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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2013
14. Jahrgang
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1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 242, 243). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens-, als auch für das Willenselement (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 242, 243).
2. Hat der Täter eine offensichtlich besonders gefährliche Gewalthandlung begangen, kann im Einzelfall allein daraus der Schluss auf ein Wissen um die vorhandene Lebensgefahr und deren Inkaufnahme gezogen werden (vgl. BGH NStZ 2012, 207, 208 mwN). Der Tatrichter ist jedoch nicht gehalten, seinen Feststellungen zur objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 242, 243).
3. Die Erwägung, der Angeklagte habe aufgrund der Gesamtsituation nicht darauf vertrauen können, dass sich das Opfer, auf das er zufährt, rechtzeitig in Sicherheit bringen würde, und deshalb damit rechnen müssen, dass es bei ihr zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen kommen konnte, muss im Urteil eine ausreichende Stütze finden.
4. Aus einem risikogeneigten, rücksichtslosen Gesamtverhalten und der sich aus der Art des Handlungsantriebes ergebenden Stärke des Tatanreizes können sich zwar Rückschlüsse auf eine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben, doch ist dies vornehmlich für das Willenselement von Bedeutung. Welche konkrete Folgenerwartung (Wissenselement) der Täter mit seiner Tat verknüpft hat, kann dagegen nur sehr begrenzt aus seiner Risikobereitschaft und seinem Tatmotiv erschlossen werden.
5. Der Umstand, dass der Angeklagte die Flucht erzwang, obwohl ihn die Zeugin W. an einer Weiterfahrt hindern wollte, vermag eine erhöhte Risikoeinschätzung für sich genommen ebenfalls nicht zu begründen. Erfahrungsgemäß weichen Polizeibeamte Kraftfahrern aus, die eine Polizeisperre durchbrechen wollen, obgleich es ihnen gerade auf deren Anhaltung ankommt.
1. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Bei der Prüfung, ob ein bedingter Tötungsvorsatz festzustellen ist, hat das Tatgericht eine umfassende
Gesamtwürdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen. Beide Vorsatzelemente müssen zudem durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.
2. Der Tötungsvorsatz einer Person, die selbst keine Gewalthandlung vorgenommen hat, kann nicht allein aus dem Umstand abgeleitet werden, dass sie eine Gewaltanwendung anderer wahrgenommen hat. Die Wahrnehmung von Gewalthandlungen allein rechtfertigt nicht ohne weiteres den Schluss auf die zumindest bedingte Inkaufnahme des tödlichen Erfolgs.
3. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt ein bedingter Tötungsvorsatz trotz der hohen Hemmschwelle hinsichtlich der Tötung eines Menschen nahe. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter seinen Gegner zu Boden gestreckt hat und anschließend auf das infolgedessen wehrlose Opfer mehrfach im Bereich des Kopfes und der Bauchgegend eintritt. Der Schluss aus einer besonders gefährlichen Gewalthandlung auf einen (bedingten) Tötungsvorsatz ist aber auch dann nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, den Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat.
4. Der Umstand, dass es sich um eine Spontantat gehandelt hat, kann einem bedingten Tötungsvorsatz entgegenstehen. Er darf nicht nur im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden.
5. Auch der Umstand, dass es an einem einsichtigen Grund dafür fehlt, dass die Angeklagten in der konkreten Tatsituation den Tod des Geschädigten billigend in Kauf genommen haben, kann gegen den Vorsatz sprechen.
1. Weder eine Betäubungsmittelabhängigkeit noch eine „Spielsucht“ schließen für sich genommen die volle Schuldfähigkeit aus.
2. Bei der Betäubungsmittelabhängigkeit kommt eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vielmehr nur ausnahmsweise in Betracht, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen gelitten bzw. solche befürchtet hat und dadurch dazu getrieben wurde, sich mittels einer Straftat Drogen oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, oder unter Umständen auch dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt hat.
3. Bei sog. „Spielsucht“ ist maßgeblich, ob der Betroffene gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die „Spielsucht“ zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein.
Der Gehilfe muss seinen eigenen Tatbeitrag sowie die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere deren Unrechts- und Angriffsrichtung, zumindest für möglich halten und billigen (vgl. BGH NStZ 2011, 399). Er braucht hingegen Einzelheiten der Haupttat nicht zu kennen und keine bestimmte Vorstellung von ihr zu haben (vgl. BGH wistra 2012, 302), insbesondere wenn sein Tatbeitrag nur zu deliktischen Zwecken verwendet werden kann (vgl. BGHSt 42, 135, 137 ff.).
1. Ob eine objektive Notwehrlage vorliegt, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung entschieden werden. Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH NJW 1989, 3027; NStZ 1983, 117). Sie kann auch beim Anlegen eines Würgegriffes vorliegen. Eine Notwehrlage endet jedoch regelmäßig bei der eintretenden Kampfunfähigkeit des Angreifers,
2. Hat der Angeklagte die Kampfunfähigkeit des Geschädigten aber nicht erkannt, liegt ein Irrtum im Sinne des § 16 StGB vor. Die irrige Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts ist wie ein den Vorsatz ausschließender Irrtum über Tatumstände nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zu bewerten (st. Rspr.), so dass etwa der Vorwurf (vorsätzlicher) Körperverletzung mit Todesfolge entfiele.
3. Der Irrtum des Angeklagten kann aber auf einer Außerachtlassung der gebotenen und ihm persönlich zuzumutenden Sorgfalt beruhen, so dass er wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen wäre. Dabei ist für einen eingesetzten Würgegriff dessen erkannte Gefährlichkeit zu berücksichtigen.
1. Eine gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mindestens zwei Personen grundsätzlich vor Ort mit gleicher Zielrichtung täterschaftlich derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der Tatsituation zusammen auf das Tatopfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. (BGHSt)
2. Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB ist auch dann erfüllt, wenn von zwei am Tatort aktiv zusammenwirkenden Tätern sich der eine nach § 176 Abs. 1 StGB, der andere nach § 176 Abs. 2 StGB strafbar macht. (BGHSt)
3. Die Qualifikationsnorm des § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB trägt dem gesteigerten Tatunrecht Rechnung, welches daraus resultiert, dass regelmäßig die psychischen Widerstandskräfte des Kindes in höherem Maße beeinträchtigt sind und die Gefahren für dessen ungestörte sexuelle Entwicklung zunehmen, wenn das Opfer dem gemeinsamen sexuellen Ansinnen mehrerer ausgesetzt ist. Mit Blick auf diesen Normzweck setzt eine gemeinschaftliche Tatbegehung nach § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB voraus, dass bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mindestens zwei Personen grundsätzlich vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der Tatsituation zusammen auf das Tatopfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. (Bearbeiter)
4. Erforderlich ist ein täterschaftliches Verhalten; die tatbestandlichen Voraussetzungen der Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB müssen allerdings nicht vorliegen. Für die Qualifizierung von Missbrauchstaten nach § 176 Abs. 1 StGB durch eine gemeinsame Tatbegehung reicht es daher aus, dass mehrere Personen im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens jede für sich sexuelle Handlungen am Tatopfer vornehmen oder jeweils an sich vornehmen lassen. (Bearbeiter)
5. Die Übersendung und der Empfang mehrerer kinderpornographischer oder jugendpornographischer Bilder über das Internet stellt nur dann eine Tat im materiellrechtlichen Sinne dar, wenn die Übermittlungen im Rahmen eines zusammenhängenden Kommunikationsvorgangs erfolgten. Liegen dagegen mehrere zeitlich voneinander getrennte Kommunikationsvorgänge vor, sind mehrere real konkurrierende Taten gegeben (vgl. BGH, NStZ 2009, 208). (Bearbeiter)
6. Erlittene Untersuchungshaft ist regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil sie nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird (vgl. BGH NStZ 2011, 100). Auch beim erstmaligen Vollzug der Untersuchungshaft kommt eine mildernde Berücksichtigung nur in Betracht, sofern im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten (vgl. BGH NStZ 2012, 147). (Bearbeiter)
Wann eine konkrete Todesgefahr im Sinne des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB gegeben ist, entzieht sich exakter wissenschaftlicher Umschreibung (vgl. BGHSt 18, 271, 272). Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH NStZ 1985, 263). Allein der Umstand, dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden, genügt noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete noch in Sicherheit bringen konnte. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass „das noch einmal gut gegangen sei“.
Die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB kann auch noch nach der Vollendung des Grunddelikts verwirklicht werden. Dabei muss aber das gefährliche Tatmittel zur weiteren Verwirklichung der Zueignungsabsicht – oder im Falle der §§ 253, 255, 250 Abs. 2 StGB der Bereicherungsabsicht – verwendet werden. Das ist jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn der Täter die Tatbeute im Moment der Verwirklichung des qualifizierenden Merkmals bereits an sich gebracht hat und weder das Opfer noch ein hinzutretender Dritter ihm diese wieder streitig machen will.
1. Sowohl für die bandenmäßige Begehung nach § 152b Abs. 2 StGB als auch für die nach § 263 Abs. 5 StGB ist es erforderlich, dass der Täter die Strafen fortgesetzt begeht. Damit ist die Begehung mehrerer selbständiger Taten gemeint.
2. Auch die Annahme von Gewerbsmäßigkeit setzt das Bestreben voraus, sich durch die wiederholte Begehung entsprechender Taten eine Einnahmequelle zu erschließen. Zwar steht die Zusammenfassung verschiedener Einzelakte zu einer Tat im Rechtssinne der Qualifikation als gewerbs- und bandenmäßig nicht grundsätzlich entgegen. Jedoch muss sich in einem solchen Fall konkurrenzrechtlich verbundener Taten aus den Feststellungen zumindest ergeben, dass der Täter die Absicht hatte, das betroffene Delikt mehrfach zu begehen.
1. Die Tatvariante des § 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB kann nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht in der Weise verwirklicht werden, dass der Täter die durch einen Dritten mittels Entführung oder in sonstiger Weise begründete Bemächtigungslage des Opfers lediglich zu einer Erpressung ausnutzt.
2. Befindet sich das Opfer bereits in der Gewalt von Dritten, die dieses entführt oder sich seiner in sonstiger Weise bemächtigt haben, so kann § 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB dagegen anwendbar sein, wenn ein sich erst danach an dem Geschehen beteiligender Täter eigenständig Gewalt über das Opfer erlangt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn der Täter durch sein Eingreifen die Situation des Opfers qualitativ ändert und über das Fortbestehen der Bemächtigungslage nunmehr maßgeblich selbst bestimmt.
3. Durch die Abgabe eines schriftlichen Anerkenntnisses einer nicht bestehenden Verbindlichkeit (Schuldschein) kann bereits ein Vermögensnachteil im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB begründet werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Bande im Sinne des § 244a StGB den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, von denen jede auf der Grundlage einer ausdrücklichen oder konkludenten Bandenabrede den Willen hat, mit den anderen Bandenmitgliedern in Zukunft für eine gewisse Dauer eine unbestimmte Zahl von Straftaten zu begehen (st. Rspr.). Liegen diese Voraussetzungen vor und ist die in Rede stehende Tat Ausfluss der Bandenabrede, genügt es nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, dass der betreffende Täter „als Mitglied einer Bande“ die Tat „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds“ ausgeführt hat; eine konkrete Einbindung auch des dritten Bandenmitglieds in die Tatbegehung ist hingegen nicht erforderlich.
Der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB ist in der Variante der körperlichen Misshandlung nur dann erfüllt, wenn die Schwelle zu einer üblen und unangemessenen Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt, überschritten wird. Bei einem Schlag in das Gesicht ist als körperliche Wirkung jedenfalls ein – wenn auch nur kurz anhaltendes – Schmerzempfinden zu verlangen.