HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2014
15. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

604. BGH 4 StR 439/13 - Urteil vom 5. Juni 2014 (LG Neuruppin)

BGHR; Anforderungen an die Wiedergabe des Inhalts von Sachverständigengutachten in den Urteilsgründen (DNA-Vergleichsuntersuchung); bedingter Vorsatz (Voraussetzungen: Gesamtbetrachtung, besondere Gefährlichkeit der Tathandlung als Indikator; Tötungsvorsatz).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 15 StGB; § 212 StGB

1. Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik sind zur Nachvollziehbarkeit der Wahrscheinlichkeitsberechnung bei DNA-Vergleichsuntersuchungen, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, im tatrichterlichen Urteil keine Ausführungen zur unabhängigen Vererblichkeit der untersuchten Merkmalsysteme erforderlich (in Fortführung zu BGHSt 58, 212). (BGHR)

2. Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Dabei dürfen die Anforderungen, welche das Tatgericht an das Gutachten zu stellen hat, nicht mit den sachlich-rechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. Mögliche Fehlerquellen sind nur zu erörtern, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt. (Bearbeiter)

3. Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik ist die Durchführung von DNA-Vergleichsuntersuchungen soweit vereinheitlicht, dass in den Regelfällen, die keine Besonderheiten in den forensischen Fragestellungen aufweisen, standardmäßig bis zu 16 der routinemäßig bei der vergleichenden DNA-Untersuchung zur Anwendung kommenden STR-Systeme Anwendung finden, deren genetische Unabhängigkeit wissenschaftlich gesichert ist. In diesen Fällen bedarf es im tatrichterlichen Urteil keiner Ausführungen zur unabhängigen Vererblichkeit der

Merkmalsysteme. Etwas anderes gilt für die Fälle der ergänzenden DNA-Analyse, in welchen andere autosomale Markersysteme oder geschlechtsgebunden vererbliche DNA-Merkmale in die Untersuchung mit einbezogen werden. In diesen Ausnahmekonstellationen, in denen die Unabhängigkeit der weiteren autosomalen STR-Systeme im Einzelfall gesondert geprüft und die Besonderheiten der geschlechtsgebundenen Vererbung berücksichtigt werden müssen, ist der Tatrichter gehalten, im Urteil hierzu nähere Ausführungen zu machen. (Bearbeiter)

4. Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fern liegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH StraFo 2013, 467). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles erfolgen (vgl. BGH StV 2014, 345, 346), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen ist (vgl. BGH NStZ 2013, 581, 582). (Bearbeiter)

5. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive, als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH NStZ 2012, 443, 444). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände im Einzelfall – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.). (Bearbeiter)


Entscheidung

556. BGH 3 StR 89/14 - Beschluss vom 15. April 2014 (LG Mönchengladbach)

Erfolglose Rüge der Verletzung von Mitteilungs- und Protokollierungspflichten bei Gesprächen außerhalb der Hauptverhandlung (Transparenzgebot; Umfang der Informationspflicht; kein „Fehlen der Protokollierung“ bei fehlender Information; Beruhen),

§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO

1. Der Vorsitzende muss über Erörterungen mit Verfahrensbeteiligten (§ 202a StPO), die nach Beginn der Hauptverhandlung, aber außerhalb von dieser stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, in der Hauptverhandlung Mitteilung machen. Mitzuteilen ist dabei nicht nur der Umstand, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist. Eine Unterrichtung, die sich auf die Mitteilung beschränkt, es hätten Vorgespräche stattgefunden, aber noch nicht zu einer Einigung geführt, ist nicht ausreichend.

2. Nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO muss das Protokoll u.a. die Beachtung der in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Mitteilungen wiedergeben. Wird entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO eine Erörterung, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden hat, nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht bekannt gemacht und damit die Informationspflicht nicht beachtet, so ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls kein zusätzlicher Rechtsfehler. Vielmehr gibt das Protokoll den Gang der Hauptverhandlung zutreffend wieder und § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO ist nicht verletzt.


Entscheidung

589. BGH 1 StR 302/13 - Beschluss vom 15. Januar 2014 (LG Landshut)

Verständigung (unterlassene Belehrung über die Bindungswirkung der Verständigung: Beruhen des Urteils auf der unterlassenen Belehrung, Darlegungslast; Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung bei verständigungsbasiertem Geständnis).

§ 257c Abs. 5 StPO ; § 337 Abs. 1 StPO; § 344 Abs. 2 StPO; § 261 StPO

1. Zwar wird das Beruhen des Urteils auf der fehlenden Belehrung verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1067). Es kann offen bleiben, ob allein das Wissen um den Inhalt der Belehrung aus § 257c Abs. 5 StPO zu belegen geeignet ist, dass das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung durch das Gericht abgegeben worden wäre. Denn anders als beim Verstoß gegen die Belehrung über das Schweigerecht nach § 136 StPO trifft die Belehrungspflicht das Gericht. Es könnte daher für die Wahrung der Autonomie des Angeklagten durchaus von Gewicht sein, dass das hierfür zuständige Gericht die erforderliche Belehrung trotz der Verpflichtung hierzu nicht erteilt, selbst wenn er den Inhalt derselben in einem anderen Zusammenhang erfahren haben sollte.

2. Jedenfalls aber ist die Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruht, grundsätzlich Aufgabe des Revisionsgerichts. Von besonderen Fallkonstellationen (vgl. hierzu BGH NJW 2013, 1827, 1831) abgesehen, braucht der Revisionsführer den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem behaupteten Rechtsverstoß und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen.

3. Der Senat weist darauf hin, dass auch ein verständigungsbasiertes Geständnis der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt, die in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzustellen ist. Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (st. Rspr.).


Entscheidung

626. BGH 1 StR 638/13 - Urteil vom 16. April 2014 (LG Landshut)

Verletzung des Konfrontationsrechts (Fragerecht; Zurechenbarkeit des Ausfalls); Vorenthaltung von Arbeitsentgelt (Arbeitgeberbegriff: Abgrenzung von der Arbeitnehmerüberlassung; Berechnungsdarstellung: Feststellung des Arbeitsentgelts); Verwertung von Kontrollmitteilungen aus dem Besteuerungsverfahren (Außenprüfung; nemo tenetur Grundsatz: Selbstbelastungsfreiheit; Zwang).

Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK; § 393 AO; § 193 AO; § 140 AO; § 200 AO; § 266a StGB; § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV; § 10 Abs. 1 AÜG; § 9 Nr. 1 AÜG; § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG; § 223 SGB V; § 226 SGB V; § 161 SGB VI; § 162 SGB VI; § 341 SGB III; § 342 SGB III; § 54 SGB XI; § 57 SGB XI

1. Der Angeklagte hat als besondere Ausformung des Grundsatzes der Verfahrensfairness ein Recht, Belastungszeugen unmittelbar zu befragen oder befragen zu lassen. Belastungszeuge in diesem Sinn kann auch der (frühere) Mitangeklagte sein, der in dem gegen ihn gerichteten Verfahren als Angeklagter Angaben gemacht hat. Wenn ein Belastungszeuge nur außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden ist, muss dem Beschuldigten dieses Recht zur konfrontativen Befragung entweder bei der Vernehmung oder zu einem späteren Zeitpunkt eingeräumt werden (vgl. BVerfG NJW 2010, 925; BGHSt 55, 70, 74 jeweils mwN).

2. Dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft als mittelbare Zeugin zur Aussage des früheren Mitangeklagten befragt werden konnte, reicht zur Wahrung des Konfrontationsrechts auch dann nicht aus, wenn sich der Zeuge in der Hauptverhandlung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 StPO beruft (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 321). Der Ausschluss des Befragungsrechts führt jedoch nicht zur Unverwertbarkeit der belastenden Aussage, wenn das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung den Geboten der Verfahrensfairness genügt (BVerfG NJW 2010, 925, 926; BGHSt 55, 70, 74 f. jeweils mwN). Dies gilt, wenn der Umstand, dass der Angeklagte keine Möglichkeit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, der Justiz nicht zuzurechnen ist (vgl. BVerfG NJW 2010, 925, 926; BGHSt 51, 150, 155).

3. Grundlage von im Rahmen einer Außenprüfung (§ 193 AO) gefertigten Kontrollmitteilungen sind regelmäßig Unterlagen, die aufgrund gesetzlicher, nicht ausschließlich der Sicherstellung der Besteuerung dienender Aufzeichnungspflichten erstellt und in Erfüllung der Mitwirkungspflichten aus § 200 AO vorgelegt werden. Solche gesetzlichen Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten betreffen den Kernbereich der grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen (vgl. BVerfG wistra 2010, 341 [zu § 393 Abs. 2 AO], BVerfGE 55, 144, und BVerfG NJW 1982, 568).

4. Anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Inhalt im Steuerstrafverfahren verwendeter Kontrollmitteilungen ausnahmsweise auf Angaben des nun steuerstrafrechtlich verfolgten Geschäftsführers einer steuerlich geprüften Kapitalgesellschaft beruht, die dieser im Rahmen der Außenprüfung gemacht hat.


Entscheidung

592. BGH 1 StR 605/13 - Beschluss vom 12. März 2014 (LG Darmstadt)

Urteilsverkündungsfrist (Beruhen des Urteils auf einer verspäteten Verkündung); Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht (indizielle Präklusion bei Beweisanträgen durch Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen).

§ 268 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es vielfach nicht auszuschließen, dass ein Urteil auf dem Mangel der Verletzung der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO beruht, maßgeblich sind aber – wie bei allen sog. relativen Revisionsgründen – unter Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung der verletzten Bestimmung stets die Umstände des Einzelfalls. Die nur begrenzte zeitliche Frist zwischen dem Abschluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung soll sicherstellen, „dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind“. Dementsprechend ist maßgeblich darauf abzustellen, ob über das Urteil innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO

befunden wurde. Ist dies aber der Fall, so gefährdet allein die verspätete Verkündung des rechtzeitig beratenen Urteils den Bestand dieses Urteils nicht.

2. Ist in der einer Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen dargelegt, dass bei Antragstellung nach Fristablauf der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert zu erklären hat, kann das Gericht dann, wenn dies unterblieben und auch sonst ein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung nicht erkennbar ist (und die Aufklärungspflicht nicht zur Beweiserhebung drängt), grundsätzlich davon ausgehen, dass ein solcher Antrag allein zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt ist


Entscheidung

595. BGH 1 StR 605/13 - Beschluss vom 12. März 2014 (LG Darmstadt)

Urteilsverkündungsfrist (Beruhen des Urteils auf einer verspäteten Verkündung); Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht (indizielle Präklusion bei Beweisanträgen durch Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen); Aufklärungsrüge (Darlegungsvoraussetzungen).

§ 268 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 244 Abs. 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es vielfach nicht auszuschließen, dass ein Urteil auf dem Mangel der Verletzung der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO beruht, maßgeblich sind aber – wie bei allen sog. relativen Revisionsgründen – unter Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung der verletzten Bestimmung stets die Umstände des Einzelfalls. Die nur begrenzte zeitliche Frist zwischen dem Abschluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung soll sicherstellen, „dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind“. Dementsprechend ist maßgeblich darauf abzustellen, ob über das Urteil innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO befunden wurde. Ist dies aber der Fall, so gefährdet allein die verspätete Verkündung des rechtzeitig beratenen Urteils den Bestand dieses Urteils nicht.

2. Legt das Gericht in einer Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen dar, dass bei Antragstellung nach Fristablauf der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert zu erklären hat, kann das Gericht dann, wenn dies unterblieben und auch sonst ein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung nicht erkennbar ist (und die Aufklärungspflicht nicht zur Beweiserhebung drängt), grundsätzlich davon ausgehen, dass ein solcher Antrag allein zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt ist.

3. Die Aufklärungspflicht ist nicht schon dann verletzt, wenn zusätzliche Beweiserhebungen möglich gewesen wären, sondern erst dann, wenn sich dem Gericht die Annahme aufdrängen muss, dass die zusätzlichen Beweiserhebungen das bisherige Beweisergebnis in Frage stellen könnten.


Entscheidung

662. BGH 4 StR 144/14 - Beschluss vom 21. Mai 2014 (LG Bielefeld)

Angemessene Rechtsfolge (Hinweispflicht und Antrag des Generalbundesanwalts).

§ 354 Abs. 1a StPO; Art. 6 EMRK; Art. 103 Abs. 1 GG

1. Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen.

2. Eines Hinweises auf die Vorgehensweise gemäß § 354 Abs. 1a StPO seitens des Gerichts bedarf es nicht, wenn wegen des mit Gründen versehenen Antrags des Generalbundesanwalts, auf den das Gericht seine Entscheidung auch insofern stützt, angenommen werden kann, dass der Angeklagte Kenntnis von einer im Raum stehenden Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts erlangt hat.

3. Äußert sich der Angeklagte auf diesen, seinem Verteidiger zugestellten Antrag des Generalbundesanwalts nicht und sind neue strafzumessungsrelevante Umstände auch auf anderem Weg nicht bekannt geworden sind, kann der Senat die für die Strafzumessung relevanten Umstände und deren konkretes Gewicht selbst abwägen und entscheiden, dass die verhängte Strafe angemessen ist (vgl. BVerfG aaO Rn. 102, S. 238).


Entscheidung

564. BGH 5 StR 99/14 - Beschluss vom 6. Mai 2014 (LG Berlin)

Rechtsfehlerhafte Ablehnung des Befangenheitsantrags als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten Richters (Unverzüglichkeitsgebot; formale Prüfung; gänzliche fehlende Eignung zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit; Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter; Unverzüglichkeitsgebot); Durchsuchung.

§ 26a StPO; Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG; § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO; § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO; § 102 StPO

1. Die Vorschrift des § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO gestattet ausnahmsweise nur dann die Beteiligung des abgelehnten Richters an der Entscheidung über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag, wenn das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst von den Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist; hingegen darf der abgelehnte Richter über diese bloß formale Prüfung hinaus nicht an einer näheren inhaltlichen Untersuchung der Ablehnungsgründe auch unter dem Blickwinkel einer offensichtlichen Unbegründetheit mitwirken und sich auf diese Weise zum „Richter in eigener Sache“ machen. Dabei muss die Auslegung des Ablehnungsgesuchs darauf ausgerichtet sein, es seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten.

2. Trifft der abgelehnte Richter die Entscheidung selbst, obwohl das Ablehnungsgesuch zur Begründung der Befangenheit nicht offensichtlich ungeeignet ist, kann dadurch der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO auch dann in einer mit Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG unvereinbaren Weise überspannt werden, wenn das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters gemäß § 27 StPO voraussichtlich als unbegründet zu verwerfen gewesen wäre.

3. Der Glaubhaftmachung der der Wahrung des Unverzüglichkeitserfordernisses nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 26 Abs. 2 Satz 1 und § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO zugrunde liegenden Tatsachen bedarf es nicht, wenn sich diese aus den Akten ergaben. Zwar kann es das Unverzüglichkeitsgebot in Anbetracht des anzulegenden strengen Maßstabs erfordern, das Gesuch schon während einer Verhandlungsunterbrechung zeitnah schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle anzubringen (vgl. BGHSt 21, 334, 344 f.; BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 4). Auch eine im unmittelbar folgenden Hauptverhandlungstermin durchgeführte Antragstellung kann aber unter Anrechnung einer dem Angeklagten zuzubilligenden Überlegungsfrist als rechtzeitig anzusehen sein.


Entscheidung

628. BGH 2 StR 448/13 - Beschluss vom 18. März 2014 (LG Marburg)

Rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags als bedeutungslos (Indiztatsache).

§ 244 Abs. 3 StPO

1. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen

hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb. Die unter Beweis gestellte Indiztatsache hat es in das bisherige Beweisergebnis so einzustellen, als sei sie erwiesen, und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde.

2. Allein der Hinweis darauf, dass die Angaben eines Zeugen – auf denen die Urteilsfeststellungen beruhen – in sich gut nachvollziehbar und frei von Widersprüchen seien, lässt eine Würdigung mit der als erwiesen unter Beweis gestellten Indiztatsache nicht erkennen.


Entscheidung

593. BGH 1 StR 605/13 - Beschluss vom 12. März 2014 (LG Darmstadt)

Urteilsverkündungsfrist (Beruhen des Urteils auf einer verspäteten Verkündung); Widerspruch bezüglich des Strafausspruchs zwischen Urteilstenor und Urteilsbegründung (keine Möglichkeit einer nachträglichen Berichtigung).

§ 268 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO; § 260 StPO; § 267 StPO

Enthalten die Urteilsgründe, wie hier, rechtlich einwandfreie Strafzumessungserwägungen, ist ein Widerspruch zwischen der verkündeten Urteilsformel einerseits und der schriftlichen Urteilsformel sowie andererseits jedenfalls regelmäßig kein offenkundiges Fassungsversehen, das einer nachträglichen Berichtigung zugänglich wäre.


Entscheidung

597. BGH 1 StR 722/13 - Urteil vom 8. Mai 2014 (LG München I)

Freisprechendes Urteil (Anforderungen an die Urteilsbegründung).

§ 267 Abs. 5 StPO

Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht getroffen werden konnten (vgl. BHG NStZ 2009, 512, 513). Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (vgl. BGH NJW 2013, 1106).