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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 458

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 146/12, Beschluss v. 17.04.2012, HRRS 2012 Nr. 458


BGH 1 StR 146/12 - Beschluss vom 17. April 2012 (LG Stuttgart)

Beweiswürdigung bei minderjährigen Zeugen, denen die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts fehlt; Unmittelbarkeitsgrundsatz.

§ 52 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 250 StPO; § 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Beurteilung der Strafkammer, den minderjährigen Kindern der Angeklagten fehle eine genügende Vorstellung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts i.S.v. § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO, ist als tatrichterliche Ermessensentscheidung revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Schon Zweifel darüber, ob Kinder über die erforderliche geistige Reife verfügen, eine mögliche Konfliktlage zwischen der Pflicht zu wahrheitsgemäßer Aussage und den familiären Rücksichten verstandesmäßig genügend erfassen zu können, muss die Strafkammer veranlassen, von fehlender Verstandesreife auszugehen.

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 3. November 2011 wird als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 20. März 2012, die durch die Gegenerklärung der Revision vom 30. März 2012 nicht entkräftet werden, bemerkt der Senat:

Die Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes an ihrem Ehemann zu lebenslanger Freiheitsstrafe wird von den auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung basierenden Feststellungen getragen. Die Beurteilung der Strafkammer, den minderjährigen Kindern der Angeklagten fehle eine genügende Vorstellung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts i.S.v. § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO (eingefügt durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. Dezember 1974, BGBl. I, 3393), weist keinen Rechtsfehler auf. Sie ist als tatrichterliche Ermessensentscheidung revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich (vgl. Senge in Karlsruher Kommentar, StGB, 6. Aufl., § 52 Rn. 48 mwN). Die Ausführungen der Strafkammer zu den freibeweislichen Erhebungen durch den Berichterstatter einerseits und zu Angaben der Kinder vor der Hauptverhandlung gegenüber Polizei, Ermittlungsrichter und Kinderdorfmutter andererseits machen hinreichend deutlich, dass die Strafkammer von einem zutreffenden Beurteilungsmaßstab ausgeht. Sie prüft, ob die minderjährigen Kinder der Angeklagten - unbeschadet ihres Alters und der möglichen Erkenntnis, dass ihrer Mutter aufgrund des Vorwurfs, Unrechtes getan zu haben, eine Strafe droht - über die erforderliche geistige Reife verfügen, eine mögliche Konfliktlage zwischen der Pflicht zu wahrheitsgemäßer Aussage und den familiären Rücksichten (Hilfestellung für die Mutter) verstandesmäßig genügend erfassen zu können. Schon die Zweifel der Strafkammer hierüber mussten sie veranlassen, von fehlender Verstandesreife auszugehen (BGH, Urteil vom 8. März 1979 - 4 StR 634/78; Huber in BeckOK-StPO, § 52 Rn. 20 mwN).

Ohnedies musste sich die Strafkammer nach der durchgeführten Beweisaufnahme und eingedenk der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls nicht gedrängt sehen (§ 244 Abs. 2 StPO), die Kinder der Angeklagten auch noch persönlich zu hören. Die in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben der Kinder außerhalb der Hauptverhandlung hat die Strafkammer mit rechtsfehlerfreier Begründung als unglaubhaft bewertet.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 458

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 578

Bearbeiter: Karsten Gaede