HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2015
16. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

759. BGH 1 StR 399/14 - Beschluss vom 10. Juni 2015 (LG München I)

BGHSt; Bestechung von Amtsträgern eines anderen EU-Mitgliedstaats (zweistufige Bestimmung der Amtsträgerstellung: Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, kein Verstoß gegen Bestimmtheitsgrundsatz und Grundsatz der Volkssouveränität).

Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 82 EUV; Art. 67 EUV; § 332 Abs. 1 StGB; § 11 StGB; Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EUBestG

1. Eine Bestrafung wegen Bestechlichkeit eines Amtsträgers eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union setzt eine zweistufige Prüfung der Amtsträgerschaft voraus. Zunächst ist seine Stellung nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats zu beurteilen und bejahendenfalls (kumulativ) nach deutschem Recht. (BGHSt)

2. Dies setzt den im europäischen Rechtsraum geltenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 EUV, Art. 67 AEUV) um. Das Rechtssystem des betroffenen Mitgliedstaates findet durch die Zugrundelegung seines materiellen Rechtsverständnisses Eingang in die deutsche Rechtssetzung, erfährt zum Schutz des innerstaatlichen Primärraums aber im Sinne eines sich wechselseitig ergänzenden Konzepts gegebenenfalls eine Beschränkung durch die deutsche Begriffsbestimmung. (Bearbeiter)

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Auslegung bestehen nicht. (Bearbeiter)

4. Um eine Blankettnorm, die mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG dem Erfordernis der Erkennbarkeit des Bestrafungsrisikos für den Bürger nicht hinreichend Rechnung trägt, handelt es sich bei Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG nicht. Tragweite und Anwendungsbereich der Vorschrift sind klar erkennbar; jedermann kann vorhersehen, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. (Bearbeiter)

5. Die hinreichende Bestimmtheit der Norm folgt bereits daraus, dass sich ihre Reichweite schon alleine durch die deutschen Strafbarkeitsvoraussetzungen gemäß Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 EUBestG, welche den Begriff des Amtsträgers im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB einschließen, für jedermann erkennbar absehen lässt. Die zusätzliche Geltung ausländischen Rechts kann daneben die Tatbestandsmäßigkeit allenfalls entfallen lassen, sich aber nicht strafbarkeitserweiternd auswirken. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist deshalb ausgeschlossen. (Bearbeiter)

6. Auch ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht etwa deshalb zu besorgen, weil zur Prüfung der gesetzlichen Merkmale deutschen Rechts ausländische Vorschriften herangezogen werden müssen. Die Ausübung der Strafgewalt bedarf zwar der Legitimation durch das Staatsvolk, welche durch die Gesetze eines ausländischen Staates nicht bewirkt werden kann. Ausländisches Recht kann aber zur Anwendung gelangen, wenn deutsche Rechtsnormen darauf verweisen und es damit für maßgeblich erklären. Für die betreffende ausländische Vorschrift gelten dann gleichermaßen die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG. (Bearbeiter)


Entscheidung

754. BGH 1 StR 235/14 - Beschluss vom 29. April 2015 (LG Mannheim)

Besonders schwerer Fall von Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (unlautere Bevorzugung: subjektiver Maßstab; Begriff des Vorteils und Vorteil von großem Ausmaß: individuelle Bestimmung nach der Eignung, den Vorteilsnehmer zu korrumpieren); wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen (Strafbarkeit von vertikalen Absprachen; Submissionsabsprachen); Fortsetzung der Hauptverhandlung ohne den Angeklagten (eigenmächtiges Fernbleiben des Angeklagten: Beweislast des Gerichts; Anforderungen an den Revisionsvortrag); Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen als nicht erforderlich (Begründung); Pflicht zur Mitteilung von Verständigungsgesprächen (Beruhen bei mit einem Mitangeklagten geführten Verständigungsgesprächen; Anforderungen an die Revisionsbegründung).

§ 299 Abs. 1 StGB; § 300 Nr. 1 StGB; § 298 Abs. 1 StGB; § 231 Abs. 2 StPO; § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO; § 243 Abs. 4 StPO; § 344 Abs. 2 StPO

1. Vorteil im Sinne des § 299 StGB ist jede Leistung, auf die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persönliche Lage objektiv verbessert. Ein solcher Vorteil kann bereits in dem Abschluss eines Vertrages liegen.

2. Schutzzweckspezifisch ist ein Vorteil in großem Ausmaß nach § 300 Abs. 1 Nr. 1 StGB erreicht, wenn der Vorteil besonders geeignet ist, den Vorteilnehmer zu korrumpieren. Dies erfordert eine Berücksichtigung einzelfallbezogener Umstände. Denn anders als die nach objektiven Maßstäben zu bestimmenden Merkmale des großen Ausmaßes bei Betrug und Steuerhinterziehung ist der Anreiz für Korrumpierbarkeit abhängig von den jeweiligen Verhältnissen des Vorteilnehmers, mithin von individuellen Kriterien. Die Bestimmung hat sich nur auf die Höhe des Vorteils und nicht auf den Umfang der Bevorzugung zu beziehen.

3. Ob es im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit der Anwendung der kodifizierten Strafzumessungsregel den-

noch der Festlegung einer betragsmäßig festgelegten Untergrenze als Begrenzung für den Einfluss individueller Kriterien bedarf, braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.

4. Die Vorschrift des § 299 StGB setzt eine Unrechtsvereinbarung dergestalt voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung angenommen bzw. gewährt wird (vgl. BGH NStZ 2014, 42, 43 f). Bevorzugung in diesem Sinne bedeutet dabei die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern, setzt also Wettbewerb und Benachteiligung eines Konkurrenten voraus.

5. Hierbei genügt es aber, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen nach der Vorstellung des Täters geeignet sind, seine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen. Danach ist das Tatbestandsmerkmal der Bevorzugung im Wettbewerb subjektiviert; es reicht aus, wenn nach der Vorstellung des Täters der Wettbewerb unlauter beeinflusst werden soll. Zur Erfüllung des Tatbestandes braucht weder die vereinbarte Bevorzugung noch die objektive Schädigung eines Mitbewerbers tatsächlich einzutreten.

6. Über den Wortlaut des § 231 Abs. 2 StPO hinaus darf eine unterbrochene Hauptverhandlung nur dann ohne den Angeklagten fortgesetzt werden, wenn dieser ihr eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt hat (vgl. BGHSt 37, 249, 251). Dabei obliegt es nicht dem Angeklagten, glaubhaft zu machen, dass sein Ausbleiben nicht auf Eigenmächtigkeit beruht, diese ist ihm vielmehr nachzuweisen (vgl. BGHSt 10, 304, 305).

7. Das Revisionsgericht hat zwar ausgehend vom Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung die Frage der Eigenmächtigkeit gegebenenfalls im Freibeweis zu überprüfen, jedoch – wie auch sonst bei behaupteten Verletzungen von Vorschriften über das Verfahren – nur auf der Grundlage eines entsprechenden Revisionsvortrags (vgl. BGH StV 1984, 326).

8. Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Dabei ist das Gericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären.

9. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags, als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr).

10. Durch die unzureichende Mitteilung und Protokollierung von Verständigungsgesprächen, die allein Mitangeklagte betroffen haben, ist der Beschwerdeführer im Regelfall nicht in seinen Rechten betroffen (vgl. BVerfG StV 2014, 649).


Entscheidung

756. BGH 1 StR 368/14 - Beschluss vom 11. Juni 2015 (LG Stuttgart)

Verfall (Begriff des Erlangten: Maßgeblichkeit des Zwecks der Strafvorschrift, hier: fahrlässiges Erbringen von Zahlungsdienstleistungen ohne Erlaubnis; Absehen vom Verfall wegen unbilliger Härte: Nochvorhandensein des Erlangtem im Vermögen des Täters; Vorliegen einer unbilligen Härte); fahrlässiges Erbringen von Zahlungsdienstleistungen ohne Erlaubnis (Genehmigungsbedürftigkeit hybrider Unternehmen: richtlinienkonforme Auslegung; kein Verbotsgesetz).

§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 73c Abs. 1 StGB; § 31 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZAG; § 134 BGB

1. Aus der Tat „erlangt“ im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB sind alle Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen (vgl. BGHSt 52, 227, 246 Rn. 92).

2. Bei der Bestimmung dessen, was „aus der Tat erlangt“ ist (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB), ist zu prüfen, welchen geschäftlichen Vorgang die Strafvorschrift nach ihrem Zweck verhindern will, was also letztlich strafbewehrt ist. Nur der aus diesem Vorgang gezogene Vorteil ist dem Täter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erwachsen.

3. Soweit das Geschäft bzw. seine Abwicklung an sich verboten und strafbewehrt ist, unterliegt der gesamte hieraus erlangte Erlös dem Verfall. Ist dagegen strafrechtlich nur die Art und Weise bemakelt, in der das Geschäft ausgeführt wird, ist nur der hierauf entfallende Sondervorteil erlangt (vgl. BGHSt 57, 79, 84 mwN).

4. Diese Grundsätze gelten auch in den Fällen, in denen die geschäftliche Tätigkeit einem Genehmigungsvorbehalt unterliegt, den der Täter in strafbarer Weise umgeht. Erreicht er hierdurch, dass er ein nicht genehmigungsfähiges Geschäft abschließen und/oder erfüllen sowie daraus entsprechende Vermögenszuwächse erzielen kann, unterliegen diese uneingeschränkt dem Verfall. Hatte er dagegen einen Anspruch auf die Genehmigung, so bemakelt die Rechtsordnung nicht den Abschluss oder die Erfüllung des Vertrags. Vielmehr soll durch die Strafbewehrung allein die Umgehung der Kontrollbefugnisse der Genehmigungsbehörde sanktioniert werden. Erlangt ist in diesem Fall nur der durch das nicht durchgeführte Genehmigungsverfahren erwachsene Sondervorteil in Gestalt des ersparten Aufwands (vgl. BGHSt 57, 79, 84 f. mwN).

5. Zahlungsdienste ohne Erlaubnis (§ 31 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZAG) erbracht, ist die Vereinbarung und Durchführung des Zahlungsdienstes strafrechtlich bemakelt. Dazu gehört der gesamte Geldkreislauf, der mit dem Angebot und der Auszahlung an den Kunden durch das EC-Cash-Terminal beginnt und mit dem Eingang der Gutschrift auf dem Konto der Verfallsbeteiligten endet.

6. Der Wert des Erlangten ist noch im Vermögen des Täters vorhanden, wenn das Nettovermögen des Betroffenen den Wert des Erlangten zumindest erreicht. Deshalb scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB von vorneherein aus, solange und soweit der Betroffene über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem Verfallsbetrag zurückbleibt (vgl. BGHSt 48, 40, 42 mwN).

7. Für den unbestimmten Rechtsbegriff der unbilligen Härte nach § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung maßgebend, ob die Anordnung den Betroffenen empfindlich treffen und Grundsätze der Billigkeit sowie das Übermaßverbot verletzen und damit „schlechthin ungerecht“ erscheinen würde. Diese Umschreibung eröffnet dem Tatgericht einen weiten Beurteilungsspielraum. Es obliegt im Wesentlichen seiner Bewertung, ob eine unbillige Härte vorliegt. Die Gewichtung der hierfür maßgeblichen Umstände ist der Nachprüfung in der Revisionsinstanz entzogen (vgl. BGHSt 57, 79, 87 mwN).

8. Besteht die Hauptaktivität eines Unternehmens nicht darin, Zahlungsdienste zu erbringen (sog. hybride Unternehmen), sind sie nach dem ZAG Zahlungsinstitute, soweit sie Zahlungsdienste gewerbsmäßig oder in einem Umfang erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Diese Rechtslage steht im Einklang mit der Zahlungsdiensterichtlinie; denn auch sie erfasst hybride Unternehmen als Zahlungsinstitut.

9. Bei der Umsetzung einer Richtlinie besteht regelmäßig die Vermutung, dass der Gesetzgeber den Willen hatte, die Richtlinie korrekt umzusetzen.

10. Erwägungsgründe eingangs einer Richtlinie sind Ausdruck des historischen Willens des Gesetzgebers und der mit der erlassenen Richtlinie angestrebten Ziele, nicht aber sind sie deren rechtsverbindlicher Bestandteil. Sie können aber bei Auslegungsbedürftigkeit der Richtlinie zur Auslegung herangezogen werden. Maßgeblich ist jedoch zunächst die konkrete Ausformung des Willens des Gesetzgebers in den Artikeln der Richtlinie.

11. Bei § 31 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZAG handelt es um kein Verbotsgesetz nach § 134 BGB.


Entscheidung

749. BGH 1 StR 99/14 - Beschluss vom 30. April 2015 (LG München II)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Grundstoffen, die zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden sollen (Ausnahme für Grundstoffe als Wirkstoff eines Arzneimittels: auch bei leichter Extrahierbarkeit, hier: Pseudoephedrin); Vorlageverfahren zum EuGH.

§ 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG; § 3 GÜG; § 1 Nr. 1 GÜG; Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 2001/83/EG; Art. 2 lit. a) Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 273/2004; Art. 2 lit. a) Halbsatz 2 Verordnung (EG) Nr. 111/2005; § 267 Abs. 3, Abs. 4 AEUV

1. Bei dem Wirkstoff Pseudoephedrin handelt es sich, wenn er Wirkstoff eines Arzneimittels im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel [ABl. EU Nr. L 311 vom 28. November 2001 S. 67] ist, nicht um einen „Grundstoff“ im Sinne von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG.

2. Dies gilt bei Grundstoffen, die Wirkstoff eines Arzneimittels sind, auch, wenn der Wirkstoff leicht verwendet oder leicht und wirtschaftlich aus dem Medikament extrahiert werden kann.


Entscheidung

758. BGH 1 StR 388/13 - Beschluss vom 30. April 2015 (LG München II)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Grundstoffen, die zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden sollen (Ausnahme für Grundstoffe als Wirkstoff eines Arzneimittels: auch bei leichter Extrahierbarkeit, hier: Pseudoephedrin); Vorlageverfahren zum EuGH.

§ 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG; § 3 GÜG; § 1 Nr. 1 GÜG; Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 2001/83/EG; Art. 2 lit. a) Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 273/2004; Art. 2 lit. a) Halbsatz 2 Verordnung (EG) Nr. 111/2005; § 267 Abs. 3, Abs. 4 AEUV

1. Bei dem Wirkstoff Pseudoephedrin handelt es sich, wenn er Wirkstoff eines Arzneimittels im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel [ABl. EU Nr. L 311 vom 28. November 2001 S. 67] ist, nicht um einen „Grundstoff“ im Sinne von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG.

2. Dies gilt bei Grundstoffen, die Wirkstoff eines Arzneimittels sind, auch, wenn der Wirkstoff leicht verwendet oder leicht und wirtschaftlich aus dem Medikament extrahiert werden kann.


Entscheidung

760. BGH 1 StR 426/13 - Beschluss vom 30. April 2015 (LG München II)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Grundstoffen, die zur unerlaubten Herstellung von Betäubungsmitteln verwendet werden sollen (Ausnahme für Grundstoffe als Wirkstoff eines Arzneimittels: auch bei leichter Extrahierbarkeit, hier: Pseudoephedrin); Vorlageverfahren zum EuGH.

§ 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG; § 3 GÜG; § 1 Nr. 1 GÜG; Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 2001/83/EG; Art. 2 lit. a) Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 273/2004; Art. 2 lit. a) Halbsatz 2 Verordnung (EG) Nr. 111/2005; § 267 Abs. 3, Abs. 4 AEUV

1. Bei dem Wirkstoff Pseudoephedrin handelt es sich, wenn er Wirkstoff eines Arzneimittels im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel [ABl. EU Nr. L 311 vom 28. November 2001 S. 67] ist, nicht um einen „Grundstoff“ im Sinne von § 1 Nr. 1 und § 3 GÜG.

2. Dies gilt bei Grundstoffen, die Wirkstoff eines Arzneimittels sind, auch, wenn der Wirkstoff leicht verwendet oder leicht und wirtschaftlich aus dem Medikament extrahiert werden kann.


Entscheidung

748. BGH 1 StR 76/15 - Beschluss vom 24. Juni 2015 (LG Deggendorf)

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Begriff des Arbeitnehmers; gleichzeitiges Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen und Arbeitnehmerbeiträge: einheitliche Tat nach § 266a Abs. 1 StGB).

§ 266a Abs. 1, Abs. 2 StGB

1. Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das wiederum auf das Arbeitsrecht Bezug nimmt. Arbeitgeber ist danach derjenige, dem der Arbeitnehmer nicht selbständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, wobei besondere Bedeutung dem Weisungsrecht sowie der Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers zukommt. Entscheidend sind hierbei allein die tatsächlichen Gegebenheiten (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 278). Grundsätzlich ist der Wille der Vertragsparteien zwar ausschlaggebend, eine nach den tatsächlichen Verhältnissen bestehende Sozialversicherungspflicht können die Beteiligten jedoch nicht durch abweichende Vertragsgestaltung umgehen. Maßgeblich ist eine abwägende Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände (vgl. BGH NStZ 2014, 321, 322).

2. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt bei gleichzeitigem Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a Abs. 1 StGB und Arbeitgeberbeiträgen nach § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB keine Tateinheit, sondern eine einheitliche Tat vor, bei der die zusätzliche Verwirklichung von § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB lediglich im Rahmen des Schuldumfangs Berücksichtigung findet (BGH wistra 2010, 408).


Entscheidung

713. BGH 3 StR 219/15 - Beschluss vom 30. Juni 2015 (LG Düsseldorf)

Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (tatsächliche Verfügbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland; „Bodypacker“; Transit; vorrübergehender Aufenthalt).

§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG

Eingeführt ist ein Betäubungsmittel, wenn es aus dem Ausland über die Grenze in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gebracht wird, wobei das Delikt mit dem Passieren der Grenze vollendet ist. In Abgrenzung zur Durchfuhr (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 BtMG) verlangt die Tatmodalität der Einfuhr dabei, dass dem Täter das Betäubungsmittel in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich zur Verfügung steht. Diese Voraussetzung liegt auch vor, wenn der Täter die Droge verschluckt hat (Bodypacker), deren Bestimmungsort im Ausland liegt und der Aufenthalt im Inland aufgrund des gewählten Transportweges nur vorübergehend ist.


Entscheidung

752. BGH 1 StR 211/15 - Beschluss vom 10. Juni 2015 (LG Bayreuth)

Bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Mitsichführen von Gegenständen, die zur Verletzung von Personen geeignet sind: Zeitpunkt des Mitsichführens bei mehreren Einzelakten der Tat).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG

1. Ein Mitsichführen von Gegenständen, die zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind, im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG liegt dann vor, wenn der Täter gefährliche Gegenstände bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann (vgl. BGH NStZ 1997, 137). Hierfür genügt, dass die gefährlichen Gegenstände dem Täter in irgendeinem Stadium des Tathergangs zur Verfügung stehen, d.h. so in seiner räumlichen Nähe sich befinden, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann (vgl. BGHSt 52, 89, 93).

2. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es nach ständiger Rechtsprechung zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand des Mitsichführens eines gefährlichen Gegenstands nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist. Ebenso liegt Mitsichführen vor, wenn der Täter einen gefährlichen Gegenstand allein bei Vor- oder Zwischenverhandlungen griffbereit zur Verfügung hat.


Entscheidung

708. BGH 3 StR 182/15 - Beschluss vom 11. Juni 2015 (LG Hildesheim)

Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Diebstahl von Betäubungsmitteln zur Weitergabe an einen Dritten; kein eigenes Umsatzgeschäft; Beschränkung auf Abholung und Transport).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB

Wer Betäubungsmittel stiehlt, um sie an einen Dritten weiterzugeben, der damit seinerseits ein Umsatzgeschäft beabsichtigt, ist jedenfalls dann regelmäßig nicht Mittäter eines von dem Dritten begangenen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, wenn er eine nicht am Marktpreis ausgerichtete Belohnung für die Beschaffung der Betäubungsmittel erhält und im Übrigen kein Interesse an dem Umsatzgeschäft des Dritten hat.


Entscheidung

802. BGH 4 StR 144/15 - Beschluss vom 2. Juni 2015 (LG Hagen)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Voraussetzungen einer Mittäterschaft; Anstiftung: Abgrenzung zur psychischen Beilhilfe).

§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; § 26 Abs. 1 StGB

Voraussetzung einer mittäterschaftlichen Einfuhr von Betäubungsmitteln ist es, dass der Täter dabei einen Tatbeitrag erbringt, der sich bei wertender Betrachtung nicht bloß als Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der zur Tatbestandsverwirklichung führenden Tätigkeit aller Mitwirkenden darstellt, und die Tathandlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Wesentliche Anhaltspunkte für die Täterschaft sind dabei der Grad seines Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft und der Wille dazu, die in eine wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Entscheidender Bezugspunkt bei allen diesen Merkmalen ist der Einfuhrvorgang selbst (vgl. NStZ 2015, 346).


Entscheidung

795. BGH 4 StR 59/15 - Beschluss vom 18. Juni 2015 (LG Dortmund)



Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht bei Aburteilung mehrerer, in verschiedenen Altersstufen begangener Taten (Schwergewicht der Taten).

§ 32 JGG

1. Bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten, auf die teils Jugendstrafrecht, teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, ist entsprechend dem Schwergewicht der Taten entweder nur nach Jugendstrafrecht oder nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.

2. Welches Recht einheitlich auf mehrere in verschiedenen Altersstufen begangene Taten anzuwenden ist, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht liegt. Dies hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Lässt sich nicht eindeutig erkennen, dass das Schwergewicht bei den vom Angeklagten als Heranwachsender begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftaten liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 324).