HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2013
14. Jahrgang
PDF-Download

Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

500. BGH 1 StR 320/12 – Urteil vom 20. Februar 2013 (LG Kempten)

Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Ausschluss durch hypothetische Einwilligung; Einwilligung: Aufklärungspflichten; mutmaßliche Einwilligung; Patientenautonomie; Erlaubnistatbestandsirrtum); fahrlässige Tötung; Betrug (Täuschung: Behauptung der Abrechenbarkeit einer Leistung, Tatsache; Dreiecksbetrug; Vorsatz: Tatbestandsirrtum); Darstellungsanforderungen an einen Freispruch; Inbegriffsrüge (Inbegriff der Hauptverhandlung; Zulässigkeit der Verfahrensrüge; Rekonstruktionsverbot).

§ 223 StGB; § 227 StGB; § 224 StGB; § 222 StGB; § 263 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 17 StGB; Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 GG, Art. 1 Abs. 1 GG; § 267 Abs. 5 StPO; § 261 StPO

1. Führt ein Heileingriff zum Tod des Patienten, kann die Verantwortlichkeit wegen eines eintretenden Todesfalls sowohl nach § 227 StGB als auch nach § 222 StGB infolge einer vorliegenden hypothetischen Einwilligung ausscheiden. Eine erteilte hypothetische Einwilligung des Geschädigten schließt den erforderlichen Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen den Aufklärungsverstößen und dem Tod des Geschädigten aus.

2. Dies setzt voraus, dass der Geschädigte möglicherweise auch bei einer vollständigen Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte. Hierfür sind konkrete Feststellungen zu treffen, die jene Möglichkeit untermauern. Diese sind auch bei einer noch wenig erprobten Operation (hier: Leberzelltransplantation) möglich, wenn etwa ein weitergehender Eingriff vom Geschädigten (hier: Lebertransplantation) nicht mehr gewollt war, der Geschädigte weitere lebensbedrohliche Krankheitsschübe erwarten musste, die einen Heileingriffe nahe legten, und er in der neuartigen Behandlungsmethode einen „letzten Rettungsanker“ sah.

3. Eine andere Bewertung hätte sich ergeben können, wenn die Verantwortlichen des Heileingriffs den Geschädigten gezielt über die mangelnden validen Erfolgsaussichten der Behandlung getäuscht hätten. Eine vorsätzliche Täuschung des Geschädigten (über die Erfolgsaussichten der Behandlung) durch die Verantwortlichen würde eine hypothetische Einwilligung ausschließen.


Entscheidung

551. BGH 2 StR 586/12 - Beschluss vom 13. März 2013 (LG Gera)

Beihilfe zum Bandendiebstahl (Beendigung; Zusage von Tatbeiträgen; Handlungseinheit; Konkurrenzen).

§ 27 StGB; § 242 StGB; § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 52 StGB

1. Ist der Gewahrsam an entwendeten Sachen bereits gesichert, ist der Diebstahl beendet. Eine Teilnahme an dieser Tat ist danach nicht mehr möglich.

2. In der Zusage späterer Hilfe bei der Verwertung von Diebesgut (hier: Verpacken und Versenden der Beute) kann zwar eine psychische Beihilfe liegen. Hierfür sind aber Feststellungen dazu erforderlich, inwieweit eine solche Zusage, die allein der Bandenabrede zu entnehmen sein könnte, die übrigen Beteiligten in ihrem Tatentschluss bestärkt oder in sonstiger Weise eine die Taten fördernde Funktion entfaltet und der Angeklagte dies – im Sinne eines doppelten Gehilfenvorsatzes – gewollt haben könnte. Dies versteht sich angesichts der Zusage einer für sich genommen sichtlich unbedeutenden Hilfeleistung nicht von selbst.

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

506. BGH 3 StR 486/12 - Urteil vom 7. Februar 2013 (LG Neubrandenburg)

BGHSt; Verstoß gegen eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht (verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit der Weisung).

§ 145a Satz 1 StGB; § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB

1. Die Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht setzt voraus, dass die Weisung eindeutig und so fest umrissen ist, wie dies vom Tatbestand einer Strafnorm zu verlangen ist. (BGHSt)

2. Diesen Anforderungen genügen die Weisung, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen, sowie das Verbot, sich an Orten wie Kinderspielplätzen, Kindergärten, Schulen u.a. aufzuhalten, an denen sich üblicherweise Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren befinden. (BGHSt)

3. Die Weisung, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen, untersagt es dem Verurteilten, aus eigenem Antrieb und aktiv einen unmittelbaren Kontakt zu einem Mitglied der genannten Personengruppe herzustellen. (BGHSt)


Entscheidung

511. BGH 5 StR 261/12 (alt: 5 StR 555/09) - Urteil vom 11. April 2013 (LG Potsdam)

Rechtsbeugung durch Zusammenziehung von Verfahren zur rechtswidrigen Begründung von Zuständigkeiten zum Erlass von Haftbefehlen (Anforderungen an die Feststellung sachfremder Motive); Rechtsbeugung durch Stellung eines Haftbefehlsantrags seitens eine intern unzuständigen Staatsanwaltes (i.d.R. keine Rechtsbeugung bei materiell-rechtlich vertretbarer Antragsstellung); Beweiswürdigung beim Vorwurf der Rechtsbeugung.

§ 339 StGB; § 2 StPO; § 4 StPO; § 112 StPO; § 125 StPO; § 261 StPO

1. Die bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht für den Rechtsbeugungstatbestand notwendige konkrete Gefahr einer „falschen“ Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Erwägungen die Zuständigkeit an sich zieht, um zu Gunsten oder zu Lasten einer Prozesspartei eine von ihm gewünschte Entscheidung (hier: Erlass eines Haftbefehls) herbeizuführen, die bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre. Diese Voraussetzungen sind bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn eine in mit sachwidriger Motivation angemaßter Zuständigkeit getroffene Entscheidung vom zuständigen Richter aufgrund abweichender Sachverhaltseinschätzung, anderer Bewertung eines Beurteilungsspielraums oder abweichender Ermessensausübung anders hätte getroffen werden können, wie der unzuständige Richter weiß.

2. Ist die Stellung eines Haftbefehlsantrags materiell-rechtlich vertretbar, kann sie im Hinblick auf ihren Inhalt nicht als Beugung des Rechts gewertet werden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Begründung in jeder Hinsicht tragfähig ist. Weder eine unzulängliche noch eine in Teilen fernliegende Antragsbegründung vermögen für sich genommen einen elementaren Rechtsverstoß im Sinne des § 339 StGB zu begründen, wenn die beantragten gerichtlichen Maßnahmen – wie hier – im Ergebnis vertretbar waren und auch die Antragstellung als solche nicht gegen Verfahrensvorschriften verstieß; denn die Antragsbegründung selbst entfaltet keinerlei Außenwirkung und vermag somit allein keinen mit dem Recht unvereinbaren Zustand zu schaffen.

3. Ein in der Stellung eines Haftbefehlsantrags durch einen unzuständigen Staatsanwalt liegender Verstoß gegen die interne staatsanwaltschaftliche Zuständigkeitsverteilung kann ohne das Hinzutreten weiterer sich hieraus ergebender Rechtsverstöße keine Beugung des Rechts darstellen. Ein der an sich zuständigen Staatsanwaltschaft angehörender Oberstaatsanwalt ist nach außen hin befugt, die Haftbefehlsanträge zu stellen. Die Zuwiderhandlung gegen die innerhalb seiner Behörde geltenden Zuständigkeitsabgrenzungen bewirkt – unabhängig von der Frage nach dem Vorliegen einer beamtenrechtlich relevanten Dienstpflichtverletzung – keine Verletzung materiellen oder prozessualen Rechts.


Entscheidung

518. BGH 2 StR 115/12 - Urteil vom 27. März 2013 (LG Aachen)

Schwerer Raub (Vollendung der Wegnahme bei leicht transportablen Gegenständen; Mittäterschaft).

§ 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB; § 25 Abs. 2 StGB

1. Eine vollendete Wegnahme setzt voraus, dass fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Letzteres beurteilt sich danach, ob der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt hat, dass er sie ohne Behinderung durch den früheren Gewahrsamsinhaber ausüben kann. Für die Frage der Sachherrschaft kommt es entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an.

2. Dabei macht es sowohl für die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers wie für die des Täters einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht be-

weglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen (vgl. BGHSt 23, 254, 255).


Entscheidung

530. BGH 4 StR 42/13 - Beschluss vom 12. März 2013 (LG Dessau-Roßlau)

Gefährliche Körperverletzung (das Leben gefährdende Behandlung: Grad der Gefährlichkeit); Schuldunfähigkeit wegen Drogenabhängigkeit (nur ausnahmsweise erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit; Ermittlung im zweistufigen Verfahren; Anforderungen an die Begründung; selbstständige Entscheidung der Rechtsfrage durch den Richter).

§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 20 StGB; § 261 StPO

1. Die Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB muss nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; die jeweilige Einwirkung muss lediglich abstrakt geeignet sein, eine solche Gefährdung herbeizuführen. Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit Dauer und Stärke der Einwirkung, zu denen sich die Urteilsfeststellungen je nach Lage des Falles verhalten müssen (st. Rspr.).

2. Als stoffgebundene Suchterkrankung kann die Abhängigkeit von Drogen wegen der Vielzahl möglicher Ursachen, Ausprägungen sowie körperlicher und psychischer Folgen sowohl die Voraussetzungen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB als auch – vor allem bei körperlicher Abhängigkeit – jene einer krankhaften seelischen Störung erfüllen. Unabhängig von dieser Einordnung begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftabhängigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa dann, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (vgl. BHG NJW 2002, 150, 152 mwN).

3. Die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert war, in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren. Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 360).

4. Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 74). Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Verminderung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage ausschließlich Sache des Richters.


Entscheidung

550. BGH 2 StR 583/12 - Beschluss vom 12. März 2013 (LG Aachen)

Schwerer und besonders schwerer Raub (Fesselung; Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs; Mittäterschaft; Teilrücktritt).

§ 249 StGB; § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b; Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 25 Abs. 2 StGB

1. Ein Beisichführen und eine Verwendungsabsicht zu irgendeinem Zeitpunkt vom Ansetzen zur Tat bis zu deren Beendigung, mithin auch im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung des Raubes, genügt auch bei der Fesselung eines Opfers für die Annahme des Qualifikationsmerkmals des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB aus (st. Rspr.). Ebenso genügt es, dass der Täter das Mittel erst am Tatort ergreift (stRspr). Für die mittäterschaftliche Zurechnung muss jedoch eine entsprechende Tatabrede oder die weitere Tatmitwirkung in Kenntnis der Fesselung festgestellt werden.

2. Bereits das kurzzeitige Ergreifen eines Messers kann das Qualifikationsmerkmal des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB erfüllen.


Entscheidung

552. BGH 2 StR 592/12 - Beschluss vom 11. April 2013 (LG Koblenz)

Absicht der rechtswidrigen Bereicherung bei der Erpressung (Wille zu einem Vertragsschluss; Abgrenzung zur Nötigung).

§ 253 StGB; § 240 StGB

Droht der Täter, um den Abschluss eines verlangten Pachtvertrages zu erreichen, liegt nicht automatisch eine Absicht rechtswidriger Bereicherung vor, wenn der Täter seine Verpflichtungen aus dem verlangten Pachtvertrag erfüllen will.


Entscheidung

537. BGH 1 StR 112/13 - Beschluss vom 10. April 2013 (LG Ravensburg)

Gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Kompression des Brustkorbs).

§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

Für die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung kommt es darauf an, dass die Körperverletzungshandlung unter den konkreten Umständen generell geeignet ist, den Tod des Opfers herbeizuführen (BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 8). Be-

steht die Tathandlung im Würgen des Tatopfers oder in anderen Formen der Einwirkung auf dessen Fähigkeit zu atmen, kommt es für das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals auf die Dauer und Stärke der Einwirkung an (etwa BGH StV 2002, 649, 650). Einzelfall der Anwendung auf ein Zuhalten von Mund und Nase, zu dem insbesondere eine Kompression des Brustkorbes hinzutrat.