 357 StGB – die (fast) vergessene Norm Oder: Zur Restriktion des Merkmals des Geschehenlassens im Sinne von § 357 Abs. 1 Var. 3 StGB

Von RA Dr. Sebastian T. Vogel, Berlin[*]

Die Kommentarliteratur müht sich merklich, ihre Ausführungen zu § 357 StGB, der das Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat inkriminiert, mit mehr als sich selbst, namentlich nicht lediglich mit Literaturfundstellen, sondern auch mit Rechtsprechung zu füllen. Allein es gelingt ihr nur sehr unzureichend, schlicht weil es Gerichtsentscheidungen zu dieser fast vergessenen Norm kaum zu geben scheint.[1]

Mitunter aber bemühen Staatsanwaltschaften und Gerichte diesen letzten Straftatbestand des Strafgesetzbuchs doch – aus Verzweiflung beinahe, wenn nämlich eine Beihilfe zu einer fremden Haupttat nicht nachgewiesen werden kann. Gerade auf die Tatvariante des Geschehenlassens einer rechtswidrigen Tat des Untergebenen wird abgestellt, wenn der Vorgesetzte nicht ungeschoren davonkommen soll, obgleich der Untergebene (und nur er) seine Amtsstellung zur eigenen Bereicherung missbraucht hat. Aus dieser Verlegenheit wird allerdings dann plötzlich doch ein scharfes Schwert, wenn und weil von Seiten der Staatsanwaltschaft regelhaft aus der bloßen Vorgesetztenstellung auf einen zumindest bedingten Vorsatz geschlossen wird und am Ende nicht nur eine Teilnahme, sondern gar eine Täterschaft (!) nach § 357 StGB für den Vorgesetzten im Raume steht. Denn der Begründungsaufwand, qua objektiver Vorgesetztenstellung auf zumindest ein subjektives Für-möglich-Halten der Tatbegehung zu schließen und ein billigendes In-Kauf-Nehmen einfach zu unterstellen, ist dort recht einfach, wo der Untergebene ohnehin in einem Bereich arbeitet, in dem die Grenze zur Illegalität schnell erreicht ist. Der Beamte bei der Zollabfertigung beispielsweise arbeitet in einem so strafrechtsgeneigten Bereich mit Abertausenden Abfertigungsvorgängen, dass es ein Leichtes ist, den Vorgesetzten zumindest der Verwirklichung des § 357 StGB zu zeihen, wenn der Untergebene in Einzelfällen Straftaten begeht und der Vorgesetzte (ohne um den konkreten Fall zu wissen) zumindest die potentielle Möglichkeit erkannt hat, dass solches theoretisch möglich ist, den Mitarbeiter allerdings nicht 1:1 überwacht.

Die Möglichkeit einer so begründeten Strafbarkeit ist jedoch einzig Folge dessen, dass das Tatbestandsmerkmal des Geschehenlassens weit, fast zu weit gefasst ist. Es bedarf einer restriktiven Auslegung auf Ebene des objektiven, zumindest des subjektiven Tatbestandes, damit dogmatisch vertretbare Ergebnisse erzielt werden können.

I. Restriktion des Tatbestands

Trotz seiner Historie – die Vorschrift fand sich (mit unwesentlichen sprachlichen Abweichungen) bereits im RStGB von 1871[2] – ist die Strafvorschrift seit jeher eher praxisirrelevant gewesen; deren Aufhebung wurde mehrfach erfolglos gefordert.[3] Entsprechend spärlich verhalten sich Rechtsprechung und Rechtslehre zu diesem Delikt.

Gleichwohl kann die Norm, einmal zur Anwendung gebracht, mit Blick auf die Strafandrohung gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. Der Täter des § 357 StGB verwirkt die Strafe, die für die rechtswidrige Tat seines Untergebenen angedroht ist, was mit Blick auf schwere Straftaten des anderen Amtsträgers zu entsprechend hohen Strafen des Vorgesetzten führen kann.

Angesichts dessen zwingen die mangelnde Ausdifferenzierung des Tatbestands samt seiner Merkmale in Literatur und Rechtsprechung einerseits sowie die zum Teil gravierenden Rechtsfolgen andererseits zu einer restriktiven Tatbestandsauslegung. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht nämlich hat entschieden, dass die Strafandrohung für die Charakterisierung, Bewertung und eben Auslegung von entscheidender Bedeutung ist.[4] Die

Tatbestandsmerkmale sind also im Lichte der Höhe der angedrohten Strafe zu sehen, weshalb im Ergebnis eine rechtsfolgenorientierte Tatbestandsauslegung, etwa in Gestalt einer teleologischen Reduktion, stehen kann.[5] Das gilt freilich nicht nur bei Strafnormen, die einen genau bezifferten Strafrahmen benennen, sondern auch bei solchen, in denen auf die Rechtsfolgen einer (i. e. jeder) Haupttat verwiesen wird.

Sind ergo hohe Anforderungen an die Auslegung zu stellen, können Tatgerichte aber nicht auf eine gefestigte Literatur sowie höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgreifen, obliegt ihnen eine präzisierende und – mit Blick hier auf die relative Unbestimmtheit des Tatbestandsmerkmals des Geschehenlassens – restriktive Auslegung.[6] Hierfür streiten neben diesem allgemein-dogmatischen Postulat ferner weitere systematische wie teleologische Argumente, die im Folgenden kursorisch dargestellt seien.

1. Restriktion bei "Qualitätsgefälle" Tun – Unterlassen

§ 357 Abs. 1 StGB benennt als Tathandlungen das Verleiten, das Unternehmen der Verleitung zu sowie das Geschehenlassen einer fremden Tat. Während die ersten beiden Tatvarianten die aktiven Handlungen der Anstiftung (in Ausnahmefällen auch der "unvollständigen" mittelbaren Täterschaft) und deren Versuch unter Strafe stellen, beinhaltet das Geschehenlassen die Beihilfe durch Unterlassen sowie Unterlassungen ohne spezielle Garantenstellung.[7] Mit dem Geschehenlassen wird folglich die Beihilfe durch Unterlassen zur Täterschaft hinsichtlich § 357 StGB;[8] es kommt zu einer Höhergewichtung einer eigentlich bloßen Gehilfen(un)tätigkeit.

Dem gesetzgeberischen Willen entsprach und entspricht es damit auch, dass die obligatorische Strafrahmenmilderung gemäß § 27 Abs. S. 2 StGB (ebenso wie die nach § 30 Abs. 1 S. 2 StGB) ausgeschlossen ist bzw. sind.[9] Gleichsam ausgeschlossen ist nach fast einhelliger Auffassung in der Literatur ferner eine direkte Anwendung der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2 StGB,[10] wie sie sonst bei unechten Unterlassungsdelikten grundsätzlich möglich ist.[11] Denn, so der BGH in anderem Zusammenhang, findet sich im besonderen Teil des StGBs für die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen ein eigener Strafrahmen, wie eben bei § 357 StGB, dann gehe dieser gesetzgeberische Wille der Regelung des § 13 Abs. 2 StGB vor.[12]

Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Grundgedanke des § 13 Abs. 2 StGB, nämlich dass ein Unterlassen der Erfolgsabwendung zumindest oft weniger schwer wiegt als die aktive Tatbestandsverwirklichung,[13] nicht doch, nämlich zumindest im Rahmen der Auslegung des jeweiligen Tatbestandes, zu würdigen ist. Hierfür sprechen gerade bei § 357 StGB multiple abstrakte wie auch normspezifische Gründe, die im Ergebnis denn auch dazu führen, dass das Merkmal des Geschehenlassens objektiv, zumindest subjektiv restriktiv auszulegen ist.

a) Normimmanente Gründe

Dieser Ansicht des Bundesgerichtshofs, wonach für eine Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB dann kein Raum bleibe, wenn im besonderen Teil eine abschließende Strafrahmenregelung für den Fall eines Unterlassens getroffen ist, soll hier (trotz bedenkenswerter Gegenargumente[14]) nicht die Legitimation abgesprochen, sie soll vielmehr zur Grundlage nachfolgender Betrachtungen gemacht werden.

Denn auch diese Ansicht negiert nicht die grundsätzliche Annahme, dass ein Unterlassen weniger schwer wiegen kann als ein aktives Tun. Allerdings, so die Prämisse, habe der Gesetzgeber eben selbst und ausdrücklich entschieden, dass bestimmte Unterlassungen einem aktiven Tun im Unrechtsgehalt nicht nur regelmäßig, sondern stets gleichstehen, weshalb es einer § 13 Abs. 2 StGB entsprechenden Regelung oder deren direkter Anwendung nicht bedürfe.[15]

Diese Prämisse muss dann aber auch tatsächlich vorliegen. Wenn Tun und Unterlassen von der angedrohten Rechtsfolge aus betrachtet gleich zu bewerten seien, wenn also von einem gleichgewichtigen Unrechtsgehalt ausgegangen werden soll, dann sind die einzelnen Tatbestandsmerkmale auch so auszulegen, dass sie tatsächlich in ihrem Unrechtsgehalt übereinstimmen. Einer solchen Auslegung bedarf es dort nicht, wo die Modalitäten des Unterlassens expressis verbis näher beschrieben werden, wie beispielsweise in § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. g StGB die unterlassene Kenntlichmachung haltender oder liegengebliebener Fahrzeuge auf ausreichende Entfernung zur Sicherung des Verkehrs. Das Merkmal des Geschehenlassens im Sinne von § 357 Abs. 1 StGB ist demgegenüber aber derart unbestimmt und allumfassend, dass es einer ergänzenden Auslegung bedarf.

In diesen Vergleich nun mit den übrigen beiden Tatbestandsvarianten der Norm, in denen das Verleiten eines Untergebenen inmitten steht, ist zum Ersten einzustellen, dass jede Form des Verleitens, also der Bestimmung zur Tat,[16] einer i. d. R. gehörigen kriminellen Energie bedarf. Der aktive Missbrauch der eigenen Amts- und

Vorgesetztenstellung (dazu sogleich noch sub bb.) ist dabei regelhaft mit einem Akt der Auflehnung gegen die Rechtsordnung verbunden, der einem Nichtstun nicht per se zukommt.

Zum Zweiten verlangt die gebotene Handlung von dem Unterlassungstäter des § 357 Abs. 1 StGB grundsätzlich mehr als lediglich den normalen Einsatz rechtstreuen Willens.[17] Gerade in komplexen Konstellationen be- und entstehen mannigfache Überwachungs- und Informationsobliegenheiten für Vorgesetzte, die zu priorisieren und korrekt zu würdigen im Regelfall diffizil ist. Sich also im Hinblick auf die Tatvariante des Geschehenlassens pflichtgemäß zu verhalten ist weitaus schwerer, als schlicht nicht aktiv bestimmend auf Untergebene einzuwirken.

Zum Dritten ist einzubegreifen, dass das Verleiten die Fälle der unvollständigen mittelbaren Täterschaft[18] oder der Anstiftung umfasst, die die Fälle des Geschehenlassens, also der Beihilfe durch Unterlassen, unrechtstechnisch i. d. R. überwiegen. Nicht zuletzt deshalb hat der Gesetzgeber bei Beihilfehandlungen grundsätzlich eine obligatorische Strafrahmenmilderung vorgesehen (§ 27 Abs. 2 S. 2 StGB; im Verbund mit § 13 Abs. 2 StGB läge gar eine doppelte Strafrahmenmilderung vor). Hierauf mag der Gesetzgeber zwar bei Schaffung des § 357 StGB bewusst verzichtet haben. Auch dem waren aber der Gedanke und gleichsam das Erfordernis immanent, dass nur der Anstiftung oder Täterschaft gleichwertige "Unterlassungsgehilfenschaften" den nicht zu mildernden Strafrahmen des § 357 StGB auszulösen vermögen.

Im Ergebnis bedarf es daher dogmatisch wie methodologisch einer Auslegung des Merkmals des Geschehenlassens, die einen erhöhten Unrechtsgehalt widerspiegelt.

b) Verhinderung von Missbrauch als Schutzzweck der Norm

Hinzu kommt das teleologische Argument, dass der – gegenüber den Vorschriften über eine bloße Teilnahme erhöhte – Unrechtsgehalt der Norm zweifach begründet ist. Dieser liegt nicht nur in der Verletzung der Pflicht des Vorgesetzten, seinen Zuständigkeitsbereich so zu organisieren, dass die ihm Untergebenen keine Straftaten begehen; unrechtserhöhend ist auch und gerade der Missbrauch der beamtenrechtlichen Weisungsbefugnisse, also der Missbrauch der Amtsstellung.[19]

Ein Missbrauch aber hat schon etymologisch wie vom Sprachgefühl her eine finale Konnotation, die über eine bloße Pflichtverletzung oder auch Pflichtvergessenheit hinausreicht. Wer sich nicht dergestalt informiert, seinen Mitarbeiter nicht derart überwacht, dass eine Delinquenz des Untergebenen im Rahmen dessen Amtsverrichtung ausgeschlossen ist, dabei jedoch weder gezielt noch sonst missbräuchlich vorgeht, der macht sich nicht strafbar gemäß § 357 StGB.

Auch vom teleologischen Standpunkt aus betrachtet wäre demgemäß eine Auslegung, die Verhaltensweisen inkriminierte, die weder wissentlich noch sonst (voluntativ) missbräuchlich geschehen, verfehlt.

c) Das Völkerstrafgesetzbuch als Anknüpfungspunkt systematischer Auslegung

Im Wege gesetzesübergreifender systematischer Auslegung vermag ferner das VStGB, das vergleichbare Sondertatbestände enthält,[20] zumindest Anhaltspunkte einer möglichen Auslegung zu liefern.

So stellt § 4 Abs. 1 VStGB denjenigen militärischen Befehlshaber oder zivilen Vorgesetzten unter Strafe, der es unterlässt, seinen Untergebenen an einer Tat nach dem VStGB zu hindern. Es soll nicht weiter darauf eingegangen werden, dass § 4 Abs. 1 S. 2 VStGB ausdrücklich die Nichtanwendbarkeit von § 13 Abs. 2 StGB regelt – was bei § 357 StGB fehlt, also entweder bei § 4 VStGB überflüssig ist oder bei
§ 357 StGB mangels ausdrücklichen Ausschlusses doch zu einer Anwendbarkeit von § 13 Abs. 2 StGB führen müsste. Bemerkenswert ist indes die Auslegung hinsichtlich des subjektiven Elements, die der Bundesgerichtshof insbesondere in Abgrenzung zum StGB gefunden hat. So hat der BGH bei § 4 Abs. 1 VStGB entschieden, die Bejahung des subjektiven Tatbestandes setze voraus, dass der Vorgesetzte erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen müsse, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung entsprechender Straftaten durch einen Untergebenen ausreiche, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen, ließ der BGH ausdrücklich offen.[21] Darüber hinaus aber sei es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte eine den Grundsätzen der Beteiligungsregeln nach dem StGB entsprechende, in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss; eine derart einschränkende Auslegung erfordere der Wortlaut nicht. Grund hierfür seien spezifische Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch, das sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch in Sinn und Zweck unterscheide. Demgemäß treffe den Vorgesetzten die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen konkret bekannt ist; vielmehr müsse er durch geeignete Maßnahmen frühzeitig agieren, um latente Gefahren unter Kontrolle zu halten.[22]

Angesichts eben dieser Unterschiede zwischen StGB und VStGB, die der BGH herausstreicht, kann es dann aber denklogisch für § 357 StGB nicht genügen, dass der Täter lediglich ein abstraktes Wissen um die Möglichkeit der

Tatbegehung durch Untergebene hat. Allein die generelle Kenntnis des Vorliegens einer anreizbietenden Lage, Straftaten begehen zu können, ist für das kognitive Element des Vorsatzes ergo nicht ausreichend.

Es bedarf einer Konkretion hinsichtlich der individuellen Tat, was auch beinhaltet, dass der potentielle Täter individualisiert sein müsste. Dass latent eine Lage vorliegt, in der theoretisch alle Untergebenen oder zumindest bestimmte Akteure die Chance hätten, Straftaten zu begehen, genügt nicht.

Hingewiesen sei letztlich darauf, dass das VStGB bei der Strafbarkeit der Verletzung der Aufsichtspflicht, die eine Tat des Untergebenen möglich macht, unterscheidet zwischen einem vorsätzlichen und fahrlässigen Unterlassen; ferner auch nicht jede Aufsichtspflichtverletzung genügen lässt, sondern nur das Unterlassen gehöriger Aufsicht (§ 13 Abs. 1 und 2 VStGB). Eingedenk obig zitierter Ausführungen des BGHs zu den Folgen der Unterschiede zwischen StGB und VStGB dürfte daraus zu folgern sein, dass bei § 357 StGB eine gehörige Aufsicht der Untergebenen nicht zu fordern sein wird.

Mithin kann auch nicht jede Verletzung von Überwachungspflichten zu einer Strafbarkeit nach § 357 StGB führen; es bedarf auch dahingehend einer (objektiv- oder subjektiv-) tatbestandlichen Restriktion; die Unterschiede zwischen fahrlässigem und vorsätzlichem Geschehenlassen dürfen nicht verschliffen werden.

d) Ergebnis: restriktive Auslegungsbedürftigkeit

In Konsequenz obiger Argumente ist das Merkmal des Geschehenlassens einer restriktiven Auslegung zuzuführen.

Das könnte zum einen objektivtatbestandlich geschehen, etwa über die Grundsätze zur Arbeitsteilung (dazu später unten b.) oder dadurch, dass nur schwerwiegende Aufsichtspflichtverletzungen (etwa solche, bei denen ein konkreter Anlass zu gesteigerter Überwachung bestand) tatbestandsbegründend sind.

Zum anderen bietet sich an, subjektiv bezogen auf das kognitive Element des Vorsatzes entweder eine Wissentlichkeit zu fordern, die über das bloße Für-möglich-Halten hinausreicht, oder zumindest ein bewusstes Verschließen der Augen vor den Straftaten Untergebener, das mit einem über das bloße Billigen hinausreichenden voluntativen Element einhergeht. Nur so lässt sich eine Kongruenz der Tatbestandsvarianten um das Verleiten einerseits sowie das Geschehenlassen andererseits erreichen. Ein lediglich abstraktes Wissen um die latente Möglichkeit tatanreizbietender Situationen, in die Mitarbeiter theoretisch kommen könnten, genügt nicht. Entsprechend verlangt die Judikatur auch bei der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB über den dolus eventualis hinaus einen bewusst überzeugungswidrigen Regelverstoß – schlicht um eine unvertretbare Ausweitung der Strafbarkeit durch eine unbesehene Dolus-eventualis-Lösung zu verhindern.[23]

Letztlich muss also die zu begehende oder begangene Tat über bloße Ahnungen oder abstrakte Möglichkeiten hinaus konkretisiert sein.

2. Restriktion über die Grundsätze zur Arbeitsteilung

Darüber hinaus ist § 357 StGB objektiv, zumindest aber subjektiv auch und gerade über die Grundsätze zur Arbeitsteilung einzugrenzen. Diese bedeuten, dass sowohl in horizontal als auch vertikal arbeitsteiligen Prozessen nicht jeder Akteur sich um auch fremde Arbeitsbereiche zu kümmern und diese zu überwachen braucht, sondern sich unter gewissen Voraussetzungen auf das pflichtgemäße Handeln des jeweils anderen verlassen darf. Dieser Vertrauensgrundsatz setzt namentlich in Subordinationsverhältnissen voraus, dass die konkrete Aufgabe generell delegierbar und nicht höchstpersönlich erfüllungspflichtig ist, ferner der Vorgesetzte eine sorgfältige Auswahl getroffen, ausreichende Instruktionen erteilt und eine stichprobenhafte Überwachung des Untergebenen vorgenommen hat.[24]

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, darf der Vorgesetzte grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Untergebe seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Daran ändert nichts, dass in Über-Unterordnungs-Verhältnissen an sich jederzeit Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten gegenüber Untergebenen ausgeübt werden könnten; denn das Postulieren einer Pflicht zur lückenlosen Überwachung würde die vertikale Arbeitsteilung, i. e. die fachliche Über-Unterordnung, unmöglich machen.[25] Einzig dann, wenn sich konkrete Hinweis etwa auf ein Fehlverhalten ergeben, also der Vertrauenstatbestand gestört ist, ergeben sich zusätzliche Überwachungs- und Interventionspflichten für den Vorgesetzten, darf er sich also nicht mehr auf ein pflichtgemäßes Handeln verlassen. Diese Grundsätze, die in jedweden arbeitsteiligen Prozessen und Mitarbeiterverhältnissen horizontal wie vertikal Platz greifen, sind freilich auch in der öffentlichen Verwaltung sowie in beamtenrechtlich geprägten Konstellationen zu beachten.

Das bedeutet aber nichts anderes, als dass, soll in diesen Rechtsverhältnissen für die Grundsätze der Arbeitsteilung noch ein Anwendungsbereich verbleiben, ein Handeln im Vertrauen auf die Redlichkeit von (auch untergebenen) Mitarbeitern nicht über das offene Tatbestandsmerkmal des Geschehenlassens als Missbrauch der Amtsstellung nach § 357 StGB quasi durch die Hintertür inkriminiert werden darf. Das Merkmal des Geschehenlassens, jedenfalls in seinem über das Vorsatzelement konkretisierten Gepräge, ist mithin dergestalt restriktiv auszulegen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen für den Vertrauensgrundsatz ein vorsätzliches Geschehenlassen nicht gegeben ist.

Es bestünde andernfalls die Gefahr einer über das Strafrecht konstituierten (und geforderten) Omnikompetenz für Amtsträger, die weder mit dem Vertrauensgrundsatz noch der Praktikabilität der Amtserfüllung vereinbar ist. Amtsträgern erwüchsen über die Strafandrohung des

§ 357 StGB jedenfalls in strafbarkeitsgeneigten Bereichen Pflichten im Sinne totaler auch anlassloser Überwachung ihrer Mitarbeiter; ihnen oblägen Informationspflichten auch im Hinblick auf Rechtsfragen, die ihren eigenen Geschäftsbereich inhaltlich nicht tangieren, einzig weil die unter ihrer Personalverantwortung stehenden Mitarbeiter in diesen Bereichen tätig sind.

Es dürfte auf der Hand liegen, dass beispielsweise ein an einer Universitätsklinik tätiger, verbeamteter Chefarzt, der freilich um die abstrakten Möglichkeiten abrechnungsbetrügerischen Verhaltens seiner Untergebenen weiß, nicht jeden seiner Mitarbeiter in Abrechnungsfragen überprüfen kann, zeitlich wie auch im Hinblick auf die vielen bereichsspezifischen Abrechnungsziffern, die jeden einzelnen Arzt unter seiner Personalverantwortung treffen.

Das bloße abstrakte Wissen um die latente (strafrechtliche) Gefahrgeneigtheit einer Tätigkeit Untergebener, sei es im Zoll-, im Gesundheitswesen oder andernorts, kann folglich jedenfalls dann, wenn der Vertrauensgrundsatz Platz greift und dessen Voraussetzungen vorliegen, nicht die Strafbarkeit gemäß § 357 StGB eröffnen.

Kenntnisse also, die einen Vorgesetzten zwar die abstrakte Möglichkeit strafbaren Verhaltens erkennen lassen, ohne dass dann aber ein konkret strafwürdiges Verhalten im Rahmen der üblichen im Rahmen vertikaler Arbeitsteilung entstehenden und wahrgenommenen Überwachungspflichten evident wird, können einem übergeordneten Amtsträger demgemäß nicht zum Nachteil gereichen. Ferner trifft einen Vorgesetzten, der seinem Untergebenen ex ante vertrauen darf, keine überobligatorische Informationspflicht, die nur dem einen Zwecke dienen könnte, den begründet als vertrauenswürdig eingeschätzten Mitarbeiter übermäßig zu kontrollieren. Die Begründung einer solchen Informationspflicht wäre zwingend zirkulär, weil sie ein gestörtes Vertrauensverhältnis erst voraussetzt.

II. Fazit

Im Ergebnis begrenzen auch die Grundsätze zur vertikalen Arbeitsteilung, insbesondere in Gestalt des Vertrauensgrundsatzes, den Tatbestand des § 357 StGB. Liegen deren Voraussetzungen vor, darf der Vorgesetzte auf pflichtgemäßes Verhalten seines Untergebenen vertrauen. Begeht dieser gleichwohl eine Straftat im Amt, kann das nicht über die Tatvariante des Geschehenlassens gemäß § 357 Abs. 1 StGB inkriminiert werden. Einzig dann, wenn der Vorgesetzte wissentlich und/oder in Bezug auf das voluntative Element des subjektiven Tatbestandes mehr als nur billigend die Augen vor fremden rechtswidrigen Taten im Amte verschließt, verhält er sich selbst amtsmissbräuchlich. Ein abstraktes Wissen darum, dass infolge der Untätigkeit des Vorgesetzten eine Tat so, wie sie erfolgt, begangen werden kann, genügt nicht.[26]


[*] Der Verfasser ist Rechtsanwalt in Berlin und Lehrbeauftragter an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.

[1] Regelmäßig benannt wird BGHSt 3, 349, 353, sowie vereinzelte Judikate vom RG.

[2] NK-StPO/Kuhlen, 4. Aufl. 2013, § 357 Rn. 1; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Jeßberger, StGB, 2. Aufl. 2014, § 357 Rn. 1.

[3] Gemäß BT-Drs. 7/550, S. 288, sollte die Frage einer Aufhebung der Vorschrift später eruiert werden; vgl. auch die Nachweise bei Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 29. Aufl. 2014, § 357 Rn. 1.

[4] BVerfG, Beschl. v. 16.07.1969 – 2 BvL 2/69, Rn. 31, zit. nach juris = BVerfGE 27, 18, 29, Bezug nehmend auf BVerfG, Beschl. v. 26.02.1969 – 2 BvL 15/68, Rn. 78, zit. nach juris = BVerfGE 25, 269, 286.

[5] Eisele , Strafrecht – Besonderer Teil I, 3. Aufl. 2014, Rn. 25.

[6] Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 = HRRS 2010 Nr. 656.

[7] MüKo-StGB/Schmitz, Bd. V, 2. Aufl. 2014, § 357 Rn. 18 ff.

[8] Schönke/Schröder/Heine/Weißer, (Fn. 3), § 357 Rn. 7.

[9] Lackner/Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl. 2014, § 357 Rn. 4.

[10] SK-StPO/Rogall, 129. Lfg. 2011, § 357 Rn. 16.

[11] Vgl. nur Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 13 Rn. 3.

[12] BGH, Urt. v. 21.07.1989 – 2 StR 214/89, Rn. 13, zit. nach juris = NJW 1990, 332, 333.

[13] Statt vieler Fischer (Fn. 11), § 13 Rn. 99, m. w. N.

[14] Siehe nur Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 31 Rn. 250.

[15] Gleichsam Roxin (Fn. 14), § 31 Rn. 251, konzediert, dass selbst bei einer Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB für Strafvorschriften des besonderen Teils Strafrahmenmilderungen praktisch seltener sein würden als sonst.

[16] Satzger/Schluckebier/Widmaier/Jeßberger, StGB, 2. Aufl. 2014, § 357 Rn. 5.

[17] Zu diesem Argument in anderem Zusammenhang BGH, Urt. v. 03.11.1981 – 1 StR 501/81, Rn. 9, zit. nach juris = NJW 1982, 393.

[18] Dergestalt, dass irgendein Merkmal zur Anwendung des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB fehlt, vgl. dazu MüKo-StGB/Schmitz, Bd. V, 2. Aufl. 2014, § 357 Rn. 19.

[19] SK-StPO/Rogall (Fn. 10), § 357 Rn. 3.

[20] MüKo-StGB/Schmitz, Bd. V, 2. Aufl. 2014, § 357 Rn. 5.

[21] BGH, Beschl. v. 17.06.2010 – AK 3/10, Rn. 41, zit. nach juris.

[22] BGH, Beschl. v. 17.06.2010 – AK 3/10, Rn. 43 f., zit. nach juris.

[23] Schönke/Schröder/Heine/Hecker (Fn. 3), § 339 Rn. 14 f., m. w. N. bei Rn. 10.

[24] MüKo-StGB/Duttge, Bd. I, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 146.

[25] MüKo-StGB/Duttge (Fn. 24), § 15 Rn. 146.

[26] Anders, wenngleich widersprüchlich, Schönke/Schröder/Heine/Weißer (Fn. 3), § 357 Rn. 7, die zwar ein "wissentliches Geschehenlassen" fordern, jedoch wohl ein abstraktes Wissen als ausreichend erachten.