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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 591

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 605/13, Beschluss v. 12.03.2014, HRRS 2014 Nr. 591


BGH 1 StR 605/13 - Beschluss vom 12. März 2014 (LG Darmstadt)

Urteilsverkündungsfrist (Beruhen des Urteils auf einer verspäteten Verkündung); zulässige Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung (Berücksichtigung von in nicht ordnungsgemäßer Besetzung durchgeführten Hauptverhandlungsterminen); Unzulässigkeit einer hilfsweisen Verfahrensrüge.

§ 268 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO; § 229 Abs. 1 StPO; § 344 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es vielfach nicht auszuschließen, dass ein Urteil auf dem Mangel der Verletzung der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO beruht, maßgeblich sind aber - wie bei allen sog. relativen Revisionsgründen - unter Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung der verletzten Bestimmung stets die Umstände des Einzelfalls. Die nur begrenzte zeitliche Frist zwischen dem Abschluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung soll sicherstellen, "dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind". Dementsprechend ist maßgeblich darauf abzustellen, ob über das Urteil innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO befunden wurde. Ist dies aber der Fall, so gefährdet allein die verspätete Verkündung des rechtzeitig beratenen Urteils den Bestand dieses Urteils nicht.

2. Verfahrensrügen können nicht nur hilfsweise, also für den Fall, der Erfolglosigkeit anderweitigen Vorbringens angebracht werden.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2013 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Tagessatzhöhe für die verhängten Einzelgeldstrafen auf jeweils 1 € festgesetzt wird.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Der Angeklagte wurde unter Freispruch im Übrigen wegen zahlreicher Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie der Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Seine auf Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt im Ergebnis erfolglos.

I.

1. Zu den Verfahrensrügen:

1. Die Hauptverhandlung war am 31. Januar 2013 nach 59 Verhandlungstagen beendet. Ohne dass sie nochmals eröffnet worden wäre, wurde das Urteil am 14. Februar 2013 verkündet.

a) Hierauf gestützt, macht die Revision zutreffend geltend, dass die Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO überschritten worden sei.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es vielfach nicht auszuschließen, dass ein Urteil auf einem solchen Mangel beruht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 30. Mai 2007 - 2 StR 22/07 mwN), maßgeblich sind aber - wie bei allen sog. relativen Revisionsgründen - unter Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung der verletzten Bestimmung stets die Umstände des Einzelfalls. Die nur begrenzte zeitliche Frist zwischen dem Abschluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung soll sicherstellen, "dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind" (BGH, aaO). Dementsprechend ist maßgeblich darauf abzustellen, ob über das Urteil innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO befunden wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2006 - 5 StR 349/06 mwN) oder nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2007 - 1 StR 58/07 und vom 30. November 2008 - 4 StR 452/06; Urteil vom 30. Mai 2007 - 2 StR 22/07). Ob dies der Fall war, kann allein anhand der schriftlichen Urteilsgründe regelmäßig nicht zuverlässig überprüft werden (BGH, Urteil vom 30. Mai 2007 - 2 StR 22/07).

Dementsprechend zieht der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang regelmäßig dienstliche Äußerungen bei (vgl. sämtliche genannte Entscheidungen).

c) Hier hat der Vorsitzende folgende dienstliche Erklärung - an der zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht - abgegeben:

"Es war zunächst vorgesehen, das Urteil bereits am 31.01.2013 zu verkünden. Hiervon wurde abgesehen, da Rechtsanwalt L. für diesen Fall die Stellung eines Befangenheitsantrags in Aussicht stellte. Rechtsanwalt L. erklärte, er halte es nicht für angezeigt - unmittelbar im Anschluss an die Schlussvorträge der Verteidigung und nach einer relativ kurzen Beratungszeit - das Urteil zu verkünden.

Daraufhin wurde von mir der 07.02.2013 als nächster Verhandlungstermin benannt.

Verschiedene Verteidiger erklärten, an diesem Tag verhindert zu sein. Allerdings vermag ich aus der Erinnerung nicht mehr mitzuteilen, welche Verteidiger dies waren.

Es wurde dann von Seiten der Verteidiger (möglicherweise die Herren Rechtsanwälte C. und D.) vorgeschlagen, den 07.02.2013 als Verhandlungstag entfallen zu lassen und den 14.02.2013 als nächsten Verhandlungstag zu bestimmen.

Hierauf habe ich mich leider eingelassen und mir ist dann der Fehler unterlaufen am 14.02.2013 nicht nochmals in die Beweisaufnahme einzutreten.

Das am 14.02.2013 verkündete Urteil wurde nach dem Ende der Sitzung vom 31.01.2013 beraten. Im Rahmen dieser Beratung wurde der Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche beraten. Des weiteren wurden die Strafen beraten. Insoweit wurde ein vorläufiges Ergebnis gefunden. Hierbei ist anzumerken, dass während der gesamten Hauptverhandlung immer wieder der Stand des Verfahrens sowie die möglichen Rechtsfolgen erörtert und beraten wurden. Dies war u.a. aufgrund der zahlreichen Beweisanträge erforderlich. Im Rahmen der Beratung am 31.01.2013 konnte immer wieder auf die bereits gefundenen Zwischenergebnisse Bezug genommen werden.

Die abschließende Beratung erfolgte dann am 14.02.2013 in der Zeit ab ca. 11.15 Uhr bis ca. 13.00 Uhr. Im Rahmen dieser Beratung wurden die zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert. Bereits der Umfang des Verfahrens sowie der Umfang der getroffenen Feststellungen zeigen, dass in dieser kurzen Zeit eine umfassende Beratung nicht stattgefunden haben kann."

d) Dem entnimmt der Senat:

Auf der Grundlage zahlreicher vorangegangener Zwischenberatungen hat die Strafkammer das Urteil unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung noch am 31. Januar 2013 beraten und zu allen für ein Urteil maßgeblichen Gesichtspunkten ("Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche"; "die Strafen") Ergebnisse gefunden. Der Umstand, dass unmittelbar vor der Urteilsverkündung die "zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert" wurden, stellt nicht in Frage, dass hier die Entscheidung rechtzeitig und unter dem noch frischen Eindruck der soeben beendeten Hauptverhandlung getroffen wurde. Ist dies aber der Fall, so gefährdet allein die verspätete Verkündung des rechtzeitig beratenen Urteils den Bestand dieses Urteils nicht. Umstände des Einzelfalls, die eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich.

2. Ebenso wenig greift die Besetzungsrüge durch.

Folgendes liegt zu Grunde:

Der Vorsitzende wurde mit Wirkung vom 1. April 2012 zum Direktor eines Amtsgerichts ernannt und mit dem für die Weiterführung der vorliegenden Hauptverhandlung erforderlichen Anteil seiner Arbeitskraft an das Landgericht rückabgeordnet. Ein zu Beginn der Hauptverhandlung noch nicht zum Richter auf Lebenszeit ernannter Richter auf Probe, der nach den ursprünglichen Planungen der Justizverwaltung zum 2. Mai 2012 zum Richter am Amtsgericht ernannt und an ein Amtsgericht versetzt werden sollte, wurde statt dessen zum 18. April 2012 zum Richter am Landgericht ernannt und mit Teilen seiner Arbeitskraft zu einem Amtsgericht abgeordnet.

Die Revision meint, die entgegen der ursprünglichen Planung vorgenommene Ernennung zum Richter am Landgericht sei nur im Blick auf § 29 DRiG (wonach an einer gerichtlichen Entscheidung nur ein Richter auf Probe oder < hier nicht einschlägig> ein Richter kraft Auftrags oder ein von einem anderen Gericht abgeordneter Richter mitwirken kann) erfolgt, daher "rechtsmissbräuchlich", sodass die Strafkammer nicht als ordnungsgemäß besetzt angesehen werden könnte.

Dies trifft nicht zu. Das Vorgehen hinsichtlich des Vorsitzenden hat der Bundesgerichtshofs in einem insoweit nahezu identischen Fall nicht als Grundlage einer erfolgreichen Besetzungsrüge angesehen (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - 1 StR 322/08). Hieran hält der Senat fest. Für die hier darüber hinaus naheliegend im Blick auf § 29 DRiG vorgenommene Ernennung des Beisitzers, dessen Ernennung zum Richter auf Lebenszeit offenbar anstand, zum Richter am Landgericht kann nichts anderes gelten. Andernfalls hätte der Eindruck entstehen können, die Justizverwaltung habe durch die Bestimmung von Ernennungs- bzw. Beförderungsterminen auf den Abbruch einer Hauptverhandlung hingewirkt und damit darauf, dass der Angeklagte seinem (bisherigen) gesetzlichen Richter entzogen und der Abschluss eines umfangreichen Verfahrens schon wegen der für neu damit befasste Richter notwendigen Einarbeitungszeit erheblich hinausgeschoben worden wäre.

Die dem Revisionsvorbringen im Kern zu Grunde liegende Auffassung, ein Angeklagter habe letztlich einen Rechtsanspruch auf solches Vorgehen der Justizverwaltung, geht erkennbar fehl.

3. Zwischen der Rückabordnung des Vorsitzenden und der Ernennung des Beisitzers zum Richter am Landgericht hatten Hauptverhandlungstermine stattgefunden. Soweit es an diesen Terminen zu wesentlichen Verfahrensvorgängen gekommen war, wurden diese im weiteren Verlauf wiederholt.

Die Revision meint, selbst wenn entgegen ihrer Auffassung die Strafkammer nach der Ernennung des Beisitzers doch als ordnungsgemäß besetzt anzusehen wäre, hätten die zwischenzeitlichen Termine nicht i.S.d. § 229 StPO fristwahrend gewirkt.

a) Schon die Zulässigkeit dieser Rüge ist zweifelhaft, weil Verfahrensrügen nicht nur hilfsweise, also für den Fall, der Erfolglosigkeit anderweitigen Vorbringens (hier: die Strafkammer war bis zuletzt nicht ordnungsgemäß besetzt) angebracht werden können (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 - 1 StR 349/11 mwN).

b) Unabhängig davon ist die Rüge aber auch unbegründet. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Hauptverhandlungstag, an dem kein Dolmetscher anwesend war, obwohl dies erforderlich gewesen wäre (der an diesem Tag durchgeführte Teil der Beweisaufnahme war später in Anwesenheit des Dolmetschers wiederholt worden), bei der Entscheidung über die Frage, ob die Frist des § 229 StPO gewahrt sei, zu berücksichtigen ist (BGH, Beschluss vom 5. Mai 2004 - 1 StR 149/04). Für die damit strukturell vergleichbare vorliegende Fallgestaltung kann nichts anderes gelten.

4. Die Strafkammer geht davon aus, dass die den abgeurteilten Taten zu Grunde liegende Vorgehensweise ("Gründung von Gesellschaften zum Zwecke der Nichtabführung von Sozialbeiträgen und der Verschleierung der hierfür Verantwortlichen") ursprünglich auf Pläne des inzwischen verstorbenen H. zurückgeht, der die Angeklagten dann mit diesem "Modell ... vertraut machte".

Die Revision meint, Grundlagen, auf der diese Feststellung beruhen könne, seien nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen, weshalb § 261 StPO verletzt sei (sog. Inbegriffsrüge). Eine solche Rüge könnte aber nur Erfolg haben, wenn dies ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme festgestellt werden könnte (vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 261 Rn. 38a mwN). Dies ist jedoch nicht der Fall, insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso sich dies, so die Revision, schon allein aus dem Inhalt der genannten Feststellung ergeben sollte. Der Umstand, dass die Strafkammer ausweislich ihrer Formulierung, sie gehe "zugunsten der Angeklagten" davon aus, dass H. der ursprüngliche Initiator des "Modells" der Taten war, diesen Geschehensablauf zwar nicht sicher feststellen, ihn aber auch nicht ausschließen konnte, ändert an alledem nichts.

II.

Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Jedoch hat der Senat die von der Strafkammer unterlassene Bemessung der Tagessatzhöhe in den Fällen nachgeholt, in denen auf Geldstrafe erkannt wurde (jeweils Vergehen gemäß § 370 AO für die Zeiträume Dezember 2006 < "bez. Fa. F. >, März", April, Mai, Juni 2007 und Januar 2008 <bez. Fa. I. >, März 2008 <bez. Fa. HO. > sowie Vergehen gemäß § 266a StGB im Mai 2007 <bez. Fa. I. >und im Juli 2009 <bez. Fa. N.), und den Tagessatz in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts auf den Mindestbetrag von 1 € festgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 20. August 2003 - 2 StR 160/03; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. August 2012 - 4 StR 207/12).

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 591

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2014, 251

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel