HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2010
11. Jahrgang
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Strafrechtliche/strafverfahrensrechtliche
Entscheidungen des BVerfG/EGMR


Entscheidung

886. EGMR Nr. 24478/03 – Urteil der 5. Kammer des EGMR vom 21. Oktober 2010 (Großkopf vs. Germany)

Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung mit dem Recht auf Freiheit und Sicherheit (substantielle Verbindung zur Verurteilung; Defizite im Vollzug der Sicherungsverwahrung; Maßregeln der Besserung und Sicherung).

Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK; Art. 2 Abs. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 66 StGB; § 67d StGB; § 67e StGB

1. Art. 5 Abs. 1 EMRK enthält eine abschließende Aufzählung legitimer Gründe für Freiheitsentziehungen. Eine Einschränkung der Freiheit der Person, die nicht unter einen oder mehrere dieser Gründe zu subsumieren ist, verstößt gegen Art. 5 EMRK. Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK legitimiert nur Freiheitsentziehungen, die in einer substantiellen Verbindung mit der Verurteilung stehen.

2. Die Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht ist – einschließlich der Entscheidungen für ihre Fortsetzung infolge einer fortbestehenden Gefährdung – prinzipiell eine gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK gerechtfertigte Freiheitsentziehung.

3. Der EGMR hat Bedenken gegen den tatsächlichen Vollzug der Sicherungsverwahrung in Deutschland, weil sich dieser nicht durch spezielle Maßnahmen auszeichnet, die - über die Angebote für jeden Langzeitinhaftierten hinaus - das Risiko eines Rückfalls mindern und

die Haftdauer auf das zwingend Notwendige begrenzen sollen. Jedenfalls in einem Fall, in dem der Inhaftierte Therapien abgelehnt hat, ist daraus allein aber kein Verstoß gegen Art. 5 EMRK festzustellen.