HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 341
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 561/10, Beschluss v. 18.01.2011, HRRS 2011 Nr. 341
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 7. September 2010, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 1. Juni 2010
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in 106 Fällen schuldig ist, und
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gewerbsmäßiger Hinterziehung von Einfuhrabgaben" in 106 Fällen unter Einbeziehung einer viermonatigen Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.
1. Dem Angeklagten ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts gegen die Versäumung der Frist zur Begründung seiner Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Damit ist der Beschluss des Landgerichts vom 7. September 2010, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen "gewerbsmäßiger Hinterziehung von Einfuhrabgaben" hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings tragen die Urteilsfeststellungen in allen Fällen eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO. Da der Senat ausschließen kann, dass sich der Angeklagte gegen diesen Tatvorwurf anders als geschehen hätte verteidigen können, ändert er den Schuldspruch entsprechend ab.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen ließ der Angeklagte im Zeitraum von März 2003 bis Februar 2008 in 106 Fällen Röstkaffee, den er jeweils zuvor bei einer Firma in den Niederlanden bestellt hatte, von einer Spedition von den Niederlanden nach Deutschland transportieren und unmittelbar an Endkunden, die Kaffee bei ihm bestellt hatten, ausliefern. Eine Steueranmeldung für den in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbrachten Kaffee gab er jeweils nicht ab, obwohl er seine Erklärungspflichten kannte. Hierdurch wurden nach der Berechnung des Landgerichts mehr als 2,4 Mio. Euro an Kaffeesteuer verkürzt. Den Röstkaffee verkaufte der Angeklagte gewinnbringend weiter.
b) Der Angeklagte hat sich deswegen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO schuldig gemacht.
Er ließ die zuständigen Hauptzollämter (Finanzbehörden, § 6 Abs. 2 Nr. 5 AO) über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis, indem er es als Bezieher i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 2 KaffeeStG aF unterließ, für den jeweils auf seine Veranlassung durch Spediteure aus den Niederlanden nach Deutschland verbrachten Röstkaffee unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben (vgl. § 11 Abs. 4 Satz 1 KaffeeStG aF). Die Kaffeesteuer war jeweils dadurch entstanden, dass er den Kaffee, den er aus dem zollrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union bezog, durch die von ihm beauftragten Spediteure dort in Empfang nehmen und von diesen in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbringen ließ (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 2 KaffeeStG aF). Die entstandene Steuer wurde hierdurch jeweils verkürzt, weil die Hauptzollämter die Kaffeesteuer, von deren Entstehung sie keine Kenntnis hatten, nicht festsetzen konnten. Die Voraussetzungen eines Versandhandels i.S.v. § 12 KaffeeStG aF lagen nicht vor, weil der Angeklagte den Kaffeehandel von Deutschland aus betrieb (vgl. BFH, Beschluss vom 24. November 2009 - VII B 223/08, ZfZ 2010, 136).
c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts erfüllte der Angeklagte demgegenüber den Qualifikationstatbestand des gewerbsmäßigen Schmuggels gemäß § 373 Abs. 1 AO nicht. Dieser Tatbestand setzt die gewerbsmäßige Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben voraus. Bei den verkürzten Steuern handelte es sich jedoch nicht um solche Abgaben. Verbrauchsteuern wie die Kaffeesteuer zählen nur dann zu den Einfuhrabgaben i.S.d. § 373 AO, wenn sie bei der unmittelbaren Einfuhr aus einem Drittland in das deutsche Steuergebiet entstehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1; BGH, Urteil vom 14. März 2007 - 5 StR 461/06, NStZ 2007, 592, 594; Jäger in Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 225 und § 373 Rn. 6 ff. sowie in Klein, AO, 10. Aufl., § 373 Rn. 25). Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
Der Begriff der Einfuhrabgaben i.S.d. § 373 AO "setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Einfuhrvorgang voraus. Einfuhr ist aber nur das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittlandsgebiet in das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft, nicht jedoch das Verbringen der Ware (außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens) von einem Mitgliedstaat in den anderen (BGHR AO § 373 Einfuhrabgaben 1). Verbrauchsteuern auf Erzeugnisse aus Mitgliedstaaten der EG werden daher von § 373 AO nicht erfasst, soweit auf sie - wie vorliegend - die zollrechtlichen Vorschriften keine Anwendung finden (vgl. § 11 KaffeeStG einer- und § 13 KaffeeStG andererseits)."
3. Die vom Landgericht verhängten Strafen können keinen Bestand haben. Zwar ist der Umstand, dass der Angeklagte - wie das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat - gewerbsmäßig handelte, auch bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO zu berücksichtigen. Es liegt deshalb nahe, dass das Landgericht dieselben Strafen verhängt hätte, wenn es vom Grundtatbestand des § 370 AO ausgegangen wäre, zumal sich im Tatzeitraum der Fälle 1 bis 101 die Obergrenze des Strafrahmens des § 373 AO mit der des § 370 Abs. 1 AO deckte. Im Hinblick darauf, dass das Landgericht in einer nicht unerheblichen Zahl der Fälle lediglich das erhöhte Mindestmaß von drei Monaten Freiheitsstrafe aus dem Strafrahmen des § 373 AO als Einzelstrafe festgesetzt hat, kann der Senat jedoch letztlich nicht ausschließen, dass das Landgericht niedrigere Einzelstrafen verhängt hätte, wenn es vom zutreffenden Strafrahmen ausgegangen wäre, der kein erhöhtes Mindestmaß enthält. Zudem ist nicht auszuschließen, dass sich der vom Generalbundesanwalt aufgezeigte Rechtsfehler bei der Strafbemessung bei der Fallgruppe mit Verkürzungsbeträgen bis 5.000 Euro auch auf die nach Hinterziehungsbeträgen gestaffelten Einzelstrafen im Übrigen ausgewirkt haben.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 341
Externe Fundstellen: NStZ 2011, 410
Bearbeiter: Karsten Gaede