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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2016
17. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Nina Nestler , Universität Bayreuth[*]
Spätestens seit November 2015 ist die politische Debatte um ein sog. Verschleierungsverbot[1] in Deutschland (von Neuem[2]) entbrannt.[3] Auslöser war unter anderem die Gerichtsverhandlung in einer scheinbar unbedeutenden Sache am AG München. Der Vorsitzende hatte eine Zeugin aufgefordert, ihr "Gesicht zu zeigen. Die Muslima weigert sich – religiöse Gründe. Der Richter knickt ein. "[4] Kann der Vorsitzende darauf bestehen, dass die Zeugin ihren Vollgesichtsschleier[5] ablegt, und sein Anliegen notfalls zwangsweise durchsetzen?
Diese Frage stellt sich im Strafprozess nicht aus ideologischen oder religiösen, sondern aus verfahrens- und verfassungsrechtlichen Gründen. Darauf, ob eine Vollverschleierung bspw. durch die Burka "nicht in unser Weltbild" passt[6], kommt es hierbei also nicht an. Maßgeblich sind vielmehr allein diejenigen Verfahrensgrundsätze und -garantien, die unser strafprozessuales Verfahren gegenüber dem Angeklagten zu einem rechtsstaatlichen Verfahren machen. Dieser Beitrag nimmt sich daher in erster Linie Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsgrundsatz, das Legalitätsprinzip, aber auch den Grundsatz des fairen Verfahrens zum Ausgangspunkt.
Gem. § 48 Abs. 1 S. 1 StPO haben Zeugen die Pflicht, zu dem zu ihrer Vernehmung bestimmten Termin vor Gericht zu "erscheinen". Die Vorschrift konkretisiert damit eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht[7] und dient zugleich der Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes insofern, als das Erscheinen Grundvoraussetzung für die Erhebung der Beweise durch das Gericht selbst ebenso wie für die Wahrung des Vorrangs des Personalbeweises ist .[8] Aus diesen Gründen kann jene Pflicht im Strafverfahren[9] notfalls sogar mit Zwang durchgesetzt werden, vgl. § 51 StPO.
Fraglich ist, ob die Anwesenheit einer mit Burka verschleierten Zeugin als Erscheinen i.d.S. gelten kann. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird synonym hierfür meist der Ausdruck " sich sehen lassen" verwendet. Der Duden umschreibt die Bedeutung des Terminus mit "sichtbar,
wahrnehmbar werden" und "sich zeigen".[10] Schon dies legt ein unverschleiertes Auftreten nahe.
Dass tatsächlich mehr zu fordern ist, als die bloße körperliche Anwesenheit, liegt im Vergleich mit anderen Regelungen nicht allzu fern. So gilt bspw. für den Angeklagten im Rahmen des § 230 StPO, dass er nicht nur körperlich präsent und verhandlungsfähig sein, sondern darüber hinaus seine Anwesenheit auch zu erkennen geben muss.[11] Zu erkennen gibt sich aber nur, wer sich offenbart oder beweist.[12]
Auch der Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 StPO im Übrigen legt eine solche Deutung nahe, da die Norm von "ihrer" Vernehmung spricht, d.h. der Vernehmung keiner anderen als der geladenen Zeugen. Das wiederum setzt die Erkennbarkeit für das Gericht voraus, dass es sich um die richtigen Personen handelt. Selbst der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge ist verpflichtet, einer solchen Ladung Folge zu leisten, sofern er nicht vorab durch richterliche Entscheidung von der Erscheinenspflicht entbunden worden ist.[13] Um eine Preisgabe seiner Identität kommt der Zeuge für das Erscheinen i.S.d. § 48 Abs. 1 StPO also nicht herum.
§ 48 Abs. 1 StPO trifft jedoch keine Bestimmung darüber, auf welche Weise dies zu geschehen hat. Bei einem weiten Begriffsverständnis kann es hierfür sogar ausreichen, dass sich der Betreffende auf Nachfrage schlicht meldet. Abgesehen davon statuiert § 48 Abs. 1 StPO allein keine weitere Mitwirkungs- oder Duldungspflicht. Gegen eine Überspannung der Anforderungen an das Erscheinen lässt sich zudem einwenden, dass es dem Zeugen nach § 58 Abs. 2 StPO nur in bestimmten Fällen abverlangt werden kann, eine Gegenüberstellung zu dulden.[14] Dies bedarf einer gesonderten Anordnung und wird nicht bereits von der Ladung mit umfasst.[15] In der Lit. herrscht daher auch die Auffassung vor, dass der Zeuge aus § 48 Abs. 1 StPO nicht verpflichtet ist, bestimmte Kleidung anzulegen.[16] Für das Erscheinen i.d.S. wird es deshalb ausreichen, wenn der betreffende Zeuge anwesend ist, dies dem Gericht anzeigt und auf Verlangen seine Identität – gleich auf welche Art und Weise – bestätigt. Die Verschleierung abzulegen, verlangt das Erscheinen gem. § 48 Abs. 1 StPO demgegenüber nicht zwingend.
Gem. § 68 Abs. 1 StPO beginnt die Vernehmung des Zeugen damit, dass dieser über Vornamen, Nachnamen, Geburtsnamen, Alter, Beruf und Wohnort befragt wird. Diese Feststellung der Personalien muss "sorgfältig"[17] erfolgen, da die – als bloße Ordnungsvorschrift zu verstehende[18] – Norm nicht nur Personenverwechslungen verhindern, sondern darüber hinaus auch eine belastbare Grundlage für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit der Aussage schaffen soll.[19] Eine Personenkontrolle bleibt unabdingbar zur Verhinderung von Verwechslungen, lässt sich jedoch ohne Mitwirkung des zu Identifizierenden kaum effektiv durchführen. Ähnlich wie § 48 Abs. 1 S. 1 StPO konkretisiert § 68 Abs. 1 StPO damit zwar den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Letztgenannte Vorschrift geht jedoch insofern weiter, als sie über das Erscheinen hinaus ein aktives Tätigwerden des Zeugen zur Beförderung der Identitätsfeststellung fordert.
Nun ist fraglich, wie weit diese durch § 68 Abs. 1 StPO begründete Mitwirkungspflicht reicht. Die Regelung verlangt dem Zeugen ab, die zur Feststellung seiner Identität notwendigen Angaben zu machen bzw. diese auf Nachfrage zumindest verbal zu bestätigen. Nicht ausreichend ist demgegenüber die bloße Vorlage des Personalausweises.[20] Zu der nach § 68 Abs. 1 StPO erforderlichen Mitwirkung gehört es aber auch, Maßnahmen zu unterlassen oder zu beseitigen, die eine Verifizierung der Personenangaben durch das Gericht ausschließen oder wesentlich erschweren.[21] Verschleierungen, die eine Feststellung der Identität gem. § 68 Abs. 1 StPO verhindern, müssen daher zumindest gegenüber dem Gericht und für die Dauer der Identitätsfeststellung abgenommen werden. Nichts anderes gilt schließlich für sonstige Vermummungen oder Masken, die den Zeugen unkenntlich machen.
Zwar enthält auch hier das Gesetz keine weiteren Hinweise darauf, ob nicht auch andere Methoden als der Lichtbildabgleich zur Identitätsfeststellung zulässig sind. Eine mögliche Alternative bestünde etwa darin, die Identi-
tät anhand des Fingerabdrucks zu bestätigen.[22] Falls solche Daten aber nicht zur Verfügung stehen oder die technischen Möglichkeiten vor Ort begrenzt sind, kommt derartiges schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht.[23] Ein Ausweichen auf andere Maßnahmen zur Identitätsfeststellung verhinderte zudem, dass die notwendige Grundlage für die spätere Glaubhaftigkeitsbeurteilung geschaffen werden kann[24], und muss schon deswegen ausscheiden – jedenfalls sofern man § 68 StPO diese Funktion zugestehen will. Es bleibt also bei der Sichtkontrolle.
Möglicherweise lässt § 68 Abs. 2, Abs. 3 StPO Ausnahmen zugunsten der mit einer Burka verschleierten Zeugin zu. Dies erscheint jedoch bereits prima facie schief: Die Ausnahmeregelungen gestatten dem Zeugen, (Teile der) Personalangaben nicht zu machen. Im Fall der vollverschleierten Zeugin geht es jedoch nicht um die Offenbarung der Identität an sich, sondern lediglich um die visuelle Überprüfung der (mündlich) bereits preisgegebenen Information.[25]
Tatsächlich bestätigt eine differenziertere Analyse der Vorschriften, dass diese keine Ausnahmen zugunsten eines Vollgesichtsschleiers erlauben. Gem. § 68 Abs. 2 StPO soll es einem Zeugen gewährt werden, statt des Wohnorts seinen Geschäfts- oder Dienstort anzugeben, wenn ein begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass durch diese Angabe Rechtsgüter entweder der Zeugin selbst oder einer anderen Person gefährdet würden. Denkbar wäre allenfalls ein Vorgehen nach § 68 Abs. 2 StPO analog zum Schutz der Religionsausübungsfreiheit der Zeugin, Art. 4 Abs. 2 GG.[26] Bislang herrscht in der Rspr. allerdings die Auffassung vor, dass § 68 Abs. 2 StPO einer Ausdehnung auf andere Personalangaben als diejenige des Wohnorts im Wege einer Analogie nicht zugänglich ist.[27] § 68 StPO will die Identifikation des Zeugen gewährleisten. Je mehr der in § 68 Abs. 1 StPO genannten Parameter der Zeuge nicht nennt, desto größer ist das Risiko einer Personenverwechslung. Vorliegend geht es aber nicht lediglich um das Verschweigen einzelner Personalangaben, sondern sogar um das völlige Nichtoffenbaren des äußeren Erscheinungsbilds u.a. zum Zweck der Identifikation. Dass diesbezüglich eine Analogie zu § 68 Abs. 2 StPO dem Sinn der Regelung völlig zuwiderliefe, liegt auf der Hand.
Auch § 68 Abs. 3 StPO hilft der Zeugin nicht. Nach dieser Vorschrift kann einem Zeugen gestattet werden, Angaben zur Person nicht zu machen, wenn begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass durch Offenbarung der Identität bzw. des Wohn- oder Aufenthaltsorts Leben, Leib oder Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet wird. Im vorliegenden Fall geht es nun nicht aber um Leben oder körperliche Unversehrtheit der Zeugin[28], sondern um ihre Religionsausübungsfreiheit. Dabei ist schon zweifelhaft, ob Freiheit i.S.d. § 68 Abs. 3 StPO nicht lediglich die körperliche Fortbewegungsfreiheit und gerade nicht die Freiheit der Willensentschließung meint .[29] Gestützt wird diese Deutung auf das Argument, ein weiteres Verständnis verbiete insbesondere das Symmetrieerfordernis im Hinblick auf die anderen genannten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit.[30]
Aber selbst wenn man die Freiheit der Religionsausübung in den Schutzbereich des § 68 Abs. 3 StPO einbeziehen wollte, so hilft die Rechtsfolge der mit Burka verschleierten Zeugin nicht. Gestattet werden kann lediglich, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen. Nicht verzichtet werden darf –
wiederum bereits zur Vermeidung von Personenverwechslungen – auf die Identitätsfeststellung an sich. Das Gericht muss also zumindest optisch die Möglichkeit haben, sich darüber zu vergewissern, welche Person als Zeuge im Zeugenstand sitzt. Durch § 68 Abs. 3 StPO nicht ausgeschlossen wird letztlich auch ein lediglich optischer Abgleich mit einem etwaig vom Zeugen vorhandenen Lichtbild, ohne dass dazu weitere Angaben gemacht werden. Just aus diesem Grund gestattet nach z.T. vertretener Ansicht § 68 Abs. 3 StPO allein auch nicht die Vernehmung eines optisch und akustisch abgeschirmten Zeugen.[31]
Dieser beschränkten Reichweite des § 68 Abs. 2, Abs. 3 StPO liegt insgesamt folgende Überlegung zugrunde: § 68 StPO will in erster Linie Identität und Personalien des Zeugen sicherstellen, um Personenverwechslungen auszuschließen. Die Norm bezweckt damit insbesondere keine Einschränkungen hinsichtlich der Beweiswürdigung. Das folgt bereits aus der Stellung des § 68 StPO eben gerade nicht im Abschnitt über die Beweisaufnahme, sondern lediglich bei den allgemeinen Vorschriften und ohne unmittelbaren systematischen Zusammenhang mit §§ 244, 261 StPO. Allein aus § 68 Abs. 2, Abs. 3 StPO die Zulässigkeit der Vernehmung von Zeugen hinter Schattenwänden oder in verschleierter Gestalt zu folgern, würde Ratio und Regelungsgehalt der Vorschrift auf eine von ihr nicht erfasste Materie überdehnen.[32]
Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht gem. § 247a Abs. 1 S. 1 StPO anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Daher bleibt zu klären, ob der Vorsitzende auf Grundlage von § 247a StPO (ggf. analog) das Tragen des Vollgesichtsschleiers hinnehmen muss. Nun entspricht die Zeugin in Burka sicher nicht der Situation, die der Gesetzgeber bei Schaffung des § 247a StPO vor Augen hatte.[33] Der historische Hintergrund ebenso wie die Ratio der Norm stehen daher zumindest prima facie ihrer Ausdehnung auf den vorliegenden Fall entgegen. Dies bestätigt ein genauerer Blick in die Voraussetzungen des § 247a StPO.
Gem. § 247a Abs. 1 S. 1, 1. Hs. StPO muss die Anordnung der audiovisuellen Vernehmung zum Schutz des Zeugen erforderlich sein, weil "die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für sein Wohl" besteht. Fraglich ist zunächst bereits, ob die Beeinträchtigung der Freiheit der Religionsausübung als Nachteil i.S.d. Vorschrift ausreicht. Als relevant gilt hierbei jeder Nachteil, solange er nur auf der Vernehmung im Gerichtssaal beruht, insofern grds. auch die Beeinträchtigung der Freiheit der Religionsausübung. Die entscheidende Hürde besteht nun darin, dass der Nachteil "schwerwiegend" sein, also über die typischerweise mit der Vernehmung verbundenen vorübergehenden seelischen und ggf. körperlichen Belastungen hinausreichen muss.[34] Der Maßstab ist dabei objektiv[35] und die Vorschrift bleibt als Ausnahmeregelung eng auszulegen[36]. Zum Teil werden hierunter daher in erster Linie gesundheitliche Nachteile gefasst[37], nicht aber ideologische.
Etwas anderes könnte nur gelten, wenn es sich bei der Vollverschleierung um ein zentrales religiöses Gebot handelt, für dessen Verletzung durch die religiösen Vorschriften bspw. gravierende Sanktionen vorgesehen sind . Da das Tragen jedenfalls des Vollgesichtsschleiers etwa im Islam aber keine sanktionsbewehrte Pflicht[38], sondern schulen- und herkunftslandabhängig erwünscht, gefor-
dert[39] oder gar verboten ist, lässt sich diese Frage auch nicht pauschal beantworten. Von Bedeutung kann dabei auch sein, ob die betreffende Zeugin ein etwaiges Gebot zum Tragen der Verschleierung aus für sich gewonnener, religiöser Überzeugung heraus befolgt, oder ob sie schlicht Repressalien durch Dritte fürchtet.[40] Im Grundsatz bleibt es indes dabei, dass § 247a Abs. 1 S. 1, 1. Hs. StPO keine Grundlage für das Tragen der Vollverschleierung bietet.
§ 247a Abs. 1 S. 1, 1. Hs. StPO scheidet aber bereits aus einem anderen Grund aus. Der die audiovisuelle Vernehmung gestattende Nachteil muss gem. § 247a Abs. 1 S. 1, 1. Hs. StPO aus der Vernehmung "in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden" resultieren. Daran zeigt sich deutlich, dass die Vorschrift den vorliegenden Fall ihrer Ratio nach nicht regeln will. Das Merkmal verlangt zwar keine Auslösung der Gefahr gerade dadurch, dass der Zeuge dem Angeklagten unmittelbar gegenüber tritt; sie kann vielmehr auch von anderen Verfahrensbeteiligten oder der im Sitzungssaal herrschenden Atmosphäre ausgehen.[41] Jedoch genügen Belastungen, die mit jeder Vernehmung verbunden sind und nicht spezifisch aus der Anwesenheit der anderen Verfahrensbeteiligten resultieren, i.d.R. nicht.[42] Gerade dies ist aber für den Vollgesichtsschleier der Fall. Der für die Zeugin bestehende Nachteil folgt nicht aus der Anwesenheit gerade der anderen Verfahrensbeteiligten oder der im Sitzungssaal herrschenden Atmosphäre, sondern aus dem Abnehmen des Schleiers im Beisein (beliebiger) Dritter schlechthin – selbst ohne, dass ein anderer Verfahrensbeteiligter anwesend wäre und sogar außerhalb des Gerichtssaals. Die Verfahrensbeteiligten erscheinen damit aus Sicht der mit vollverschleierten Zeugin als aleatorisch austauschbare Personen und der von der Norm geforderte Konnex zwischen Nachteil und Strafverfahren besteht gerade nicht.
Nach §§ 247a Abs. 1 S. 1, 2. Hs., 251 Abs. 2 StPO kommt die audiovisuelle Vernehmung auch dann in Betracht, wenn dem Erscheinen des Zeugen Hindernisse entgegenstehen. Erscheinen (vgl. § 48 Abs. 1 StPO, siehe oben) setzt für die Zeugin allerdings nicht voraus, dass sie ihren Vollgesichtsschleier ablegen muss. Die Voraussetzungen der §§ 247a Abs. 1 S. 1, 2. Hs., 251 Abs. 2 StPO liegen somit ebenfalls nicht vor.
Selbst wenn man nun die Voraussetzungen des § 247a Abs. 1 S. 1 (1. Hs.) StPO bejahen wollte, bleibt darüber hinaus höchst fraglich, ob die im Rahmen dieser Vorschrift vorgesehene Rechtsfolge der Zeugin überhaupt weiterhilft. Ihrem Regelungsinhalt nach betrifft die Norm lediglich die audiovisuelle Vernehmung, d.h. eine Vernehmung, während der sich der Zeuge an einem anderen Ort als im Gerichtssaal befindet. Eine akustische und/oder optische Abschirmung folgt jedoch grds. nicht aus dem Vorgehen nach § 247a Abs. 1 StPO.
§ 247a Abs. 1 StPO soll zum Schutz des Zeugen eine räumliche Trennung von Gerichtssaal und Verfahrensbeteiligten ermöglichen. Der Inbegriff der Hauptverhandlung i.S.d. § 261 StPO bleibt von § 247a StPO jedoch unberührt. Er erstreckt sich somit auf alle Details in Bezug auf den betreffenden Zeugen – auch auf sein Erscheinungsbild.[43] Denn die mit § 247a StPO verbundene räumliche Trennung soll nicht die verfahrensmäßigen Rechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere nicht des Angeklagten schmälern. Das setzt voraus, dass nicht nur der Vorsitzende, sondern auch die anderen Verfahrensbeteiligten den Zeugen hören und auch sehen können.[44] Sein Gesamtverhalten, einschließlich von Gestik und Mimik muss von allen verfolgt und beurteilt werden können.[45] Zweck des § 247a StPO ist es gerade nicht, insoweit Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz zu beschneiden. Zum Schutz des Zeugen wird also lediglich auf dessen körperliche Anwesenheit verzichtet, nicht aber auf seine Aussage und deren (vollständige) Beurteilung an sich.
Denkbar wäre eine akustische und/oder optische Abschirmung nur, wenn § 247a StPO einer Analogie in Bezug auf das Tragen eines Vollgesichtsschleiers zugänglich ist. Die Vernehmung eines Zeugen unter optischer und akustischer Abschirmung soll nach inzwischen wohl h.M. unter den Voraussetzungen des § 247a Abs. 1 S. 1
StPO zulässig und geboten sein, wenn nur so eine Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung erreicht werden kann, etwa weil die Verwaltungsbehörde den Zeugen aus Schutzgründen nur unter diesen Voraussetzungen freigibt und sie nach § 244 Abs. 2 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK sowie dem Prinzip des bestmöglichen Beweises zur Aufklärung der Straftat unter größtmöglicher Berücksichtigung der Verteidigungsinteressen unerlässlich ist.[46] Dieser Auffassung folgt inzwischen auch der 1. Senat des BGH in ständiger Rspr.[47]
Einer Übertragung dieses Ansatzes auf den Fall einer verschleierten Zeugin stehen allerdings grundlegende Bedenken entgegen. Bereits im Ausgangspunkt der Interessenlagen erscheinen die Sachverhalte nämlich nicht vergleichbar. So ist das der Verhandlung vorangegangene Verhalten des verdeckten Ermittlers oder V-Mannes, der mit seiner Aussage zur Verurteilung des Angeklagten beitragen soll, dem Staat zurechenbar.[48] Im Gegenzug bleibt es in staatlicher Verantwortung, diejenigen, die in seinem Namen auf Seiten der Strafverfolger tätig werden, zu schützen – auch vor den mit einer Zeugenaussage verbundenen Risiken. An jener Zurechenbarkeit fehlt es jedoch im Fall der Verschleierung ebenso wie in Konstellationen, in denen der Zeuge bspw. aus Scham, Angst vor dem Täter oder um schwerste Entstellungen zu verbergen, sein Gesicht verhüllt.
§ 247a StPO folgt mit der Ermöglichung der audiovisuellen Zeugenvernehmung zwei Grundgedanken. Während § 247a Abs. 1 S. 1, 1. Hs. StPO dem Zeugenschutz dient und im Gegenzug die Qualität des Beweismittels reduziert, fokussiert § 247a Abs. 1 S. 1, 2. Hs. StPO sogar eine Erhöhung der Wahrheitsfindung hinsichtlich von Zeugen, die ansonsten vor Gericht überhaupt nicht erscheinen könnten.[49] F ür den Fall eines verdeckten Ermittlers wird die akustische und optische Verfremdung in erster Linie darauf gestützt, dass dem Zeugen aufgrund der Sperrerklärung bereits das Erscheinen vor Gericht unmöglich wäre. Der Zeuge ist damit ein unerreichbares Beweismittel i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO. Es handelt sich folglich um eine Analogie primär zu § 247a Abs. 1 S. 1, 2. Hs. StPO.[50] Gerade diese Alternative greift für die vollverschleierte Zeugin aber nicht ein; ihr Erscheinen vor Gericht ist nämlich durchaus möglich (siehe oben Abschn. II. 1.). Im Ergebnis muss eine analoge Anwendung des § 247a Abs. 1 StPO also ausscheiden.
Sitzungspolizeiliche Maßnahmen sollen die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung sowie die Würde des Prozesses sicherstellen und darüber hinaus die Sicherheit aller anwesenden Personen ebenso wie die Rechte der Verfahrensbeteiligten gewährleisten.[51] Als allgemeine Rechtsgrundlage ermächtigt § 176 GVG den Vorsitzenden deshalb zu den nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen.[52] Der Erlass von Anordnungen gem. § 176 GVG setzt eine tatsächliche oder eine konkret zu besorgende Störung der äußeren Ordnung des Verhandlungsverlaufs voraus. Während der Sitzung darf und muss dabei jedes Verhalten untersagt werden, das entweder mit dem Ansehen und der Würde des Gerichts[53] oder mit der Durchführung einer geordneten Hauptverhandlung nicht vereinbar ist.[54]
Durchgesetzt werden kann damit auch das Tragen angemessener Kleidung. So sind bspw. Rechtsanwälte verpflichtet, mit Robe aufzutreten.[55] Es liegt daher nicht allzu fern, für die Vollverschleierung im Zeugenstand auf § 176 GVG zurückzugreifen.[56]
Fraglich ist, ob die Burka keine angemessene Kleidung darstellt und ihr Tragen deshalb auf Grundlage von § 176 GVG untersagt werden kann. Kleidung oder Teile der Kleidung gelten als unangemessen, wenn sie Ausdruck eines ungebührlichen Verhaltens gegenüber dem Gericht sind.[57] Gemeinhin wird es zwar als Unhöflichkeit begriffen, in geschlossenen Räumen Kopfbedeckungen zu tragen; diese Sichtweise bleibt im Rahmen des § 176 GVG allerdings zu pauschal. Vielmehr muss im Tragen der Kopfbedeckung gerade gegenüber dem Gericht (oder ggf. anderen Verfahrensbeteiligten) eine Kundgabe von Missachtung liegen.[58] Sicher nicht verlangt werden kann daher (undifferenziert) das Ablegen jeder Art von Kopfbedeckung.[59] Dies gilt auch für die Vollverschleierung. Wird der Vollgesichtsschleier ausschließlich aus religiösen Gründen getragen, so genügt dies nicht per se als Grundlage für die Anordnung, ihn abzulegen.[60] Ein ungebührliches Verhalten liegt jedoch sehr wohl vor, falls die Verschleierung (zugleich) mangelnden Respekt und fehlende Akzeptanz gegenüber dem konkreten Spruchkörper bzw. der Justiz insgesamt zum Ausdruck bringt oder sie gar gezielt zu dem Zweck getragen wird, die Beweisaufnahme zu konterkarieren.[61]
Möglicherweise bedeutet das Tragen des Vollgesichtsschleiers eine nicht hinnehmbare Beeinträchtigung von Beweisaufnahme sowie Beweiswürdigung und dadurch eine Störung des ordnungsgemäßen Sitzungsablaufs. Hierfür gibt es primär zwei Angriffspunkte: Einerseits das Fragerecht des Angeklagten, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, andererseits den Grundsatz der freien Würdigung der aus dem Inbegriff der Verhandlung gewonnenen Beweise durch das Gericht, § 261 StPO.
In Betracht kommt, dass der Vorsitzende die Anordnung zum Ablegen des Vollgesichtsschleiers erteilen muss, wenn die Grundsätze eines fairen Verfahrens dadurch beeinträchtigt sind, etwa weil der Angeklagte so sein Fragerecht nicht wahrzunehmen vermag. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK gewährt das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen; der Angeklagte soll dadurch die Möglichkeit zu einer Konfrontation (i.w.S.) mit dem Zeugen haben.[62] Dabei gelten grds. auch anonyme Zeugen, deren Aussagen etwa über ihre Verhörsbeamte in den Prozess eingeführt werden, als Zeugen i.S.d. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK, so dass sich das Fragerecht ebenso auf sie erstreckt.[63] Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK ist damit eine Ausprägung des Prinzips der Waffengleichheit im Strafverfahren und soll dem Beschuldigten für das besonders wichtige Beweismittel des (Belastungs- und Entlastungs-)Zeugen die gleichen Befugnisse wie der Staatsanwaltschaft gewähren.[64] Bereits dieser Ausgangspunkt gibt Anlass zur Skepsis: Wenn auch der staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreter die Zeugin nicht unverschleiert befragen darf, dann scheint doch das von Art. 6 Abs. 3 EMRK geforderte Kräftegleichgewicht zu bestehen . Es folgt allein aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK also kein generelles Vermummungs- oder Verschleierungsverbot für Zeugen.
Ob ein Verstoß gegen die Konvention vorliegt, bestimmt sich vielmehr danach, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung fair gewesen ist.[65] Bei Belastungszeugen muss der Beschuldigte dabei angemessene und geeignete Gelegen-
heit haben, an ihn Fragen zu stellen.[66] Das Fragerecht soll gewährleisten, dass Beweispersonen nicht einseitig, sondern auch nach den für die Verteidigung relevanten Gesichtspunkten befragt werden. Dem Beschuldigten muss es möglich sein, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern und den Wahrheitsgehalt seiner Aussage zu hinterfragen.[67] Dies wiederum legt es nahe, in der Vollverschleierung eines Belastungszeugen einen Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens zu sehen. Dass man den Zeugen nicht sehen kann, erschwert es, seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern oder zu stützen (siehe dazu Abschn. III. 2. b).
Das Fragerecht unterliegt jedoch Grenzen und beinhaltet insbesondere kein Konfrontationsrecht des Angeklagten i.S.e. Gegenüberstellung.[68] Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK steht einem Vorgehen also nicht entgegen, bei dem etwa zum Schutz des Zeugen dessen Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung oder im Wege einer audiovisuellen Übertragung an einem anderen Ort erfolgt.[69]
Bei anonymen Belastungszeugen (z.B. V-Personen) reicht es jedoch nicht aus, dass Beschuldigter und Verteidiger lediglich über eine akustische Übertragung die richterliche Vernehmung des Zeugen in einem Nebenraum verfolgen und Fragen stellen können. Eine Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK genügende Zeugenbefragung setzt hier vielmehr eine unmittelbare Konfrontation voraus, die es der Verteidigung ermöglicht, die Reaktion des Zeugen auf direkte Fragen zu beobachten und seine Glaubwürdigkeit zu überprüfen.[70] Eine Beeinträchtigung von Frage- und Konfrontationsrechts liegt demnach grds. vor.[71]
Denkbar ist ferner, dass die Vollverschleierung eine unzulässige Beeinträchtigung der Beweiswürdigung bedeutet. Der Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten Beweismittel, das die Strafprozessordnung zur Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt.[72] Anders als bei den Mitteln des Sachbeweises und weitaus stärker als beim Sachverständigenbeweis hängt die Bedeutung des Zeugenbeweises von Persönlichkeit, Lebenslauf, Charakter und Beweggründen des Zeugen ab.[73] Wahrheitsgehalt und Glaubhaftigkeit einer Aussage zu beurteilen, ist daher diffizil:
Bewusste Falschaussagen erkennt man anhand von Glaubhaftigkeitskriterien. Dabei geht es lediglich um eine tat- und aussagebezogene Glaubhaftigkeit, nicht aber um die persönlichkeitsbezogene Glaubwürdigkeit des aussagenden Zeugen an sich.[74] Die Beurteilung der Aussage erfolgt dabei anhand einer kriterienorientierten Aussageanalyse, der Aussagekompetenz des Zeugen, der Entstehungsgeschichte der Aussage oder möglichen Suggestionseffekten.[75] Hierbei existieren verhaltensorientierte und inhaltsorientierte Ansätze zur Beurteilung des Wahrheitsgehalts einer Aussage . Während die inhaltsorientierten ihrem Namen entsprechend auf Inhaltsmerkmale und Qualität der Zeugenaussage abstellen, identifizieren verhaltensorientierte Ansätze nonverbale Verhaltensweisen als Symptome für Lügen.[76] Glaubhaftigkeitsmerkmale (sog. Realkennzeichen)[77] kommen in Aussagen
über tatsächlich Erlebtes häufiger und ausgeprägter vor, als in Aussagen über Nichterlebtes.[78]
Von der Justiz üblicherweise herangezogene Merkmale sind z.B. die logische Konsistenz und der quantitative Detailreichtum einer Aussage.[79] Als aussagepsychologisch belegt gelten daneben aber noch weitere Merkmale wie etwa eine ungeordnet sprunghafte Darstellung, das Vorhandensein raumzeitlicher Verknüpfungen, Interaktionsschilderung und Wiedergabe von Gesprächen, Schilderung von Komplikationen im Handlungsablauf, Beschreibung ausgefallener oder nebensächlicher Einzelheiten, indirekt bezogene Handlungselemente, Beschreibung eigener psychischer Vorgänge, Eingeständnis von Erinnerungslücken, Einwände gegen die Richtigkeit der eigenen Aussage, Selbstbelastungen, Entlastung des Angeschuldigten oder deliktsspezifische Aussageelemente.[80]
Elementar bleiben indes auch bestimmte körperliche Symptome und/oder Verhaltensauffälligkeiten.[81] Von bestimmten Symptomen kann nur dann auf einen dem zugrunde liegenden Zustand geschlossen werden, wenn sie dafür hinreichend deutlich und spezifisch auftreten. Spezifität bezeichnet dabei die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Symptom als Begleiterscheinung oder Folge eines bestimmten Sachverhaltes vorkommt.[82] So besteht zwischen nonverbalen (Gestik, Mimik) sowie paraverbalen (Stottern, Satzabbrüche) Verhaltensweisen und Falschaussagen ein enger Zusammenhang.[83] Zwar ist dieser Konnex i.d.R. zu inkonsistent, um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage allein darauf stützen zu können.[84] Gleichwohl ist er ein ganz wesentlicher und zentraler Teil der Aussagebewertung und erster Indikator für deren Wahrheitsgehalt.
Im Fall einer vollverschleierten Zeugin gibt es für das Gericht jedoch nicht die geringste Möglichkeit, sich im Rahmen der persönlichen Befragung einen Eindruck von dieser Person zu verschaffen[85]; eine Auswertung verhaltensorientierter Glaubhaftigkeitsmerkmale scheidet somit vollständig aus. Dies bedeutet wiederum eine beachtliche Einschränkung des Grundsatzes, dass die Beweiswürdigung aus dem Inbegriff der Verhandlung zu erfolgen hat, § 261 StPO.[86]
Fraglich ist nun, ob sowohl die Einschränkung des Fragerechts aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK als auch die Behinderung der umfassenden Würdigung der aus dem Inbegriff der Verhandlung gewonnenen Beweise unter Verweis auf Art. 4 GG hinzunehmen ist. Betroffen ist dabei nur die Freiheit der Religionsausübung, Art. 4 Abs. 2 GG; das mit Abs. 1 des Grundrechts geschützte sog. forum internum kann schon begrifflich nicht mit anderen Schutzpositionen kollidieren.[87]
Art. 4 Abs. 2 GG ist seinem Wortlaut nach nur auf den ersten Blick ein schrankenlos gewährleistetes Grundrecht. Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV stellt die Ausübung der Religionsfreiheit unter den Vorbehalt der "bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten". Daraus leitet ein großer Teil der Lit. einen einfachen Gesetzesvorbehalt auch für Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG ab.[88] In diesem Fall ließe sich bereits die als allgemeine staatsbürgerliche Pflicht begriffene Zeugenpflicht aus §§ 68 Abs. 1, 261 StPO, § 176 GVG als tragfähige Grundlage für das unverschleierte Erscheinen vor Gericht heranziehen. Die verfahrensmäßigen Rechte des Angeklagten, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 lit. d EMRK, sind hierbei ebenso zu berücksichtigen.
Aber selbst wenn man jener Auffassung nicht folgen will[89], steht für diesen Fall kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke im Raum, nämlich die Bindung der Rspr. an Recht und Gesetz, Art. 20 Abs. 3 GG. Das Rechtsstaatsprinzip, das die Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält, fordert eine faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts. Es verlangt darüber hinaus aber auch die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die – in den Worten des BVerfG – der "Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann" [90] . Denn der "Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden" [91]. Das Prinzip der Einheit der Verfassung gebietet es hier, einen schonenden Ausgleich beider Verfassungsgüter im Wege praktischer Konkordanz herzustellen. Danach sind Eingriffe in die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt, soweit sie – wie hier – der Verwirklichung eines damit kollidierenden Verfassungsbelangs dienen und sich darüber hinaus in einer qualifizierten Verhältnismäßigkeitsprüfung als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen.[92]
Die Aufforderung stellt einen Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit auch dann dar, wenn man eine auf religiöser Überzeugung beruhende Pflicht zur Vollverschleierung verneint.[93] Es kommt nach Auffassung des BVerfG auch nicht darauf an, dass der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen unter islamischen Gelehrten durchaus umstritten ist.[94]
Das Ablegen des Vollgesichtsschleiers ist tauglich, sowohl das Fragerecht des Angeklagten als auch die Beweiswürdigung durch das Gericht zu ermöglichen. Als erforderlich gilt ein Eingriff, wenn kein milderes, ebenso effektives Mittel zur Verfügung steht.[95] Zu denken ist hier wiederum an eine Vernehmung, bei der die Zeugin optisch und akustisch abgeschirmt bleibt. In diesem Fall verringert sich allerdings der Beweiswert des Beweismittels.[96] Beim Zeugen handelt es sich um einen Personalbeweis, dem vor anderen Beweismitteln wie bspw. der Verlesung von Vernehmungsprotokollen aufgrund seines höheren Beweiswerts mit Blick auf Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz der Vorrang eingeräumt ist.[97] Ein milderes aber ebenso effektives Mittel steht demnach nicht zur Verfügung.
In diesem Punkt unterscheidet – wie bereits dargestellt – sich die vorliegende Konstellation von Sachverhalten, in denen der BGH bei einer Vernehmung verdeckter Ermittler optische und akustische Abschirmungen zulassen will. Denn in diesen Fällen ist der Zeuge ein unerreichbares Beweismittel und die betreffende Aussage lässt sich deshalb überhaupt nicht oder nur als verlesenes Protokoll mit noch geringerem Beweiswert in das Verfahren einbringen; der verdeckte Ermittler könnte ohne Abschirmung vor Gericht bereits nicht erscheinen.[98] Erscheinen kann die vollverschleierte Zeugin aber sehr wohl.[99] Auch dieser fundamentale Unterschied schließt die optische und akustische Abschirmung für den vorliegenden Fall als milderes aber gleich effektives Mittel aus.
Das Verbot muss darüber hinaus auch verhältnismäßig i.e.S. sein. Für die Interessenabwägung ist dabei zunächst auf Seiten der Religionsausübungsfreiheit zu berücksichtigen, dass es ein bindendes Gebot oder gar eine Pflicht zur (Voll-)Verschleierung im Islam grds. nicht gibt.[100] In Anbetracht dessen wird der Eingriff jedenfalls nicht im unmittelbaren Kernbereich des Art. 4 Abs. 2 GG anzusiedeln sein.[101] Demgegenüber stehen auf der anderen Seite gerade die denkbar zentralsten Aspekte des Strafverfahrens in Rede: Ohne Fragerecht des Angeklagten und ohne umfassende Beweiswürdigung durch das Ge-
richt bleibt vom Strafprozess nur eine leere Hülle übrig, die mit Nichten rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt.
Eine Parallele lässt sich für die Abwägung bspw. zur Rechtslage in Bezug auf die Passpflicht ziehen. Hier gelten solche Eingriffe in die Religionsausübungsfreiheit mit Verweis auf die Pass- und Ausweispflicht als gerechtfertigt, auf deren Grundlage die ihnen unterliegenden Bürger ein Passbild von sich anfertigen lassen und sich mit diesem Bild ausweisen müssen.[102] Soweit der dazu erwartete Verzicht auf eine Kopfbedeckung in die religiös motivierte Kleidung eingreift, heißt es, der Ausschluss einer Kopfbedeckung müsse freilich auf das für die Funktion des Passbilds unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden.[103] Eine Kopfbedeckung, die nur die "ohnehin veränderliche Haartracht" verbirgt, sei davon also nicht betroffen – sehr wohl aber eine Form der Vollverschleierung, die das gesamte Gesicht unkenntlich macht.[104] Diese Grundsätze müssen freilich auch im Strafverfahren gelten.
Wichtige Anhaltspunkte für den Interessenausgleich liefert auch die Rechtslage bei der Vereidigung einer Aussage, bei welcher der Eid entweder mit religiöser Beteuerungsformel oder aber ohne eine solche gesprochen werden kann, § 64 Abs. 1 bis Abs. 3 StPO. Eine Pflicht, den Eid mit dem Zusatz einer religiösen Beteuerung zu sprechen, ließe sich mit Blick auf die negative Religionsfreiheit nicht rechtfertigen[105], weil die Glaubhaftigkeit der Aussage aus strafprozessualer Sicht durch den Rekurs auf Gott (oder eine andere höhere Macht) in keinster Weise gesteigert wird. Maßgeblich ist einzig und allein die formal hervorgehobene Beteuerung der Wahrhaftigkeit ("Ich schwöre es").[106] So liegen die Interessen im Fall der Vollverschleierung aber gerade nicht: Entscheidend für die Beweiswürdigung ist hier, dass sich das Gericht im Rahmen der persönlichen Befragung einen Eindruck von der Person des Zeugen verschaffen kann. Wie aufgezeigt (Abschn. III. 2. b) verhindert die Verschleierung dies aber vollends. Sind bei einer persönlichen Befragung durch das erkennende Gericht nicht einmal das Gesicht und insbesondere die Augen der Zeugin erkennbar, bleibt jede den Anforderungen des § 261 StPO genügende Auswertung der Zeugenaussage ausgeschlossen.[107]
Das gilt auch dann, wenn die Aussage der betreffenden Zeugin für das Verfahren nicht von zentraler Bedeutung zu sein scheint, sie also keine "Hauptbelastungszeugin" ist. Dies beruht auf dem Umstand, dass der Bedeutungsgehalt einer Aussage überhaupt nicht feststeht, solange diese durch den Zeugen nicht vorgebracht und durch das Gericht nicht gewürdigt wurde. Ein Beweismittel, dem bereits von vorne herein keine Bedeutung zukommt, darf nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO abgelehnt werden – geschieht dies nicht, hat die Beweisaufnahme in ordnungsgemäßer Form stattzufinden. Eine "abgespeckte Sparversion" der Vernehmung für "unwichtige Zeugen" kennt die Strafprozessordnung nicht.
Im Ergebnis wird man also den Grundsatz formulieren können, dass die Anweisung an die Zeugin, den Vollgesichtsschleier während der Zeugenaussage abzulegen, nicht nur grds. zulässig, sondern verfahrensrechtlich sogar geboten ist und auf § 176 GVG gestützt werden kann. Dieses Ergebnis steht zumindest prozessual völlig außer Frage: Von den persönlichen religiösen, weltanschaulichen, ideologischen oder gar politischen Neigungen eines einzelnen Zeugen darf der Aufklärungsumfang im Strafverfahren nicht abhängen. Metaphorisch gesprochen würde sonst wohl gelten: den Vorhang zu und alle Fragen offen.[108] Das Störgefühl, das die gesellschaftliche Debatte so befeuert hat, konnte diese Untersuchung auch – und in erster Linie dies ist aus juristischer Perspektive interessant – dogmatisch fundieren.
Der Zeugin ein Ablegen des Vollgesichtsschleiers abzuverlangen birgt freilich ein nicht geringes Risiko, dass sich im einschlägigen Personenkreis eine justizielle Subkultur herausbildet. Unabhängig von der Religiösität oder Glaubensrichtung, darf und muss sich in Deutschland aber jeder an die Gerichte wenden und vor ihnen aussagen. Ein Rechtsschutzdefizit wirkte hierbei für eine gelungene Integration geradezu fatal. Hilfreich wäre es gerade deshalb, wenn sich die Akzeptanz in Bezug auf das hiesige Strafverfahren befördern ließe. Hierzu aufgerufen ist jedoch die Gesellschaft insgesamt. Eine etwaige intergierende Funktion der Justiz darf dabei nicht um den Preis rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze vorangetrieben werden. Deren Beschneidung jedenfalls ist nicht der Ariadnefaden aus diesem Konflikt. Sicher kann man sich dabei auf den Standpunkt zurückziehen, die Frage der Koraninterpretation zu entscheiden, könne nicht Sache eines säkularen Staates sein.[109] Sache des Staates ist und bleibt es aber ganz unzweifelhaft, eine ordnungsgemäße und rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Strafrechtspflege zu gewährleisten. Von dieser Verpflichtung entbindet auch die Achtung der Freiheit der Religionsausübung nicht.
[*] Für wertvolle Hinweise zum islamischen Recht danke ich Herrn Dr. Christoph Zehetgruber, wissenschaftlicher Assistent und Habilitand an der Universität Bayreuth.
[1] Im Gegensatz zu Verschleierung verlangt der Begriff der Vermummung (i.S.d. § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersG) nach ganz h.M. nicht nur eine Eignung zur Verhinderung der Identitätsfeststellung, sondern auch eine dahingehende Absicht; vgl. Erbs/Kohlhaas/Wache 205. Aufl. (2015), § 17a VersG Rn. 7; MüKo/Altenhain/Tölle 2. Aufl. (2013), § 27 VersG Rn. 23. Die Aufmachung muss aus der Sicht eines unabhängigen Dritten eindeutig den Zweck haben, die Identifizierung zu vereiteln.
[2] Soweit ersichtlich wurde die Debatte in Deutschland mit der Einführung des Verbots in Frankreich zum ersten Mal aufgegriffen, vgl. etwa http://www.welt.de/politik/ausland/article7419075/Koch-Mehrin-will-europaweites-Burka-Verbot.html (Stand aller URLs: 29.2.2016).
[3] Bspw. fordern neuerdings CDU und vor allem CSU wieder ein Verschleierungsverbot, vgl. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/burka-und-niqab-die-csu-will-die-vollverschleierung-verbieten/12620450.html; http://www.n-tv.de/politik/CSUfordert-Verbot-von-Burka-und-Niqab-article16400541.html. Vollverschleierungsverbote existieren bspw. in Belgien und Frankreich. Siehe auch EGMR NJW 2014, 2925, 2932: Es gebe "unter den Mitgliedstaaten des Europarats keine gemeinsame Auffassung über das Tragen des Gesichtsschleiers in der Öffentlichkeit ... Anders, als ein Drittbeteiligter meint, gibt es in der Tat keinen europäischen Konsens gegen ein Verbot. ... Das Tragen des Gesichtsschleiers in der Öffentlichkeit ist oder war aber Gegenstand der Diskussion in mehreren europäischen Ländern".
[4] So titelt etwa die BILD-Zeitung: http://www.bild.de/regional/muenchen/kommentar/zum-burka-prozess-43440178.bild.html.
[5] Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Vollverschleierung, die das Gesicht der Zeugin vollständig verhüllt (insbesondere Burka und Niqab). Ausdrücklich ausgenommen sind Teilverschleierungsformen wie bspw. Hidschab oder Al-Amira.
[6] So die WELT: http://www.welt.de/politik/deutschland/article147964671/Vollverschleierung-passt-nicht-in-unser-Weltbild.html.
[7] BVerfG NJW 1979, 32; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. (2014), § 26 Rn. 11; Volk/Engländer Grundkurs StPO, 8. Aufl. (2013), § 21 Rn. 5 .
[8] Zum (aus dem Unmittelbarkeitsgrundsatz folgenden) Vorrang des Personalbeweises siehe bereits BGH NJW 1954, 1415; BGH NJW 1961, 327; Meyer-Goßner/Schmitt 59. Aufl. (2015), § 250 StPO Rn. 2.
[9] Vgl. aber für das Verfahren vor den Zivilgerichten § 386 Abs. 3 ZPO.
[10] So die Bedeutungserläuterung bei Duden Online, http://www.duden.de/rechtschreibung/erscheinen.
[11] KK-StPO/Gmel, 7. Aufl. (2013), § 230 StPO Rn. 3; LR/Becker, 26. Aufl. (2009), § 230 StPO Rn. 7; SSW/Grube, 2. Aufl. (2014), § 230 StPO Rn. 6.
[12] Vgl. Duden Online, http://www.duden.de/suchen/dudenonline/sich%20zu%20erkennen%20zu%20geben.
[13] KK-StPO/Senge (Fn. 11 ), § 48 StPO Rn. 2.
[14] KMR/Neubeck, 59. Aufl. (2010), Vor § 48 StPO Rn. 10, SK-StPO/Rogall, 5. Aufl. (2014), Vor § 48 StPO Rn. 140 (Nebenpflicht).
[15] LG Hamburg MDR 1985, 72; BeckOK-StPO/Huber, 23. Ed. (2015), § 58 StPO Rn. 6; wohl auch SK/Rogall (Fn. 14 ), Vor § 48 Rn. 140.
[16] LR/Ignor/Bertheau, 26. Aufl. (2008), Vor § 48 StPO Rn. 17, 26 (in der Vorauflage noch: "zwecks Identifizierung anzulegen").
[17] BeckOK-StPO/Monka (Fn. 15 ), § 68 StPO Rn. 1.
[18] KK-StPO/Senge (Fn. 11 ), § 68 StPO Rn. 1.
[19] BeckOK-StPO/Monka (Fn. 15 ), § 68 StPO Rn. 1; Pfeiffer, 5. Aufl. (2005), § 69 StPO Rn. 1; siehe dazu auch BGH NJW 1986, 1999.
[20] Ähnlich gilt auch für den Betroffenen im OWi-Verfahren, dass die bloße Vorlage des Personalausweises gerade nicht genügt. Dies folgt aus der sich auf § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 243 Abs. 2 S. 1 StPO stützenden Mitwirkungspflicht, auf deren Grundlage sich das Gericht zumindest anhand eines Vergleichs des amtlichen Lichtbildes mit der erschienenen Person davon zu überzeugen hat, dass der zum Termin geladene Betroffene auch wirklich selbst anwesend ist; so OLG Hamm NStZ-RR 2008, 87.
[21] Den Tatbestand des § 111 OWiG kann sogar ein bloßes Unterlassen erfüllen, vgl. KK-OWiG/Rogall, 4. Aufl. (2014), § 111 OWiG Rn. 52 sowie BeckOK-OWiG/ Bock, 9. Aufl. (2015), § 111 OWiG Rn. 28 .
[22] Bei einer Weigerung des Zeugen zur Personalienangabe soll die "Identität des Zeugen ... in diesem Fall mit Hilfe seiner Ausweispapiere oder durch Zeugenvernehmung festzustellen" sein, so KMR/Neubeck (Fn. 14 ), § 68 StPO Rn. 2. Dies ist bei der vollverschleierten Zeugin allerdings nicht hilfreich, da nach wie vor das Gesicht unkenntlich ist und etwaig gemachte Angaben somit nicht verifiziert werden können. Denkbar ist vorliegend bspw. die Prüfung der Identität durch eine weibliche Justizangehörige in einem Nebenraum, was anschließend wiederum durch deren entsprechendes Zeugnis vor Gericht bestätigt werden müsste.
[23] Artkämper (Die "gestörte" Hauptverhandlung, 4. Aufl. 2013), S. 175 weist zu Recht darauf hin, dass man mit der Problematik schon bei Betreten des Gerichtsgebäudes rechnen muss (verschärfte Zugangskontrollen z.B. in Bayern). Nichts anderes gilt letztlich etwa auch bei einem Grenzübertritt, bei dem die Vollverschleierung (ggf. in einem Nebenraum) auf der Grundlage von Art. 7 des Schengener Grenzkodex ebenfalls abgelegt werden muss. Vgl. auch Bader NJW 2007, 2965 zum Fall einer auf Grund ihrer Bekleidung nicht mehr erkennbaren Schöffin, selbst wenn ein Ganzkörperschleier aus religiösen Gründen getragen wird. Der Vorsitzende soll hier einschreiten müssen, da sonst nicht mehr überprüft werden kann, ob es sich um den gesetzlichen Richter handelt. Eine solche Kleidung würde Baders Auffassung nach auch den Grundsatz der Öffentlichkeit verletzen. Für den vorliegenden Fall einer vollverschleierten Zeugin wird eine (anders als bei Richtern und Schöffen jedenfalls nicht evidente) Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes aus Raumgründen hier nicht näher betrachtet – zumal ein als Abhilfe denkbarer Ausschluss der Öffentlichkeit der Zeugin wenig nützt, wenn nach wie vor die Verfahrensbeteiligten anwesend bleiben, vgl. §§ 171a ff GVG. Die wesentliche Bedeutung des in § 169 GVG normierten Grundsatzes liegt darin, das öffentliche Vertrauen in die Rspr. zu festigen, die Verantwortung der Rechtspflegeorgane zu heben und der Möglichkeit vorzubeugen, dass sachfremde Umstände auf Gericht und Urteil Einfluss gewinnen, so Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht (Fn. 7 ), § 47 Rn. 1: " Unberührtheit des Richterspruchs von sachfremden Einflüssen " . Die Öffentlichkeit einer Hauptverhandlung setzt daher voraus, dass grds. jede Person die Möglichkeit hat, von ihrer Durchführung Kenntnis zu erlangen sowie an dieser als Zuhörer und Zuschauer teilzunehmen; vgl. BGH NStZ 1982, 476; BGH NStZ 1989, 1741; BVerfG NJW 2002, 814; LR/Wickern, 26. Aufl. (2010), Vor § 169 GVG Rn. 8, § 169 Rn. 19. Jedenfalls dies wäre im Fall der vollverschleierten Zeugin gewahrt.
[24] Siehe zu Glaubhaftigkeitsbeurteilung und Beweiswürdigung unten Abschn. III. 2. b.
[25] Vgl. Fn. 22 .
[26] Eingehend dazu unten Abschn. III. 3.
[27] BGHSt 32, 128; KK-StPO/ Senge (Fn. 11 ), § 68 StPO Rn. 7; HK/ Habetha, 5. Aufl. (2013), § 68 StPO Rn. 5; SK-StPO/Rogall (Fn. 14 ), § 68 StPO Rn. 20.
[28] Siehe aber zu etwaigen Repressalien Abschn. II. 3. a (1).
[29] So etwa SK-StPO/Rogall (Fn. 14 ), § 68 StPO Rn. 37; Zacharias Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, 1997, S. 272; a.A. Böttcher FS Schüler-Springorum, S. 549.
[30] SK-StPO /Rogall (Fn. 14 ), § 68 StPO Rn. 37.
[31] Die früher vorherrschende Auffassung, § 68 Abs. 3 StPO stehe der Vernehmung eines optisch oder akustisch abgeschirmten Zeugen entgegen und der Zeuge müsse vielmehr körperlich anwesend und sichtbar sein (Pfeiffer Fn. 19, § 68 StPO Rn. 3 unter Verweis auf BGHSt 32, 115, 124; ferner dazu Kühne StPO, 8. Aufl. 2015, Rn. 922), gilt seit Einführung des § 247a StPO als überholt (Meyer-Goßner/Schmitt Fn. 8, § 68 StPO Rn. 18). Für die Zulässigkeit einer solchen Vernehmung bereits Weigend (Gutachten 62. DJT, 42, 132) und der 3. Strafsenat des BGH (NJW 2003, 74). Der Anfragebeschluss ist jedoch gescheitert, BGH StV 2003, 5. Stellungnahmen finden sich bei BGH NStZ 2005, 43 oder BGH StV 2007, 228 = HRRS 2004 Nr. 827. Richtigerweise bleibt § 247a StPO hier die lex specialis, die § 68 Abs. 3 StPO in den einschlägigen Fällen vorgeht. Maßgeblich sind für optische und akustische Abschirmung dem entsprechend auch allein die Voraussetzungen des § 247a StPO (siehe Abschn. II. 3).
[32] Vgl. zur Ratio dieser bloßen Ordnungsvorschrift, Personenverwechslungen auszuschließen, bereits RGSt 40, 157.
[33] § 247a StPO wurde durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes vom 30.4.1998 (BGBl. 1998/I, S. 820) in die StPO eingefügt. Hauptanliegen dieses Gesetzes war die Verbesserung des Zeugenschutzes, wobei die Regelung dabei nur auf bestimmte besonders schutzbedürftige Zeugen, insbesondere auf Kinder und Jugendliche sowie auf Opfer in Verfahren wegen Sexualdelikten anwendbar sein sollte und sich das sog. Mainzer Modell zum Vorbild nahm. Siehe BT-Drs. 13/3128, S. 3 sowie umfassend dazu SK-StPO/Frister, 4. Aufl. (2012), § 247a StPO Rn. 3 f.
[34] LR/Becker (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 6.
[35] Diemer NJW 1999, 1667, 1669; KMR/Lesch (Fn. 14 ), § 247a StPO Rn. 26; LR/Becker (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 8; SK-StPO/Frister (Fn. 33 ), § 247a StPO Rn. 26.
[36] SSW/Tsambikakis (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 7; KMR/Lesch (Fn. 14 ), § 247a StPO Rn. 9.
[37] KMR/Lesch (Fn. 14 ), § 247a StPO Rn. 17; siehe auch BT-Drs. 13/7165, S. 4.
[38] Britz ZRP 2011, 26. Zur Einteilung des menschlichen Verhaltens im islamischen Recht Zehetgruber Islamisches Strafrecht versus europäische Werteordnung, 2010, S. 63 f. Das Tragen eines Schleiers wird dabei i.d.R. nicht als sanktionsbewehrtes Gebot ("al-wagib") zu verstehen sein, sondern eher ein empfohlenes Verhalten ("al-mandub") darstellen. Gefolgert wird die "Empfehlung" zur Verschleierung u.a. aus dem Koran, Sure 24:31 und/oder Sure 33:59 (hier zitiert in der Übersetzung von Max Henning), wobei allein aus dem Wortlaut die konkrete Art der Verschleierung noch nicht vorgegeben ist. Vgl. auch Wielandt Die Vorschrift des Kopftuchtragens für die muslimische Frau: Grundlagen und aktueller innerislamischer Diskussionsstand, unifr.ch/
theo/downloads/wielandtkopftuch.pdf (Stand 3.9.2014).
[39] So bspw. im Iran, auch dort allerdings nicht als Vollgesichtsschleier, sondern "nur" als Bedeckung von Haaren und Körperkonturen; vgl. dazu jüngst http://www.welt.de/politik/ausland/article145014785/Bussgeld-fuer-Autofahrerinnen-ohne-Kopftuch.html. Das iranische Recht muss dabei allerdings als Sonderfall begriffen werden, da dort nach der Revolution 1979 klassische Inhalte des muslimischen Rechts in staatliche Gesetze übernommen wurden; vgl. Zehetgruber (Fn. 38 ), S. 245 f.
[40] Nur sofern im Einzelfall tatsächlich die dringende Gefahr eines solchen schweren Nachteils durch drohende Repressalien bestünde, dürfte man tatbestandlich überhaupt über eine Analogie nachdenken. Auch für diesen Fall bleibt eine Analogie allerdings höchst zweifelhaft: Auf eine Sanktionierung, die Dritte auf das Ablegen der Vollverschleierung androhen, damit zu reagieren, den Schleier zu dulden, bedeutet im Ergebnis, dieser im Lichte des Art. 3 GG fragwürdigen Ideologie nachzugeben. Dies ist jedoch nicht Thema des vorliegenden Beitrags, der sich auf die – aus Sicht der Zeugin und nicht etwa der Repressalien androhenden Dritten – religiös motivierte Vollverschleierung konzentriert.
[41] Vgl. LG Waldshut-Tiengen BeckRS 2014, 07909.
[42] Diemer NJW 1999, 1667, 1669.
[43] LR/Becker (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 2; Meyer-Goßner/
Schmitt (Fn. 8 ), § 247a StPO Rn. 10; SK-StPO/Frister (Fn. 33 ), § 247a StPO Rn. 6; Rieß NJW 1998, 3240, 3242.
[44] HK/Julius (Fn. 27 ), § 247a StPO Rn. 11; KMR/Lesch (Fn. 14 ), § 247a StPO Rn. 6; LR/Becker (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 19; SK-StPO/Frister (Fn. 33 ), § 247a StPO Rn. 52.
[45] KK-StPO/Diemer (Fn. 11 ) § 247a StPO Rn. 17; KMR/Lesch (Fn. 14 ), § 247a StPO Rn. 6; LR/Becker (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 19; Schlothauer StV 1999, 47, 50.
[46] B eulke ZStW 2001, 709, 726 f.; Kolz NJW-Sonderheft f. Gerhard Schäfer, 35 ff.; LR/Becker (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 10 (krit. aber für den V-Mann im Hinblick auf die Tauglichkeit der Methode); Walter StraFo 2004, 224, 229 (unter der Voraussetzung "vorsichtiger" Würdigung der Aussage); Weider StV 2000, 48 ff., 51 ff.; so auch schon BGHSt 31, 148 ff., 156; BGHSt 31, 290 ff., 293; BGH NStZ 1982, 42 ; Herdegen NStZ 1984, 200 ff. Zur zwischenzeitlich überholten Gegenmeinung siehe Fn. 31 .
[47] BGHSt 51, 232 (dort Rn. 8) ; BGH NJW 2003, 74, 75 ; BGH StV 2004, 577 ; BGH NStZ 2006, 648 .
[48] Vgl. etwa BGH 10.6.2015 – 2 StR 97/14, Rn. 24: Verleitung zur Tat "in einer dem Staat zurechenbaren Weise".
[49] SK-StPO/Frister (Fn. 33 ), § 247a StPO Rn. 13.
[50] Zur Begründung verweist die Rspr. (BGH NStZ 2003, 74, 75 f.) darauf, dass entscheidend für die Zulässigkeit einer akustischen und optischen Abschirmung des Zeugen ist, ob diese Art der Vernehmung mit den Grundsätzen des Verfahrensrechts und den Wertvorstellungen unserer Rechtsordnung im Einklang steht. Bereits hieran ("Wertvorstellungen unserer Rechtsordnung" mit Blick auf Art. 3 GG) könnte man für die Vernehmung der vollverschleierten Zeugin zweifeln. Weiter heißt es, die Beweisaufnahme ist stets in einer Form durchzuführen, die dem im Gesetz grds. vorgesehenen Verfahren am nächsten kommt. Ist die unmittelbare Vernehmung des Zeugen wegen einer Sperrerklärung der Innenverwaltung nicht möglich, weil dabei der Zeuge überhaupt nicht vor Gericht erscheinen kann, lässt das Gesetz Beweissurrogate wie die Verlesung polizeilicher Vernehmungsprotokolle gem. § 251 Abs. 2 StPO oder die Vernehmung der polizeilichen Führungsbeamten der Gewährsperson als Zeugen vom Hörensagen zu. Wenn aber die völlige Ersetzung der Vernehmung der unmittelbaren Wahrnehmungsperson verfahrensrechtlich möglich ist, dann müsse dies erst recht für deren Vernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung gelten. Denn es handelt sich dann trotz der Abschirmung immer noch um eine unmittelbare Vernehmung, der ein höherer Beweiswert zukommt als den bloßen Beweissurrogaten.
[51] BVerfG NStZ 1995, 40; BVerfG NJW 1996, 310; BVerfG NJW 2007, 56; BGH NStZ 1998, 364; OLG Stuttgart NJW 2011, 2899; a.A. SK-StPO/Velten, 4. Aufl. (2013), Vor § 169 GVG Rn. 38 ff., § 176 GVG Rn. 6 ff.).
[52] BeckOK-StPO/Allgayer (Fn. 15 ), § 176 GVG Rn. 4.
[53] BVerfG NJW 2007, 56.
[54] BeckOK-StPO/Allgayer (Fn. 15 ), § 176 GVG Rn. 8; Pfeiffer (Fn. 19 ), § 176 GVG Rn. 5 ("äußerer Verlauf" der Sitzung als Schutzposition des § 176 GVG); siehe auch MüKo-ZPO/Zimmermann, 3. Aufl. (2008), § 176 GVG Rn. 8.
[55] BVerfGE 34, 138; BVerfG NJW 1970, 851; BGHSt 27, 34; ausführlich zu Bekleidungsvorgaben LG Mannheim NJW 2009, 1094.
[56] So auch Artkämper (Fn. 23 ), S. 169 ff. (insb. 175). Ähnlich für ein (das Gesicht vollständig erkennbar lassendes) Kopftuch: Unzulässig bei einer Schöffin (LG Dortmund NJW 2007, 3013 ff.), ggf. aber zulässig bei einer Zuhörerin, sofern darin keine Missachtungskundgabe gegenüber dem Gericht zum Ausdruck kommt (BVerfG NJW 2007, 56 f.).
[57] OLG München NJW 2006, 3079, 3080 (Nichteinhaltung der Kleidungsordnung als Provokation gegenüber dem Gericht); Gross NJW 2014, 3140 f. ("Die Würde des Rechts und der Rechtsprechung sollen eine Atmosphäre der Förmlichkeit, strenger Führung und Orientierung durch ein Dickicht, aber auch des Verstehens entstehen lassen, der sich keiner der Beteiligten entziehen darf. Das beginnt mit Kleidung und Robe und endet mit Haltung und Rede. Der Gerichtssaal ist kein Freizeitpark. Freizeitkleidung ist daher fehl am Platz ... Die Ernsthaftigkeit des Geschehens wird dadurch augenfällig gemacht").
[58] BVerfG NJW 2007, 56 f.: Nicht in jedem Aufbehalten von Hüten oder Kopftüchern in geschlossenen Räumen liege zwangsläufig eine Missachtungskundgebung gegenüber anderen anwesenden Personen und damit ein "ungebührliches” Verhalten. Vgl. auch Bader NJW 2007, 2965: grds. keine Kleiderordnung für Schöffen, bzgl. Schöffin mit Kopftuch.
[59] BVerfG NJW 2007, 56.
[60] BVerfG NJW 2007, 56, 57: Eine Ungebühr liege nicht vor, " wenn das Aufbehalten eines Hutes oder Kopftuchs lediglich aus religiösen Gründen erfolgt und auszuschließen ist, dass mit ihm zugleich Missachtung gegenüber der Richterbank oder anderen Anwesenden ausgedrückt werden soll und solange der Zuhörer als Person identifizierbar bleibt ". In diese Richtung auch OGH JBL 2009, 527, 534 (zu § 234 öStPO, i.E. Missachtung des Gerichts durch Vollverschleierung der Angeklagten bejaht).
[61] Erhebliches Missbrauchspotential ist hier ohne Zweifel vorhanden. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich aus Raumgründen aber primär auf den rechtlich problematischeren Fall einer in erster Linie rein religiös motivierten Verschleierung.
[62] Siehe Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 643.
[63] BGH NStZ 1993, 292; BGHSt 46, 93, 97; BeckOK-StPO/Valerius (Fn. 15 ), Art. 6 EMRK Rn. 47; Cornelius NStZ 2008, 244, 247; Meyer-Ladewig EMRK, 3. Aufl. (2011), Art. 6 EMRK Rn. 241 f.; SK-StPO/Frister (Fn. 33 ), § 247a StPO Rn. 22.
[64] BeckOK-StPO/Valerius (Fn. 15 ), Art. 6 EMRK Rn. 47; LR/Esser, 26. Aufl. (2012), Art. 6 MRK Rn. 759. Zum Fragerecht der Verteidigung Gaede StV 2012, 51, 54 ff. sowie umfassend monografisch Gaede Fairness als Teilhabe, 2007, S. 274 ff.
[65] EGMR NJW 1992, 3088, 3089; EGMR NJW 1999, 3545; EGMR NJW 2006, 3117, 3122; EGMR NStZ 2007, 103, 104 = HRRS 2006 Nr. 674; BVerfG NJW 2010, 925, 926 = HRRS 2009 Nr. 1114; BGH NStZ 2004, 505, 506; BeckOK-StPO/Valerius (Fn. 15 ), Art. 6 EMRK Rn. 48 (unter Nennung vorstehender Entscheidungen); KK-StPO/Schädler/
Jakobs (Fn. 11 ), Art. 6 MRK Rn. 31; Meyer-Ladewig EMRK (Fn. 63 ), Art. 6 EMRK Rn. 96; ferner Beulke Strafprozessrecht, 12. Aufl. (2012), § 7 IV 7 Rn. 124.
[66] EGMR NJW 2013, 3225, 3226; BGH NStZ 2004, 505, 506; BGH NStZ 2005, 224, 225; Beulke Strafprozessrecht (Fn. 65 ),§ 7 IV 7 Rn. 124; Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht (Fn. 7 ), § 44 Rn. 20; Volk/Engländer (Fn. 7 ), § 20 Rn. 15 .
[67] BeckOK-StPO/Valerius (Fn. 15 ), Art. 6 EMRK Rn. 49; LR/Esser (Fn. 64 ), Art. 6 MRK Rn. 773.
[68] BGHSt 46, 93, 96; LR/Esser (Fn. 64 ), Art. 6 MRK Rn. 773; a.A. Walther GA 2003, 204, 214 ff.
[69] BeckOK-StPO/Valerius (Fn. 15 ), Art. 6 EMRK Rn. 51; LR/Esser (Fn. 64 ) Art. 6 MRK Rn. 794; abl. Gaede JR 2006, 292, 296 (zu EGMR NStZ 2007, 103, 104), sofern die keiner Konfrontation unterliegende Aussage das einzige Beweismittel darstellt.
[70] EGMR StV 1990, 481, 482; EGMR NJW 1992, 3088, 3089.
[71] Siehe zur Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Art. 4 Abs. 2 GG unten Abschn. III. 3.
[72] Brause NStZ 2007, 505: der Zeugenbeweis sei für die "Überzeugungsbildung der Gerichte entscheidend. Das ist vom Gesetz so vorgesehen und erscheint ... zur Ermittlung der Wahrheit unverzichtbar"; krit. aber MAH-Strafverteidigung/Krause 2. Aufl. (2014), § 7 Rn. 200: Zeuge als "schwaches Beweismittel".
[73] Vgl. zu dieser besonderen Natur des Zeugenbeweises schon RGSt 47, 100, 104 f. (wenn auch in anderem Zusammenhang): "Der Zeuge hat in der Regel über Vorgänge zu berichten, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen. Er gibt aber nicht die Vorgänge selbst wieder, sondern nur die Wahrnehmungen, die er über sie gemacht hat. Hierbei kommt es ganz wesentlich auf das Auffassungsvermögen, das Urteil und die Gedächtnisstärke des Zeugen an, sowie auf seine Fähigkeit, streng sachlich zu berichten, auf seine persönliche Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit u. dgl. Das Ergebnis der Wahrnehmungen und ihre Wiedergabe sind m.a.W. regelmäßig durchaus persönlicher Art. Ein Zeuge kann daher in der Regel nicht durch einen anderen Zeugen und zumeist auch nicht durch ein anderes Beweismittel beliebig ersetzt werden, ist in diesem Sinne vielmehr unersetzbar."; so zitiert von BGHSt 32, 115 ff. (Rn. 28). Siehe ferner KK-StPO/Ott (Fn. 11 ), § 261 StPO Rn. 29.
[74] Alkan-Mewes Kriminalistik 2010, 377; Arntzen Psychologie der Zeugenaussage, 2011, S. 115; Fiedler Die Überprüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen, in: Stein (Hrsg.), Grundlagen der Polizeipsychologie, 2003, S. 182; Ludewig/Tavor/Baumer AJP 2011, 1418; Nack StV 1994, 555 f.; Steller Psychologische Diagnostik, in: Kröber/Steller (Hrsg.), Psychologische Begutachtung im Strafverfahren, 2000, S. 7; Steller/Volbert Glaubwürdigkeitsbegutachtung, in: Steller/Volbert (Hrsg.), Psychologie im Strafverfahren, 1997, S. 15; Volbert Standards der psychologischen Glaubhaftigkeitsdiagnostik, in: Kröber/Steller (Hrsg.), Psychologische Begutachtung im Strafverfahren, 2000, S. 113
[75] BeckOK-StPO/Eschelbach (Fn. 15 ), § 261 StPO Rn. 55; MAH/Jansen 1. Aufl. (2006), § 34 Rn. 3; MAH/Köhnken (Fn. 72 ), § 61 Rn. 20 ff.; vgl. auch Ludewig/Tavor/Baumer AJP 2011, 1431 sowie Steller (Fn. 74 ), S. 8 f. (insbesondere zu kindlichen Opferzeugen).
[76] Volbert (Fn. 74 ), S. 115: Etablierter sei der inhaltsanalytische Ansatz, weshalb für den verhaltensanalytischen Ansatz im vorliegenden Beitrag auch nur von "potentiellen Indikatoren" einer Falschaussage gesprochen wird.
[77] Kirchhoff MDR 2010, 792; Ludewig/Tavor/Baumer AJP 2011, 1421, 1424 f.; Schoreit StV 2004, 285; Volbert (Fn. 74 ), S. 115; krit. Greuel et.al. Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S. 9; vgl. auch BGHSt 45, 164 (171: "Realkennzeichen") sowie BGH NStZ 1997, 355 (356: "Realitätskriterien").
[78] MAH/Jansen (Fn. 75 ), § 34 Rn. 14 mit Verweis auf BGHSt 45, 164; vgl. zur sog. Undeutsch-Hypothese Steller/Volbert Die Begutachtung der Glaubhaftigkeit, in Foerster et. al. (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung, 2009, S. 819.
[79] Ludewig/Tavor/Baumer AJP 2011, 1422; Volbert (Fn. 74 ), S. 115 f.
[80] MAH/Jansen (Fn. 75 ), § 34 Rn. 14, bezugnehmend auf Steller/Köhnken Criteria-based statement analysis, in: Raskin (Hrsg.), Psychological methods in criminal investigation and evidence, 1989, S. 217.
[81] So z.B. Bange/Deegener Sexueller Mißbrauch an Kindern, 1996.
[82] MAH/Köhnken (Fn. 72 ), § 61 Rn. 12.
[83] MAH/Köhnken (Fn. 72 ), § 61 Rn. 37; zum Zusammenhang von Täuschungen und bestimmten nonverbalen und paraverbalen Verhaltensweisen auch Köhnken Glaubwürdigkeit, 1990 passim; Vrij Detecting lies and deceit: The psychology of lying and the implications for professional practice, 2000 passim.
[84] MAH/Köhnken (Fn. 72 ), § 61 Rn. 37; vgl. auch Ludewig/Tavor/Baumer AJP 2011, 1421, 1422.
[85] So auch SG Frankfurt v. 31.10.2013 – S 15 AL 385/11 ("Eine Befragung der[vollverschleierten]Klägerin, um einen persönlichen Eindruck von ihr zu erhalten ..., war nicht möglich").
[86] Aus diesem Grund existiert in Österreich die Regelung des § 162 S. 3 öStPO, wonach es dem Zeugen nicht gestattet werden darf, sein Gesicht derart zu verhüllen, dass sein Mienenspiel nicht soweit wahrgenommen werden kann, als dies für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit seiner Aussage unerlässlich ist. Vgl. zu dieser Vorschrift Fabrizy öStPO, 2011, § 162 Rn. 3. In den meisten Staaten, in denen eine solche Vollverschleierung üblich ist, stellt sich diese Frage der Würdigung einer Zeuginnenaussage in dieser Form nicht. So sieht das klassische islamische Strafrecht vor, dass (unstr. zumindest für bestimmte Delikte) die Aussage eines Mannes doppelt so viel "zählt", wie die Aussage einer Frau, von der h.M. abgeleitet aus dem Koran, Sure 2:282; vgl. dazu Zehetgruber (Fn. 38 ), S. 82, dort Fn. 395 mit zahlreichen Nachweisen zu dieser Meinung. Für den Iran (siehe dazu Fn. 39 ) gilt daher etwa gem. Art. 74 iranStGB, dass bei bestimmten Sexualdelikten eine Überführung des Täters nur durch die Aussagen von vier männlichen Augenzeugen möglich ist. Im Grundsatz "zählt" die Zeugenaussage einer Frau im iranischen Strafrecht halb so viel, wie die Aussage eines Mannes.
[87] Maunz/Dürig/Herzog, 74. EL (2015), Art. 4 GG Rn. 111.
[88] Heckel Religionsfreiheit in: Heckel Gesammelte Schriften Bd IV, 1997, 647, 755 ff.; Heckel AöR 2009, 309, 377 f.; Kästner JZ 1998, 975, 981 f.; BonnerKomm/Kästner 175. Akt. (2015) Art. 140 GG Rn. 218 ff.; Kästner ZevKR 60/2015, 1, 18 ff.; Muckel Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung 1997, 224 ff.; BerlinerKomm/Muckel 49. Akt. (2016), Art. 140 GG/Art. 136 WRV Rn. 11 ff.; Muckel in Merten/Papier (Hrsg), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa IV, 2011, § 96 Rn 94 ff.; ferner BVerwGE 112, 227, 231 f.
[89] So bspw. Borowski Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes 2006, S. 499 ff.; Dreier/Morlok, 3. Aufl. (2013), Art. 4 GG Rn. 124; Maurer ZevKR 49. Band, 2004, 311; Unruh Religionsverfassungsrecht, 2015, § 4 Rn. 131. In diese Richtung auch BVerfGE 33, 23, 30 f.; BVerfGE 102, 370, 387; BVerfGE 108, 282, 297, 311; BVerfG NJW 2015, 1359 Rn. 98.
[90] BVerfG NJW 2009, 1469, 1474.
[91] BVerfG NJW 2009, 1469, 1474.
[92] BeckOK-GG/Germann 27. Aufl. (2015), Art. 4 Rn. 48; Hofmann GG 2014, Art. 4 Rn. 13; Dreier/Morlok (Fn. 89 ) GG Art. 4 Rn. 159, 160; Borowski (Fn. 89 ), S. 546 ff.
[93] VG Freiburg v. 29.10.2015 – 6 K 2929/14, Rn. 31.
[94] BVerfG NJW 2015, 1359, 1361 (Rn. 89).
[95] Maunz/Dürig/Grzeszick (Fn. 87 ), Art. 20 GG Rn. 113.
[96] Vgl. nur BGH NStZ 2003, 274, 276; KK-StPO/Diemer (Fn. 11 ), § 247a StPO Rn. 14. Siehe auch oben Abschn. II. 3.
[97] BeckOK-StPO/Ganter (Fn. 15 ), § 250 StPO Rn. 1.
[98] Vgl. BGH NStZ 2003, 274; BGHSt 51, 232; dazu auch Valerius GA 2005, 459; Walter StraFo 2004, 224. Ambos (Internationales Strafrecht, 2014, § 10 Rn. 39 a.E.) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht ausreichend lediglich die Formulierung schriftlicher Fragen ist, die dann vom Vernehmungsbeamten gestellt werden. Dasselbe gilt für die nur akustische Übertragung der (richterlichen) Vernehmung in einen anderen Raum, von dem aus der Beschuldigte und sein Verteidiger Fragen stellen können. Ein visuelles Element bleibt also auch bei der abgeschirmten Vernehmung für Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zentral; siehe Schuster StV 2007, 507, 509 (zu BGH v. 19.7.2006 – 1 StR 87/06, Audiovisuelle Vernehmung eines Verdeckten Ermittlers unter Verfremdung der Bild- und Tonübertragung).
[99] Siehe Abschn. II. 1.
[100] Siehe Fn. 38 . Nach z.T. vertretener Auffassung sollen zudem Völker, die die Sitte, dass Frauen einen "gilbab" (Schleier) tragen, traditionell nicht kennen, von den entsprechenden Maßgaben im Koran auch nicht betroffen sein (so vertreten bspw. von Muhammad Tahir Ibn Asur, zitiert nach Wielandt Die Vorschrift des Kopftuchtragens für die muslimische Frau: Grundlagen und aktueller innerislamischer Diskussionsstand, unifr.ch/theo/downloads/wielandtkopftuch.pdf). Freilich wäre hierbei dann wieder höchst fraglich und zweifelhaft, ob "Volk" i.d.S. etwa mit deutscher Staatsbürgerschaft gleichgesetzt werden kann.
[101] Sogar weitergehend wohl Hochhuth NJW 2014, 2935 (Eingriff möglicherweise gar zu verneinen). Das BVerfG (bspw. NJW 1972, 1183 ) legt allerdings einen weiten Schutzbereich zugrunde: Sofern der Einzelne von religiöser Verbindlichkeit ausgeht, habe der Staat keine Befugnis, die religiöse Erforderlichkeit eines solchen (ernsthaften) Verhaltens in Frage zu stellen.
[102] EGMR DÖV 2009, 168; VGH München NVwZ 2000, 952.
[103] § 5 PassV in der Fassung vom 19.10.2007, dazu Anlage 8 PassV in der Fassung vom 19.10.2007 unter der Kategorie Kopfbedeckung: "Kopfbedeckungen sind grundsätzlich nicht erlaubt. Ausnahmen sind insbesondere aus religiösen Gründen zulässig. In diesem Fall gilt: das Gesicht muss von der unteren Kinnkante bis zur Stirn erkennbar sein. Es dürfen keine Schatten auf dem Gesicht entstehen."; zur Ganzkörperverschleierung allgemein Sachs/Kokott 7. Aufl. (2014) GG Art. 4 Rn. 69a.
[104] VG Wiesbaden NVwZ 1985, 137 f. sah es im Fall einer Muslimin mit Kopftuch als maßgeblich an, dass die Gesichtszüge einschließlich der relevanten biometrischen Merkmale sichtbar sind; vgl. auch VG Berlin NVwZ 1990, 100 (Christin mit Kopfbedeckung).
[105] Maunz/Dürig/Korioth (Fn. 87 ), Art. 136 WRV Rn. 127; Magoldt/Klein/Stark/Stark 7. Aufl. (2016), Art. 4 GG Rn. 25.
[106] BVerfGE 33, 23, 32 f.
[107] Vgl. dazu auch der Wortlaut der Entscheidung des EGMR NJW 2014, 2925 ("Barriere, die gegenüber anderen durch einen das Gesicht verbergenden Schleier errichtet wird").
[108] Pointiert zum Burka-Verbot aus öffentlich-rechtlicher Perspektive Barczak DÖV 2011, 54 ff. ("Zeig mir dein Gesicht, zeig mir, wer du wirklich bist").
[109] Wielandt Die Vorschrift des Kopftuchtragens für die muslimische Frau: Grundlagen und aktueller innerislamischer Diskussionsstand, unifr.ch/theo/downloads/wielandtkopftuch.pdf.