HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2014
15. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

623. BGH 1 StR 577/13 - Beschluss vom 6. Februar 2014 (LG Essen)

Steuerhinterziehung durch Goldgeschäfte (Umsatzsteuer; Vorsteuer; Voranmeldung; Unternehmer; Hinterziehungsvorsatz: unbeachtlicher Irrtum über den Kausalverlauf; unmittelbares Ansetzen zum Versuch bei Übergabe von Unterlagen an den Steuerberater); Beihilfe; Auffangrechtserwerb (Rückgewinnungshilfe).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 AO; § 41 Abs. 2 AO; § 168 Satz 1 AO; § 2 Abs. 1 UStG; § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG; § 15 UStG; § 18 UStG; § 27 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; § 111i Abs. 2 StPO; § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB

1. Zwar muss vom Vorsatz auch der Kausalverlauf umfasst sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es hierfür jedoch, dass die Vorstellungen des Täters dem tatsächlichen Geschehensablauf im Wesentlichen entsprechen. Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf sind für die rechtliche Bewertung bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen. Ob aber bei Beauftragung einer weiteren Person der Taterfolg der Steuerverkürzung dadurch eintritt, dass diese auftragsgemäß für den Täter eine unrichtige Steueranmeldung abgibt, bei der die angemeldete Steuer durch einen nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzug sogleich wieder vollständig bzw. weitestgehend kompensiert wird, oder dadurch, dass die beauftragte Person abredewidrig die Steueranmeldung überhaupt nicht abgibt, beeinflusst die Bewertung der Tat als Steuerhinterziehung nicht (vgl. für Fälle der Beihilfe BGHSt 58, 218, 222).

2. Ob es einen erheblichen Unterschied darstellt, dass der Steuerberater nach den Vorstellungen des Angeklagten für einen Anmeldungszeitraum eine Umsatzsteuervoranmeldung einreichen sollte, die sogar auf eine Steuervergütung gerichtet war, so dass die Festsetzungswirkung der Steueranmeldung erst mit der Zustimmung der Finanzbehörde eintreten konnte, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.

3. Bezieht der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan ein, so liegt ein unmittelbares Ansetzen des Täters zur Tat schon dann vor, wenn er seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat. Es ist also nicht erforderlich, dass der Tatmittler seinerseits durch eigene Handlungen zur Tat ansetzt. Ein unmittelbares Ansetzen ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatmittler in der Vorstellung entlassen wird, er werde die tatbestandsmäßige Handlung nun in engem Zusammenhang mit dem Abschluss der Einwirkung vornehmen. Demgegenüber fehlt es hieran, wenn die Einwirkung auf den Tatmittler erst nach längerer Zeit wirken soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie einmal Wirkung entfaltet. In diesen Fällen beginnt der Versuch erst dann,

wenn der Tatmittler, dessen Verhalten dem Täter über § 25 Abs. 1 StGB zugerechnet wird, seinerseits unmittelbar zur Tat ansetzt. Entscheidend für die Abgrenzung ist daher, ob nach dem Tatplan die Handlungen des Täters schon einen derartigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, dass es bereits gefährdet ist und der Schaden sich unmittelbar anschließen kann, oder ob die Begründung einer solchen Gefahr dem noch ungewissen späteren Handeln des Tatmittlers überlassen bleibt (vgl. BGH aaO, BGHSt 43, 177, 180 mwN).

4. Wird ein Steuerbüro mit der selbstständigen Erstellung der gesamten Buchführung eines Unternehmens und der Einreichung der Steueranmeldungen beauftragt, stellt sich die datenmäßige Erfassung und Verbuchung der Belege sowie die Erstellung des falschen Zahlenwerks für die später abzugebende Umsatzsteuervoranmeldung noch als Vorbereitungshandlung für die vom mittelbaren Täter beabsichtigte Steuerhinterziehung dar. Die Aufbereitung der Daten ist eine weitere Prüfungsstufe, die der in der Einreichung der Steuererklärung bei den Finanzbehörden liegenden tatbestandsmäßigen Handlung vorgeschaltet ist (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 12). So verhält es sich aber nicht, wenn es zwischengeschalteter buchungstechnischer Abläufe, die irgendwann in der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen münden sollten, nicht mehr bedurfte.

5. Zwar kann auch ein „Strohmann“ Unternehmer und Leistender im Sinne des Umsatzsteuergesetzes sein (vgl. BGHSt 58, 218, 233 f.). Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die Geschäfte des „Strohmanns“ lediglich zum Schein getätigt werden, d.h. wenn beide Vertragsparteien einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem „Hintermann“ eintreten sollen (vgl. § 41 Abs. 2 AO; BGH aaO mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesfinanzhofs). Letzteres ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistungsempfänger weiß oder davon ausgehen muss, dass derjenige, mit dem oder in dessen Namen das Rechtsgeschäft abgeschlossen wird, selbst keine eigene - ggf. auch durch Subunternehmer auszuführende - Verpflichtung aus dem Rechtsgeschäft übernehmen will (BGH aaO). Zu beachten bleibt indes ggf. die Steuerpflicht aus § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG.

6. Zwar kann auch der Steuerfiskus Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein (vgl. BGH wistra 2001, 96). Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist jedoch, dass das Gericht nur deshalb nicht auf Verfall, Verfall von Wertersatz oder erweiterten Verfall erkennen kann, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen. Diese Vorschrift hindert eine Verfallsentscheidung somit nur dann, wenn der Täter oder Teilnehmer „aus der Tat“ einen Vermögensvorteil erlangt hat und Gegenansprüche eines Verletzten bestehen; das „für die Tat“ Erlangte unterliegt dem Verfall hingegen ohne Rücksicht auf Ansprüche Verletzter (BGH wistra 2014, 57). „Aus der Tat“ erlangt sind diejenigen Vermögenswerte, die dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen sind, insbesondere also die Beute.


Entscheidung

661. BGH 4 StR 143/14 - Beschluss vom 20. Mai 2014 (LG Bielefeld)

Bezifferung des Vermögensschadens (Aufrechterhaltung des Schuldspruchs bei fehlender Bezifferung; Strafausspruch; Kreditbetrug).

Art. 103 Abs. 2 GG; § 263 StGB; § 353 StPO; § 46 StGB

1. Ob und in welchem Umfang die Hingabe eines Darlehens einen Vermögensschaden bewirkt, ist durch einen für den Zeitpunkt der Darlehenshingabe anzustellenden Wertvergleich mit dem Rückzahlungsanspruch des Darlehensgläubigers zu ermitteln. Die Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruchs wird dabei durch die Bonität des Schuldners und den Wert der bestellten Sicherheiten bestimmt. Ein Schaden entsteht nur insoweit, als die vorgespiegelte Rückzahlungsmöglichkeit nicht besteht und auch gegebene Sicherheiten wertlos oder minderwertig sind. Auch bei einer eingeschränkten oder fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit des Schuldners entsteht demnach insoweit kein Schaden, als der getäuschte Gläubiger über werthaltige Sicherheiten verfügt, die - ohne dass der Schuldner dies vereiteln könnte - mit nur unerheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand realisierbar sind. Nur soweit jeweils ein täuschungsbedingter Minderwert des gesicherten Darlehensrückzahlungsanspruchs vorliegt, ist die Annahme eines Schadens gerechtfertigt.

2. Der Minderwert des im Synallagma Erlangten ist nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 126, 170, 229; 130, 1, 47) ist er konkret festzustellen und zu beziffern. Sofern genaue Feststellungen zur Einschätzung des Ausfallrisikos nicht möglich sind, sind Mindestfeststellungen zu treffen, um den dadurch bedingten Minderwert und den insofern eingetretenen wirtschaftlichen Schaden unter Beachtung des Zweifelssatzes zu schätzen.

3. Wird ein Urteil diesen Maßstäben durch eine mangelnde Bezifferung nicht in vollem Umfang gerecht, kann es genügen, lediglich den Strafausspruch aufzuheben, soweit das Revisionsgericht das gänzliche Fehlen eines Schadens ausschließen kann.


Entscheidung

622. BGH 1 StR 516/13 - Urteil vom 16. April 2014 (LG Landshut)

Vorenthaltung von Arbeitsentgelt (Arbeitgeberbegriff: Abgrenzung von der Arbeitnehmerüberlassung; Berechnungsdarstellung: Feststellung des Arbeitsentgelts); Verwertung von Kontrollmitteilungen aus dem Besteuerungsverfahren (Außenprüfung; nemo tenetur Grundsatz: Selbstbelastungsfreiheit; Zwang); Strafzumessung (Bezugnahme auf nicht vorliegenden Verbotsirrtum).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK; § 393 AO; § 193 AO; § 140 AO; § 200 AO; § 266a StGB; § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV; § 10 Abs. 1 AÜG; § 9 Nr. 1 AÜG; § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG; § 223 SGB V; § 226 SGB V; § 161 SGB VI; § 162 SGB VI; § 341 SGB III; § 342 SGB III; § 54 SGB XI; § 57 SGB XI; § 46 StGB; § 17 StGB

1. Grundlage von Kontrollmitteilungen, die im Rahmen einer Außenprüfung (§ 193 AO) gefertigt werden, sind

regelmäßig Unterlagen, die aufgrund gesetzlicher, nicht ausschließlich der Sicherstellung der Besteuerung dienender Aufzeichnungspflichten erstellt und in Erfüllung der Mitwirkungspflichten aus § 200 AO vorgelegt werden. Solche gesetzlichen Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten betreffen den Kernbereich der grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen (vgl. BVerfG wistra 2010, 341 [zu § 393 Abs. 2 AO], BVerfGE 55, 144, und BVerfG NJW 1982, 568).

2. Anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Inhalt im Steuerstrafverfahren verwendeter Kontrollmitteilungen ausnahmsweise auf Angaben des nun steuerstrafrechtlich verfolgten Geschäftsführers einer steuerlich geprüften Kapitalgesellschaft beruht, die dieser im Rahmen der Außenprüfung gemacht hat.

3. In der Strafzumessung darf einem nicht über das Verbotensein der Tat irrenden Angeklagten nicht pauschal zu Gute gehalten werden, dass ein beauftragter Rechtsanwalt den Angeklagten nicht auf eine bestehende, für die Tat gemäß § 266a StGB erhebliche Sozialversicherungspflicht hingewiesen habe. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Angeklagte dem Rechtsanwalt weder die maßgeblichen tatsächlichen Umstände mitgeteilt, noch um Beratung in der einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Frage gebeten hat. Eine Rechtspflicht eines Rechtsanwalts, in Fragen, zu denen er nicht mandatiert wurde, aus eigenem Antrieb den Sachverhalt zu ermitteln und Belehrungen zu erteilen, gibt es nicht.


Entscheidung

633. BGH 2 StR 626/13 - Beschluss vom 15. April 2014 (LG Erfurt)

Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln (gerechter Schuldausgleich; Verhältnismäßigkeit; Gewerbsmäßigkeit); kurze Freiheitsstrafe.

§ 29 Abs. 1, Abs. 5 BtMG; § 47 StGB; § 46 StGB

1. Bewegt sich ein Konsumentenfall beim unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln im untersten Bereich der geringen Menge, sind der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßverbot (vgl. BVerfGE 90, 145, 188 ff.) besonders zu beachten. Bei einem derartigen Bagatelldelikt mag zwar die Ablehnung eines Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG hinzunehmen sein, wenn der Angeklagte ca. neun Monate zuvor wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Verhängung einer nicht zur Bewährung ausgesetzten kurzfristigen Freiheitsstrafe steht aber in keinem angemessenen Verhältnis zu dem abgeurteilten Tatunrecht, wenn nicht besondere Umstände gerade auch die Anordnung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, die eingehend auch unter Berücksichtigung des § 47 StGB zu begründen wäre, rechtfertigen.

2. Allein der Umstand eines (erneuten) Verstoßes gegen Vorschriften des BtMG neun Monate nach einer Verurteilung, der sich offensichtlich in dem Eigenkonsum geringer Mengen (die auf dem Wohnzimmertisch aufgefunden wurden) erschöpft, rechtfertigt nicht die moralisierende Einschätzung, der Angeklagte sei „dreist und unbelehrbar“.

3. Das Fehlen strafmildernder Umstände darf nicht zu Lasten des Angeklagten gewichtet werden.


Entscheidung

596. BGH 1 StR 648/13 - Beschluss vom 15. Januar 2014 (LG Essen)

Umsatzsteuerhinterziehung (Scheinrechnungen: Zeitpunkt der Voranmeldepflicht bei Blanko-Rechnungen).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG; § 18 UStG

Gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG geschuldet und anzumelden ist der ausgewiesene Steuerbetrag. Ausgewiesen ist ein Betrag bei einer Blanko-Rechnung jedoch erst dann, wenn er eingefügt worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt fehlt es für die Steuerentstehung gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG noch an einem wesentlichen Merkmal, nämlich dem gesonderten Ausweis eines Steuerbetrages. Infolgedessen kann auch eine Anmeldepflicht gemäß § 18 Abs. 4b UStG solange nicht bestehen, wie bei einer Blanko-Rechnung noch kein Betrag eingefügt worden ist, den der Aussteller der Blanko-Rechnung anmelden und der Adressat als Vorsteuer geltend machen könnte. Eine Anmeldung vor Einfügung des Umsatzsteuerbetrages ist daher, soweit sie tatsächlich überhaupt möglich ist, rechtlich nicht gefordert.