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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2014
15. Jahrgang
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1. Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes folgt auch für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Erfordernis einer wirksamen tatsächlichen und rechtlichen Kontrolle grundrechtsrelevanter Maßnahmen. Dies setzt eine zureichende Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts voraus.
2. Jedenfalls soweit eine erhebliche Grundrechtsverletzung in Rede steht, haben die Gerichte auch im Eilverfahren – und dabei auch in Vornahmesachen – ein Rechtsschutzbegehren auch in tatsächlicher Hinsicht zu prüfen und die tatsächlichen Grundlagen für die erforderliche Abwägung zu ermitteln. Insbesondere dürfen in der Eilentscheidung keine Tatsachen unterstellt werden, die plausibel bestritten sind. Je schwerer und je wahrscheinlicher der drohende Grundrechtseingriff, desto weniger steht der Charakter des Eilverfahrens einer Ermittlung der entscheidungserheblichen Umstände entgegen.
3. Trägt ein Sicherungsverwahrter detailliert vor, dass und aus welchen Gründen er sein Recht auf ein ungestörtes Telefonat mit seinem Verteidiger unter den von der Anstalt angebotenen Bedingungen – auf dem Flur, bei Bauarbeiten und unter Abschirmung von anderen Untergebrachten durch einen Vollzugsbediensteten – nicht in zumutbarer Weise ausüben könne, so verletzt die Strafvollstreckungskammer ihre Sachaufklärungspflicht, wenn sie im Eilverfahren einen Anordnungsanspruch unter Verzicht auf ohne Weiteres mögliche Ermittlungen verneint und sich dabei lediglich auf Vermutungen sowie auf das Fehlen von Beschwerden anderer Untergebrachter stützt.
4. Angesichts der Bedeutung, welche der Kommunikation eines mit einem Disziplinarverfahren konfrontierten Sicherungsverwahrten mit seinem Verteidiger im Hinblick auf ein faires Verfahren zukommt, verstößt es gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz, wenn die Strafvollstreckungskammer in einem Eilverfahren wegen der Rahmenbedingungen telefonischer Verteidigergespräche einen Anordnungsgrund mangels einer ausreichend schweren Beeinträchtigung des Untergebrachten verneint.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine (verfassungsgerichtliche) Entscheidung über den Verlegungsantrag eines Strafgefangenen entfällt, wenn der Gefangene antragsgemäß in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt worden ist. Insbesondere begründet die rein theoretische Möglichkeit, künftig in eine vergleichbare Verlegungssituation zu kommen, keine ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis begründende Wiederholungsgefahr.
2. Das von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Recht auf effektiven Rechtsschutz verbietet es, einen von der jeweiligen Verfahrensordnung eröffneten Rechtsbehelf in einer Weise zu handhaben, die für den Rechtsschutzsuchenden mit erheblichen Schwierigkeiten oder Unwägbarkeiten verbunden ist, ohne dass hierfür ein hinreichend gewichtiger Grund besteht. Im Bereich des Strafvollzuges ist auch zu berücksichtigen, dass Strafgefangene nach Bildungsstand, materiellen Ressourcen und Kommunikationsmöglichkeiten für den Umgang mit den Kompliziertheiten der Rechtsordnung typischerweise weniger gut gerüstet sind.
3. Die Auffassung eines Oberlandesgerichts im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG, Vollstreckungsbehörde im Sinne des § 21 StVollstrO sei entgegen der Begriffsbestimmung in § 4 StVollstrO auch die Landesjustizverwaltung – mit der Folge, dass dann ein Vorschaltverfahren nach § 24 Abs. 2 EGGVG durchzuführen wäre – liegt derart fern, dass sie den Rechtschutz in unzumutbarer Weise verkürzt. Dies gilt selbst dann, wenn das Gericht bereits eine entsprechende Entscheidung getroffen hat, die veröffentlicht worden ist.
4. Wäre eine Verfassungsbeschwerde, deren Rechtsschutzziel sich vor der Entscheidung erledigt hat, bei überschlägiger Beurteilung offensichtlich begründet gewesen, etwa weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt sind, so entspricht es der Billigkeit, die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers anzuordnen. Dies gilt auch dann, wenn der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde in Verkennung der prozessualen Lage nicht für erledigt erklärt hat.
1. Die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person, die unter den Grundrechten einen hohen Rang einnimmt, darf nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der besonderen Verfahrensgarantien nach Art. 104 Abs. 2 bis Abs. 4 GG eingeschränkt werden. Eine Einschränkung kommt außerdem nur aus besonders gewichtigen Gründen in Betracht, zu denen in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts – einschließlich der Unterbringung eines nicht oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters im psychiatrischen Krankenhaus – zählen.
2. Aus der freiheitssichernden Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG folgt, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben müssen, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht.
3. Bei Prüfung der Aussetzungsreife einer der Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung zu tragen, dass die Sicherungsbelange der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Betroffenen einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und einzelfallbezogen gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die von dem Täter ausgehende Gefahr zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.
4. Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten künftig von dem Untergebrachten zu erwarten sind, wie ausgeprägt die Rückfallgefahr hinsichtlich Häufigkeit und Frequenz ist und wie schwer die bedrohten Rechtsgüter wiegen. Der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen. Ausreichend sind nur erhebliche rechtswidrige Taten.
5. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch zu erörtern, inwieweit etwaigen Gefahren durch mildere Maßnahmen wie insbesondere durch geeignete Auflagen im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden kann.
6. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.
7. Die von einem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist nicht in hinreichendem Maße konkretisiert, wenn sich das Gericht auf eine Wiederholung des Gesetzeswortlauts des § 67d Abs. 2 StGB beschränkt, ohne darzulegen, welche konkreten Taten im Einzelfall von dem Untergebrachten zu erwarten sind und inwiefern diese konkret das Merkmal der Erheblichkeit i. S. d. § 63 StGB erfüllen würden.
8. Nicht ausreichend ist es auch, wenn ein Gericht bei einem aus Anlass des Besitzes kinderpornographischer Schriften Untergebrachten lediglich die Gefahr künftiger „Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern“ sieht, ohne innerhalb dieses breiten Spektrums die konkret zu erwartenden Handlungen näher einzugrenzen. Dabei genügt insbesondere auch die Annahme, auch „Hands-on-Delikte“ seien künftig „nicht auszuschließen“, nicht den nicht den Konkretisierungserfordernissen hinsichtlich möglicher Delikte und deren Wahrscheinlichkeit.
9. Eine Fortdauerentscheidung genügt den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht, wenn sie wesentliche Umstände des Einzelfalles übergeht und etwa nicht berücksichtigt, dass der Untergebrachte bereits mehrere Lockerungsstufen erfolgreich durchlaufen hat, und dass die Unterbringungsdauer sowohl die zugleich verhängte Freiheitsstrafe als auch das gesetzliche Höchstmaß des jeweiligen Straftatbestandes übersteigt.
10. Stützt sich eine Fortdauerentscheidung darauf, dass ein Untergebrachter gegenüber seinem in Aussicht genommenen Arbeitgeber unrichtige Angaben gemacht habe, so ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern dieser Umstand Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten zulassen soll.
1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht – unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität – das fehlende Durchlaufen eines gesetzlich vorgesehenen Vorschaltverfahrens oder ein möglicher Formverstoß bei der Erhebung der Rechtsbeschwerde nicht entgegen, wenn die Fachgerichte die jeweiligen Rechtsbehelfe gleichwohl als zulässig behandelt und in der Sache entschieden haben.
2. Die medizinische Behandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen dessen natürlichen Willen („Zwangsbehandlung“) greift in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Betroffenen sowie dessen Selbstbestimmungsrecht schützt. Die Eingriffsqualität entfällt nicht bereits deshalb, weil der Betroffene der Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt oder sie nur hinnimmt, um anderweitige grundrechtsrelevante Beschränkungen abzuwenden.
3. Die medizinische Behandlung eines Untergebrachten, die ihrer Art nach das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berührt, greift in das Grundrecht allenfalls dann nicht ein, wenn sie von der frei und auf der Grundlage der gebotenen ärztlichen Aufklärung erteilten Einwilligung des Untergebrachten gedeckt ist. Dies setzt voraus, dass der Untergebrachte einwilligungsfähig ist und keinem unzulässigen Druck ausgesetzt wurde.
4. Diese Maßstäbe sind auch dann anzuwenden, wenn bei einem aus dem Maßregelvollzug Beurlaubten die Rückverbringung ins psychiatrische Krankenhaus maßgeblich daran gekoppelt wird, dass er die verordnete Medikation einnimmt. Billigt ein Gericht auf eine Beschwerde des Betroffenen eine solche Behandlung, ohne die Freiwilligkeit der Medikamenteneinnahme im Einzelnen zu hinterfragen, so verletzt es neben dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch seine Sachaufklärungspflicht und damit das Recht des Betroffenen auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).