HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2014
15. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Strafbefreiende Selbstanzeige – ein widersprüchliches System?!

Von Prof. Dr. Carsten Wegner, Berlin[*]

Bei der strafbefreienden Selbstanzeige handelt es sich nicht allein um ein steuerstrafrechtliches Phänomen. Der Beitrag geht der Frage nach, ob es hier ist System gibt. Und falls ja: Ist dieses für sich genommen klar strukturiert und in sich schlüssig oder doch widersprüchlich? Die Antworten sind ernüchternd.

1. Nachträgliche Strafbefreiung im StGB

Schauen wir uns hierzu zunächst einmal jenseits des Steuerstrafrechts um, wo § 371 Abgabenordnung (AO) sog. "Steuersünder" – ein Begriff, den man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen muss – vor Bestrafung schützt:

§ 266a Strafgesetzbuch (StGB) ahndet das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, also regelmäßig die nicht rechtzeitige Zahlung an den Sozialversicherungsträger. Nach § 266a Abs. 6 StGB kann das Gericht in den Fällen der Absätze 1 und 2 von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1. die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und

2. darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.

Nach § 261 StGB wird wegen Geldwäsche bestraft. Absatz 9 ordnet an, dass derjenige nicht bestraft wird, wer

1. die Tat freiwillig bei der zuständigen Behörde anzeigt oder freiwillig eine solche Anzeige veranlasst, wenn nicht die Tat in diesem Zeitpunkt ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste, und

2. ... die Sicherstellung des Gegenstandes bewirkt, auf den sich die Straftat bezieht.

Auch der Subventionsbetrug (§ 264 StGB) kennt eine sanktionsrechtliche Privilegierung, die einer steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige nach § 371 AO zumindest nahe kommt. Gemäß Absatz 5 wird n ach den Absätzen 1 und 4 nicht bestraft, wer freiwillig verhindert, dass aufgrund der Tat die Subvention gewährt wird. Wird die Subvention ohne Zutun des Täters nicht gewährt, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Gewähren der Subvention zu verhindern.

2 . » Tätige Reue « vs. Selbstanzeige

Begrifflich werden die soeben angeführten Normen allerdings nicht als »Selbstanzeige« eingeordnet, sondern firmieren üblicherweise als »tätige Reue«. Gleiches gilt – überwiegend – auch für Regelungen zur

  • landesverräterischen Agententätigkeit (§ 98 Abs. 2 S. 2 StGB),
  • Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 Abs. 6 Hs. 2 StGB),
  • Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129a Abs. 7 StGB)
  • Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen (§ 149 Abs. 2 Nr. 2 StGB)
  • sowie § 26 Abs. 6 Gendiagnostikgesetz und § 20 Abs. 2 VereinsG.

§ 371 AO ist tatsächlich etwas Besonderes, weil die Strafbefreiung im Steuerstrafrecht auch dann möglich ist, wenn die Straftat (Steuerhinterziehung nach § 370 AO) abgeschlossen ist. Dies kann unter Umständen auch schon seit mehreren Jahren der Fall sein. Während die Rückgewähr von aus einer Straftat erlangten Vorteilen bzw. die Verhinderung, dass es zu einem vertieften Schaden kommt, üblicherweise lediglich Einfluss auf die Höhe der Strafe hat (Strafmilderung), kann der Täter einer Steuerhinterziehung unter Umständen gänzlich straflos aus der Angelegenheit herauskommen. Denn in § 371 Abs. 1 AO heißt es:

"Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben

ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft."

§ 378 Abs. 3 AO privilegiert in vergleichbarer Weise den Betroffenen einer Steuerordnungswidrigkeit, d.h. denjenigen, der nicht vorsätzlich Steuern verkürzt hat, sondern insoweit nur leichtfertig handelte.

Beide steuerstrafrechtlichen Privilegierungen haben aber Grenzen, die – dies sei schon hier vorangestellt – für den späteren Systemvergleich wichtig sind:

Nach § 371 Abs. 2 AO tritt keine Straffreiheit ein, wenn

1. bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung

a) dem Täter oder seinem Vertreter eine Prüfungsanordnung bekannt gegeben worden ist oder

b) dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder

c) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder

2. eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste oder

3. die verkürzte Steuer einen Betrag von 50.000 EUR je Tat übersteigt.

Etwas großzügiger ist in diesem Zusammenhang das Steuerordnungswidrigkeitenrecht.

3 . Fragen, die sich im Steuerstrafrecht stellen

Für die Anwendungspraxis führt dieses Regelwerk zu zahlreichen Fragen, die zu beantworten sind, etwa wenn man als Anwalt jemanden im Zusammenhang mit einer möglicherweise zu erstattenden Selbstanzeige berät. Ich kann diese Themenkreise an dieser Stelle natürlich nicht alle aufzeigen, möchte aber wegen des beabsichtigten Systemvergleichs zur Selbstanzeige jedenfalls einige kurz skizzieren.

Welche Fragen muss sich also ein Steuerstraftäter stellen, der vor der Entscheidung steht, ob er den Weg zurück in die Legalität beschreiten will:

  • Welches sind die nicht verjährten Steuerstraftaten?
  • Welche Steuerarten sind betroffen?
  • In welcher privaten oder unternehmerischen Sphäre?
  • Liegt überhaupt eine vorsätzliche Steuerstraftat vor oder möglicherweise nur eine leichtfertig begangenen Ordnungswidrigkeit oder nur eine möglicherwiese gar nicht sanktionsbewehrte Fahrlässigkeitstat?
  • Wie hoch ist die verkürzte Steuer pro Tat?
  • In unternehmerischen Strukturen: Welcher Personenkreis ist überhaupt betroffen?
  • Ist der Betroffene in der Lage, die falschen oder fehlenden Angaben vollständig zu berichtigen oder drohen Fehlbeträge?
  • Müssen Zahlungen auf die Steuerschuld erbracht werden? Ist der Betroffene dazu finanziell in der Lage?
  • Drohen Zuschläge nach § 398a AO? Falls ja: Wer ist bedroht?
  • In unternehmerischen Strukturen: Wer darf oder muss diese Zahlungen erbringen?
  • Ist eine Selbstanzeige überhaupt noch möglich oder liegt schon ein Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 AO vor?
  • Wie weit reicht der Sperrgrund, sachlich und persönlich?

Alles nicht so einfach …

4 . Ansatz für den Systemvergleich

Nun aber zum angekündigten Systemvergleich. Diesen möchte ich allerdings nicht anhand der eingangs u.a. angesprochenen Regelungen in § 266a StGB, § 264 StGB und § 261 StGB vornehmen, denn die Vorschriften zur »tätigen Reue« und zur strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht greifen dogmatisch zu anderen Zeitpunkten ein. § 371 AO regularisiert Sachverhalte, die teilweise schon Jahre zurückliegen und in denen Straftaten abgeschlossen sind. Beim Subventionsbetrug aber will die Regelung zur »tätigen Reue« verhindern, dass es wirtschaftlich betrachtet überhaupt erst zu einem Schaden kommt. Es geht also um eine der Tathandlung zeitlich eng nachgelagerte Reaktion des Täters, die Schlimmeres verhindern soll.

Ich habe daher weiter gesucht und tatsächlich Vorschriften gefunden, die für eine Systemanalyse geeignet sein könnten. Daran anknüpfend können wir dann auch gleich mit der vielfach behaupteten Mär aufräumen, die steuerstrafrechtliche Selbstanzeige sei ein einmaliges Rechtsinstitut und stelle deshalb eine zweifelhafte Privilegierung eines kleinen Personenkreises dar, die allein deshalb abzuschaffen sei. So einfach ist es dann eben doch nicht …

Wenn man sich die von mir sogleich näher anzusprechenden Normen im Detail anschaut, dann kann – und diese Feststellung gestatten Sie mir schon vorab – der Eindruck entstehen, dass diejenigen, die diese Normen geschaffen haben, vom Steuerstrafrecht und der Selbstanzeige dort inhaltlich noch nie etwas gehört haben. Da dies für Steuerstrafrechtler aber umgekehrt genauso

gelten mag, unternehmen wir mal einen Querblick und schauen, ob wir uns irgendwie aufeinander zubewegen können.

5 . Selbstanzeige im Parteienrecht

Richten wird dafür zunächst einmal einen Blick in das – man mag es kaum glauben – Parteiengesetz, in dem u.a. die Finanzierung der für das demokratische System so wichtigen Parteien geregelt ist.

Nach § 18 Abs. 1 S. 1 Parteiengesetz (PartG) erhalten die Parteien Mittel als Teilfinanzierung der allgemein ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Tätigkeit. Maßstab für die Verteilung der staatlichen Mittel ist u.a. der Umfang der eingeworbenen Spenden. Die Festsetzung und die Auszahlung der staatlichen Mittel sind von den Parteien schriftlich zu beantragen. Der Präsident des Bundestages darf staatliche Mittel für eine Partei nur aufgrund eines Rechenschaftsberichts festsetzen und auszahlen. Die Details der Rechenschaftslegung sind in §§ 23 ff. PartG geregelt.

§ 31d Abs. 1 PartG ist die zentrale Strafvorschrift für die Verantwortlichen der Parteien und geht zurück auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vom 16.4.2002:

"Wer in der Absicht, die Herkunft oder die Verwendung der Mittel der Partei oder des Vermögens zu verschleiern oder die öffentliche Rechenschaftslegung zu umgehen,

1. unrichtige Angaben über die Einnahmen oder über das Vermögen der Partei in einem beim Präsidenten des Deutschen Bundestages eingereichten Rechenschaftsbericht bewirkt oder einen unrichtigen Rechenschaftsbericht beim Präsidenten des Deutschen Bundestages einreicht oder

2. als Empfänger eine Spende in Teilbeträge zerlegt und verbucht oder verbuchen lässt oder

3. entgegen § 25 Abs. 1 Satz 3 eine Spende nicht weiterleitet,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Bestraft werden aktive Täuschungshandlungen (Nrn. 1 und 2) sowie ein spendenbezogenes Unterlassen (Nr. 3). Parallelen zu § 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) sind unverkennbar.

Erforderlich für eine Ahndung ist aber ein vorsätzliches Fehlverhalten der strengsten denkbaren Form ("in der Absicht") hinsichtlich der Verschleierung, so dass die Parallelen zum Steuerstrafrecht auf der tatbestandlichen Ebene dann auch sehr schnell schon wieder ein Ende haben. Denn die Steuerhinterziehung kann auch mit nur bedingtem Vorsatz begangen werden, ist also tatbestandlich deutlich gefahrgeneigter.

Auffällig ist auch, dass das PartG keinen Bußgeldtatbestand kennt, etwa wie wir es im Steuerstrafrecht mit § 378 AO haben, wo leichtfertige Fehlverhaltensweisen immerhin noch mit einer Geldbuße geahndet werden können (und beim Subventionsbetrug sogar noch eine Straftat darstellen). Dass auch der Strafrahmen geringer ist als bei der Steuerhinterziehung rundet das (einseitige) Bild ab.

Sie werden sich nun vielleicht etwas ungeduldig fragen, was denn dies nun alles mit der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht zu tun hat. Ich will es Ihnen gerne erläutern:

§ 23b Abs. 2 PartG schützt Parteien bei eigenverantwortlich vorgenommenen Korrekturen zunächst vor vermögensrechtlichen Nachteilen:

"Bei einer von der Partei angezeigten Unrichtigkeit unterliegt die Partei nicht den Rechtsfolgen des § 31b oder des § 31c, wenn im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige konkrete Anhaltspunkte für diese unrichtigen Angaben öffentlich nicht bekannt waren oder weder dem Präsidenten des Deutschen Bundestages vorgelegen haben noch in einem amtlichen Verfahren entdeckt waren und die Partei den Sachverhalt umfassend offen legt und korrigiert."

Gemäß § 31d Abs. 1 S. 2 PartG wird allerdings nicht nach § 31d Abs. 1 S. 1 PartG bestraft, wer unter den Voraussetzungen des § 23b Abs. 2 PartG eine Selbstanzeige nach § 23b Abs. 1 PartG für die Partei abgibt oder an der Abgabe mitwirkt.

Etwas versteckt finden wir also auch im Parteiengesetz eine echte strafbefreiende Selbstanzeige, was angesichts der medialen und politischen Auseinandersetzungen zu § 371 AO etwas verwundert, denn von einer geplanten Abschaffung oder Einschränkung dieser Regelung habe zumindest ich in diesem Zusammenhang noch nie gehört.

Dies überrascht einerseits, weil im Jahre 2011 der Anwendungsbereich der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht erheblich eingeschränkt worden ist und in diesem Zusammenhang teilweise auch die Abschaffung des § 371 AO gefordert worden ist. Es überrascht andererseits aber auch deshalb, weil die von mir eingangs schon angesprochenen Sperrgründe für eine wirksame Selbstanzeige im Parteienrecht deutlich hinter denen der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige zurückbleiben, d.h. Selbstanzeigen im Parteienrecht auch dann noch möglich sind, wenn sie im Steuerrecht vom Sachverhalt her schon strukturell ausgeschlossen wären.

Ohne hier nun in jedes einzelne Detail gehen zu können:

  • Nach dem Wortlaut der Norm können z.B. gestückelte Selbstanzeigen zulässig sein und die Straffreiheit nicht hindern, d.h. ein vollständiger Weg zurück in die Legalität ist – anders als im Steuerstrafrecht – keine Wirksamkeitsvoraussetzung ("den Sachverhalt umfassend offen legt").
  • Auch die sperrende Verdachtsschwelle, die eine Selbstanzeige ausschließend soll, erscheint gegenüber dem Steuerstrafrecht (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) erhöht ("konkrete Anhaltspunkte … öffentlich nicht bekannt waren" vs. BGH: " Die Anforderungen an diese Wahrscheinlichkeitsprognose dürfen schon deshalb nicht zu hoch angesetzt werden, weil sie auf einer (noch) schmalen Tatsachenbasis erfolgen muss .")
  • Ferner gibt es keine Sperre während behördlicher Prüfungsphasen (vgl. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO).
  • Schließlich fehlt eine betragsmäßige Obergrenze für die Straffreiheit (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO), die im Steuerstrafrecht bei 50.000 EUR liegt.
  • Es gibt dementsprechend auch keine Verknüpfung mit einer individuellen finanziellen Pönale (vgl. § 398a AO).
  • Es gibt ferner keine sog. Infektionswirkung durch einen einzelnen Sperrgrund für das Gesamtgeschehen ("eine Prüfungsanordnung … bekannt gegeben worden ist"[Nr. 1a]; "eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung … ganz oder zum Teil bereits entdeckt war" [Nr. 2]).

Der Versuch, eine Antwort auf den Sinn bzw. den Hintergrund für diese parteienbezogene – darf man es so nennen? – Privilegierung zu erlangen, bleibt erfolglos, sofern man sich auf eine Recherche in den Gesetzgebungsmaterialien beschränkt.

Ich habe deshalb kürzlich einmal gemeinsam mit dem Redakteur einer Zeitung versucht, die im Bundestag vertretenen Parteien zu befragen, konkret:

"Hält Ihre Partei das Mittel der strafbefreienden Selbstanzeige für Parteifunktionäre aktuell noch für erforderlich und angemessen? Plant Ihre Partei, dieses Privileg im Parteiengesetz zu verändern oder ganz zu streichen? Wie passt die strafbefreiende Selbstanzeige im Parteiengesetz zur aktuellen Diskussion zum Thema Selbstanzeige im Steuerstrafrecht?"

Es soll an dieser Stelle nicht aus allen Antworten, die wir hierauf erhalten haben, zitiert werden. Ich war jedoch – um es zurückhaltend zu formulieren – schon etwas "überrascht", und zwar quer durch alle politischen Farben. So heißt es in einem an uns adressierten Schreiben:

"Eine wirksame Selbstanzeige ist hingegen nicht möglich, wenn der Partei die Unrichtigkeit schon bei Einreichung des Rechenschaftsberichts beim Bundespräsidenten bekannt war oder wenn bereits konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit öffentlich bekannt sind. … Bei der Selbstanzeige nach dem Parteiengesetz geht es also anders als im Steuerstrafrecht nicht darum, bewusste Falschangaben zu korrigieren, sondern irrtümliche Unrichtigkeiten …"

Rufen wir uns noch einmal den Wortlaut von § 31d PartG in Erinnerung:

"Wer in der Absicht, die Herkunft oder die Verwendung der Mittel der Partei oder des Vermögens zu verschleiern oder die öffentliche Rechenschaftslegung zu umgehen … wird bestraft"

Geht es also nicht gerade darum, bewusste Falschangaben zu korrigieren?

Wer es sehr kritisch mag, der wird sich nach den Antworten fragen, ob bislang überhaupt zum Parteiengesetz bzw. zur Anwendung der dortigen Normen ein widerspruchsfreies Verständnis vorliegt und zwar bei denjenigen, die die maßgeblichen Normen im Jahr 2002 ins Gesetz gehoben haben.

Und ein Schritt weiter: Kann – und falls ja – dieses Normgefüge mit dem des Steuerstrafrechts in systematischer Hinsicht verglichen werden? Und wenn man auch dies bejaht: Wie fällt dann dieser Vergleich im Konkreten aus?

Ich kann Ihnen hier heute – allein schon zeitlich – kein vollständiges Bild liefern, erlaube mir aber einige kurze Hinweise, die an anderer Stelle weiter entwickelt werden müssen, wozu ich hiermit gerne einen Anstoß geben möchte:

Mir scheint der § 23b PartG tatsächlich zunächst einmal aus einer verwaltungsrechtlichen Überlegung entstanden zu sein. Werden nachträglich intern Fehler entdeckt, dann sollen diese kommuniziert werden können, ohne damit gleichzeitig zu einem finanziellen Risiko zu führen. Defizite auf Ort- und Kreisebene sollen nicht auf die Bundesebene durchschlagen.

Der Hinweis, dies habe nun aber alles nichts mit einer strafbefreienden Selbstanzeige zu tun, wie wir sie im Steuerstrafrecht kennen, denn hier gehe es nur um die Aufbereitung von "Irrtümern" oder "Bagatellen", erscheint mir zu weit hergeholt. Denn wenn dies allein der Sinn der Regelung wäre, dann erschließt sich mir nicht, warum § 31d PartG auf den § 23b PartG verweist und ausdrücklich festhält:

"Nach Satz 1 wird nicht bestraft, wer unter den Voraussetzungen des § 23b Abs. 2 eine Selbstanzeige nach § 23b Abs. 1 für die Partei abgibt oder an der Abgabe mitwirkt."

Denn in diesem § 31d Abs. 1 S. 1 PartG sind nun gerade die "schlimmen" - absichtlichen – finanziellen Verfehlungen aufgeführt, die bestraft werden sollen. Da steht nichts von "Bagatellen" oder "versehentlichen" Versäumnissen.

Ich meine daher, dass sich das Parteiengesetz dem Systemvergleich mit § 371 AO stellen muss. Denn alle Sachverhalte, die die Sprecher der Parteien in ihren Antworten auf unsere an sie gerichteten Fragen im Blick hatten, werden bereits tatbestandlich nicht durch § 31d Abs. 1 S. 1 PartG erfasst, so dass es insoweit auch gar kein Bedürfnis für eine strafbefreiende Selbstanzeige gibt, sondern nur für eine verwaltungsrechtliche Selbstanzeige, die vor Strafzahlungen schützt.

Ich meine daher weiter, dass man hier eine ehrliche Diskussion führen kann – und wohl auch führen sollte –, der auch nicht dadurch der Boden entzogen werden kann, indem man anmerkt, es fehle jedenfalls an der Praxisrelevanz der entsprechenden Norm im Parteiengesetz und allein deshalb könne alles so bleiben wie es bislang ist.

Dies gilt umso mehr, wenn man einmal praktisch der Frage nachgeht, wie Selbstanzeigen im Steuerrecht und im Parteienrecht behandelt werden. Während die Anwei-

sungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) ganz klare Regeln enthalten, dass Selbstanzeigen zur Bewertung ihrer Wirksamkeit der Bußgeld- und Strafsachenstelle zuzuleiten sind, wo dann automatisch erst einmal ein Strafverfahren eingeleitet wird, ist mir eine vergleichbare Regelung bei der Bundestagsverwaltung nicht bekannt, obgleich die Bundestagsverwaltung Jahr für Jahr nachträgliche Berichtskorrekturen der Parteien ausweist. M.a.W.: Es gibt überhaupt kein standardisiertes Verfahren zur strafrechtlichen Überprüfung von parteienbezogenen Vorgängen, weshalb ein reiner Zahlenvergleich bzw. der Hinweis auf eine vermeintlich fehlende strafrechtliche praktische Relevanz auch hinkt.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich will keiner Kriminalisierung des Parteienrechts das Wort reden. Aber ein wenig mehr Transparenz – vielleicht aber auch Ehrlichkeit – könnte der immerwährenden Diskussion zu § 371 AO gut tun.

6 . Selbstanzeige im Außenwirtschaftsrecht

Und in dem Augenblick, in dem man sich vielleicht noch einmal Gedanken darüber macht, ob wir Regelungen einer strafbefreienden Selbstanzeige im Strafgesetzbuch, in der Abgabenordnung, im Parteiengesetz oder sonst andernorts benötigen und wie diese vielleicht vergleichbar strukturiert aussehen könnten, rege ich an, auch eine weitere Vorschrift in den Blick zu nehmen, die erst vor einigen Wochen das Licht der Welt erblickt hat und die mich als Strafrechtler etwas ratlos zurück lässt: § 22 Abs. 4 Außenwirtschaftsgesetz (AWG).

Diese Vorschrift lautet:

"Die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit unterbleibt in den Fällen der fahrlässigen Begehung eines Verstoßes im Sinne des § 19 Abs. 2 bis 5, wenn der Verstoß im Wege der Eigenkontrolle aufgedeckt und der zuständigen Behörde angezeigt wurde sowie angemessene Maßnahmen zur Verhinderung eines Verstoßes aus gleichem Grund getroffen werden. Eine Anzeige nach Satz 1 gilt als freiwillig, wenn die zuständige Behörde hinsichtlich des Verstoßes noch keine Ermittlungen aufgenommen hat. Im Übrigen bleibt § 47 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten unberührt."

Geschaffen worden ist die Möglichkeit einer bußgeldbefreienden Selbstanzeige für fahrlässig begangene Verstöße nach § 19 Abs. 2 bis 5 AWG.

Ich möchte mich jetzt nicht in den Weiten des Außenwirtschaftsrechts verlieren und Ihnen deshalb auch nicht einzelne Tatbestände dort vorstellen, sondern § 22 Abs. 4 AWG gibt für sich genommen schon genügend Stoff für eine Diskussion zu dem von mir gewählten Thema: Ist im »Komplex Selbstanzeige« nun vielleicht mit dieser Vorschrift ein System zu erkennen? Passt es irgendwie zueinander?

Um auch hier gleich das Ergebnis vorwegzunehmen: Meine Antworten hierauf sind fast noch ernüchternder, als es beim PartG der Fall war.

So fällt zunächst auf, dass die Norm nicht anwendbar ist auf verwirklichte Straftatbestände im Außenwirtschaftsrecht sowie auf Bußgeldtatbestände nach § 19 Abs. 1 AWG. Wenn man denn Berührungspunkte zum Steuerrecht bzw. Steuerstrafrecht sehen will, dann vielleicht zu § 378 Abs. 3 AO (bußgeldbefreiende Selbstanzeige).

In der Anwendungspraxis werden im Außenwirtschaftsrecht Schwierigkeiten dadurch entstehen, dass die Unterscheidung zwischen einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Delikt – und danach richtet sich vielfach, ob eine Straftat vorliegt oder eine Ordnungswidrigkeit – kompliziert ist. Auch im Steuerstrafrecht kann man hierzu zwar genussvoll streiten, jedoch ist die Differenzierung häufig praktisch bedeutungslos, weil die Selbstanzeige umfassend greift, während die verbindliche Einordnung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit im AWG für Erfolg und Misserfolg einer Selbstanzeigte entscheidend ist.

Welcher Berater will hier im Vorfeld eine belastbare Aussage treffen, ob denn die Verfolgungsbehörde von einer Vorsatztat oder einem Fahrlässigkeitsdelikt ausgehen wird? Soll man sich also in guter Hoffnung einer Behörde ausliefern, die die Fehler bislang nicht kennt, wenn man die sich daraus ergebenden Folgen nicht abschätzen kann?

Eine wirksame Selbstanzeige gemäß § 22 Abs. 4 AWG setzt weiter voraus, dass der Verstoß i.S.d. § 19 Abs. 2 bis 5 AWG "im Wege der Eigenkontrolle aufgedeckt" wird. Dieses Kriterium kennen wir im Steuerstrafrecht nicht, denn dort wird weder nach einem Motiv noch nach den sonstigen Hintergründen für die Selbstanzeige gefragt.

Soll es im Außenwirtschaftsrecht tatsächlich darauf ankommen, ob der Verstoß durch das unternehmensinterne Compliance-System durch Stichproben oder durch die Interne Revision aufgedeckt wird? Soll die Selbstanzeige ausgeschlossen sein, wenn das Delikt "zufällig" erkannt wird? Ich habe da meine Zweifel und würde so lange keinen Sperrgrund erkennen wollen, solange die Aufdeckung nicht durch unternehmensexterne Dritte erfolgt ist, die hierzu keinen Auftrag des Unternehmens hatten.

Etwas unschlüssig stehe ich auch vor der Definition der »Freiwilligkeit« in § 22 Abs. 4 S. 2 AWG. Denn zumindest dem Wortlaut in § 22 Abs. 4 S. 1 AWG nach ist die »Freiwilligkeit« keine Tatbestandsvoraussetzung für eine Selbstanzeige. Zudem handelt es sich um ein Kriterium, das uns im Steuerstrafrecht gänzlich unbekannt ist. Strafrecht AT – Experten mögen an § 24 StGB (Rücktritt vom Versuch) denken und versuchen, hieraus etwas herzuleiten; nur: Um solche Sachverhaltskonstellationen vor der Deliktsvollendung geht es bei der Selbstanzeige gerade nicht.

An der »Freiwilligkeit« soll es nach dem Wortlaut in § 22 Abs. 4 S. 2 AWG fehlen, wenn die Behörde hinsichtlich des Verstoßes Ermittlungen aufgenommen haben. Wenn man hier versucht, eine Parallele zu § 371 AO zu ziehen, so fällt auf, dass der Wortlaut des Gesetzes für eine Sperre nicht verlangt, dass der Betroffene von der Einleitung der Ermittlungen auch Kenntnis erlangt hat oder er bei

verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste.

Auch hierin wird deutlich, dass der Norm im AWG – bereits für sich genommen – eine taugliche Systematik fehlt. Denn wie dies wiederum mit dem allgemeinen Verständnis nach § 24 StGB zu vereinbaren sein soll, wonach ein Verhalten »freiwillig« ist, solange es aus autonomen Beweggründen erfolgt, erschließt sich nicht, denn der Wortlaut des § 22 Abs. 4 S. 2 AWG verzichtet auf jede individuelle Betrachtungsweise. Objektive und subjektive Kriterien werden nahezu unauflösbar miteinander vermengt.

Schließlich erfordert eine wirksame Selbstanzeige, dass der Anzeigende des § 22 Abs. 4 AWG angemessene Maßnahmen zur Verhinderung eines Verstoßes aus gleichem Grund trifft. Auch dies lässt mich als Steuerstrafrechtler etwas ratlos zurück, und zwar unabhängig davon, was sich in der strafrechtlichen Terminologie hinter dem Begriff "angemessen" verbergen soll, der entscheidend dafür sein soll, ob jemand zu sanktionieren ist oder nicht.

Und dann: Müssen die "angemessenen" Maßnahmen nur parallel zur Selbstanzeige angekündigt sein? Oder müssen sie schon tatsächlich ergriffen worden sein? Muss man also – nachdem man ein Defizit entdeckt hat – erst noch abwarten, bevor man die Selbstanzeige erstattet, weil man ja erst noch Maßnahmen definieren und umsetzen muss, um dann der Behörde etwas vorzeigen zu können? Was, wenn aber nun gerade in dieser Zeitspanne die Behörde den Fehler entdeckt, etwa weil ein Whistleblower an die Strafverfolger herantritt und sein Insiderwissen zu den Problemen Dritter kommuniziert? Soll dann eine Ahndung weiter erfolgen können, weil die "Maßnahme" erst erarbeitet wird?

Und was ist mit den Personen, die seinerzeit das Delikt individuell verantwortet haben, heute aber gar nicht mehr in dem Unternehmen tätig sind? Ist diesem Personenkreis die Selbstanzeige verschlossen, weil er ja weder faktisch noch rechtlich auf die gegebenenfalls zu ändernden Strukturen im Unternehmen einwirken kann? Er ist ja nicht mehr da …

Dies führt mich zu einem vorerst letzten Punkt, den ich an dieser Stelle nur kurz ansprechen möchte: Die Verwicklungen zwischen individueller und überindividueller Verantwortlichkeit. Wir kennen im deutschen Strafrecht grundsätzlich nur die Verantwortlichkeit von Einzelpersonen, blendet man einmal § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) aus. Dementsprechend sind auch die Straf- und Bußgeldtatbestände formuliert, aber auch die Selbstanzeige in § 371 AO, was dann zu der anschließenden Frage führt, ob eine wirksame Selbstanzeige die Ahndung mit einer Unternehmensgeldbuße oder wegen einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG sperrt.

Bei § 31d i.V.m. § 23b PartG lassen sich demgegenüber schon Tendenzen erkennen, die aufgrund der verwaltungsrechtlichen Bezugnahmen nur erklärbar sind, wenn man die Partei als überindividuelle Struktur im Blick hat.

§ 22 Abs. 4 AWG scheint mir demgegenüber vollständig entpersonalisiert zu sein und zäumt damit gewissermaßen das Pferd von der anderen – ich will bewusst nicht sagen: falschen, jedenfalls aber ungewohnten – sanktionsrechtlichen Seite auf. Das Steuerstrafrecht kennt dieses Modell nicht, obgleich es im unternehmerischen Kontext doch auch Konstellationen geben mag, in denen Fehler aufgrund struktureller Defizite immer wieder vorkommen und jedes Unternehmen an sich ein Interesse haben sollte, dass diese abgestellt werden. Kann also hier das Steuerstrafrecht etwas vom AWG lernen?

7 . Zusammenfassung

Ich fasse zusammen und bin mir bewusst, dass ich viele Punkte nur anreißen konnte. Mein Thema war: »Strafbefreiende Selbstanzeige – ein widersprüchliches System?!« Beim Versuch, meine Eingangsfrage etwas provokant aufzulösen, würde ich sagen: Welches System? Es gibt keins!

  • Straftat: ja / nein
  • Vorsatz: ja / nein
  • finanzielle Obergrenzen: ja / nein
  • Sperrgründe: nun ja …
  • »Freiwilligkeit« bzw. Motivation: ja / nein
  • Blick in die Zukunft / Compliance: ja / nein

M.a.W.: Jeder Rechtsbereich kocht hier sein eigenes Süppchen. Ich würde mich deshalb freuen, wenn die Verfasser von PartG und AWG den Streit zu ihren Regelungen aufnehmen. Denn die aktuellen Modelle werfen mehr Fragen auf als sie beantworten. Hier muss geforscht, diskutiert und geschrieben werden, um ein System zu finden, das diesen Namen auch verdient.


* Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Krause & Kollegen in Berlin. Der Beitrag ist - leicht modifiziert - seine Antrittsvorlesung vom 1.11.2013 der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg . Der Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten, so dass auch auf Fußnoten verzichtet wird.