HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2011
12. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

285. BGH 3 StR 312/10 - Beschluss vom 9. Dezember 2010 (LG Duisburg)

BGHSt; sonstige Stelle (behördenähnliche Institution; verlängerter Arm des Staates; staatliche Steuerung); Vorteilsannahme („Klimapflege“); für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter (materielle Aufgabenprivatisierung; Eisenbahn-Bundesamt); Amtsträger.

§ 11 StGB; § 331 StGB; § 1 DBGrG

1. Die DB Netz AG ist eine „sonstige Stelle“ im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB (Fortführung von BGHSt 49, 214 und BGHSt 52, 290). (BGHSt)

2. Unter einer „sonstigen Stelle“ versteht man eine behördenähnliche Institution, die unabhängig von ihrer Organisationsform befugt ist, bei der Ausführung von Gesetzen mitzuwirken, ohne dabei eine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne zu sein. Ist die Stelle als juristische Person des Privatrechts organisiert, müssen Merkmale vorliegen, die eine Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen; bei einer Gesamtbetrachtung muss sie „als verlängerter Arm des Staates erscheinen“. (Bearbeiter)

3. Die Unterhaltung des Schienennetzes in ihrer Gesamtheit, einschließlich der aus Gründen der Sicherheit zu gewährleistenden Vegetationspflege, gehört als Aufgabe der Leistungsverwaltung zur staatlichen Daseinsvorsorge. (Bearbeiter)


Entscheidung

334. BGH 1 StR 275/10 - Beschluss vom 14. Dezember 2010 (LG München I)

BGHR; vollendete Steuerhinterziehung durch aktives Tun trotz Sachverhaltskenntnis des zuständigen Finanzamts (objektive Zurechnung; rechtlich missbilligtes Risiko; Voraussetzungen einer Strafmilderung; staatliches Gewährenlassen laufender Straftaten; Tatbeobachtung); Beweisantragsrecht (Bedeutungslosigkeit; Beruhen; Beweisermittlungsantrag).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 90 AO; § 244 Abs. 3 StPO; Art. 6 EMRK

1. Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben entfällt nicht deshalb, weil den zuständigen Finanzbehörden alle für die Steuerfestsetzung bedeutsamen Tatsachen bekannt waren und zudem sämtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt und verfügbar waren. (BGHR)

2. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung in der Variante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen) setzt keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Es genügt, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden (vgl. BGH NStZ 2007, 596, 597; BGH wistra 2000, 63, 64; BGHSt 37, 266, 285; so auch BFH, BStBl II 2006, 356, 357). (Bearbeiter)

3. Die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung kann auch nicht durch eine verzögerte Einleitung des Strafverfahrens in Frage gestellt werden (vgl. BGH wistra 2005, 148, 149). Ein Anspruch eines Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern, besteht nicht. Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 Abs. 1 EMRK (BGH NStZ-RR 2003, 172 f.; BGH NStZ 2007, 635). (Bearbeiter)

4. Zwar kann ein Verhalten des Steuerfiskus (gleich einem Mitverschulden oder einer Mitverursachung des Verletzten) strafmildernd zu berücksichtigen sein. Es kann daher Fälle geben, in denen strafschärfend berücksichtigtes Verhalten eines Angeklagten (etwa Skrupellosigkeit, Raffinesse oder Hartnäckigkeit) ins Verhältnis zum Verhalten der zum Schutze der staatlichen Vermögensinteressen berufenen Beamten zu setzen ist (vgl. BGH wistra 1983, 145). Dies gilt jedoch allenfalls dann, wenn das staatlichen Stellen vorwerfbare Verhalten unmittelbar auf das Handeln des Angeklagten Einfluss genommen hat (etwa weil er bislang nicht tatgeneigt war oder ihm wenigstens die Tat erleichtert wurde) und den staatlichen Entscheidungsträgern die Tatgenese vorgeworfen werden kann (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 167). (Bearbeiter)

5. Eine Beweisbehauptung ist nur dann bedeutungslos, wenn sie weder den Schuld- noch den Rechtsfolgenausspruch zu beeinflussen vermag. Das Gericht muss daher - will es eine Beweisbehauptung (in deren vollen Tragweite, vgl. BGH StV 1983, 90, 91) wegen Bedeutungslosigkeit ablehnen - beides in den Blick nehmen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist im Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar darzulegen, soweit es nicht für alle Beteiligten auf der Hand liegt (vgl. BGH NStZ 2000, 46; 1982, 170, 171). Hierbei muss regelmäßig klargestellt werden, ob die angenommene Bedeutungslosigkeit auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht (BGH NStZ 2000, 267, 268; BGH StV 1987, 45 f.). (Bearbeiter)

6. Bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ist die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie voll erwiesen, der Entscheidung zugrunde zu legen (BGH NStZ-RR 2010, 212; BGH StV 2008, 288). (Bearbeiter)

7. Einem Beweisantrag kann zwar abverlangt werden, dass darin ein verbindender Zusammenhang zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung dargelegt ist. Dies erfordert jedoch nicht die Darlegung, ein benannter Zeuge werde die Beweisbehauptung mit Sicherheit bekunden. Erforderlich – aber auch ausreichend – ist die Darlegung der Umstände, warum es dem Zeugen möglich sein kann, die Beweistatsache zu bekunden. Ist der Zeuge Teilnehmer eines Telefonats, dessen Verlauf, dessen Inhalt oder dessen Ergebnis unter Beweis gestellt werden soll, handelt es sich um einen unmittelbaren Zeugen, zu dem es regelmäßig nicht der Darlegung noch weiter ins Detail gehender Umstände bedarf, damit das Gericht den Antrag anhand der gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll prüfen kann (vgl. BGHSt 43, 321, 329 f.). (Bearbeiter)

8. Im Rahmen des Beweisantragsrechts ist es Sache des Antragstellers, nicht nur das Beweisthema, sondern auch das zu benutzende Beweismittel selbst zu bestimmen. Zwar kommt ein Austausch der Beweismittel ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das herangezogene Beweismittel zweifelsfrei gleichwertig ist (vgl. BGH NJW 1983, 126, 127). An dieser Gleichwertigkeit fehlt es jedoch regelmäßig, wenn nur der Zeuge, dessen bisherige Aussage widerlegt werden soll, erneut vernommen wird, nicht aber die anderen zur Widerlegung benannten Zeugen. Dieser Mangel wäre im Ergebnis nur dann unschädlich, wenn der Zeuge seine bisherigen Aussagen im Sinne der Beweisbehauptung korrigiert und die Beweisbehauptung deshalb als erwiesen behandelt wird. (Bearbeiter)


Entscheidung

341. BGH 1 StR 561/10 - Beschluss vom 18. Januar 2011 (LG Limburg)

Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Kaffeesteuer: Steueranmeldung durch den Bezieher; Versandhandel; Berücksichtung gewerbsmäßigen Handelns bei der Strafzumessung); gewerbsmäßiger Schmuggel (gewerbsmäßige Hinterziehung von Einfuhrabgaben).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 373 AO; § 6 Abs. 2 Nr. 5 AO; § 11 Abs. 4 Satz 1 KaffeeStG aF; § 46 StGB

1. Der Qualifikationstatbestand des gewerbsmäßigen Schmuggels gemäß § 373 Abs. 1 AO setzt die gewerbsmäßige Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben voraus. Verbrauchsteuern wie die Kaffeesteuer zählen nur dann zu den Einfuhrabgaben i.S.d. § 373 AO, wenn sie bei der unmittelbaren Einfuhr aus einem Drittland in das deutsche Steuergebiet entstehen (vgl. BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1; BGH NStZ 2007, 592, 594. Einfuhr ist aber nur das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittlandsgebiet in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft, nicht jedoch das Verbringen der Ware (außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens) von einem Mitgliedstaat in den anderen (BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1).

2. Der Umstand, dass der Angeklagte gewerbsmäßig handelte, ist auch bei der Strafzumessung wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO zu berücksichtigen.