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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2016
17. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Petra Wittig, LMU München
Die Entscheidung befasst sich mit Fragen der Schenkungsteuerhinterziehung in einer Konstellation, in der der Beschenkte es zunächst unterlässt, Vorschenkungen gem. § 30 Erbschaftsteuergesetz ("ErbStG") anzuzeigen, und in einer nachfolgenden Schenkungsteuererklärung gem. § 31 ErbStG die Vorschenkungen nicht zutreffend erklärt. Hierbei nimmt der BGH auch Stellung zu Konkurrenzfragen, zur Verfolgungsverjährung und zum Nemo-tenetur-Grundsatz, die über den konkreten Fall hinaus Bedeutung haben. Insgesamt führt auch diese Entscheidung des 1. Strafsenats zu einer Ausweitung der Strafbarkeit in Steuerstrafsachen.
Nach Ansicht des BGH liegt bereits in der Nichtanzeige der Vorschenkungen gem. § 30 ErbStG eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (Rn. 20 f.). Soweit in der späteren Schenkungsteuererklärung wahrheitswidrig angegeben wird, dass der Erklärende vom Schenker keine weiteren Schenkungen erhalten hat, erfüllt dies – so der BGH – den Tatbestand der Steuerhinterziehung durch aktives Tun gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und zwar sowohl hinsichtlich der Schenkung, auf die sich die Erklärung bezieht, als auch hinsichtlich der Vorschenkungen (Rn. 23 ff.). Eine sich aus dem Nemo-tenetur-Grundsatz ergebende Unzumutbarkeit normgemäßen Verhalten liege nicht vor, da durch vollständige und richtige Angaben bzgl. der Vorschenkungen in der Schenkungsteuererklärung gleichzeitig die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 AO erfüllt seien bzw. bei einem Sperrgrund ein Verwendungsverbot vorliege (Rn. 22). Die tatbestandsmäßige Steuerhinterziehung aufgrund der unrichtigen Angaben zu den Vorschenkungen in der Steuererklärung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sieht der BGH auf der Konkurrenzebene als mitbestrafte und damit an sich straflose Nachtat zu der durch die unterlassene Anzeige begangene Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Vortat) gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (Rn. 28 ff.) an. Die Straflosigkeit soll allerdings nach allgemeinen Grundsätzen entfallen, wenn die Vortat – z.B. wegen Verjährung – nicht mehr verfolgbar ist (Rn. 31).
Diese voraussetzungsreiche Argumentation soll im Folgenden im Einzelnen vertieft dargestellt und auch kritisch hinterfragt werden.
Das Besteuerungssystem der Schenkungsteuer ist wie das der Erbschaftsteuer zweistufig ausgestaltet[1]: Auf der ersten Stufe regeln §§ 30 Abs. 1 und 2, 33, 34 ErbStG; §§ 1-11 ErbStDV, dass die dort Genannten der Erbschaft-/Schenkungsteuerstelle einen der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb, hier eine Schenkung unter Lebenden (§§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 7 Abs. 1 ErbStG), binnen einer Frist von drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem Anfall des Erwerbs dem zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen haben. Diese Anzeige soll dem Erbschaftsteuerfinanzamt ermöglichen zu prüfen, ob und wen es gem. § 31 ErbStG im Einzelfall zu einer Steuererklärung aufzufordern hat.[2] Eine allgemeine gesetzliche Steuerklärungspflicht besteht (anders als bei laufend veranlagten Steuern) nicht; erklärungspflichtig ist nur, wer vom Finanzamt zu einer Erklärung aufgefordert wird (§ 31 ErbStG, § 149 AO). Auf der zweiten Stufe müssen die gem. § 31 ErbStG zur Abgabe einer entsprechenden Erbschaft- bzw. Schenkungsteuererklärung Aufgeforderten innerhalb von einem Monat eine Steuererklärung abgeben. Bei der Berechnung der Steuer sind die persönlichen Freibeträge zu berücksichtigen (§ 16 ErbStG); der Steuersatz bestimmt sich nach der progressiv ansteigenden Tabelle des § 19 Abs. 1 ErbStG. Sofern (wie im vorliegenden Fall) mehrere Erwerbvorgänge vorliegen, betrach-
tet das Erbschaftsteuer-/Schenkungsteuerrecht jeden Erwerbsvorgang grundsätzlich als selbstständig. Allerdings regelt § 14 ErbStG, dass für die Berechnung der Steuer des Letzterwerbs die Zuwendungen innerhalb der letzten zehn Jahre zusammengerechnet werden.
In Anbetracht dieser zweistufigen Ausgestaltung des Schenkungsteuersystems stellen sich im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung folgende Fragen: Ist bereits die pflichtwidrige Nichtanzeige von Vorschenkungen entgegen § 30 ErbStG eine strafbare Steuerhinterziehung? Liegt bei einem neuerlichen Erwerb bei Verschweigen von Vorschenkungen in einer Schenkungsteuererklärung gem. § 31 ErbStG auch hinsichtlich der Vorschenkungen eine erneute Steuerhinterziehung vor oder werden nur Steuern im Hinblick auf den letzten Erwerb hinterzogen? Wenn eine erneute Steuerhinterziehung auch bezüglich des Vorerwerbs vorliegt, wie verhält sich diese erneute Steuerhinterziehung auf der Konkurrenzebene zu der vorhergegangenen Steuerhinterziehung durch Nichtanzeige der Vorschenkungen? Letztlich stellt sich die Frage, ob eine Erklärungspflicht hinsichtlich bisher verschwiegener Vorschenkungen in einer aktuellen Schenkungsteuererklärung gegen das verfassungsrechtlich verankerte Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung verstößt, wenn dadurch die (möglicherweise strafrechtlich bereits verjährte) vorangegangene Steuerhinterziehung durch Unterlassen offenbart wird.
Dass bereits eine entgegen § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG pflichtwidrig unterlassene Anzeige von Schenkungen den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt, wenn ein steuerbarer Erwerb gem. § 1 ErbStG vorliegt, entspricht der Rechtsprechung des BGH und der h.L.[3] Dem ist zuzustimmen, denn in der Tat lässt der vorsätzlich handelnde Täter das Finanzamt pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis und verkürzt dadurch (zumindest auf Zeit) Steuern gem. § 370 Abs. 4 AO. Auch wenn die Anzeige letztlich eine formlose Vorstufe zur Steuererklärung ist, handelt es sich nicht um eine bloße Vorbereitung zur Steuerhinterziehung.[4] An die Feststellung des objektiven und subjektiven Tatbestandes sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen, insbesondere ist das Vorliegen eines entsprechenden Steuerhinterziehungsvorsatzes im Hinblick auf die Komplexität des Schenkungsteuerrechts besonders sorgfältig zu prüfen.[5] Im konkreten Fall unterlagen die Vorschenkungen als Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) der Steuer, die unterlassene Anzeige war kausal für die Steuerverkürzung. Auch am Vorsatz dürften hier im Hinblick auf die vorgenommenen Verschleierungshandlungen kaum Zweifel bestehen.
Für die Beendigung der Steuerhinterziehung ist auf den Zeitpunkt der fiktiven Veranlagung abzustellen. Da es sich bei der Schenkungsteuer um eine Veranlagungssteuer handelt, ist die Steuerhinterziehung zu dem Zeitpunkt beendet, zu dem die Veranlagung spätestens stattgefunden hätte, wenn der Angeklagte seiner Anzeigepflicht gem. § 30 Abs. 1 ErbStG rechtzeitig nachgekommen wäre. Da für die Schenkungsteuer – anders als bei anderen Veranlagungssteuern – mangels kontinuierlichen abschnittsbezogenen Veranlagungsverfahrens kein allgemeiner Veranlagungsschluss festgestellt werden kann, ist für den Verjährungsbeginn nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" maßgeblich, wann die Veranlagung der Schenkungsteuer dem Steuerpflichtigen bei pflichtgemäßer Erfüllung der Anzeigepflicht frühestens bekannt gegeben worden wäre.[6] Dies ist nach dem BGH einen Monat nach Ablauf der gesetzlichen dreimonatigen Anzeigefrist, also vier Monate nach Kenntnis des Anfalls des steuerbaren Erwerbs der Fall.[7] Hierbei wird eine fiktive Bearbeitungszeit von einem Monat zugrunde gelegt (vgl. § 31 Abs 1 S. 2 ErbStG). Nach vier Monaten ab Kenntnis von dem steuerpflichtigen Erwerb beginnt die strafrechtliche Verfolgungsverjährung, die nach den allgemeinen Verjährungsregeln gem. §§ 78, 78a StGB im Regelfall fünf Jahre, in besonders schweren Fällen zehn Jahre beträgt.
Gibt ein Beschenkter wie im konkreten Fall in einer Schenkungsteuererklärung wahrheitswidrig an, von dem Schenker keine weiteren Schenkungen oder (teil-)unentgeltliche Zuwendungen erhalten zu haben, ist fraglich, ob eine Steuerhinterziehung nur bezüglich des (Neu-)Erwerbs, für den die aktuelle Schenkungsteuererklärung abgegeben wird, oder zudem eine (neuerliche) Steuerhinterziehung hinsichtlich der Vorerwerbe vorliegt. Dies ist insbesondere dann praktisch relevant, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Vorerwerbe zwar bereits die steuerstrafrechtliche Verfolgungsverjährung, aber noch nicht die steuerliche Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Dass durch die Angabe, keine Vorschenkungen erhalten zu haben, eine Steuerhinterziehung hinsichtlich der Besteuerung der erklärten (letzten) Schenkung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegt, ist unproblematisch. Es handelt sich um unrichtige Angaben, wenn der oder die Beschenkte etwa – wie im zugrundeliegenden Sachverhalt – wahrheitswidrig in der Schenkungsteuererklärung angibt, keine weiteren Schenkungen erhalten zu haben, und um unvollständige Angaben, wenn die vom Schenker erhaltenen Vorschenkungen nicht im Einzelnen erklärt wer-
den. Auch liegt ein Taterfolg – nämlich eine Steuerverkürzung gem. § 370 Abs. 4 S. 1 HS. 1 AO – vor, wonach Steuern namentlich dann verkürzt sind, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Denn aufgrund der unrichtigen Angabe wird die Steuer auf den Neuerwerb zu niedrig festgesetzt, da es für die Höhe des Steuersatzes (§ 19 ErbStG) und die Berücksichtigung möglicher Freibeträge (§ 16 ErbStG) für diesen Erwerb auf die Vorerwerbe ankommt. Dies ergibt sich wie bereits erwähnt aus § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG, wonach mehrere innerhalb von 10 Jahren von derselben Person anfallenden Erwerbe zusammengerechnet werden.
Nicht entschieden hat der BGH bisher, ob durch die unrichtige bzw. unvollständige Angabe in der Schenkungsteuererklärung, keine Vorschenkungen erhalten zu haben, auch die Steuer für diese, schon bei ihrem Erwerb pflichtwidrig nicht angezeigten Vorerwerbe erneut durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) hinterzogen wird. In der zu besprechenden Entscheidung bejaht der BGH diese Frage. Hierbei stützt er sich im Wesentlichen auf folgende Argumente: Es liege eine neue tatbestandliche Handlung vor (nämlich die unrichtigen bzw. unvollständigen steuerlich erheblichen Angaben bzgl. der Vorschenkungen in der Schenkungsteuererklärung), die zu einem neuen Taterfolg (einer erneuten Steuerverkürzung) führe (Rn. 27). Die Angaben seien steuerlich erheblich, weil die Angaben über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Vorschenkungen stets Grundlage für die Überprüfung der ordnungsgemäßen Besteuerung sämtlicher Schenkungen der vorangegangenen zehn Jahre seien (Rn. 13, 18). Dies ergebe sich aus den gesetzlichen Besonderheiten der Besteuerung von Schenkungen in § 14 ErbStG. Dieser sei nicht nur für die Berechnung der Schenkungsteuer auf den Letzterwerb maßgeblich. Stelle das Finanzamt jedoch bei der Besteuerung des Letzterwerbs noch nicht versteuerte Vorschenkungen fest, habe es diese durch einen besonderen Steuerbescheid nachzuholen, sofern nicht eine steuerliche Verjährung (§§ 169, 170 Abs. 5 Nr. 2 AO) eingetreten sei. Damit seien die unrichtigen Angaben in der aktuellen Schenkungsteuererklärung steuerrechtlich sowohl für die Besteuerung des Letzterwerbs als auch für die Besteuerung der Vorerwerbe der letzten zehn Jahre von Bedeutung.
Bei zutreffender Angabe des Vorhandenseins von Vorschenkungen hätte das Finanzamt alsbald durch Erlass entsprechender Steuerbescheide die Besteuerung der Vorerwerbe nachgeholt (Rn. 26). Diese Möglichkeit werde dem Finanzamt genommen. Durch die unterbliebene Festsetzung der Besteuerung der Vorerwerbe seien Steuern im Sinne des § 370 Abs. 4 S. 1 HS. 1 AO verkürzt.
Allerdings sei diese Steuerhinterziehung durch Unterlassen eine mitbestrafte und damit konsumierte Nachtat gegenüber der vorangegangen Steuerhinterziehung durch Unterlassen, soweit der Täter wegen noch nicht (steuerstrafrechtlich) verjährter Taten der Hinterziehung von Schenkungsteuer bezogen auf die einzelnen Vortaten noch verfolgt werden kann (Rn. 28). Eine mitbestrafte Nachtat sei eine selbständige, den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllende rechtswidrige und schuldhafte Handlung, durch die der Täter den Erfolg der Vortat oder die durch diese erlangte Position sichert, ausnutzt oder verwertet (Rn. 29). Sie bleibe straflos, "wenn dieser nachfolgenden, an sich strafbaren Handlung wegen ihres inneren – funktionalen Zusammenhangs mit der Vortat kein eigener Unrechtsgehalt zukommt, so dass auch kein Bedürfnis besteht, diese neben der Haupttat selbständig zu bestrafen" (Rn. 29). Allerdings entfalle die Straflosigkeit der Nachtat, wenn die Vortat z.B. wegen Verfolgungsverjährung strafrechtlich nicht mehr verfolgbar sei (Rn. 31).
Gegen die Annahme einer erneuten Steuerhinterziehung durch aktives Tun hinsichtlich der Vorschenkungen gibt es jedoch ernsthafte Bedenken:
Die Annahme, § 14 ErbStG solle dem Finanzamt ermöglichen, sämtliche Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre zu überprüfen, entspricht nicht Sinn und Zweck der Steuerberechnungsvorschrift des § 14 ErbStG.[8] § 14 ErbStG regelt – wie auch der BGH bestätigt – seiner Funktion nach nur die Berechnung der Steuer für den Letzterwerb und dient nicht der Ermittlung einer Gesamtsteuer für sämtliche Erwerbe innerhalb eines zehnjährigen Zeitraums (Rn. 17). Die Zielsetzung des § 14 ErbStG ist es, zu "verhindern, dass durch die Aufteilung einer beabsichtigten Zuwendung in mehrere zeitlich folgende Teilübertragungen durch Mehrfachgewährung der persönlichen Freibeträge und durch Vermeidung der Steuerprogression Steuervorteile erlangt werden"[9] und "dass mehrere Teilerwerbe gegenüber einem einheitlichen Erwerb steuerlich begünstigt werden"[10]. § 14 ErbStG nimmt somit den einzelnen Erwerben nicht den Charakter selbstständiger steuerpflichtiger Vorgänge und führt auch nicht zu einer nachträglichen Besteuerung der Vorerwerbe, sondern verändert nur die Progression für den letzten Erwerb.[11] Dass bei einer zutreffenden Steuerklärung hinsichtlich des Letzterwerbs die Steuer für frühere nicht angezeigte Schenkungen festgesetzt werden kann, ist allenfalls eine mittelbare Folge dieser Erklärung. Die Pflicht, Vorschenkungen anzugeben, dient lediglich dazu, die Steuer auf den Letzterwerb richtig zu berechnen, sie ist also ein Teil der Erklärungspflicht hinsichtlich des Letzterwerbs. Die formale Berechnungsvorschrift des § 14 ErbStG kann damit nicht als Argument zur Begründung der Strafbarkeit in Bezug auf die Vorschenkungen herangezogen werden.
Die Konstruktion des BGH führt im Ergebnis auch zu Wertungswidersprüchen hinsichtlich der steuerstrafrechtlichen Verjährung. Denn sie ermöglicht auch hinsichtlich von Vorerwerben eine strafrechtliche Verfolgung als Steuerhinterziehung durch aktives Tun, obwohl ggf. die Nichtanzeige der Vorschenkungen entgegen § 30 ErbStG als Steuerhinterziehung durch Unterlassen steuerstrafrecht-
lich bereits verjährt ist (siehe zur Berechnung der strafrechtlichen Verjährungsfrist vorstehend).[12] Auf diese Weise wird die Strafverfolgungsverjährung de facto unterlaufen. Die unrichtigen Angaben bzgl. der Vorschenkungen erfolgten, um die Entdeckung früherer Steuerverkürzungen zu verhindern. Dogmatisch könnte daher ein sog. "fortdauerndes Unterlassen"[13] durch Tun[14] vorliegen, da der Täter durch die Angabe, keine Vorschenkungen erhalten zu haben, lediglich an dem bisherigen Verschweigen früherer Schenkungen festhält. Dies kann auch nicht dadurch infrage gestellt werden, dass durch die formale Vorgabe des Steuerbogens der Steuerpflichtige, der an seinem Unterlassen festhalten möchte, zu einem aktiven Ankreuzen veranlasst wird. Nach der Unrechtsstruktur stellt die Angabe, keine Vorschenkungen erhalten zu haben, vielmehr eine straflose Selbstbegünstigung dar.[15] Ist die frühere Steuerhinterziehung durch Unterlassen bereits strafrechtlich verjährt, kann ein Festhalten an dem Unterlassen – wenn auch durch positives Tun – nicht zu einer Durchbrechung der Verjährung führen. Andernfalls könnten die Verjährungsfristen durch die Finanzbehörden beliebig ausgehebelt werden, indem sie den Steuerpflichtigen nach Ablauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist aber vor Ablauf der Festsetzungsfrist zu einer erneuten Mitwirkung auffordern, bei der sich dieser aktiv zu bereits verjährten Steuerhinterziehungen erklären muss.[16] Das Problem würde sich nur dann nicht stellen, wenn man entgegen der st. Rspr.[17] davon ausgeht, dass eine mitbestrafte Nachtat wegen ihres Selbstbegünstigungscharakters keiner eigenen Verjährung unterliegt.[18]
Dem Vorwurf eines Wertungswiderspruchs hält der BGH entgegen, dass der Umstand, dass die Verfolgung bereits strafrechtlich verjährter Taten durch das nachfolgende aktive Tun wieder möglich wird, "Folge einer neuen tatbestandlichen Handlung ist, die zu einem neuen Taterfolg führt und für die deshalb die Verfolgungsverjährung eigenständig zu prüfen ist" (Rn. 27). Die Tatbestandsmäßigkeit einer solchen neuen Tat scheide erst aus, wenn für die Schenkungsteuer bereits die steuerliche Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO) eingetreten sei (Rn. 27). Während die Strafverfolgungsverjährung vielfach nach fünf Jahren eintritt, beträgt die Festsetzungsfrist für vorsätzlich verkürzte Steuern gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO zehn Jahre.
Der Hinweis des BGH, dass materiell-rechtlich eine neue Tathandlung und ein neuer Taterfolg vorliegen, ist demgegenüber ein rein formales Argument.[19] Zum einen ist bereits fraglich, ob nicht vielmehr ein fortdauerndes Unterlassen durch Tun (s.o.) vorliegt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die fehlerhaften Angaben bzgl. der Vorschenkungen allein durch die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung hinsichtlich der Nachschenkung bedingt sind. Da die strafrechtliche Verjährung bzgl. der Steuerhinterziehung bei den Vorschenkungen bereits eingetreten ist, hat der Täter insoweit keine strafrechtliche Verfolgung mehr zu befürchten und muss sich deshalb auch nicht zu einer Selbstanzeige veranlasst sehen. Werden zu seinen Gunsten jedoch weitere anzeigepflichtige Schenkungen vorgenommen, sieht sich der Betroffene vor folgende Wahl gestellt: Entweder er entscheidet sich für eine Rückkehr in die Legalität und gibt seine Vorerwerbe in der neuen Steuererklärung richtig an. Infolgedessen kommt es zwangsläufig zu einer Nachfestsetzung der bisher nicht beglichenen Schenkungsteuer. Will der Betroffene seine bisherigen Schenkungen jedoch weiterhin geheim halten, was rechtsethisch vorwerfbar, aber wegen eingetretener Verjährung strafrechtlich nicht mehr verfolgbar ist, wird er auch in einer späteren Steuererklärung seine Vorschenkungen nicht angeben. Im schlimmsten Falle sieht er sich gar dazu veranlasst, für die Nachschenkungen wiederum keine Steuererklärung abzugeben. Gibt er eine Steuererklärung mit falschen Angaben bzgl. der Vorerwerbe ab, muss er eine doppelte Strafbarkeit bzgl. der alten und der neuen Schenkungen befürchten. Gleichermaßen verhält es sich jedoch bei gänzlichem Unterlassen einer Steuererklärung für den Letzterwerb, wenn auch diesbezüglich die Strafbarkeit in Bezug auf die gänzlich verschwiegene Nachschenkung höher zu gewichten ist. Um hinsichtlich der bereits verjährten Steuerhinterziehungen weiterhin straffrei zu bleiben, müsste der Täter daher hoffen, keine weiteren Schenkungen mehr zu erhalten, die ihn zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichten. Die Begründung der Strafbarkeit für ein Verhalten, dessen Entstehungsgrund in der Vergangenheit liegt, kann jedoch nicht davon abhängig gemacht werden, dass später weitere Schenkungen vorgenommen werden, die den Täter zu einer wahrheitsgemäßen Deklarierung auch der früheren Schenkungen verpflichten.
Die Annahme einer erneuten Tathandlung und damit Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung mit Neubeginn der Verjährung muss auch deshalb abgelehnt werden, da die Falschangabe bzgl. der Vorschenkungen nicht nur bei der Begründung der Strafbarkeit, sondern gleichermaßen bei der Strafzumessung hinsichtlich des Letzterwerbs Berücksichtigung finden und damit das darin liegende Unrecht ausreichend kompensiert werden kann.[20] Der Umfang der Steuerverkürzung hinsichtlich des Letzterwerbs ist umso größer, je höher die in den letzten 10 Jahren erfolgten Vorschenkungen waren, da die Zahl und Höhe der Vorschenkungen maßgeblichen Einfluss auf den Steuersatz und den Freibetrag für die Nachschenkung haben. Durch die fehlende Berücksichtigung dieser Vorschenkungen kann es bei der Festsetzung der Steuer für den Letzterwerb zu einer Steuerhinterziehung großen Ausmaßes i.S.d. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO kommen.[21] Das in der fehlenden Deklaration der Vorschenkungen gegenüber dem Finanzamt liegende Unrecht ist aufgrund der strafrechtlichen Verjährung der Vortaten auch noch nicht konsumiert und kann daher im Rahmen des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO herangezogen werden. Insoweit muss die Argumentation des BGH zum Verhältnis zwischen Konkurrenz und Verjährung übertragen werden
(s.o.). Durch die Berücksichtigung der Vorschenkungen auf der Ebene der Strafzumessung im Rahmen des Letzterwerbs wird dem Unrecht der Falschangabe bzgl. der Vorschenkungen ausreichend Rechnung getragen. Der Ahndung als besonders schwerem Fall kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass die Regelwirkung widerlegt ist, wenn mangels Ablaufs der Festsetzungsverjährungsfrist eine erneute Festsetzung der Steuer hinsichtlich der Vorschenkungen noch möglich wäre.[22] Zwar wird durch die rückwirkende Steuerfestsetzung der Schaden (mit Ausnahme des Verspätungsschadens) für den Staat und damit das Erfolgsunrecht ausgeglichen. Auf strafrechtlicher Ebene bleibt jedoch das in der fehlenden Deklaration liegende Handlungsunrecht unberücksichtigt.
Insofern ist die Lösung vorzugswürdig, die zwar im Hinblick auf § 14 ErbStG eine zutreffende Erklärung der Vorschenkungen fordert, diese aber entgegen der Ansicht des BGH nur begrenzt für die erneute, nun erklärte letzte Schenkung berücksichtigt.[23] Verkürzt ist somit lediglich die Steuer hinsichtlich des Letzterwerbs, nicht aber hinsichtlich der Vorerwerbe (die lediglich für Steuersatz und Freibeträge maßgeblich sind).[24]
Folgt man dem BGH, kann der Schenkungsteuerpflichtige eine Strafbarkeit wegen Schenkungsteuerhinterziehung sowohl hinsichtlich des Vorerwerbs als auch hinsichtlich des Letzterwerbs nur durch Offenbarung der bisher pflichtwidrig nicht angezeigten Vorschenkungen vermeiden (auch wenn diese schon verjährt waren). Damit stellt sich die Frage, ob diese Erklärungspflicht einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verankerte Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung, den Nemo-tenetur-Grundsatz, darstellt.
Der BGH verweist hier darauf, dass bei einer zutreffenden Schenkungsteuererklärung, durch die bisher verschwiegene Vorerwerbe bekannt werden, unter den Voraussetzungen des § 371 AO eine strafbefreiende Selbstanzeige bezüglich der durch unterlassene Anzeige der Vorschenkungen begangenen Steuerstraftaten vorliegt (Rn. 22). Sofern eine solche wegen eines Sperrgrundes im Sinne von § 371 Abs. 2 AO nicht in Betracht komme, bestehe ein strafrechtliches Verwertungsverbot (Rn. 22). Diese Argumentation greift jedoch nicht für den Fall, dass eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen in Bezug auf die Vorschenkungen wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr in Betracht kommt. In einer solchen Konstellation kann die Deklarierung von Vorschenkungen dem Täter nicht als Selbstanzeige zugutekommen, da eine solche nur für den noch nicht strafrechtlich verjährten Zeitraum relevant werden kann.[25] Vielmehr bleibt der Täter hier gänzlich straffrei.
Ist die Steuerhinterziehung bzgl. der Vorschenkungen noch nicht verjährt, kann eine wirksame Selbstanzeige vorliegen. Dies ändert jedoch nichts an dem grundsätzlichen Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz. Die Rechtskonstruktion des BGH verkennt die verfassungsrechtliche Bedeutung der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Selbstbelastungsfreiheit. Allein die Möglichkeit, dass die selbstbelastende Aussage eine Selbstanzeige darstellen kann und für den Fall eines Sperrgrundes einem Verwertungsverbot unterliegt, vermag den ursprünglichen Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit nicht rückwirkend zu beseitigen. Dies muss umso mehr gelten, als Beweisverwertungsverbote nach der Rechtsprechung umfassenden Einschränkungen unterliegen. Hinzu kommt, dass in der deutschen Rechtsordnung die "fruit of the poisonous tree - doctrine" und damit eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten abgelehnt wird, weshalb der Inhalt der selbstbelastenden Aussage grundsätzlich als Spurenansatz für weitere Ermittlungen verwendet werden kann.[26] Zwar kann nach dem sog. Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 56, 37) der Täter ohne Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG zur Selbstbezichtigung gezwungen werden, soweit dies zur Befriedigung von Informationsinteressen Dritter erforderlich ist und zugunsten des Täters ein Verwertungsverbot greift. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Konstellation auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann, bei dem nicht die Informationsinteressen Dritter, sondern allein staatliche Interessen in Rede stehen.[27]
Die vom BGH angenommene Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Tun bzgl. der Vorschenkungen ist rechtsdogmatisch zweifelhaft. Insbesondere kann § 14 ErbStG nicht zur Begründung der Strafbarkeit herangezogen werden, da dies dem telos der Norm zuwiderläuft. Darüber hinaus wird durch die Konstruktion des BGH die strafrechtliche Verjährung unterlaufen, indem ein bereits verjährtes fortdauerndes Unterlassen erneut unter Strafe gestellt wird. Die Strafbarkeit hinsichtlich der Vorschenkungen muss auch deshalb abgelehnt werden, da deren Unrecht bereits in der Strafzumessung in Bezug auf die Nachschenkung berücksichtigt und damit ausreichend kompensiert werden kann. Schließlich vermag auch die Annahme einer wirksamen Selbstanzeige oder eines Beweisverwertungsverbots den Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz nicht zu beseitigen.
[1] Rolletschke , Steuerstrafrecht, 4. Aufl. 2012, Rn. 156.
[2] Wannemacher/Seipl , Steuerstrafrecht, 6. Aufl. 2013, Rn. 1052.
[3] BGHSt 56, 298 = HRRS 2015 Nr. 635; Rolletschke, Steuerstrafrecht, 4.Aufl. 2012, Rn. 157; ders. wistra 2001, 287, 289; Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8.Aufl. 2015, § 370 AO Rn. 337.
[4] Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz, 49. EL 2015, § 30 Rn. 51.
[5] Siehe nur Wannemacher/Seipl, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. 2013, Rn. 1027, die auch auf die Erforderlichkeit einer sorgfältigen Feststellung der Kausalität der Nichtanzeige für die unterlassene Festsetzung hinweisen.
[6] BGHSt 56, 298 = HRRS 2015 Nr. 635; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz, 49.EL 2015, § 30 AO Rn. 53.
[7] BGHSt 56, 298 = HRRS 2015 Nr. 635; a.A. Wannemacher/Seipl, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. 2013, Rn. 1078.
[8] Esskandar/Bick ErbStB 2015, 299.
[9] BFH DStR 2009, 1142, 1143 m.w.N.
[10] BFH BStBl. II 99, 25.
[11] BFH DStR 2009, 1142 m.w.N.
[12] Grötsch NStZ 2016, 38.
[13] Vgl. Wulf, in: MüKo StGB, 2.Aufl. 2015, § 376 AO Rn. 44.
[14] Zur Figur des "Unterlassens durch Tun" s. Roxin, Strafrecht AT II (2003), § 31 Rn. 99 ff.
[15] Vgl. Wulf, in: MüKo StGB, 2.Aufl. 2015, § 376 AO Rn. 44.
[16] Wulf , in: MüKo StGB, 2.Aufl. 2015, § 376 AO Rn. 30.
[17] Siehe nur BGHSt 38, 366; BGH NStZ 2009, 106 m.w.N.
[18] Schneider wistra 2001, 408; Wulf, in: MüKo StGB, 2.Aufl. 2015, § 376 AO Rn. 30.
[19] Joecks , in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8.Aufl. 2015, § 370 AO Rn. 338; Himmelreich, SteuK 2015, 287.
[20] So auch Beyer BB 2015, 3040, 3041.
[21] Berchner NZWiSt 2015, 290, 295.
[22] Berchner NZWiSt 2015, 290, 295.
[23] Joecks , in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rn. 338.
[24] So auch Hilgers-Klautsch, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Rn.1517.1.
[25] Jülicher , in: Troll/Gebeler/Jülicher, Erbschaftsteuergesetz, 49.EL 2015, § 30 AO Rn. 54.
[26] Statt aller: Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt (Hrsg.), Strafprozessordnung, Einl. Rn. 57; dies kritisieren bezogen auf den vorliegenden Fall auch Ruhmannseder NJW 2015, 2357, 2358; Beyer BB 2015, 3040, 3041.
[27] Vgl. Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8.Aufl. 2015, § 370 AO Rn. 239.