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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2012
13. Jahrgang
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1. Durch die Novellierung des § 1 GBW sind aufgrund der kartellrechtsakzessorischen Ausgestaltung nun auch vertikale Absprachen zwischen Anbieter und Veranstalter vom Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfasst.
2. § 298 Abs. 1 StGB ist kein Sonderdelikt. Durch die Novellierung müssen sich deshalb auch Veranstalter als Täter strafbar machen können, sofern ihnen nach den allgemeinen Regeln der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme die Abgabe des Submissionsangebots im Sinne des § 25 StGB zurechenbar ist.
3. Rechtsgut der Straftaten gegen den Wettbewerb sind zunächst der freie Wettbewerb, daneben aber auch Vermögensinteressen des Veranstalters. Beide Rechtsgüter sind betroffen, wenn die Beteiligung einer Person auf
Seiten des Veranstalters an den Absprachen mit den Bieterunternehmen den Wettbewerb durch gezielte Einflussnahme zugunsten eines Bieters einseitig verzerrt und zudem das Vermögen des Veranstalters gefährdet.
1. Liegt einem Angeklagten Steuerhinterziehung zur Last, sind im Anklagesatz das relevante Verhalten und der Taterfolg i.S.v. § 370 AO anzuführen, einer Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung bedarf es dort hingegen nicht. Ausführungen zur Schadensberechnung können keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten, im Anklagesatz aber mitunter dem Ziel zuwiderlaufen, den Tatvorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen. Die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe können angesichts der unterschiedlichen Anforderungen nicht auf Anklageschriften übertragen werden.
2. Eine Anklageschrift erfüllt daher auch dann die für ihre Wirksamkeit erforderliche Individualisierungs- und Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO), wenn die dem Angeklagten zur Last liegende Höhe der Steuerverkürzung auf einer Schätzung beruht, indes eine genauere Berechnung der Verkürzung möglich gewesen wäre.
3. Für den Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) gilt insoweit nichts Abweichendes.
4. Es ist allerdings mit Blick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt, im wesentlichen Ermittlungsergebnis die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie (Steuer)Berechnungen oder Schätzungen anzuführen. Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten.
5. Mängel der Anklageschrift, die deren Wirksamkeit nicht in Frage stellen, berechtigen auch nicht zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens. Hält das zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens berufene Gericht die Schätzung der Anklagebehörde für unstatthaft oder ungenügend, hat es demzufolge die für erforderlich erachteten Nachermittlungen (Nachberechnungen) entweder selbst vorzunehmen oder auf eine Mängelbeseitigung durch die Staatsanwaltschaft hinzuwirken. Hingegen kommt die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 204 StPO) allein wegen einer aus Sicht des Gerichts nicht tragfähigen Schätzung in der Anklage nicht in Betracht.
6. Bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich der der Strafzumessung zugrunde zu legende Nominalbetrag verkürzter Lohnsteuer auf der Grundlage des gezahlten Schwarzlohns nur dann nach den Steuersätzen der Lohnsteuerklasse VI, wenn in Fällen vollumfänglicher Schwarzlohnzahlungen dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers nicht vorlag bzw. ihm die dem Arbeitnehmer zugeteilte Identifikationsnummer nicht bekannt war, im Übrigen (Teilschwarzlohnzahlungen) nach der jeweiligen – unschwer feststellbaren – Steuerklasse des betroffenen Arbeitnehmers (vgl. BGHSt 56, 153 mwN; zu geringfügig entlohnten Beschäftigten vgl. BGH NStZ-RR 2010, 376).
1. Ein Fall ist dann im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 1 AO besonders schwer, wenn er sich bei einer im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Zumessungstatsachen nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle so weit abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist.
2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ bei hohen Hinterziehungsbeträgen besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommens. Die Höhe der verkürzten Steuern ist ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO. Bei sehr hohen Hinterziehungsbeträgen liegt ein besonders schwerer Fall jedenfalls nicht fern, auch wenn ein Regelbeispiel nach der zur Tatzeit geltenden Fassung des § 370 AO nicht gegeben ist.
3. Eine Umsatzsteuerschuld kann auch steuerstrafrechtlich durch einen unrichtigen Steuerausweis mit der Rechnungsstellung unter Umsatzsteuerausweis entstehen. Wird die Umsatzsteuer dann nicht erklärt, ist das Steuerhinterziehung. Der gesamte Hinterziehungsbetrag ist in die Erwägungen zur Strafzumessung einzubeziehen. Den erstatteten Beträgen kommt insoweit lediglich besonderes Gewicht zu. Die Nichtbeachtung der aus § 14 Abs. 2 UStG aF (heute § 14c UStG) erwachsenden Steuerpflicht durch einen Steuerpflichtigen stellt nicht nur einen Formalverstoß dar.
4. Es ist nicht Sache der Finanzbehörde, die materielle Berechtigung einer Rechnungsstellung zu überprüfen. Das Steuerrecht und die Finanzverwaltung dürfen – und sind gehalten –, gerade bei Anmeldungssteuern, wie der Umsatzsteuer, zunächst von zutreffenden Angaben der Steuerpflichtigen auszugehen. Weisen Rechnungen keine formellen Mängel auf und gaben sie auch keinerlei Hinweis darauf, dass die Leistungen noch nicht oder nicht vollständig erbracht wurden, ist den Finanzbehörden kein Mitverschulden an der unberechtigten Auszahlung einer Erstattung vorzuhalten.
1. Werden Anleger über die Absicherung der von ihnen investierten Gelder getäuscht und gehen sie infolge dessen eine nicht mehr vertragsimmanente Verlustgefahr ein, erfordert die Ermittlung eines Vermögensschadens i.S.d. § 263 StGB regelmäßig eine Bewertung des im Rahmen der abgeschlossenen Kapitalanlage erworbenen Zahlungsanspruchs (vgl. BGHSt 53, 199, 202 f. = HRRS 2009 Nr. 318). Ein Schaden in Höhe des gesamten Anlagekapitals kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn die Anleger entweder über die Existenz des Anlagemodells getäuscht werden oder etwas völlig anderes als beabsichtigt erwerben.
2. Bei der Prüfung einer möglichen Täuschung i.S.d. § 263 StGB ist die Bezeichnung einer Anlage als „sicher“ in dem Kontext zu bewerten, in dem sie im Angebot an potentielle Anleger Verwendung gefunden hat (BGHSt 48, 331, 345). Vor diesem Hintergrund kommt es entscheidend darauf an, wie die Anleger Zusicherungen hinsichtlich der Verwendung von Geldern – gegebenenfalls aufgrund im Vorfeld des Vertragsschlusses erteilter weiterer Informationen – verstehen sollten und verstanden haben.
3. Ein Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB liegt vor, wenn die treuwidrige Handlung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Treugebers führt, wobei ein Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und unmittelbar nach der pflichtwidrigen Handlung zu erfolgen hat (BGH NJW 2011, 3528, 3529; NStZ 2010, 329).
4. Für die Zuordnung zu den einzelnen Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1 und 1a KWG (und damit für eine Strafbarkeit nach § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG) sind die vertraglichen Vereinbarungen sowie die aus ihnen folgende Form des Rechtsgeschäfts zwischen dem Institut und dem Kunden maßgeblich (BGH NJW-RR 2011, 350, 351 mwN). Diese muss den Urteilsgründen hinreichend klar zu entnehmen sein.
5. Eine Anlagevermittlung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG) ist die Entgegennahme und Übermittlung der Aufträge von Anlegern.
6. Eine Finanzportfolioverwaltung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG) ist die Verwaltung einzelner in Finanzinstrumenten angelegter Vermögen für andere mit Entscheidungsspielraum zu verstehen, die eine auf die laufende Überwachung und Anlage von Vermögensobjekten gerichtete Tätigkeit erfordert (BGH NJW-RR 2011, 350, 351).
7. Ein Finanzkommissionsgeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG), setzt einen Handel mit Finanzinstrumenten im eigenen Namen für fremde Rechnung voraus und muss die typischen Merkmale eines Kommissionsgeschäfts nach §§ 383 ff. HGB, d.h. eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Geschäft aufweisen (BGH NJW-RR 2011, 350).
Eine Einreise gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG liegt nach der Regelung des § 13 Abs. 2 AufenthG erst dann vor, wenn der eine zugelassene Grenzübergangsstelle nutzende Ausländer die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat. Letzteres setzt das räumliche Verlassen der Kontrollstelle voraus. Wird die vom Täter unter Verwirklichung von Schleusermerkmalen geförderte unerlaubte Einreise nicht vollendet, kommt nur eine Strafbarkeit wegen versuchten Einschleusens in Betracht.
1. Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Erschöpft sich die Tätigkeit im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, besteht in der Regel auch dann keine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit, wenn Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben, sodass von einer Beihilfe auszugehen ist.
2. Anderes kann gelten, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll. Auch eine Einbindung des Transporteurs in eine gleichberechtigt verabredete arbeitsteilige Durchführung des Umsatzgeschäfts spricht für die Annahme von Mittäterschaft, selbst wenn seine konkrete Tätigkeit in diesem Rahmen auf die Beförderung der Drogen, von Kaufgeld oder Verkaufserlös beschränkt ist. Im Einzelfall kann auch eine weit gehende Einflussmöglichkeit des Transporteurs auf Art und Menge der zu transportierenden Betäubungsmittel sowie auf die Gestaltung des Transports für eine über das übliche Maß reiner Kuriertätigkeit hinausgehende Beteiligung am Gesamtgeschäft sprechen.
1. Eine bloße Kuriertätigkeit ist grundsätzlich als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen, nicht als täterschaftliches Handeln (vgl. BGHSt 51, 219, 221 ff.). Das gilt auch in Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln. Die Einfuhr ist kein unselbständiger Teilakt eines – täterschaftlichen – Handeltreibens.
2. An fehlenden Sprachkenntnissen ausländischer Beschuldigter soll die Maßregelanordnung im Allgemeinen nicht scheitern (vgl. BGH, StV 1998, 74 f.; BGH, NStZ – RR 2002, 7), zumal eine Überstellung des Verurteilten in sein Heimatland zum Maßregelvollzug in Betracht kommt (§ 70 IRG, Art. 68 SDÜ), sofern dort entsprechende Einrichtungen existieren.
1. Ob der Täter bei seiner Tat im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im Wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendgericht ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht (BGHSt 36, 37, 38 mwN).
2. Maßstab für die Reifebeurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist nicht das Zurückbleiben hinter einem imaginären Durchschnitt von Gleichaltrigen. Ein bestimmter, sicher abgrenzbarer Typ des Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren, mit dem der Heranwachsende verglichen werden könnte, ist nicht feststellbar. Maßgebend ist vielmehr, ob sich der einzelne Heranwachsende noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befindet. Für die Gleichstellung eines heranwachsenden Täters mit einem Jugendlichen ist deshalb entscheidend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind; ob er das Bild eines noch nicht 18-Jährigen bietet, ist demgegenüber nicht ausschlaggebend (BGH aaO und BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8).