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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2012
13. Jahrgang
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Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Marcus Mosiek, Düsseldorf[*]
In der Dezemberausgabe des Jahres 2009 dieser Zeitschrift wurde von dem Verfasser herausgearbeitet und kommentiert, dass die Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 17. Juli 2009 ("Berliner Stadtreinigungsbetriebe"; "Compliance Officer")[1] Sprengkraft auch insoweit in sich birgt, als erstmals höchstrichterlich festgestellt worden ist, dass der Vermögensnachteil bei der Untreue "unmittelbar" sein, also ohne weitere Zwischenschritte aus der Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch den Täter folgen muss.[2] Seitdem sind knapp drei Jahre vergangen. Die damalige Prognose, das Urteil werde die Diskussion über das Erfordernis der Unmittelbarkeit des Untreueschadens (zumal vor dem Hintergrund einer verfassungsrechtlich gebotenen Restriktion des § 266 StGB) "nachhaltig beeinflussen"[3], hat sich bewahrheitet. Das Judikat ist in der Wissenschaft zunehmend auch unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit rezipiert worden. Dabei überwiegt – trotz Nuancen im Einzelfall – die Zustimmung deutlich.[4] Zusammenfassend stellt in diesem Zusammenhang etwa Saliger fest, die "stärkere Akzentuierung des Unmittelbarkeitsprinzips" verspreche eine "Minimierung der Gefahr, bloß abstrakte Vermögensgefahren zu kriminalisieren".[5] Ob und gegebenenfalls inwieweit die "Hoffnung"[6], die das Schrifttum in die Entscheidung des 5. Strafsenats gesetzt hat, durch die Folgerechtsprechung des BGH erfüllt oder im Gegenteil enttäuscht worden ist, soll nachstehend in Form eines kompakten Rechtsprechungsüberblicks untersucht werden.
Nur rund drei Monate nach der Ausgangsentscheidung des 5. Strafsenats hatte der 3. Strafsenat darüber zu befinden, ob ein Notar, der entgegen der mit einer Bank geschlossenen Treuhandvereinbarung den auf sein Anderkonto überwiesenen, von der Bank dem Grundstückskäufer gewährten Darlehensbetrag dem Grundstücksverkäufer ausgezahlt hatte, sich wegen Untreue strafbar gemacht hat. Im Ergebnis hob der Senat das Urteil der Vorinstanz mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück, weil gegen die Berechnung des Vermögensschadens "durchgreifende rechtliche Bedenken"[7] bestanden. Zur Begründung wird in dem Beschluss darauf hingewiesen, dass der Vermögensnachteil des Treugebers "allein" an den das Vermögen mindernden Auswirkungen "gerade der treupflichtigen Handlung" zu bemessen bzw. der "durch die treupflichtwidrige Verfügung bedingte" Min-
derwert zu berechnen sei.[8] Dies bedeute unter anderem, dass (nach Art einer Negativabgrenzung) Umstände, die "erst nach der treuwidrigen Verfügung des Angeklagten entstanden sind, für die Bestimmung des Vermögensnachteils im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB keine Relevanz gewinnen; denn derartige Umstände (…) stehen in keinem zurechenbaren Zusammenhang mit der Pflichtverletzung des Angeklagten"[9]. Zwar bezieht sich der 3. Strafsenat damit nicht ausdrücklich auf das Unmittelbarkeitserfordernis, das auch nicht durch entsprechende Rechtsprechungs- und/oder Schrifttumsnachweise in Bezug genommen wird. Der Sache nach verlangt er jedoch einen besonders ausgeprägten Pflichtwidrigkeitszusammenhang[10], der dem Erfordernis der Unmittelbarkeit zumindest sehr nahe kommt.
Einem Paukenschlag, bezogen auf die Ausgangsfragestellung, kam sodann der Beschluss des 1. Strafsenats aus dem April 2011 gleich. Der Senat stellte in dieser – auch unter anderen Gesichtspunkten viel beachteten – Entscheidung zur "Kölner CDU-Spendenaffäre" fest, ein "unmittelbarer Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Tun und Vermögensnachteil" sei "nicht erforderlich". Eines "solchen Unmittelbarkeitserfordernisses" bedürfe es "auch nicht im Hinblick auf die tatbestandliche Weite des § 266 Abs. 1 StGB". Selbst wenn "mit der bisherigen Rechtsprechung" (hier folgt der Hinweis auf die Entscheidung des 5. Strafsenats in Sachen "Berliner Stadtreinigungsbetriebe") "an einem über den Zurechnungszusammenhang hinausgehenden Unmittelbarkeitserfordernis zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil festgehalten werden sollte, würde sich daraus jedenfalls nicht ergeben, dass Pflichtwidrigkeit und Nachteil in einem engen zeitlichen Verhältnis zueinander stehen müssten. Denn ‚unmittelbar‘ bedeutet (…) nicht zeitgleich, sofort oder auch nur alsbald".[11] Letzteres – die nach wohl zutreffender Auffassung des Gerichts fehlende zeitliche Dimension der Unmittelbarkeit – wurde nicht weiter begründet.[12] Stattdessen erfolgte – im Zitatweg – der Hinweis auf den Beschluss desselben Senats in Sachen "Siemens/AUB" vom 13. September 2010, der allerdings die Vorteils- und nicht die Nachteilsseite im Rahmen der Saldierung betroffen hatte und in welchem – ebenfalls ohne Begründung, aber mit interpretatorischem Mehrwert hinsichtlich des von dem Senat äußerst hilfsweise ("jedenfalls") herangezogenen Unmittelbarkeitsverständnisses – ausgeführt worden war: "‚(U)nmittelbar‘ heißt insoweit nicht zeitgleich bzw. sofort oder auch nur bald. Eine unmittelbare Schadenskompensation ist vielmehr dann gegeben, wenn keine weitere, selbständige Handlung mehr hinzutreten muss, damit der kompensationsfähige Vermögenszuwachs entsteht".[13]
Obwohl die vorbezeichneten Ausführungen des 1. Strafsenats nicht begründet und nur obiter dictu bzw. im Rahmen eines Hinweises für das mit der Sache neu zu befassende Tatgericht ("Segelanweisung") gemacht wurden,[14] haben sie die weitere Diskussion – was beabsichtigt gewesen sein dürfte – nicht unmaßgeblich beeinflusst und teilweise sogar erheblichen Widerspruch herausgefordert.[15] Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich der Senat in voller Kenntnis der mehr als neun Monate zuvor ergangenen, grundlegenden Entscheidung des BVerfG zu Restriktionen des Untreuetatbestandes[16] entsprechend geäußert hat. Pointiert kommentiert vor diesem Hintergrund etwa Jahn, der "wenig verklausulierte Appell, den Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil aufzugeben und auf diese Weise den objektiven Tatbestand des § 266 I StGB (wieder) auszudehnen" erfordere "bei einem ohnehin merkmalsarmen Gesetz" ein "recht robustes richterliches Selbstbewusstsein".[17] Auch Brand beklagt, dass der 1. Strafsenat durch Ablehnung des Erfordernisses eines Unmittelbarkeitszusammenhangs den Tatbestand der Untreue ausweite, weil dann "jeder auf der Pflichtverletzung basierende Vermögensnachteil ungeachtet seiner zeitlichen Entstehung[18] Berücksichtigung finden kann, wodurch das ‚Restriktionspotenzial‘ der mittlerweile auch vom BVerfG anerkannten Figur (…) ‚schadensgleiche Vermögensgefährdung‘ (…) zukünftig ungenützt" bleibe. Bedenken verursache das Diktum "vor allem mit Blick auf diejenigen
Konstellationen, deren Charakteristikum es ist, dass die Entstehung des Schadens davon abhängt, ob ein Gesetzesverstoß des Treunehmers durch einen Dritten aufgedeckt und von diesem gegenüber dem Treugeber etwa via § 30 I OWiG sanktioniert wird. Verzichtet man in solchen Fallgestaltungen auf das Unmittelbarkeitskriterium und lässt es für das Nachteilsmerkmal genügen, dass der Treugeber in ferner Zukunft wegen des Pflichtenverstoßes des Treunehmers bebußt wird", sei "die ‚Büchse der Pandora‘ einer uferlosen Untreuehaftung geöffnet".[19] Wegen weiterer – berechtigter – Kritik an der Entscheidung des 1. Strafsenats und der Begründung für die Legitimation des Erfordernisses eines Unmittelbarkeitszusammenhangs sei ergänzend (und aus Raumgründen) auf die in Fußnote 15 genannten Stimmen sowie den eingangs (Fußnote 2) erwähnten Beitrag des Verfassers in dieser Zeitschrift verwiesen.
Angesichts der divergierenden Auffassungen insbesondere des 5. und des 1. Strafsenats (der sich jedoch – wie ausgeführt – nur obiter dictu festgelegt hatte, weshalb ein Vorlageverfahren nach § 132 GVG vermieden werden konnte) verdient die Folgerechtsprechung – zumal der anderen Senate – besondere Beachtung. Nur knapp vier Monate später befasste sich etwa der 4. Strafsenat mit der Ausgangsfragestellung, die er im Ergebnis allerdings offen ließ, weil in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Vermögensnachteil gegeben war. Konkret ging es darum, dass ein Rechtspfleger des Vollstreckungsgerichtes, der nach § 153 ZVG die Geschäftsführung des Zwangsverwalters einer Immobilie zu beaufsichtigen hat, den Zwangsverwalter pflichtwidrig nicht dazu angehalten hatte, bei ihm selbst (dem Rechtspfleger), der eine Dachgeschosswohnung in dem verfahrensgegenständlichen Anwesen bewohnt hatte, Mietzins bzw. Nutzungsentschädigung und Betriebskosten einzufordern. Der Senat hat hierzu festgestellt: "Auch soweit für eine Verurteilung wegen Untreue gefordert wird (…), dass der Vermögensnachteil unmittelbar durch die Pflichtverletzung ausgelöst worden sein muss, fehlt es hieran nicht. Denn ein über den Zurechnungszusammenhang hinausgehendes Unmittelbarkeitserfordernis zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil steht weder in Fällen der mittelbaren Täterschaft noch in dem hier vom Landgericht angenommenen Fall der Mittäterschaft (scil: des Rechtspflegers und des ebenfalls wegen Untreue verurteilten Zwangsverwalters) in Frage".[20] Zutreffend liegt diesen Ausführungen die Annahme des Gerichts zugrunde, dass der Zwangsverwalter an eine Anweisung des Rechtspflegers, die zu erteilen pflichtwidrig unterlassen worden war, von Gesetzes wegen gebunden gewesen wäre und diese daher auch umgesetzt hätte.[21]
Bereits wenige Wochen danach entschied der 2. Strafsenat in einer Weise, die deutlich auf Anerkennung eines Unmittelbarkeitserfordernisses schließen lässt. In dem Urteil, das zwischenzeitlich auch von Schünemann entsprechend gewürdigt worden ist,[22] heißt es wörtlich und unter ausdrücklicher Verwendung des Unmittelbarkeitsbegriffs: "Ein Nachteil im Sinne von § 266 StGB liegt vor, wenn die treuwidrige Handlung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Treugebers führt (…). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der pflichtwidrigen Tathandlung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach dieser Handlung".
Nahezu wortidentisch und unter Hinweis auf die zuvor unter Ziffer 5 sowie die oben unter Ziffer 2 referierten Entscheidungen des 2. und des eigenen Strafsenats hat ein halbes Jahr später auch der 3. Strafsenat der Sache nach im Sinne eines Unmittelbarkeitszusammenhangs entschieden. Ausweislich der Beschlussbegründung liegt ein tatbestandsrelevanter Vermögensnachteil vor, wenn "die treuwidrige Handlung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Treugebers führt, wobei ein Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und unmittelbar nach der pflichtwidrigen Handlung zu erfolgen hat".[23]
Im Ergebnis bedeutet dies: Die jüngere Rechtsprechung der Strafsenate zum sogenannten Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Vermögensnachteil bei der Untreue ist nicht einheitlich. In Entscheidungen des 5., 3. und 2. Strafsenats wird eine entsprechende Restriktion auf Tatbestandsebene ausdrücklich oder jedenfalls der Sache nach anerkannt. Eine Festlegung durch den 4. Strafsenat ist noch nicht erfolgt. Hingegen hat sich der 1. Strafsenat – obiter dictu – ausdrücklich gegen ein "Unmittelbarkeitserfordernis zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil" ausgesprochen. Nach wie vor herrscht damit Rechtsunsicherheit[24] in einem Bereich, der für die Praxis des (Wirtschafts‑)Strafrechts nicht zu unterschätzen ist und dessen weitere dogmatische Durchdringung (etwa hinsicht-
lich der Wechselwirkungen mit dem Gefährdungsschaden)[25] auch wissenschaftlich von hohem Erkenntniswert wäre. Dieser Zustand ist unbefriedigend und bedarf dringend der Abhilfe.
Probates Mittel – bezogen auf die Judikative – wäre das Vorlageverfahren nach § 132 GVG.[26] Wenngleich bislang noch nicht erforderlich (weil die zu entscheidende Rechtsfrage in dem ablehnenden Beschluss des 1. Strafsenats nicht tragend war),[27] bietet sich eine Divergenzanrufung gemäß § 132 Abs. 2 GVG an, sobald ein Anlassfall vorliegt, der die Vorlagevoraussetzungen erfüllt. Alternativ wäre an eine Vorlage wegen grundsätzlicher Bedeutung und/oder zur Fortbildung des Rechts gemäß § 132 Abs. 4 GVG zu denken. Die Vorschrift regelt unter anderem den Fall, dass zwar eine frühere Entscheidung (hier: des 1. Strafsenats) vorliegt, die darin geäußerte abweichende Rechtsauffassung aber die ergangene Entscheidung nicht trägt (etwa weil es sich um ein obiter dictum bzw. einen Hinweis für den Tatrichter bei Zurückverweisung handelt).[28]
Hiervon unabhängig gilt: Rechtsprechung und Wissenschaft werden nicht umhin kommen, sich im Rahmen der weiteren Diskussion um den Unmittelbarkeitszusammenhang verstärkt der restriktiven Linie der Untreue-Entscheidung des BVerfG vom 23. Juni 2010[29] und damit auch der verfassungsrechtlichen Dimension der Fragestellung zu widmen. Mehr denn je wird dabei zu berücksichtigen sein, dass der Untreuetatbestand – worauf das BVerfG zutreffend und mit großem Nachdruck hingewiesen hat – "in beiden Varianten sehr abstrakt formuliert und von großer Weite ist". Seine "Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit" ist daher "entsprechend hoch".[30] In Betracht komme insbesondere, dass "bei methodengerechter Auslegung ein Verhalten nicht strafbewehrt ist, obwohl es vom Wortlaut des Strafgesetzes erfasst sein könnte. Auch in einem solchen Fall darf ein nach dem Willen des Gesetzgebers strafloses Verhalten nicht durch eine Entscheidung der Gerichte strafbar werden. Vielmehr haben die Gerichte dies zu respektieren und erforderlichenfalls durch restriktive Auslegung eines weiter gefassten Wortlauts der Norm sicherzustellen, im Ergebnis also freizusprechen".[31]
Anknüpfungspunkt für die Ableitung eines Unmittelbarkeitserfordernisses im Wege der (verfassungskonformen) Auslegung bildet zwanglos die Wendung "und dadurch (…) Nachteil zufügt" in Abs. 1 des Untreueparagraphen.[32] Art. 103 Abs. 2 GG sowie § 1 StGB stehen dem nicht entgegen. Die Gerichte sind insbesondere durch das Analogieverbot nicht gehindert, Tatbestandseinschränkungen zugunsten des Täters vorzunehmen.[33] In Bezug auf § 263 StGB wird eine solche tatbestandliche Einschränkung in Form der Unmittelbarkeit – zu der sich das BVerfG in seiner Untreueentscheidung[34] nicht verhalten hat, weil sie (soweit ersichtlich) nicht Gegenstand der angefochtenen BGH-Entscheidungen und nachfolgenden Verfassungsbeschwerdeverfahren war – allgemein anerkannt und für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet.[35] Dass eine Übertragung dieser Restriktion auf § 266 StGB nicht nur (konstruktiv) möglich, sondern dringend angezeigt ist, wurde bereits andernorts ausgeführt.[36]
Wie eine aktuelle – bislang unveröffentlichte – Entscheidung des OLG Celle aus dem August 2012 belegt, hat diese Erkenntnis zwischenzeitlich auch Eingang in die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte gefunden. So ist unlängst das OLG Celle zu dem Ergebnis gekommen, dass "das Kriterium der Unmittelbarkeit" zur "Einschränkung des Untreuetatbestandes"[37] anzuerkennen und daher – angesichts erforderlicher Zwischenschritte in Gestalt eigenverantwortlicher Entscheidungen Dritter – weder die Gefahr einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch die Finanzverwaltung mit der möglichen Folge steuerlicher Nachforderungen noch die Gefahr einer Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen als Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB zu qualifizieren sei.[38]
Zur Begründung – deren wörtliche Wiedergabe vor dem Hintergrund der nach wie vor raren Rechtsprechung zum Unmittelbarkeitszusammenhang lohnt – wird unter anderem ausgeführt: "Die Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips auf der Nachteilsseite ist gleichsam die logische Konsequenz aus seiner allgemein anerkannten Anwendung auf der Vorteilsseite. Es ist nämlich ganz herrschende Meinung, dass die durch die Untreuehand-
lung verursachte Vermögensminderung nur durch einen Vorteil kompensiert wird, der unmittelbar auf der Untreuehandlung beruht, während dagegen ein Vermögensvorteil, der sich nicht aus der pflichtwidrigen Handlung selbst ergibt, sondern durch eine andere, rechtlich selbständige Handlung hervorgebracht wird, den Vermögensnachteil rechtlich nicht ausräumt (…). Es ist aber nicht zu begründen, warum anerkanntermaßen nur unmittelbare Vorteile eine Vermögensminderung kompensieren sollen, während nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Nachteile zu Lasten des Beschuldigten berücksichtigt werden dürfen (…)".[39] Das Gericht hat – im Zusammenhang mit den Ausführungen zur Schadens(un)tauglichkeit der Gefahr einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit – weiter klargestellt: "Für die Feststellung der Unmittelbarkeit kommt es nach Auffassung des Senats auch nicht darauf an, ob das Finanzamt – wie hier – zum Zeitpunkt der Beurteilung schon konkret tätig geworden ist (…). Denn Unmittelbarkeit in diesem Sinne ist keine mit dem Zeitablauf veränderliche Eigenschaft; sie hängt vielmehr allein davon ab, ob der Eintritt des Schadens nach dem verwirklichten Tatplan überhaupt von einem Zwischenschritt abhängig ist oder nicht (BGH NJW 2009, 1373, 1375; Mosiek HRRS 2009, 565, 566). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob dieser Zwischenschritt – wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – schon stattgefunden hat. Für die Feststellung einer schadensgleichen Vermögensgefährdung ist nämlich schon die ex-ante-Sicht maßgeblich (…). Dass es hier auf den zeitlichen Faktor nicht ankommen kann, ergibt sich wiederum aus einem Vergleich mit der Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips auf der Vorteilsseite; auch dort räumt ein Vermögensvorteil, der sich nicht aus der pflichtwidrigen Handlung selbst ergibt, sondern durch eine andere, rechtlich selbständige Handlung hervorgebracht wird, den Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB selbst dann nicht aus, wenn beides zufällig zu gleicher Zeit geschieht (…)".
[*] Der Autor ist Partner der Kanzlei Thomas Deckers Wehnert Elsner (tdwe) in Düsseldorf. Er widmet den Beitrag seinem Seniorpartner und Gründer der Sozietät Dr. Sven Thomas, der als profunder Kenner der Materie ausgewiesen ist, zu dessen 65. Geburtstag. Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes gilt sein Dank den Herren Rechtsanwälten Dr. Jan Schlösser, Berlin, und Christoph Lepper, LL.M., Düsseldorf.
[1] Vgl. HRRS 2009 Nr. 718.
[2] Vgl. Mosiek HRRS 2009, 565 ff.; für Novität (bezogen auf die Rechtsprechung des BGH) auch Saliger in: Festschrift für Samson (2010), S. 455 ff., 482; siehe ferner Kraatz ZStW 123 (2011), 447 ff., 482, Fn. 259 ("Vgl. einzig Mosiek, HRRS 2009, 565 ff.").
[3] Mosiek HRRS 2009, 565, 567.
[4] Vgl. Saliger a.a.O. (Fn. 2), S. 482; Theile wistra 2010, 457 ff., 462; Perron in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. (2010), § 266, Rn. 39; Kühl in: Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. (2011), § 266, Rn. 16; Esser in: Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.), AnwaltKommentar StGB (2011), § 266 Rn. 215 ff.; Seier in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. (2011), 5. Teil, Kapitel 2 Rn. 211 ff.; Beukelmann in: Dölling/Duttge/Rössner (Hrsg.), Nomos Handkommentar Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. (2011), § 266 StGB Rn. 25; Kraatz ZStW 123 (2011), 447 ff., 482 f.; Jahn JuS 2011, 1133, 1135 f.; Corsten HRRS 2011, 247 ff., 252; Krause NStZ 2011, 57 ff., 61; Schünemann in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl. (2012), § 266 Rn. 168; ablehnend – jeweils ohne Auseinandersetzung mit der Entscheidung des 5. Strafsenats – etwa Bittmann NStZ 2012, 57 ff., 61 f., der jedoch konzediert (S. 61), dass es sich um ein "legitime(s) Bestreben (handelt), mit dem Unmittelbarkeitserfordernis (…) eine rechtssichere Anwendung des § 266 StGB zu ermöglichen"; Waßmer in: Graf/Jäger/Wittig (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2011), § 266 StGB Rn. 167; keine Erwähnung findet die Rechtsfrage – soweit ersichtlich – bei Fischer, StGB, 59. Aufl. (2012), § 266 (zur Unmittelbarkeit des Vermögenszuflusses im Rahmen der Schadenskompensation vgl. ebenda Rn. 164); ablehnend hingegen Fischer StraFo 2008, 269 ff., 272.
[5] Saliger a.a.O. (Fn. 2), S. 482.
[6] Saliger a.a.O. (Fn. 2), S. 482.
[7] BGH HRRS 2010 Nr. 1032 Rn. 4 ff.
[8] BGH HRRS 2010 Nr. 1032 Rn. 6.
[9] BGH HRRS 2010 Nr. 1032 Rn. 7.
[10] Vgl. Seier a.a.O. (Fn. 4), Rn. 204 ff.
[11] BGH HRRS 2011 Nr. 675 Rn. 67 f.
[12] Weiterführend hierzu Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften (1997), S. 112 f., der jedoch ebenfalls – wie der 1. Strafsenat in der oben genannten Entscheidung – die Vorteilsseite im Rahmen der Gesamtsaldierung im Blick hat ("gegenständliche und zeitliche Restriktion der Kompensationsfaktoren im Sinne eines Kriteriums der ‚Unmittelbarkeit‘"; "Bloße Gleichzeitigkeit von Vor- und Nachteilseintritt lässt allerdings noch nicht auf Unmittelbarkeit schließen, dies kann Zufall sein. Vielmehr kommt es auf die Ursachenidentität an. (…) Demgegenüber hat die gegenständliche Restriktion zur Folge, dass nur diejenigen Vor- und Nachteile einzubeziehen sind, die sich aus der Untreuehandlung als solcher ergeben"); vgl. ferner die Bedeutungsübersicht zu "unmittelbar" bei www.duden.de : "a. nicht mittelbar, nicht durch etwas Drittes, durch einen Dritten vermittelt; direkt. b. durch keinen oder kaum einen räumlichen oder zeitlichen Abstand getrennt. 3. direkt; geradewegs (durchgehend)".
[13] Vgl. BGH HRRS 2010 Nr. 945 Rn. 47; siehe auch Schünemann a.a.O. (Fn. 4), Rn. 168.
[14] BGH HRRS 2011 Nr. 675 Rn. 62: "Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin".
[15] Vgl. Jahn JuS 2011, 1133, 1135 f.; Brand NJW 2011, 1751 f.; Corsten HRRS 2011, 247 ff., 251; Wittig in: Beck’scher Online-Kommentar StGB, Stand: 15.06.2012, Edition 19, § 266 Rn. 29.1; Wagner ZIS 2012, 28 ff., 35.
[16] Vgl. BVerfG HRRS 2010 Nr. 656; lesenswert hierzu etwa Saliger NJW 2010, 3195 ff.; vgl. auch Saliger in: Festschrift für Imme Roxin (2012), S. 307 ff., 308 ("wirkungsmächtigste Wortmeldung des BVerfG zum Bestimmtheitsgrundsatz in den letzten zwei Jahrzehnten"); siehe ferner Schlösser/Mosiek HRRS 2010, 424 ff., 427.
[17] Vgl. Jahn JuS 2011, 1133, 1135 f.
[18] Die Formulierung "ungeachtet seiner zeitlichen Entstehung" deutet darauf hin, dass Brand dem Unmittelbarkeitszusammenhang – anders als der 1. Strafsenat – (auch) eine zeitliche Dimension beimisst. Sein oben im Fließtext zitierter Beispielsfall – Unternehmensgeldbuße gemäß § 30 OWiG "in ferner Zukunft" nach vorausgegangener Aufdeckung von Gesetzesverstößen – spricht indes hiergegen, weil insoweit eine unterbrechende selbständige Handlung vorliegt.
[19] Vgl. Brand NJW 2011, 1751 f.; siehe ferner Theile wistra 2010, 457 ff., 462.
[20] BGH HRRS 2011 Nr. 936 Rn. 18.
[21] Vgl. BGH HRRS 2011 Nr. 936 Rn. 19.
[22] Schünemann a.a.O. (Fn. 4), Rn. 168.
[23] BGH HRRS 2012 Nr. 781.
[24] Zur zutreffenden Kritik an obiter dicta als "Mittel der Kommunikation und der kritischen Auseinandersetzung zwischen den Senaten" vgl. Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. (2010), § 132 GVG Rn. 9 ("stellen[…]die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach außen in Frage und sorgen damit für Verunsicherung der Betroffenen").
[25] Vgl. Seier a.a.O. (Fn. 4), Rn. 213: "Für die Praxis war dieses Problem weitgehend belanglos. In den einschlägigen Fällen arbeitete sie kurzerhand mit einem Gefährdungsschaden (…), der sich ja beliebig weit ins Abstrakte strecken ließ. Bei diesem Schadenstyp stand dann der Unmittelbarkeitszusammenhang außer Zweifel."
[26] Vgl. bereits Mosiek HRRS 2009, 565 ff., 567.
[27] Vgl. Franke a.a.O. (Fn. 24), Rn. 6.
[28] Vgl. Franke a.a.O. (Fn. 24), Rn. 34.
[29] Vgl. BVerfG HRRS 2010 Nr. 656.
[30] Vgl. BVerfG HRRS 2010 Nr. 656 Rn. 91.
[31] Vgl. BVerfG HRRS 2010 Nr. 656 Rn. 79.
[32] Zur Offenheit dieser Wendung (auch) hinsichtlich der Maßstäbe für die Schadensbestimmung vgl. BVerfG HRRS 2010 Nr. 656 Rn. 99 f.
[33] Vgl. Dannecker in: Leipziger Kommentar, StGB, Band 1, 12. Aufl. (2007), § 1 Rn. 240; Fischer, StGB, 59. Aufl (2012), § 1 Rn. 10 a; siehe ferner BVerfG HRRS 2010 Nr. 656 Rn. 77.
[34] Vgl. BVerfG HRRS 2010 Nr. 656.
[35] Vgl. nur Fischer, StGB, 59. Aufl., (2012), § 263 Rn. 76.
[36] Vgl. Mosiek HRRS 2009, 565 ff. m.w.N.
[37] OLG Celle, Beschluss vom 23. August 2012 – 1 Ws 248/12, UA S. 38.
[38] OLG Celle, Beschluss vom 23. August 2012 – 1 Ws 248/12, UA S. 36 ff.; anders hinsichtlich der Aberkennung der Gemeinnützigkeit – bei extensiver Anwendung der Figur des Gefährdungsschadens und ohne jede Auseinandersetzung mit der Frage der Unmittelbarkeit – OLG Hamm wistra 1999, 350 ff., 354; hiergegen zutreffend Lassmann, NStZ 2009, 473 ff., 477 unter maßgeblichem Hinweis auf den Unmittelbarkeitszusammenhang; einer Divergenzvorlage durch das OLG Celle im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Hamm bedurfte es bereits deshalb nicht, weil das OLG Celle "lediglich" als Beschwerdegericht (auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnungsentscheidung des mit der Sache befasst gewesenen LG Hildesheim) tätig geworden und auch nicht von einer Entscheidung des BGH abgewichen ist, sondern im Gegenteil auf den – das Unmittelbarkeitserfordernis bejahenden – Beschluss des 5. Strafsenats vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08 (= HRRS 2009 Nr. 718) ausdrücklich Bezug genommen hat (vgl. § 121 Abs. 2 GVG).
[39] OLG Celle, Beschluss vom 23. August 2012 – 1 Ws 248/12, UA S. 38; vgl. bereits Seier a.a.O. (Fn. 4), Rn. 212; Mosiek HRRS 2009, 565 f.