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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2013
14. Jahrgang
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1. Vertikale Teilrechtskraft im Sicherungsverfahren. (BGHSt)
2. Vorfälle, die im selbständigen Sicherungsverfahren Gegenstand der Antragsschrift waren und vom Gericht als nicht tatbestandsmäßig beurteilt wurden, können anschließend nicht mehr als Anlasstaten für die Unterbringung nach § 63 StGB herangezogen werden. Insoweit kann der Beschuldigte nicht schlechter stehen als ein teilfreigesprochener Angeklagter im Strafverfahren, der sich mit seiner Revision mangels Beschwer gegen den Teilfreispruch nicht wenden kann. (Bearbeiter)
1. Zur tatgerichtlichen Klärung, ob bei Betrug die einzelnen Vermögensverfügungen jeweils durch den Irrtum der Geschädigten veranlasst waren, wenn den Angeklagten die Täuschung einer sehr großen Zahl von Personen (hier: mehr als 50.000) mit Kleinschäden (hier: jeweils unter 50 Euro) zur Last liegt. (BGHR)
2. Die Vorgehensweise, bei einem massenhaften Betrug nur fünfzehn Geschädigte zu vernehmen und im Übrigen hinsichtlich der weit überwiegenden Zahl der tateinheitlich begangenen Taten „aus verfahrensökonomischen Gründen“ infolge eines nicht belegten Irrtums lediglich einen Tatversuch anzunehmen, ist unzutreffend. Es besteht zwar die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zu erhalten. Ein Tatgericht muss jedoch im Rahmen der Beweisaufnahme die in der Strafprozessordnung dafür bereit gehaltenen Wege beschreiten. Eine einseitige Beschränkung der Strafverfolgung auf bloßen Tatversuch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft, sieht die Strafprozessordnung auch im Rahmen gleichartiger Tateinheit mit vollendeten Delikten nicht vor. (Bearbeiter)
3. In Fällen eines hohen Gesamtschadens, der sich aus einer sehr großen Anzahl von Kleinschäden zusammensetzt, sind die Möglichkeiten einer sinnvollen Verfahrensbeschränkung eingeschränkt. Das Tatgericht hat hier grundsätzlich die von der Anklage umfasste prozessuale Tat (§ 264 StPO) im Rahmen seiner gerichtlichen Kognitionspflicht nach den für die Beweisaufnahme geltenden Regeln der Strafprozessordnung (vgl. § 244 StPO) aufzuklären. (Bearbeiter)
4. Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung durch den Irrtum des Getäuschten veranlasst worden ist, müssen die Urteilsgründe regelmäßig darlegen, wer die Verfügung getroffen hat und welche Vorstellungen er dabei hatte. Die Überzeugung des Gerichts, dass der Verfügende einem Irrtum erlegen ist, wird dabei – von einfach gelagerten Fällen (z.B. bei standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren) abgesehen – in der Regel dessen Vernehmung erfordern (BGH NStZ 2003, 313, 314). (Bearbeiter)
5. In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes kann es insgesamt ausreichen, nur einige Zeugen einzuvernehmen, wenn sich dabei das Ergebnis bestätigt findet. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof etwa die Vernehmung der 170.000 Empfänger einer falsch berechneten Straßenreinigungsgebührenrechnung für entbehrlich gehalten (BGH wistra 2009, 433, 434). (Bearbeiter)
6. Ist die Beweisaufnahme auf eine Vielzahl Geschädigter zu erstrecken, besteht zudem die Möglichkeit, bereits im Ermittlungsverfahren durch Fragebögen zu ermitteln, aus welchen Gründen die Leistenden die ihr Vermögen schädigende Verfügung vorgenommen haben. Das Ergebnis dieser Erhebung kann dann – etwa nach Maßgabe des § 251 StPO – in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Hierauf kann dann auch die Überzeugung des Gerichts gestützt werden, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen die Leistenden eine Vermögensverfügung irrtumsbedingt vorgenommen haben. Ob es in derartigen Fällen dann noch einer persönlichen Vernehmung von Geschädigten bedarf, entscheidet sich nach den Erfordernissen des Amtsaufklärungsgrundsatzes (§ 244 Abs. 2 StPO) und des Beweisantragsrechts (insb. § 244 Abs. 3 StPO). In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes kommt dabei die Ablehnung des Antrags auf die Vernehmung einer größeren Zahl von Geschädigten als Zeugen in Betracht (vgl. BGH wistra 2009, 433, 434). (Bearbeiter)
7. Demgegenüber dürfte in Fällen mit individueller Motivation zur Leistung eines jeden Verfügenden die „Schätzung einer Irrtumsquote“ als Methode der Überzeugungsbildung nach § 261 StPO ausscheiden. Hat ein Tatgericht in solchen Fällen Zweifel, dass ein Verfügender, ohne sich über seine Zahlungspflicht geirrt zu haben, allein deshalb geleistet hat, „um seine Ruhe zu haben“, muss es nach dem Zweifelssatz („in dubio pro reo“) zu Gunsten des Täters entscheiden, sofern nicht aussagekräftige Indizien für das Vorliegen eines Irrtums vorliegen, die die Zweifel wieder zerstreuen.
8. Für die Strafzumessung hat die Frage, ob bei einzelnen Betrugstaten Vollendung gegeben oder nur Versuch eingetreten ist, in der Regel bestimmende Bedeutung. Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen es für die Strafzumessung im Ergebnis nicht bestimmend ist, ob es bei (einzelnen) Betrugstaten zur Vollendung kam oder mangels Irrtums des Getäuschten oder wegen fehlender Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung beim Versuch blieb. Solches kommt etwa in Betracht, wenn Taten eine derartige Nähe zur Tatvollendung aufwiesen, dass es – insbesondere aus Sicht des Täters – vom bloßen Zufall abhing, ob die Tatvollendung letztlich doch noch am fehlenden Irrtum des Tatopfers scheitern konnte. Denn dann kann das Tatgericht unter besonderer Berücksichtigung der versuchsbezogenen Gesichtspunkte auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und der Tatumstände des konkreten Einzelfalls zum Ergebnis gelangen, dass jedenfalls die fakultative Strafmilderung gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu versagen ist (vgl. BGH wistra 2011, 18 mwN). (Bearbeiter)
9. Eine solche Wertung hat das Tatgericht in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht ebenso nachprüfbar darzulegen wie die Würdigung, dass und aus welchen Gründen (etwa Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie) der Umstand, dass die getroffene Vermögensverfügung letztlich trotz eines entsprechenden Vorsatzes des Täters nicht auf einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung beruhte, auch für die konkrete Strafzumessung im Rahmen des eröffneten Strafrahmens nicht von Bedeutung war. (Bearbeiter)
1. Die Angabe eines Strafrahmens durch das Gericht führt nicht dazu, dass nur die Strafuntergrenze als Strafe festgesetzt werden darf. Der Angeklagte kann nur darauf vertrauen, dass die Strafe innerhalb des angegebenen Strafrahmens liegt. Er muss daher auch damit rechnen, dass die Strafe die Strafrahmenobergrenze erreicht (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 – 1 StR 345/10, BGHR StPO § 257c Abs. 3 Satz 2 Strafrahmen 1).
2. Bei einer falschen eidesstattlichen Erklärung bestimmen sich Umfang und Grenzen der Wahrheitspflicht nach dem Verfahrensgegenstand und den Regeln, die für das Verfahren gelten, in dem die eidesstattliche Versicherung abgegeben wird. Bei unverlangt abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen kommt es darauf an, welches Beweisthema sich in dieser stellt. Allerdings bedeutet dies nicht, dass alles, was der Täter zu dem selbstgesetzten Beweisthema erklärt, auch der Wahrheitspflicht unterliegt. Auszuscheiden sind vielmehr nach dem Schutzzweck der Vorschrift alle Tatsachenbehauptungen, die für das konkrete Verfahren ohne jede mögliche Bedeutung sind (vgl. BGH NStZ 1990, 123, 124).
3. Gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 2 BeamtVG ist der Versorgungsberechtigte verpflichtet, der Regelungsbehörde oder der die Versorgungsbezüge zahlenden Kasse u.a. den Bezug und jede Änderung von Einkünften i.S.v. § 53 BeamtVG unverzüglich anzuzeigen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Regelungsbehörde von den maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erhält, um die einschlägigen Ruhensregelungen zur Anwendung zu bringen. Durch die unverzügliche Anzeige des Bezugs und jeder Änderung von Einkünften sollen Überzahlungen verhindert werden. Dies kann nicht erreicht werden, wenn der Einkommensteuerbescheid hinsichtlich der betroffenen Bezüge abzuwarten wäre. Bereits der Beginn sowie jede Änderung des Bezuges von Einkünften i.S.v. §§ 53 bis 56 BeamtVG unter Angabe der voraussichtlichen Höhe der Einkünfte sind anzuzeigen.
1. Ob sich das Tatgericht allein aufgrund einer im Rahmen einer DNA-Analyse ermittelten Merkmalübereinstimmung mit einer entsprechenden Wahrscheinlichkeit von der Täterschaft zu überzeugen vermag, ist vorrangig – wie die Beweiswürdigung ansonsten auch – ihm selbst überlassen. Im Einzelfall kann es revisionsrechtlich sowohl hinzunehmen sein, dass sich das Tatgericht eine entsprechende Überzeugung bildet, als auch, dass es sich dazu aufgrund vernünftiger Zweifel nicht in der Lage sieht (in Abgrenzung zu BGHSt 37, 157, 159 und BGHSt 38, 320, 322 ff.).
2. Es reicht für das Revisionsgericht zur Überprüfung, ob das Ergebnis einer auf einer DNA-Untersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel ist, im Regelfall aus, wenn das Tatgericht mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die Produktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmun-
gen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalkombination zu erwarten ist. Sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ist zudem darzulegen, inwieweit dies bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war.
Werden die angeklagten Taten des sexuellen Missbrauchs zeitlich und örtlich nur unscharf eingegrenzt und kommt deshalb der geschilderten Begehungsweise für die Unterscheidung von ähnlichen Taten zum Nachteil desselben Opfers maßgebliche Bedeutung zu, kann bei einer wesentlichen Veränderung der Richtung des Täterverhaltens nicht mehr von einer fortbestehenden Tatidentität ausgegangen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 146).
1. Entscheidet das Gericht über die Revision außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege, so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur solange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist. Etwas anderes gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einer Anhörungsrüge nach § 356a StPO verbunden wird, die sich mangels Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG als unbegründet erweist (vgl. BGH NStZ 2007, 416).
2. Zu der Frage, wie die einzelnen Mitglieder eines Spruchkörpers die erforderliche Kenntnis des Streitstoffs erlangen, enthalten weder das Verfahrens- noch das Verfassungsrecht nähere Vorgaben. Die Entscheidung, ob der Spruchkörper sich mit Blick auf die Arbeitsteilung im Kollegium darauf beschränkt, durch den Berichterstatter über den maßgeblichen Sach- und Streitstand informiert zu werden, oder die Vollständigkeit und Richtigkeit des Vortrags dadurch sichert und verstärkt, dass ein weiteres, mehrere oder alle Mitglieder des Spruchkörpers sich den Streitstoff aus den Akten selbst erarbeiten, ist ihm überlassen. Dabei ist es jedem Richter in Ausübung seiner Unabhängigkeit und persönlichen Verantwortung jederzeit unbenommen, sich selbst unmittelbar aus den Akten kundig zu machen, wenn er dies für seine Überzeugungsbildung für erforderlich hält und nicht allein auf den Vortrag des Berichterstatters zurückgreifen möchte (vgl. BVerfG NJW 2012, 2334, 2336 Tz. 25).
1. Im Falle des endgültigen Ausscheidens eines Vorsitzenden aus dem Spruchkörper ist § 21f Abs. 2 Satz 1 GVG entsprechend anzuwenden, sofern und solange die Wiederbesetzung lediglich „vorübergehend“ unterbleibt, also einen angemessenen Zeitraum nicht überschreitet (vgl. BVerfGE 18, 423, 426 f).
2. Es ist nicht in allen Fällen und ungeachtet der Dauer der mutmaßlichen Vakanz zu verlangen, dass das Präsidium den frei gewordenen Vorsitz dem Vorsitzenden eines anderen Spruchkörpers zusätzlich übertrage (vgl. BSG, NJW 2007, 2717, 2718; BFHE 190, 47, 53 f.). Wie lange das Präsidium im Falle der nicht nahtlosen Besetzung der Stelle eines Vorsitzenden mit der Entscheidung zuwarten darf, einen anderen Vorsitzenden zusätzlich mit dem vakant gewordenen Senatsvorsitz zu betrauen, lässt sich nicht „allgemeingültig“ und losgelöst von dem Grund der Verhinderung beantworten (vgl. BGH NJW 2006, 154, 155).
1. Erklärt ein Vernehmungsbeamter, er könne sich an den Inhalt der Vernehmung nicht erinnern, kommt eine Verlesung der von ihm gefertigten polizeilichen Vernehmungsniederschrift gemäß § 253 Abs. 1 StPO nicht in Betracht. Diese Vorschrift gilt nicht im Rahmen der Vernehmung von Verhörspersonen, die in der Hauptverhandlung über Bekundungen aussagen, die andere vor ihnen gemacht haben (vgl. BGH StV 1994, 637). Die Vorschrift ist nur anwendbar, wenn es sich bei dem Zeugen, dessen Gedächtnis unterstützt werden soll, um dieselbe Person handelt, deren Aussage in dem zu verlesenden Protokoll festgestellt wurde (BGH NStZ 1984, 17).
2. Verhörspersonen können die darüber aufgenommenen Niederschriften zwar vorgehalten werden, sie dürfen aber nicht zum ergänzenden Urkundenbeweis bei Erinnerungsmängeln benutzt werden (vgl. BGH NStZ 1984, 17).
Auf den mit dem Übergang vom versuchten zum vollendeten Delikt einhergehenden Wegfall dieser fakultativen Milderungsmöglichkeit kann ein Aussetzungsantrag nach § 265 Abs. 2 und 3 StPO nicht gestützt werden (vgl. BGH NJW 1988, 501 zum Entfall einer möglichen Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB).
1. Der Tatrichter darf seiner Entscheidung zur Schuld- oder Straffrage nur das zugrunde legen, was er an Erkenntnissen durch die Verhandlung und in der Verhandlung im Rahmen einer förmlichen Beweiserhebung oder unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten gewonnen hat (vgl. BGHSt 19, 193, 195).
2. Dies schließt es grundsätzlich aus, außerhalb der Hauptverhandlung erlangtes Wissen des Richters ohne förmliche Beweiserhebung hierüber zum Nachteil des Angeklagten zu verwerten. Eine Ausnahme kann gelten bei gerichtskundigen Tatsachen, wenn sie zuvor, auch in ihrer Wertung als „gerichtskundig“, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind. Dies kommt freilich von vornherein nicht in Betracht, wenn aus Anlass des gegenständlichen Verfahrens erst eine dadurch veranlasste „private Beweisaufnahme“ des Gerichts außerhalb der Hauptverhandlung zur Gerichtskundigkeit führt.
Ein Beschluss, der die Ausschließung der Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen anordnet, gilt grundsätzlich bis zur Beendigung der Vernehmung und deckt den Öffentlichkeitsausschluss auch dann, wenn eine Vernehmung unterbrochen und an einem anderen Verhandlungstag fortgesetzt wird. Wenn jedoch derselbe Zeuge nach Beendigung der Vernehmung in der laufenden Hauptverhandlung nochmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden soll, ist grundsätzlich gemäß § 174 Abs. 1 GVG ein neuer Gerichtsbeschluss erforderlich und mithin eine Anordnung des Vorsitzenden nicht ausreichend, selbst wenn in dieser auf den vorausgegangenen Ausschließungsbeschluss Bezug genommen wird.