HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2011
12. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

375. BGH 4 StR 502/10 – Urteil vom 27. Januar 2011 (LG Kaiserslautern)

„Hells Angels“-Fall; Tötungsvorsatz; besonders schwerer Raub (Zueignungsvorsatz bei kurzfristiger Sachentziehung; Mittäterschaft); räuberischer Erpressung (erforderliche Bereicherungsabsicht bei kurzfristigem Besitz; Vermögensvorteil); Grenzen der sukzessive Mittäterschaft; Körperverletzung mit Todesfolge (Fahrlässigkeit; Vorhersehbarkeit); Totschlag durch Unterlassen (Ingerenz; Gefahrsteigerung; mangelnde Rettungsmöglichkeit; Garantenstellung); gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (Pervertierung: Schädigungsvorsatz).

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 13 StGB; § 249 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; § 250 StGB; § 251 StGB; § 263 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 227 StGB; § 221 StGB

1. Täter - auch Mittäter - kann beim Raub nur sein, wer bei der Wegnahme die Absicht hat, sich oder einem Dritten die fremde Sache rechtswidrig zuzueignen. Hierfür genügt, dass der Täter die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder den Dritten haben und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem des Dritten „einverleiben” oder zuführen will. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Täter oder der Dritte die Sache auf Dauer behalten soll oder will (BGH NJW 1985, 812 mwN). An der Voraussetzung, dass der Wille des Täters auf eine Änderung des Bestandes seines Vermögens oder das des Dritten gerichtet sein muss, fehlt es in Fällen, in denen er die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören”, „zu vernichten“, „preiszugeben”, „wegzuwerfen“, „beiseitezuschaffen” oder „zu beschädigen“ (BGH NJW 1977, 1460; NJW 1985, 812 jeweils mwN). Der etwa auf Hass- und Rachegefühlen beruhende Schädigungswille ist zur Begründung der Zueignungsabsicht ebenso wenig geeignet wie der Wille, den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern (BGH NJW 1985, 812, 813 mwN). In solchen Fällen genügt es auch nicht, dass der Täter - was grundsätzlich ausreichen könnte (vgl. BGH NStZ 1981, 63) - für eine kurze Zeit den Besitz an der Sache erlangt.

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine (besonders schwere) räuberische Erpressung zwar auch derjenige begehen, der das Opfer mit Gewalt dazu zwingt, die Wegnahme einer Sache zu dulden (BGH, Urteil vom 30. August 1973 - 4 StR 410/73, BGHSt 25, 224, 228 mwN), eine Verurteilung wegen Raubes aber daran scheitert, dass die dafür erforderliche Zueignungsabsicht nicht vorliegt bzw. nicht nachweisbar ist (BGHSt 14, 386, 388, 390 f.; BGH NStZ-RR 1999, 103). Eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung erfordert jedoch die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Diese Tatbestandsvoraussetzung des § 253 StGB deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug vorausgesetzten Bereicherungsabsicht (BGH NJW 1988, 2623; BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9). Sie setzt nach dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen wirtschaftlichen Vermögensbegriff deshalb voraus, dass der erstrebte Vorteil zu einer objektiv günstigeren Gestaltung der Vermögenslage für den Täter oder den Dritten führen soll (BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN).

4. Als ein solcher Vermögenszuwachs kann auch die Erlangung des Besitzes an einer Sache bewertet werden und zwar selbst bei einem nur vorübergehenden Besitzwechsel (BGHSt 14, 386, 388 f.). Jedoch ist der bloße Besitz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in den Fällen als Vermögensvorteil anerkannt, in denen ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt (BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 2), was regelmäßig lediglich dann zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind, die der Täter oder der Dritte nutzen will (vgl. BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 1 mwN). Dagegen genügt es nicht, wenn der Täter zwar kurzzeitigen

Besitz begründen will, die Sache aber unmittelbar nach der Erlangung vernichtet werden soll (BGH NStZ 2005, 155 mwN). Ebenso wenig reicht es aus, wenn der Täter den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt (BGH NJW 1988, 2623) und allein einen anderen als einen wirtschaftlichen Vorteil erstrebt (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1971 - 4 StR 397/71).

5. Kann bei mehreren nacheinander aktiv werdenden Tätern der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven) Mittäterschaft trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH NStZ 2009, 631, 632). Allein eine nachträgliche Billigung der tödlichen Gewalt kann eine strafbare Verantwortlichkeit für eine bereits abgeschlossene Tötungshandlung nicht begründen.

6. Der Senat lässt offen, ob der Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 2007 (BGH NStZ 2008, 280, 281 mit Besprechung Walter NStZ 2008, 548) zu folgen wäre.

7. Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2008, 93 mwN). Dabei genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat (vgl. BGH NStZ 2008, 451 mwN), mag er auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 372, 373). Hatte der Täter dagegen begründeten Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden (BGH NStZ 2008, 451).

8. Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2008, 93 mwN); sowohl das Wissens- als auch das Willenselement muss grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH NStZ 2007, 150, 151; NStZ 2009, 91 jeweils mwN). Insbesondere bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements ist es regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (BGH NStZ-RR 2007, 267; NStZ-RR 2009, 372 jeweils mwN). Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.). Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2009, 91 mwN).

9. Eine Handlungspflicht des Garanten für das Leben eines anderen entfällt, wenn die gebotenen Rettungsbemühungen sicher erfolglos geblieben wären (BGH NStZ 2000, 414, 415). Dies gilt auch bei der Ingerenz.

10. Führt ein Sichentfernen vom Opfer nicht zu einer Steigerung der für dieses bestehenden Gefahr, kann keine Tat gemäß § 221 StGB gegeben sein.

11. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfasst § 315b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“ und er dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt.

12. Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, grundsätzlich nicht zugerechnet werden. Handelt ein Mittäter aber mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz, ein anderer dagegen nur mit Verletzungsvorsatz, so ist letzterer - wenn er den tödlichen Ausgang für das Opfer vorhersehen konnte - zwar nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, aber wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar. Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein anderer unmittelbar herbeigeführt hat, mithin auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausgeführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beigetragen hat, sofern die Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (BGH NStZ 2009, 631, 632). Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei dem Mittäter das Wissenselement des Tötungsvorsatzes vorlag und dieser allein deshalb fehlte, weil es am Willenselement mangelte (BGH NStZ 2005, 261, 262).


Entscheidung

282. BGH 3 StR 17/11 - Beschluss vom 8. Februar 2011 (LG Hildesheim)

Rücktritt vom Versuch (Freiwilligkeit; beendeter Versuch; korrigierter Rücktrittshorizont); minder schwerer Fall des Totschlags (auf der Stelle zur Tat hingerissen).

§ 22 StGB; § 23 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 212 StGB; § 213 StGB

1. Ein Versuch ist auch dann beendet, wenn der Täter bei unverändert fortbestehender Handlungsmöglichkeit mit einem tödlichen Ausgang zunächst nicht rechnet, unmittel-

bar darauf aber erkennt, dass er sich insoweit irrte („korrigierter Rücktrittshorizont“).

2. Bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals „auf der Stelle zur Tat hingerissen“ beim minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB) kommt es entscheidend darauf an, ob der Täter die Tat unter dem beherrschenden Einfluss einer anhaltenden Erregung über die Provokation beging. Diese Erregung muss dabei nicht die Erheblichkeit erreichen, die für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB erforderlich wäre.


Entscheidung

339. BGH 1 StR 537/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (LG Augsburg)

Strafbefreiender Rücktritt vom Versuch (Begriff und Begründung des unbeendeten / beendeten Versuchs).

§ 24 StGB

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es, wovon auch das Landgericht insoweit zutreffend ausgegangen ist, für die Abgrenzung eines beendeten vom unbeendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts maßgeblich auf die Vorstellungen der Täter nach der letzten Ausführungshandlung („Rücktrittshorizont“) an. Dies gilt insbesondere auch bei einem mehraktigen Tatgeschehen, das als eine Tat im Rechtssinne gewertet wird (vgl. BGH StraFo 2009, 78 mwN). Halten die Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung aufgrund der tatsächlichen Umstände den Tod ihres Opfers für möglich oder machen sie sich über die Folgen ihres Handelns - namentlich bei besonders schweren Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Gedanken, so ist der Versuch beendet (st. Rspr.). Ein strafbefreiender Rücktritt ist in diesem Fall bei mehreren Tätern nur unter den engen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 StGB möglich. Liegt dagegen ein unbeendeter Versuch vor, kommt ein strafbefreiender Rücktritt nach dieser Vorschrift auch dann in Betracht, wenn die Täter einvernehmlich nicht weiterhandelten, obwohl sie dies hätten tun können (BGH StraFo 2003, 207).

2. Die äußeren Gegebenheiten sind bei der Abgrenzung eines beendeten von einem unbeendeten Versuch insoweit von Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters ermöglichen (BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 22 mwN).

3. Die Vorstellung von einem möglichen Todeseintritt muss schon unmittelbar nach der letzten Tathandlung vorhanden sein (BGH NStZ 2010, 146).


Entscheidung

287. BGH 3 StR 364/10 - Urteil vom 25. November 2010 (LG Stade)

Versuchter Totschlag (Vorsatz; Beweiswürdigung; besonders gefährliche Gewalthandlung; Todesdrohung; affektive Erregung; hohe Hemmschwelle); erheblich verminderte Schuldfähigkeit.

§ 212 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 261 StPO; § 15 StGB; § 21 StGB

1. Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.

2. Der Täter handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz, wenn er den Eintritt des Todes als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt sowie ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt.

3. Angesichts der hohen Hemmschwelle zur Tötung bedarf die Frage der Billigung des Todes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind.

4. Die Strafzumessung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht auf die Revision des Nebenklägers hin auch dann nicht zu prüfen, wenn der Nebenkläger neben der Verhängung einer höheren Strafe (auch) ein zulässiges Rechtsmittelziel – nämlich die Verurteilung wegen eines anderen, zum Anschluss berechtigenden Delikts (vgl. § 400 Abs. 1 StPO) - verfolgt. Denn es würde die gesetzlich beschränkte Rügebefugnis des Nebenklägers entgegen der Intention des Gesetzgebers ausweiten, wenn seine zulässige Revision einer revisionsgerichtlichen Urteilsprüfung auch insoweit den Weg ebnen würde, obwohl er diesbezüglich – isoliert betrachtet – gerade nicht anfechtungsberechtigt wäre.


Entscheidung

361. BGH 2 StR 458/10 - Urteil vom 26. Januar 2011 (LG Gera)

Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten Versuch eines mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführten Totschlagsversuchs (Aufgeben; Begriff des unbeendeten Versuchs: erkannte Möglichkeit des Erfolgseintritts).

§ 212 StGB; § 211 StGB; § 22 StGB; § 24 StGB

1. Das bloße Aufgeben weiterer auf den Taterfolg gerichteter Handlungen erfüllt die Voraussetzungen eines Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB 1. Variante nur dann, wenn der Versuch unbeendet ist, der Täter also aus seiner Sicht noch nicht so viel getan hat, dass der Taterfolg eintritt. Bei der Feststellung dieses so genannten Rücktrittshorizonts, für den auf den Zeitpunkt nach der letzten Tathandlung abzustellen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Täter den Eintritt des Erfolgs für sicher oder ganz nahe liegend hält. Vielmehr ist der Versuch schon dann beendet, wenn der Täter den Erfolgseintritt zu diesem Zeitpunkt für möglich hält. Schon in diesem Fall darf er sich, um Straffreiheit zu erreichen, nicht mehr auf bloßes Unterlassen weiterer Tathandlungen beschränken, sondern muss sich gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB 2. Variante aktiv um die Rettung des angegriffenen Rechtsguts bemühen.

2. Zwar wird sich in Fällen offenkundig besonders gefährlicher Tathandlungen, deren Erfolgseignung der Täter

erkennt, seine Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolgseintritts oft schon aus den objektiven Umständen der Tat erschließen lassen. Bei einem dynamischen Geschehen, versteht sich dies aber nicht von selbst.


Entscheidung

335. BGH 1 StR 517/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (LG München II)

Versuchter Mord in Mittäterschaft (Exzess; Vorsatz: Schluss aus objektiven Umständen).

§ 211 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 15 StGB; § 16 StGB

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines eigenen Vorsatzes, ist also für den tatbestandlichen Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht; ein Exzess der anderen fällt ihm nicht zur Last (BGHSt 36, 231, 234; BGH NStZ 2002, 597, 598 mwN). Jedoch werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sich diese nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war.

2. Rechnet ein zu einem gemeinschaftlich begangenen Raub entschlossener Angeklagter nicht nur mit weiteren massiven Gewalthandlungen eines Mitangeklagten gegenüber der Geschädigten, nachdem es entgegen dem ursprünglichen Tatplan nicht gelungen war, die Geschädigte bereits mit einem Schlag gegen den Kopf widerstandsunfähig zu machen, und zerrt er während weiterer, von einem bedingten Tötungsvorsatz getragener massiver Gewalthandlungen des Mitangeklagten am zu raubenden Rucksack der Geschädigten, kann das Tatgericht daraus schließen, dass er auch mit diesem Vorgehen des Mitangeklagten einverstanden war.


Entscheidung

323. BGH 5 StR 515/10 - Beschluss vom 10. Januar 2011 (LG Potsdam)

Gefährliche Körperverletzung (sukzessive Mittäterschaft; Beihilfe; „bloßes Dabeisein“); Mittäterschaft (Gesamtwürdigung).

§ 224 StGB; § 25 StGB; § 27 StGB

1. Beschränkt sich der Beitrag eines Gehilfen auf bloßes „Dabeisein“, so bedarf es sorgfältiger und genauer Feststellungen darüber, dass dadurch die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestalt objektiv gefördert oder erleichtert wurde und dass der Gehilfe sich dessen bewusst war.

2. Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist nach den gesamten Umständen, die von der Verurteilung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen.


Entscheidung

370. BGH 4 StR 338/10 – Urteil vom 27. Januar 2011 (LG Bielefeld)

Strafbarkeit des Skimming; bandenmäßige und gewerbsmäßige Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (Versuch: unmittelbares Ansetzen); bandenmäßige und gewerbsmäßiger Computerbetrug.

§ 152b StGB; § 202a StGB; § 263a StGB; § 22 StGB

1. Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Es genügt, dass er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden. Das Versuchsstadium erstreckt sich deshalb auch auf Handlungen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren „Willensimpulses“ nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht (st. Rspr.; BGHSt 48, 34 m.w.N.). Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen stets der wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles (vgl. BGH NJW 2002, 1057).

2. Zur Anwendung auf die Fälschung von Zahlungskarten bei Skimmingtaten (Ingangsetzen eines automatisierten Ablaufs).

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

354. BGH 2 StR 399/10 - Urteil vom 17. November 2010 (LG Erfurt)

BGHSt; Vollendung bei der schweren Brandstiftung (Wohngebäude; teilweise Zerstörung durch Brandlegung; abstrakte Gefährdung bei § 306a Abs. 1 StGB); besonders schwere Brandstiftung.

§ 306a Abs. 2, Abs. 1 StGB; § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 306b StGB

1. Ist das „Gebäude“ im Sinne von §§ 306a Abs. 2, 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Einzelfall zugleich ein „Wohngebäude“, dann müssen zur Vollendung des Auffangtatbestands der schweren Brandstiftung nicht notwendigerweise auch Wohnräume von der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung betroffen sein. (BGHSt)

2. Durch Brandlegung wird die gänzliche oder teilweise Zerstörung des Objektes verursacht, wenn diese auf einer tatbestandsrelevanten Handlung beruht. Es muss sich ein mit der Brandlegung typischerweise geschaffenes Risiko im Zerstörungserfolg verwirklicht haben, wozu auch Verrußungsschäden am Brandstiftungsobjekt zu zählen sind. (Bearbeiter)

3. Für die Vollendung des § 306a Abs. 1 StGB ist für den Fall des Zerstörens eines Wohngebäudes vorauszusetzen, dass auch Wohnräume von der Zerstörungswirkung der Brandlegung betroffen sind. (Bearbeiter)

4. Im Hinblick auf die hohe Strafdrohung des § 306a StGB muss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein „teilweises Zerstören“ von Gewicht vorliegen (BGHSt 48, 14, 19 f.; BGH NStZ 2007, 270; 2008, 519). Dies ist nur dann der Fall, wenn das Tatobjekt für eine nicht unbeträchtliche Zeit wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, ferner wenn ein für die ganze Sache nötiger Teil unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt und eingerichtet sind, vollständig vernichtet werden. Auch für die Qualifikation des § 306a Abs. 2 StGB ist diese einschränkende Auslegung des Merkmals des teilweisen Zerstörens von Gewicht vorauszusetzen; allerdings ist sie mit Blick auf die Bezugsobjekte des § 306 Abs. 1 StGB rechtsgutsspezifisch zu verstehen. (Bearbeiter)

5. § 306a Abs. 1 StGB lässt bereits die Verursachung einer abstrakten Gefahr für Leib oder Leben von Menschen im Einzelfall genügen. (Bearbeiter)


Entscheidung

284. BGH 3 StR 239/10 - Urteil vom 22. Dezember 2010 (LG Mönchengladbach)

BGHR; gefährliche Körperverletzung; Einwilligung; ärztliche Heilbehandlung; Folgebehandlung; Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht bei Außenseitermethoden (Chancen und Risiken der Behandlung; seltene Risiken; spezifischer Zusammenhang zwischen Behandlung und Komplikation; Erstbehandlung; Folgebehandlung; Einsatz von Zitronensaft zur Wunddesinfektion).

§ 223 StGB; § 224 StGB; § 228 StGB; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG

1. Zur erforderlichen Patientenaufklärung durch einen Chirurgen über dessen Absicht, bei einer Folgebehandlung, die wegen der Verwirklichung eines der Erstoperation typischerweise anhaftenden Risikos notwendig werden könnte, auch eine Außenseitermethode anzuwenden. (BGHR)

2. Jede in die körperliche Unversehrtheit eingreifende ärztliche Behandlungsmaßnahme erfüllt den objektiven Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung, unabhängig davon, ob sie lege artis durchgeführt und erfolgreich ist. Sie bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung, in der Regel der wirksamen Einwilligung des Patienten, die grundsätzlich vor Durchführung der Behandlung ausdrücklich zu erteilen ist. (Bearbeiter)

3. Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt die Aufklärung über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen voraus. Nur so wird das aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Selbstbestimmungsrecht des Patienten sowie sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt. (Bearbeiter)

4. Inhaltlich ist der Patient über die Chancen und Risiken der Behandlung im „Großen und Ganzen“ aufzuklären. Ihm muss ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt werden, die für seine körperliche Integrität und seine Lebensführung auf ihn zukommen können. Eine solche „Grundaufklärung“ hat regelmäßig auch einen Hinweis auf das schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko zu beinhalten. Einer exakten medizinischen Beschreibung all dessen bedarf es jedoch nicht. (Bearbeiter)

5. Der Patient ist über alle schwerwiegenden Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, auch dann aufzuklären ist, wenn sie sich nur selten verwirklichen. (Bearbeiter)

6. Für die ärztliche Hinweispflicht kommt es nicht nur auf einen bestimmten Grad der Komplikationsdichte, sondern entscheidend auch darauf an, ob das in Frage stehende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet. In solchen Fällen besteht zwischen einer ersten Operation und möglicherweise notwendig werdenden Folgebehandlungen ein enger Zusammenhang, der die Aufklärung über die Risiken der späteren Therapie schon vor dem ersten Eingriff erfordert. (Bearbeiter)

7. Im Rahmen der primär dem Arzt überlassenen Therapiewahl ist ihm zwar die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Heilmethode nicht schlechthin untersagt. Zur Wirksamkeit der Einwilligung muss der Patient aber über die beabsichtigte Therapie aufgeklärt worden sein. Neben der allgemeinen Aufklärung über das Für und Wider dieser Methoden ist auch darüber zu informieren, dass der geplante Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist und dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind. (Bearbeiter)


Entscheidung

322. BGH 5 StR 491/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (LG Berlin)

Körperverletzung mit Todesfolge (eigenverantwortliche Selbstgefährdung; Tatherrschaft; Irrtumsherrschaft; überlegenes Wissen über das eingegangene Risiko); fahrlässige Tötung; fahrlässiger Körperverletzung (Fehldosierung von MDMA; Psycholyse).

§ 223 StGB; § 25 StGB; § 27 StGB; § 222 StGB; § 229 StGB; § 227 StGB

1. Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung unterfällt grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Selbstgefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, das – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist.

2. Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft wächst dem an fremder Selbstgefährdung Beteiligten erst dann zu, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses des Opfers beeinträchtigt ist. Dies ist etwa der Fall, wenn der Beteiligte kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, namentlich wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt, oder das Opfer infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist.


Entscheidung

307. BGH 3 StR 467/10 - Beschluss vom 18. Januar 2011 (LG Hannover)

Sexuelle Nötigung einer Prostituierten (dienstvertragliche Ansprüche; Schadensersatz); schwere räuberische Erpressung.

§ 177 StGB; § 253 StB; § 255 StGB; § 249 BGB; § 253 BGB; § 823 Abs. 2 BGB

Wird eine Prostituierte zur Vornahme sexueller Handlungen gezwungen, so erwachsen ihr hieraus - wie jedem Opfer einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung - Ansprüche auf Ersatz des ihr durch die Tat entstandenen materiellen und immateriellen Schadens (§ 823 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 177 StGB, §§ 249, 253 BGB). Dienstvertragliche Ansprüche werden hierdurch jedoch nicht begründet. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Täter zunächst das Vertrauen der Prostituierten dadurch erschleicht, dass er sich als normaler Freier ausgibt und Zahlungsbereitschaft vortäuscht.


Entscheidung

356. BGH 2 StR 433/10 - Beschluss vom 12. Januar 2011 (LG Frankfurt am Main)

Betrug (Vorsatz; Täuschung; Vermögensschaden; Betrug einer Versicherung; Betrug durch Unterlassen: Aufklärungspflicht gegenüber einer Versicherung); Beweisantragsrecht (Bedeutungslosigkeit).

§ 263 StGB; § 244 Abs. 3 StPO

1. Wenn der Angeklagte infolge einer falschen Information darauf vertraut, dass ein objektiv falscher Eintrag in einem Versicherungsvertrag für die Versicherung richtig ist, fehlt es am Täuschungsvorsatz. Es kommt nicht darauf an, dass der Angeklagte auf die falsche Information nicht vertrauen durfte.

2. Aufwendungen bei Vertragsschluss, die ohne diesen nicht entstanden wären, vermögen einen Vermögensschaden im Sinne von § 263 StGB nicht zu begründen.


Entscheidung

299. BGH 3 StR 433/10 - Beschluss vom 7. Dezember 2010 (LG Duisburg)

Mittäterschaft; Konkurrenzen; Tateinheit; Tatmehrheit; Betrug (Vermögensschaden; Stoffgleichheit); betrügerisches Erlangen von Mobilfunkverträgen (Eingehungsschaden; Provisionszahlungen; Gesprächsgebühren); Strafzumessung (verschuldete Tatfolgen).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 263 StGB; § 46 Abs. 2 StGB

1. Sind an einer Deliktsserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, so ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden.

2. Erfüllt ein Mittäter hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen.

3. Erbringt hingegen ein Mittäter im Vorfeld oder während des Laufs einer Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte seiner Mittäter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die übrigen Beteiligten die einzelnen Delikte gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung.

4. Der vollendete Betrug setzt voraus, dass beim Geschädigten eine Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne eingetreten ist, die unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Vermögensverfügung sein muss. Außerdem muss auch der vom Täter erstrebte rechtswidrige Vermögensvorteil unmittelbare Folge der vom Opfer aufgrund seines Irrtums vorgenommenen Vermögensverfügung sein und der dadurch bedingten Vermögenseinbuße des Opfers spiegelbildlich entsprechen (Stoffgleichheit).

5. Es fehlt an dem tatbestandlichen Erfordernis des § 263 Abs. 1 StGB, dass der Vermögensschaden unmittelbare Folge der Vermögensverfügung und der erstrebte rechtswidrige Vermögensvorteil wiederum unmittelbare Folge des Vermögensschadens sein muss, wenn der Getäuschte dem Täter - entsprechend dessen Absicht - lediglich die tatsächliche Möglichkeit gibt, den Vermögensschaden durch weitere selbständige deliktische Handlungen herbeizuführen.


Entscheidung

374. BGH 4 StR 487/10 – Urteil vom 27. Januar 2011 (LG Magdeburg)

Schwere Vergewaltigung; gefährliche Körperverletzung; Anforderungen an die Überzeugungsbildung (Beweiswürdigung; objektive Voraussetzungen der Überzeugung).

§ 177 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 261 StPO

1. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH NStZ 1982, 478; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26; vgl. auch BVerfG, NJW 2008, 3346, 3347 f.).

2. Der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB setzt nicht voraus, dass der Täter das Werkzeug oder Mittel schon von vornherein bei sich führt, um es bei der Tat zur Verhinderung oder Überwindung des Widerstands des Opfers einzusetzen. Vielmehr ist es ausreichend, dass der Täter das Tatmittel zu irgendeinem Zeitpunkt der Tatbegehung einsatzbereit bei sich hat, wofür es auch genügt, wenn er es erst am Tatort ergreift (vgl. BGH NStZ 1999, 242; 2001, 246; NStZ-RR 2003, 202).

3. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur dann benutzt, wenn der Täter ein generell gefährliches Tatmittel einsetzt, sondern auch, wenn sich die objektive Gefährlichkeit des eingesetzten Gegenstandes erst aus der konkreten Art seiner Verwendung ergibt, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (vgl. BGHSt 46, 225, 228; 51, 276, 278; BGH NStZ 2004, 261; StV 2006, 416). Die Gefährlichkeit des Tatmittels kann sich gerade daraus ergeben, dass ein Gegenstand bestimmungswidrig gebraucht wird. Auch für die Beurteilung der Frage, ob eine Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist, kommt es maßgeblich darauf an, ob der gebrauchte Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2007, 95).

4. Werkzeug im Sinne der Vorschriften der § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand, mit dem gleich auf welche Weise auf den Körper des Opfers eingewirkt werden kann. Die vom Angeklagten verwendete, einen Haushaltsreiniger beinhaltende Sprühflasche stellt ebenso wie ein Reizgassprühgerät oder ein Pfeffersprayer ein solches Werkzeug dar, ohne dass es darauf ankommt, ob die Reinigerflüssigkeit als solche dem Werkzeugbegriff unterfällt (a.A. OLG Dresden NStZ-RR 2009, 337).


Entscheidung

359. BGH 2 StR 453/10 - Urteil vom 8. Dezember 2010 (LG Darmstadt)

Erörterungsmängel hinsichtlich der Geiselnahme und der schweren Vergewaltigung (konkludente Drohung mit einem zeitweise abgelegten Messer); gegenüber Geiselnahme und sexueller Nötigung hinausgehende Nötigungen.

§ 177 Abs. 2, Abs. 4 StGB; § 239b StGB; § 240 StGB; § 52 StGB

Das Verwenden einer Waffe kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann in Betracht, wenn der Täter aufgrund der Nähe zum Tatopfer diesem jederzeit ohne Weiteres mit dem Messer Verletzungen beibringen kann (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 7; NStZ 2001, 369; s. aber auch BGH NStZ 2000, 254) und das Tatopfer wegen seiner fortbestehenden Angst vor dem gefährlichen Werkzeug den ungewollten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lässt.


Entscheidung

373. BGH 4 StR 450/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (LG Essen)

Gefährliche Körperverletzung (gefährliches Werkzeug und „Kopfnuss“); Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe (Darstellungsmangel; Beachtung des Verschlechterungsverbotes).

§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 55 StGB; § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO

Wenn der Angeklagte dem Opfer plötzlich und gezielt eine Kopfnuss gegen die Stirn versetzt, verwirklicht dies nicht den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Körperteile des Täters an sich kein gefährliches Werkzeug im Sinne der Vorschrift.


Entscheidung

336. BGH 1 StR 517/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (LG München II)

Versuchter Mord (Habgier; Ermöglichen einer Straftat; Heimtücke: mangelnde Arglosigkeit bei anfänglichem Angriff mit Körperverletzungsvorsatz); Ausschluss des Beruhens des Strafausspruches auf der fehlerhaften Annahme eines weiteren Mordmerkmals bei der Verhängung von Jugendstrafe.

§ 211 StGB; § 22 StGB; § 46 StGB; § 17 JGG; § 337 StPO

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer das Opfer unter bewusster Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit tötet (vgl. BGHSt 32, 382, 383 mwN). Für die Annahme von Arglosigkeit kommt es auf den Beginn der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung an. Rechnet das Tatopfer aufgrund einer vorangegangenen tätlichen Auseinandersetzung mit einem schweren oder doch erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit, entfällt seine Arglosigkeit (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27 mwN).

2. Dies gilt insbesondere, wenn das Opfer wegen eines vorausgegangenen Angriffs und der anschließenden körperlichen Auseinandersetzung um eine vom Täter angestrebte Beute die ihr drohende Gefahr erkannt hat und der Täter während des vorausgegangenen Angriffs noch nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt hatte (vgl. BGHSt 19, 321, 322).

3. Anders liegt es nur dann, wenn der Körperverletzungsvorsatz derart schnell in einen Tötungsvorsatz umschlägt, dass dem Opfer keine Zeit blieb, dem Angriff irgendwie zu begegnen. Daran fehlt es, wenn zwischen dem ersten Angriff und dem mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriff eine deutliche zeitliche Zäsur liegt, die zum Beispiel in der Auseinandersetzung um ein angestrebtes Beutestück erkannt werden kann.


Entscheidung

304. BGH 3 StR 454/10 - Beschluss vom 21. Dezember 2010 (LG Krefeld)

Totschlag in einem minder schweren Fall (schwere Beleidigung; „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“); Doppelverwertungsverbot.

§ 213 StGB; § 212 StGB; § 50 StGB

1. Den Anforderungen an eine schwere Beleidigung im Sinne des § 213 1. Alt. StGB genügen nur solche Provokationen, die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer beleidigend zu beurteilen sind. Denn der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen des § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen nicht zu niedrig anzusetzen, die an die Schwere der Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situation zulaufenden Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung zu stellen sind.

2. Mit dieser Maßgabe kann jedoch auch eine für sich gesehen nicht als gravierend einzustufende Beleidigung dann als schwer zu bewerten sein, wenn sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen der „Tropfen“ war, der „das Fass zum Überlaufen“ gebracht hat.


Entscheidung

379. BGH 4 StR 611/10 - Beschluss vom 18. Januar 2011 (LG Kaiserslautern)

Verurteilung wegen vorsätzlicher falscher Versicherung an Eides Statt (Zuständigkeit).

§ 156 StGB

Zum Begriff der Zuständigkeit im Sinne des § 156 StGB gehört nicht nur die allgemeine Zuständigkeit der Behörde für die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen, sondern darüber hinaus, dass die betreffende Versicherung über den Gegenstand, auf den sie sich bezieht, und in dem Verfahren, um das es sich handelt, abgegeben werden darf und rechtlich nicht völlig wirkungslos ist (BGHR, StGB, § 156 Versicherung 1 m.w.N.).


Entscheidung

383. BGH 4 StR 633/10 - Beschluss vom 11. Januar 2011 (LG Zweibrücken)

Schwerer Bandendiebstahl (Versuch; mangelnde Zueignungsabsicht hinsichtlich eines Tresors und der in ihm aufgefundenen Gegenstände); Verfahrenseinstellung trotz Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch.

§ 242 StGB; § 244 StGB; § 244a StGB; § 22 StGB; § 154 Abs. 2 StPO; § 318 StPO

Entwenden die Angeklagten einen Tresor, in dem sie entgegen ihren Vorstellungen lediglich Fahrzeugschlüssel, nicht aber das angestrebte Geld finden, liegt mangels Absicht rechtswidriger Zueignung hinsichtlich des Tresors und der Fahrzeugschlüssel lediglich ein (fehlgeschlagener) versuchter Diebstahl vor.


Entscheidung

355. BGH 2 StR 416/10 - Beschluss vom 22. Dezember 2010 (LG Darmstadt)

Anordnung des Verfalls von Wertersatz (Ermessensmangel; Härtefallregelung); rechtsfehlerhafte Einziehung eines türkischen Führerscheins (Entzug der Fahrerlaubnis und Vermerk über die Entziehung der Fahrerlaubnis); keine Urkundenfälschung bei Kopien und Computerausdrucken.

§ 73c Satz 2 StGB; § 69 StGB; § 69a StGB; § 69b StGB; § 267 StGB

Einem bloßen Computerausdruck kommt ebenso wie der Kopie oder der Abschrift keine Urkundsqualität zu.