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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 422

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 552/12, Beschluss v. 27.03.2013, HRRS 2013 Nr. 422


BGH 4 StR 552/12 - Beschluss vom 27. März 2013 (LG Essen)

Begriff der prozessualen Tat (sexueller Missbrauch; wesentliche Änderung der Richtung des Täterverhaltens; Serientaten).

§ 174 StGB; § 176 StGB; § 176a StGB; § 264 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Werden die angeklagten Taten des sexuellen Missbrauchs zeitlich und örtlich nur unscharf eingegrenzt und kommt deshalb der geschilderten Begehungsweise für die Unterscheidung von ähnlichen Taten zum Nachteil desselben Opfers maßgebliche Bedeutung zu, kann bei einer wesentlichen Veränderung der Richtung des Täterverhaltens nicht mehr von einer fortbestehenden Tatidentität ausgegangen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 146).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 27. August 2012

a) wird das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 2 e) der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b) wird das vorgenannte Urteil

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen schuldig ist;

bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 5. Oktober 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision führt zur teilweisen Einstellung des Verfahrens sowie zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.

1. Für die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall II. 2 e) der Urteilsgründe fehlt es an einer Verfahrensvoraussetzung, weil die geahndete Tat von der erhobenen Anklage nicht erfasst wird.

Mit der vom Landgericht am 28. Juni 2012 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 25. Mai 2012 war dem Angeklagten neben anderem zur Last gelegt worden, seine am 29. Februar 1996 geborene Tochter V. in den Jahren 2002 bis 2009 mindestens einmal im Monat in der jeweiligen Familienwohnung unterhalb der Kleidung an der Scheide angefasst und dabei auch einen seiner Finger eingeführt zu haben (Fälle 4 bis 107 der Anklage). Nach den Feststellungen im Fall II. 2 e) der Urteilsgründe folgte der Angeklagte in dem in der Anklage bezeichneten Tatzeitraum seiner Tochter V. in das Badezimmer der Familienwohnung und veranlasste sie dazu, seinen erigierten Penis anzufassen und daran masturbierende Bewegungen auszuführen. Das festgestellte Geschehen weicht hinsichtlich der Tatmodalität (eine sexuelle Handlung des Kindes an dem Angeklagten) von den in der Anklage geschilderten Sachverhalten (sexuelle Handlungen des Angeklagten an dem Kind) so deutlich ab, dass es sich nicht mehr als eine in der Anklage bezeichnete Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO darstellt. Werden die angeklagten Taten - wie hier - zeitlich und örtlich nur unscharf eingegrenzt und kommt deshalb der geschilderten Begehungsweise für die Unterscheidung von ähnlichen Taten zum Nachteil desselben Opfers maßgebliche Bedeutung zu, kann bei einer wesentlichen Veränderung der Richtung des Täterverhaltens nicht mehr von einer fortbestehenden Tatidentität ausgegangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2008 - 3 StR 433/08, NStZ-RR 2009, 146).

Eine Nachtragsanklage ist nicht erhoben worden. Der vom Landgericht am 23. August 2012 erteilte Hinweis vermochte daran nichts zu ändern. Für eine sog. Umgestaltung der Strafklage ist nur Raum, wenn dabei die Tatidentität gewahrt bleibt (BGH, Urteil vom 27. Mai 1952 - 1 StR 160/52, BGHSt 2, 371, 374; KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl., § 264 Rn. 15 f.).

Das Verfahren war daher insoweit gemäß § 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen. Aufgrund des damit verbundenen Wegfalls der für diese Tat verhängten Einzelstrafe war auch die Gesamtstrafe aufzuheben.

2. Im verbleibenden Umfang der Verurteilung ist die Revision offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 422

Bearbeiter: Karsten Gaede