HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2010
11. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Strafrechtliche Grenzen des Pharmamarketings

Zur Strafbarkeit der Annahme umsatzbezogener materieller Zuwendungen durch niedergelassene Vertragsärzte

Von Prof. Dr. Hendrik Schneider, Leipzig[*]

I. Einleitung

Der stetig steigende Kostendruck im Gesundheitswesen hat das in den Jahrzehnten der Vollfinanzierung eingeschlafene öffentliche Bewusstsein für eine der wichtigsten Säulen unseres Sozialstaats geweckt. Dieser Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung wird von einer verstärkten Medienberichterstattung über Vermögensstraftaten und "Korruption" im Gesundheitswesen [1] begleitet. Berichte über materielle Zuwendungen von Pharmaunternehmen an niedergelassene Vertragsärzte bilden hierbei einen Schwerpunkt. [2] In diesem milliardenschweren Markt haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten Marketingpraktiken etabliert, die der Hamburger Strafverteidiger Pragal [3] im Jahr 2005 ins Schlaglicht einer strafrechtlichen Betrachtung gerückt und hierfür in der Literatur teilweise Zustimmung, [4] teils heftige Kritik [5] erfahren hat. Die Prognose Pragals, es werde demnächst zu Anklagen und "einem mittleren Erdbeben in Teilen der Ärzteschaft, des Berufsstandes der Pharmareferenten und in den Vorstandsetagen der Pharmakonzerne" kommen, [6] hat sich deshalb nicht realisiert, weil die zuständigen Staatsanwaltschaften bislang der von ihm begründeten Rechtsauffassung, der Vertragsarzt sei Beauftragter der Krankenkasse und könne sich gemäß § 299 StGB strafbar machen, nicht gefolgt sind und die entsprechenden Verfahren mangels Tatverdacht gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt haben. [7]

Im vergangenen Februar ist die zwischen den divergierenden Standpunkten verfahrene Diskussion über die Reichweite des § 299 StGB allerdings erneut angefacht worden. In einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt-

schaft Braunschweig gegen einen Apotheker [8] wegen § 299 StGB hatte das Landgericht Braunschweig mit Beschluss vom 21.12.2009 [9] die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig hat das OLG Braunschweig durch Beschluss vom 23.02.2010 [10] - mangels hinreichenden Tatverdachts einer Unrechtsvereinbarung - zwar als unbegründet verworfen, in einem obiter dictum aber die Auffassung vertreten, der niedergelassene Vertragsarzt handele bei der Verordnung von Arzneimitteln als Beauftragter der Krankenkassen i.S.v. § 299 I StGB. [11]

Der Durchgriff auf § 299 StGB ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil materielle Zuwendungen (sog. "kick backs") der Pharma- und Medizinprodukteindustrie an Vertragsärzte nach der Position der Rechtsprechung bislang nur in Ausnahmefällen als Untreue oder Betrug strafbar waren, wenn den Kassen nachweislich ein Vermögensschaden entstanden war. Wird durch die materielle Zuwendung auf das Auswahlermessen des Vertragsarztes zwischen den seinen Patienten verordneten Medikamenten verschiedener Hersteller eingewirkt, fehlt es in der Regel an einem Vermögensschaden, weil Fertigarzneimittel einer Preisbindung unterliegen. Daher kann in den meisten praxiswichtigen Fallkonstellationen weder auf § 266 StGB, noch auf § 263 StGB zurückgegriffen werden. In diesen Fällen steht und fällt die Frage der strafrechtlichen Relevanz entsprechender Zuwendungen folglich mit der Anwendbarkeit des § 299 StGB, der als eine zum Schutz des Wettbewerbs dienende Bestimmung keinen Vermögensschaden voraussetzt. Im Einzelnen:

II. Der Standpunkt der Rechtsprechung

1. Untreue zum Nachteil der gesetzlichen Krankenkassen

a. Die Verordnung von Übermengen und der Bezug von Sprechstundenbedarf

Seit dem Beschluss des 4. Strafsenats des BGH vom 25.11.2003 [12] (Fall "Parenterale Ernährung") ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass aus dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot der §§ 12 Abs. 1, 70 Abs. 1, S. 2 SGB V [13] eine Pflicht des Vertragsarztes zur Betreuung des Vermögens der Krankenkassen folgt (Vermögensbetreuungspflicht). Diese Pflicht missbraucht der Vertragsarzt, wenn er als Vertreter der Krankenkasse im Rahmen seines rechtlichen Könnens im Außenverhältnis einem Patienten eindeutig nicht notwendige oder unzweckmäßige Leistungen verordnet (Untreue durch Missbrauch der Vertretungsmacht [14]).

Ein Vermögensschaden entsteht der Krankenkasse des Patienten jedenfalls dann, wenn der Arzt - wie in dem der Entscheidung des BGH vom 23.11.2003 zugrunde liegenden Sachverhalt - einem Patienten über einen längeren Zeitraum zunächst das Doppelte, später das Dreifache, der für seine Versorgung medizinisch indizierten Infusionslösungen zur parenteralen Ernährung verschreibt und der Patient die Übermengen auf nicht feststellbare Art anderweitig verwendet.

Ein Vermögensschaden ist ferner dann anzunehmen, wenn ein Vertragsarzt von einem Lieferanten für Arzneimittel umsatzbezogene Rückvergütungen erhält und diese dem der Kasse in Rechnung gestellten Preis des Medikamentes aufgeschlagen werden. Derartige Aufschläge sind denkbar, wenn es sich nicht um Fertigarzneimittel im Sinne von § 1 Abs. 1 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisVO) i.V.m. § 78 AMG, d.h. um "im voraus hergestellte und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebrachte" Arzneimittel, sondern zum Beispiel um so genannten "Sprechstundenbedarf" [15] handelt. Denn in diesem Fall unterliegen die Medikamente keiner Preisbindung, so dass das Pharmaunternehmen bzw. der Lieferant des Arzneimittels bei der Preisgestaltung die erforderliche Flexibilität hat, das an den Arzt ausgekehrte "kick-back" in den Preis des Medikaments einzurechnen. Entsprechend hat der 1. Strafsenat des BGH in der "Augenlinsenentscheidung" vom 27.04.2004 [16] unter Bezug auf die vom 4. Senat entwickelten Grundsätze Untreue in einem Fall angenommen, in dem die beteiligten Augenärzte bei ambulanten Operationen im Rahmen der Behandlung des grauen Stars um ihre umsatzbezogene Rückvergütung überteuerte Medikamente verwendet hatten. Ähnlich lag es in dem der Entscheidung des OLG Hamm [17] zugrunde liegenden Sachverhalt, bei dem ein für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Urologe von einem Lieferanten auf Kosten der Krankenkassen seiner Patienten

Röntgenkontrastmittel bezogen hatte und der Lieferant des Kontrastmittels es im Gegenzug übernahm, unentgeltlich den medizinischen Sondermüll der Praxis zu beseitigen. [18]

b. Die Verordnung von Fertigarzneimitteln

Aus diesen Grundsätzen kann in den Fällen einer durch materielle Zuwendungen erfolgenden Beeinflussung des Auswahlermessens des Vertragsarztes bei der medizinisch indizierten Verordnung eines Fertigarzneimittels mangels Vermögensschadens keine Strafbarkeit wegen Untreue abgeleitet werden. Die Preise für die in den Apotheken den Patienten abgegebenen Medikamente richten sich nach der auf der Grundlage des § 78 AMG erlassenen Arzneimittelpreisverordnung. In Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben, durch die für verschreibungspflichtige Arzneimittel einheitliche Herstellerabgabepreise (§ 78 Abs. 3 AMG) und einheitliche Apothekenabgabepreise (§ 78 Abs. 2 AMG) sichergestellt werden sollen, regelt die Arzneimittelpreisverordnung die Preisspannen der pharmazeutischen Großhändler und Apotheker beim Weiterverkauf verschreibungspflichtiger Medikamente. Das Preisberechnungsmodell nach dem AMG und der Arzneimittelpreisverordnung gilt entsprechend für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung, so dass kein Raum dafür besteht, eine Zuwendung an den Arzt in eine Preissteigerung einfließen zu lassen.

In den in der Praxis besonders häufig auftretenden Fällen, in denen Pharmaunternehmen die Verordnung der von ihnen hergestellten Fertigarzneimittel durch Zuwendungen fördern, fehlt es deshalb an einem der Krankenkasse entstehenden Vermögensschaden im Sinne des § 266 StGB. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu den bisher von der Rechtsprechung als Untreue bewerteten Sachverhalten. Auch ein Nachweis dahingehend, dass die von den Vertragsärzten verordneten Medikamente des zuwendenden Pharmaunternehmens teuerer sind, als vergleichbare Konkurrenzprodukte, wird sich nicht durchgängig führen lassen. Denn erstens ist die hier in Rede stehende "Marketing-Strategie" durch Zuwendungen an Vertragsärzte nicht auf die Förderung des Absatzes hochpreisiger Medikamente beschränkt. Sie erfasst vielmehr den gesamten Produktbereich und wird auch von Generika Herstellern praktiziert. [19] Das Ergebnis eines sehr aufwändigen Einzelabgleichs könnte also durchaus ergeben, dass die vom Vertragsarzt verordneten Medikamente des zuwendenden Pharmaunternehmens preislich gleichauf mit den Konkurrenzprodukten oder sogar darunter liegen. Selbst wenn sich im Einzelfall Preisunterschiede zwischen den vom Vertragsarzt verordneten Medikamenten (des zuwendenden Pharmaunternehmens) und Konkurrenzprodukten nachweisen lassen sollten, darf zweitens nicht außer Acht gelassen werden, dass dem Vertragsarzt bei seiner Verordnung ein erheblicher Wertungsspielraum zusteht. [20] Dieser Spielraum stellt das Gegenstück zu der alleinigen Verantwortung des Arztes für die medizinische Behandlung des Patienten dar [21] und wird auch durch die Empfangnahme von Zuwendungen nicht vollständig aufgehoben. Dies wird besonders deutlich wenn der Vertragsarzt wirtschaftlich gleichwertige Zuwendungsofferten unterschiedlicher Pharmaunternehmen erhält und sich für einen Anbieter entscheidet, dessen Produkte günstiger sind, als die des ebenfalls eine Zuwendung offerierenden Konkurrenzunternehmens.

2. Betrug zum Nachteil der gesetzlichen Krankenkassen

a. Die Verordnung von Übermengen und der Bezug von Sprechstundenbedarf

Bei der Verordnung von Übermengen liegt nach der Rechtsprechung aufgrund der Spezifika des vertragsärztlichen Abrechnungs- und Sozialversicherungssystems weder eine Täuschung des Apothekers, noch der Mitarbeiter der Krankenkasse durch den Vertragsarzt vor. [22] Das Rezept des Arztes hat lediglich die Bedeutung eines Angebotes der Krankenkasse auf Abschluss eines Kaufvertrages über das Medikament und enthält die diesbezüglichen Erklärungen. Dieses Angebot überbringt der Patient als Bote. [23] Hieran schließt sich keine Prüfpflicht des Apothekers im Hinblick auf die sachliche Richtigkeit der Verordnung oder die medizinische Indikation an. [24] Deshalb werden seitens des Arztes auch nicht entsprechende Tatsachen gegenüber dem Apotheker "miterklärt" [25]. Eine Täuschung der Mitarbeiter der Krankenkassen scheidet auch deshalb aus, weil der Arzt als Vertreter der Kasse für diese eine Willenserklärung abgibt und sie somit nicht gleichzeitig auch als Erklärungsadressat in Betracht kommt.

Soweit nicht der Preisbindung unterliegender Sprechstundenbedarf bezogen wird, kann nach Auffassung des OLG Hamm (ggf. tateinheitlich mit Untreue) aber ein

Betrug zum Nachteil der Krankenkasse des Patienten durch Unterlassen vorliegen. Anknüpfungspunkt für den Betrugsvorwurf ist für das OLG der Umstand, dass der Vertragsarzt der Krankenkasse die Zuwendung des Arzneimittelherstellers verschweigt und ihr den erhaltenen Betrag bzw. den Gegenwert der Zuwendung in Geld nicht auskehrt. Die für die Strafbarkeit gemäß §§ 263,   13   StGB erforderliche Garantenstellung des Vertragsarztes gegenüber der Krankenkasse folge aus dem in § 12 Abs. 1 SGB V normierten Wirtschaftlichkeitsgebot und dem in § 34 Abs. 1 der Musterberufsordnung der deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ärzte) [26] enthaltenen Verbot der Annahme von Vergütungen oder anderer Vorteile im Zusammenhang mit der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten. [27] Ferner bejaht das OLG Hamm die Voraussetzungen der Garantenstellung aus Ingerenz: Der Vertragsarzt verstoße durch die Annahme wirtschaftlicher Vergünstigungen sowohl gegen die auch dem Schutz der Krankenkassen dienenden [28] Bestimmungen des SGB V als auch die MBO-Ärzte und handele deshalb pflichtwidrig.

Der auch für die Strafbarkeit gemäß § 263 StGB erforderliche Vermögensschaden der Kasse kann selbst dann bejaht werden, wenn die kick-back Zahlung nicht dem Preis des Medikaments aufgeschlagen wurde. Denn bei Sprechstundenbedarf gilt gemäß der jeweils anwendbaren Sprechstundenbedarfsvereinbarung das Kostenerstattungsprinzip, auf dessen Grundlage dem Arzt nur die tatsächlich entstandenen Kosten, d.h. die verauslagten Beträge abzüglich etwaiger Rabatte erstattet werden. Verschweigt der Arzt der Krankenkasse in anderweitigen Zuwendungen des Medizinprodukteherstellers verdeckte Rabatte (kostenlose Lieferung einer EDV-Anlage, medizinischer Geräte, Praxisausstattung, unentgeltliche Entsorgung von Praxis-Sondermüll, Schenkung von Unterhaltungselektronik usw.), werden ihm seitens der Kasse irrtumsbedingt zu hohe Kosten erstattet. Dies begründet einen entsprechenden Vermögensschaden.

b. Die Verordnung von Fertigarzneimitteln

Da die Verordnung von Fertigarzneimitteln, wie dargelegt, nicht dem Kostenerstattungsprinzip unterliegt, lässt sich die o.g. Argumentation zum Betrug durch Unterlassen nicht auf den Fall der Beeinflussung des Auswahlermessenes des Arztes im Rahmen der Verordnung dieser Medikamente übertragen, weil es wiederum an einem Vermögensschaden fehlt. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Entgegennahme von Schmiergeldern oder schmiergeldähnlichen Leistungen gemäß § 667 BGB die Verpflichtung besteht, das Erlangte an den Geschäftsherrn herauszugeben. [29] Im Verhältnis zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse ist diese Vorschrift aber weder direkt noch analog anwendbar. Der Vertragsarzt steht in keiner unmittelbaren Rechtsbeziehung zu den gesetzlichen Krankenkassen, sondern wird erst durch die sozialrechtliche Zulassung gemäß § 95 SGB V in die zwischen den Bundes- und Landesverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und den Kassenärztlichen Bundes- und Landesvereinigungen geschlossenen Kollektivverträge (Bundesmantel- und Gesamtverträge) einbezogen. Für die Begründung einer "Ablieferungspflicht" des Vertragsarztes bedarf es mithin einer speziellen vertraglichen oder gesetzlichen Rechtsgrundlage, wie sie beispielsweise in § 44 Abs. 5 Satz 4 des Bundesmantelvertrags- Ärzte (BMV-Ä) für bestimmte Produkte normiert ist. Eine derartige spezialgesetzliche Grundlage für die Ablieferung von Zuwendungen, die der Vertragsarzt im Zusammenhang mit der Verordnung von preisgebundenen Fertigarzneimitteln erhält, existiert nicht und ist auch nicht mit der Neufassung des § 128 SGB V eingeführt worden.

Sollte die Rechtsprechung auf der Grundlage der im obiter dictum des OLG Braunschweig dargelegten Grundsätze zukünftig auf die für Beauftragte geltende Regelung des § 667 BGB auch bei der Verordnung von Fertigarzneimitteln zurückgreifen, dürfte dies die Praxis vor erhebliche Beweisschwierigkeiten stellen. Während sich der Nachweis, dass ein Arzt von einem Pharmaunternehmen materielle Zuwendungen erhalten hat, pauschal wird führen lassen, wird die Zuordnung zu einer konkreten Medikamentenverordnung regelmäßig nicht möglich sein. Der Versuch, diese Beweisschwierigkeit zu überwinden, indem der wirtschaftliche Wert der Zuwendung anteilig auf den Gesamtumsatz des Vertragsarztes mit Medikamenten des zuwendenden Pharmaunternehmens umgelegt wird, dürfte bereits daran scheitern, dass sich nicht mit hinreichender Sicherheit der Nachweis führen lässt, dass für sämtliche Medikamente eines Pharmaunternehmens Zuwendungen gewährt worden sind. Ein umsatzstarkes oder Monopolprodukt benötigt regelmäßig keine umsatzfördernden Maßnahmen. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch insoweit Zuwendungen gewährt werden, die dann der allgemeinen Klimapflege dienen, ein wichtiger Teilaspekt des Pharmamarketings, der von den Vermögensstraftatbeständen des Strafgesetzbuches nicht erfasst wird. Hinzu kommen Fälle, in denen aufgrund einer medizinischen Indikation das Medikament eines bestimmten Herstellers verordnet werden musste oder die Verordnung auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten hin erfolgt ist.

3. Betrug zum Nachteil der Kassenärztlichen Vereinigung

Auch ein Betrug durch Unterlassen zum Nachteil der Kassenärztlichen Vereinigung scheidet mangels Ablieferungspflicht des Vertragsarztes zu Gunsten der Kassenärztlichen Vereinigung aus. Die Kassenärztliche Vereinigung ist an der Abrechnung verschreibungspflichtiger Fertigarzneimittel nicht beteiligt. Die Abrechnung erfolgt vielmehr, meist unter Einschaltung eines Abrechnungszentrums, mit den Krankenkassen als Kostenträgern. Sind die medizinische Versorgung und die in ihrem Kontext erfolgte Arzneimittelverordnung medizinisch indiziert, bleibt der Vergütungsanspruch des Arztes gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung auch dann bestehen, wenn das Auswahlermessen des Vertragsarztes bei der Verordnung von Fertigarzneimitteln durch materielle Zuwendungen beeinträchtigt worden ist. Dies folgt daraus, dass die ärztliche Leistung der Verordnung eines Arzneimittels sowohl in den Ordinationskomplexen des in der Zeit vom 01.04.2005 bis zum 31.12.2007 gültigen EBM [30] 2000 plus, als auch der Versichertenpauschale des ab dem 01.01.2008 gültigen EBM 2008 enthalten ist, ihr mithin gegenüber der ärztlichen Leistung keine eigenständige Bedeutung zukommt.

4. Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr

Zu § 299 StGB fehlte bislang eine einschlägige Entscheidung der Gerichte. Das OLG Braunschweig hat nunmehr in einem gegen einen Apotheker gerichteten Verfahren die Gelegenheit genutzt, sich der von Pragal begründeten Rechtsauffassung im Rahmen eines obiter dictums anzuschließen. Für das OLG Braunschweig folgt die Beauftragteneigenschaft unmittelbar aus der Vermögensbetreuungspflicht des Vertragsarztes gegenüber den Krankenkassen: "Hat jemand die Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen und macht sich im Falle dieser besonderen Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 strafbar, so handelt er auch als Beauftragter zumindest im Rahmen dieses Aufgabenfeldes".

Diese Rechtsprechung des Oberlandesgerichts ist zwar weder für Staatsanwaltschaften, noch für andere Gerichte bindend. Es ist aber zu erwarten, dass sie den Befürwortern der zuvor nur von Teilen des Schrifttums vertretenen Meinung [31] bis zu einer abschließenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs und damit zumindest vorläufig zum Durchbruch verhilft. [32] Dass OLG Braunschweig hat insoweit für die Praxis eine "Steilvorlage" geliefert, die andere Gerichte zum Anlass nehmen könnten, entsprechende Anklagen zuzulassen und Verfahren zu eröffnen. Soweit im Einzelfall eine konkrete Unrechtsvereinbarung zwischen dem zuwendenden Pharmaunternehmen nachweisbar ist, können daher unter Bezug auf den Beschluss des OLG Braunschweigs prinzipiell alle Zuwendungen von Pharmaunternehmen an Vertragsärzte oberhalb der Bagatellgrenze zum Anlass für die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens genommen werden. Auf die Unterscheidung, ob die Zuwendung für den Bezug von Sprechstundenbedarf oder die Bevorzugung eines bestimmten Unternehmens bei der Verordnung preisgebundener Fertigarzneimittel erfolgt, kommt es bei § 299 StGB nicht an, weil § 299 StGB im Unterschied zu §§ 263, 266 StGB den Eintritt eines Vermögensschadens nicht voraussetzt. Machen sich Staatsanwaltschaften und Gerichte die Position des OLG Braunschweig zu Eigen, ist deshalb eine Kriminalisierungswelle etablierter Praktiken des Pharmamarketing zu erwarten, die auch vor den in der Praxis zahlreichen, auf gegenseitigen Verträgen beruhenden Anwendungsbeobachtungen nicht Halt machen wird. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die insoweit mit einer Vorverlagerung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit arbeitet, können bereits die an den Arzt gerichteten Angebote, durch eine entsprechende Tätigkeit einen Zusatzverdienst zu erzielen, Vorteile im Sinne der §§ 299, 331ff. StGB darstellen. [33]

III. Stellungnahme

Trotz zahlreicher kritischer Stimmen im strafrechtlichen Schrifttum [34] ist es im Ergebnis zutreffend, in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung von einer Vermögensbetreuungspflicht des Vertragsarztes gem. § 266 StGB gegenüber den Krankenkassen ausgehen. Dem Vertragsarzt ist innerhalb der sozialgesetzlichen Vorgaben die Kompetenz zugewiesen, das gegenüber der Krankenkasse bestehende Recht des Patienten auf Behandlung (§ 27 SGB V) in medizinischer Hinsicht verbindlich zu konkretisieren, soweit er sich dabei materiell und formell im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bewegt. [35] Selbst wenn der einzelne Vertragsarzt insoweit nicht als Alleinverantwortlicher angesehen

werden kann, [36] verbleibt ihm eine hervorgehobene Pflichtenstellung mit einem selbstverantwortlichen Entscheidungsbereich gegenüber dem Vermögen der Krankenkassen. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet den Vertragsarzt deshalb zu Recht als "Sachwalter der Kassenfinanzen" mit überantworteter Befugnis und Verpflichtung zu wirtschaftlicher Verwaltung der Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung. [37] Diese Einstufung des Vertragsarztes trägt der wirtschaftlichen Bedeutung, die der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln im Gesamtgefüge der medizinischen Versorgung der gesetzlich Versicherten zukommt, Rechnung. Sie begründet eine Vermögensbetreuungspflicht des Vertragsarztes gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen, die den Anwendungsbereich des § 266 StGB eröffnet und in den Fällen zur Strafbarkeit führt, in denen nachweislich ein Vermögensschaden eingetreten ist. Zugleich wird man aus dieser Stellung des Vertragsarztes auf eine entsprechende Beschützergarantenstellung [38] gegenüber dem Rechtsgut Vermögen der Krankenkassen schließen können. Die gemäß § 13 StGB erforderliche rechtliche Einstandspflicht ergibt sich aus der Systematik der gesetzlichen Krankenversicherung, die dem Vertragsarzt somit Kraft Gesetzes eine entsprechende Funktion zuweist.

Entgegen der Auffassung des OLG Braunschweig kann aus der Vermögensbetreuungspflicht aber nicht auf eine Stellung als Beauftragter im Sinne des § 299 StGB geschlossen werden. Beide Begriffe sind inhaltlich nicht deckungsgleich und auch mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsgüter, deren Schutz die Straftatbestände verpflichtet sind, [39] von einander unabhängig auszulegen. Beauftragter im Sinne des § 299 StGB ist jeder, der, ohne Angestellter oder Inhaber des Betriebes zu sein, vermöge seiner Stellung im Betrieb berechtigt und verpflichtet ist, für ihn geschäftlich zu handeln und Einfluss auf die im Rahmen des Betriebes zu treffenden Entscheidungen besitzt. [40] Dies setzt eine Befugniserteilung voraus, die dem Beauftragten durch ein Rechtsgeschäft mit dem Geschäftsherrn ("geschäftlicher Betrieb") übertragen worden sein muss (sog. "personales Befugniselement" [41]). Ein rein faktisches Tätigwerden für den Betrieb reicht für die Begründung der Beauftragteneigenschaft schon deshalb nicht aus, [42] weil der allgemeine Sprachgebrauch die Begriffe "Auftrag" bzw. "Beauftragter" stets auf bestimmte Tätigkeiten innerhalb von Vertragsverhältnissen, mithin durch Rechtsgeschäft begründeten Rechtsbeziehungen (zum Beispiel im Rahmen von Dienst-, Werk-, Makler-, oder Geschäftsbesorgungsverträgen), bezieht. [43] An einer derartigen Befugniserteilung fehlt es im Verhältnis des Vertragsarztes zu den gesetzlichen Krankenkassen. [44] Denn erstens bestehen aufgrund der sozialrechtlichen Ausgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung überhaupt keine rechtsgeschäftlich begründeten unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsarzt [45] und zweitens entscheidet über die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung der gemäß § 96 Abs. 1 SGB V paritätisch mit Vertretern der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen besetzte Zulassungsausschuss, der die vertragsärztliche Zulassung durch Verwaltungsakt [46] und gerade nicht durch Rechtsgeschäft erteilt.

Durch die hiernach anfechtbare Konstruktion einer Beauftragteneigenschaft des Vertragsarztes im Verhältnis zu den gesetzlichen Krankenkassen im obiter dictum des OLG Braunschweig wird verschleiert, dass sich die denkbare unlautere Beeinflussung des Verordnungsverhaltens eines Vertragsarztes auf seinen Behandlungsvertrag mit dem Patienten bezieht. [47] Die Begründung des Behandlungsvertrages erfolgt durch Rechtsgeschäft [48] und stellt deshalb eine Beauftragung im Sinne des § 299 StGB dar. Diese ist aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 299 StGB aber deshalb de lege lata nicht tatbestandsmäßig, weil die Beauftragung durch einen geschäftlichen Betrieb und nicht durch eine Privatperson erfolgt ist. Aus diesen Erwägungen ist die Anwendbarkeit des § 299 StGB vor-

liegend ausgeschlossen, ohne dass es auf weitere, ebenfalls umstrittene Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm ankommt. [49]

IV. Fazit

Materielle Zuwendungen von Pharmaunternehmen an Vertragsärzte, die zur Beeinflussung des Verordnungsverhaltens bei verschreibungspflichtigen Fertigarzneimitteln gewährt werden, eröffnen keine Strafbarkeit wegen Untreue oder Betruges, da aufgrund der gesetzlichen Preisbindung von Fertigarzneimitteln den Krankenkassen kein Vermögensnachteil/Vermögensschaden im Sinne der §§ 266, 263 StGB entsteht. Auch eine Strafbarkeit wegen Betruges durch Unterlassen, gestützt auf die Nichtherausgabe der materiellen Zuwendungen an die Krankenkassen, kommt - mangels Rechtsgrundlage für eine "Ablieferungspflicht" des Vertragsarztes - nicht in Betracht. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Vertragsarzt auch nicht Beauftragter des geschäftlichen Betriebs der Krankenkassen, so dass eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ebenfalls nicht eröffnet ist. Das gefundene Ergebnis führt nicht zu einer inakzeptablen Strafbarkeitslücke, sondern unterstreicht die ultima ratio Funktion des Strafrechts, indem es die zweifelsfrei unzulässige Beeinflussung der Verordnungspraxis des Arztes durch die Pharmaunternehmen im Bereich des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) und des UWG belässt, in deren Anwendungsbereich sowohl produktbezogene, als auch nicht produktbezogene Zuwendungen an Ärzte als Wettbewerbsverstöße erfasst werden. [50]

Ob wettbewerbsrechtliche Regelungen und die von der Pharmabranche unterzeichneten Selbstverpflichtungserklärungen [51] ausreichen, um die sozialschädlichen Auswirkungen eines unkontrollierten Pharma-Marketings wirksam zu unterbinden, kann sicher kontrovers diskutiert werden. Nach der hier gefundenen Lösung ist das Strafrecht - zumindest de lege lata - nicht dazu berufen, an dieser Fragestellung mitzuwirken. Sollten sich die "Selbstheilungsversuche" der Pharmaindustrie [52] als Etikettenschwindel erweisen, wäre über eine Einbeziehung des Pharma-Marketing in den Anwendungsbereich des Strafrechts de lege ferenda zu befinden. Diese Aufgabe käme - mit Blick auf das durch Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierte Bestimmtheitsgebot und die hiermit verknüpfte Garantiefunktion des Tatbestands - dem Gesetzgeber zu; beispielsweise durch Einbeziehung von Fällen gesetzlicher Befugniseinräumung in den Anwendungsbereich des § 299 StGB.


[*] Prof. Dr. Hendrik Schneider ist ordentlicher Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Jugendstrafrecht und lehrt an der Universität Leipzig.

[1] Ein Überblick über die Berichterstattung der letzten Jahre findet sich bei Klötzer, Ist der niedergelassene Vertragsarzt tatsächlich tauglicher Täter der §§ 299, 331 StGB? NStZ 2008, 12; zu den Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität im Gesundheitswesen, vgl.: Nestler, Phänomenologie der Wirtschaftskriminalität im Gesundheitswesen, JZ 2009, 984.

[2] Vgl. Der Spiegel, 38/2009, "Legale Korruption"; FAZ vom 21.07.2009, "Geschenke auf Rezept"; Süddeutsche Zeitung vom 14.09.2009, "Kampf gegen korrupte Ärzte"; Handelsblatt vom 14.12.2009 (abrufbar unter http:// www.handelsblatt.com /), "Ratiopharm-Ermittlungen wegen Korruption auch in Thüringen"; Spiegel-Online vom 26.06.2009 (abrufbar unter http:// www.spiegel.de /), "Erste Strafbefehle: Ärzte sollen 19.000 Euro von Ratiopharm kassiert haben".

[3] Pragal, Das Pharma-"Marketing" um die niedergelassenen Kassenärzte: "Beauftragtenbestechung" gemäß § 299 StGB! NStZ 2005, 133; ders., Die Korruption innerhalb des privaten Sektors und ihre strafrechtliche Kontrolle durch § 299 StGB, 2006, 165 ff.; ders./Apfel, Bestechlichkeit und Bestechung von Leistungserbringern im Gesundheitswesen, A&R 2007, 10.

[4] Böse/Mölders, Die Durchführung sog. Anwendungsbeobachtungen durch den Kassenarzt als Korruption im Geschäftsverkehr (§ 299 StGB)? MedR 2008, 585; Schmitz-Elvenich, Bestechlichkeit und Bestechung von niedergelassenen Ärzten, Die Krankenversicherung 2007, 240; StGB-Fischer (57. A.) 2010, § 299 Rn. 10a; NK-Gesamtes Strafrecht-Bannenberg (1. A.) 2008, § 299 Rn. 9, § 331 Rn. 12; NK-Dannecker (3. A.) 2010, § 299 Rn. 23c; LK-Tiedemann (12. A.) 2008, § 299 Rn. 18, 32; Krick, Die Strafbarkeit von Korruptionsdelikten bei niedergelassenen Vertragsärzten, 4. Fachtagung "Betrug im Gesundheitswesen" am 17. und 18.02.2010 in Hannover, KKH-Allianz (unveröffentlichtes Vortragsmanuskript).

[5] Geis, Tatbestandsüberdehnungen im Arztstrafrecht am Beispiel der "Beauftragtenbestechung" des Kassenarztes nach § 299 StGB, wistra 2005, 369 ff.; ders., Das sozialrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot - kriminalstrafbewehrtes Treuegesetz des Kassenarztes? GesR 2006, 345 ff.; ders., Ist jeder Kassenarzt ein Amtsarzt? - Zu Vorschlägen neuer Strafbarkeiten nach § 299 und den §§ 331 ff. StGB, wistra 2007, 361 ff.; Sahan, Ist der Vertragsarzt tauglicher Täter der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 Abs. 1 StGB, ZIS 2007, 69   ff.; Klötzer (Fn. 1) NStZ 2008 ff., 12; Krafczyk, Kick-Backs an Ärzte im Strafraum - Berufs- und strafrechtliche Aspekte der Zuweisung gegen Entgelt, in: FS-Mehle, 2009, 325 ff.

[6] Pragal (Fn. 3) NStZ 2005, 133, 136.

[7] Dies gilt auch für das bei der Staatsanwaltschaft Ulm anhängige Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des Pharmaunternehmens ratiopharm. Die Staatsanwaltschaft Ulm hatte das Ermittlungsverfahren durch Verfügung vom 19.12.2005 zunächst vollumfänglich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Einstellungsverfügung wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart mit Verfügung vom 13.04.2006 aufgehoben, jedoch nur hinsichtlich möglicher Vergehen der Untreue und des Betruges, nicht hinsichtlich des Vorwurfs einer Strafbarkeit gemäß § 299 StGB.

[8] Zum Sachverhalt, vgl. Ärzte Zeitung vom 12.04.2010, Beneker, "Apotheker besticht Arzt? Mietkosten im Visier" (abrufbar unter http://www.aerztezeitung.de/).

[9] Az.: 6 KLs 49/09.

[10] Az.: Ws 17/10.

[11] Vgl. hierzu die Anmerkung von Schneider StV 2010, im Druck.

[12] BGH, Beschluss vom 25.11.2003 - 4 StR 239/03, BGHSt 49, 17 ff. = NJW 2004, 454 ff. = StV 2004, 422 ff. = HRRS 2004 Nr. 43.

[13] § 12 Abs. 1 SGB V: " Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen" sowie § 70 Abs. 1 S. 2 SGB V: "Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden".

[14] Zur Abgrenzung von Missbrauchs- und Treuebruchtatbestand, vgl. Bernsmann, Kick-back zu wettbewerbswidrigen Zwecken - keine Untreue, StV 2005, 576, 577.

[15] Hierbei handelt es sich um Produkte, die bei mehr als einem Versicherten oder bei Notfällen bzw. im Zusammenhang mit einem medizinischen Eingriff Anwendung finden und die in die regional unterschiedlichen "Sprechstundenbedarfsvereinbarungen" aufgenommen sind, vgl. zum Beispiel die "Vereinbarung über die vertragsärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf" zwischen der KV Hessen und bestimmten Krankenkassen vom 07. November 1994.

[16] BGH, Beschluß vom 27.04.2004 - 1 StR 165/03, NStZ 2004, 568 ff. = wistra 2004, 422 ff. = HRRS 2004 Nr. 821.

[17] OLG-Hamm, Urteil vom 22.12.2004 - 3 Ss 431/04, NStZ-RR 2006, 13 ff. mit Anmerkungen von Steinhilper, MedR 2005, 236 und Bernsmann/Schoß, Vertragsarzt und "Kick-back", GesR 2005, 193.

[18] In diesen Konstellationen kann der Zuwendungsgeber als Mittäter oder zumindest wegen Beihilfe zur Untreue des Arztes zum Nachteil der Krankenkassen bestraft werden.

[19] Korzilius/Rieser , Pharmaberater: Für manche Fachmann, für andere Buhmann, Deutsches Ärzteblatt   2007, 104 (4) abrufbar unter http://www.aerzteblatt.de/archiv/54218/.

[20] Näher zum Spannungsverhältnis von ärztlicher Therapiefreiheit und Wirtschaftlichkeitsgebot: Boecken, Der Status des Vertragsarztes: Freiberufler oder arbeitnehmerähnlicher Partner im System der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Staat, Kirche, Verwaltung, FS-Maurer, 2001, 1091, 1098 ff.

[21] Taschke, Die Strafbarkeit des Vertragsarztes bei der Verordnung von Rezepten, StV 2005, 406, 408.

[22] Grundlegend: BGH (Fn.   12) BGHSt 49, 17 ff. = NJW 2004, 454 ff. = StV 2004, 422 ff. = HRRS 2004 Nr. 43.

[23] BSG, Urteil vom 17.01.1996 - 3 RK 26/94, BSGE 77, 194, 200 = MDR 1996, 830-831; vgl. auch Wigge, Arzneimittelversorgung durch niedergelassene Apotheker in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 1999, 584.

[24] Wigge , (Fn.  23) NZS 1999, 584, 587 f.: "Die Krankenkasse wird nach den gemäß § 129 SGB V abgeschlossenen Arzneimittellieferverträgen sogar verpflichtet, gefälschte, unbefugt oder mißbräuchlich ausgestellte Verordnungen zu bezahlen, sofern der Apotheker einen derartigen Mangel nicht erkennen konnte." Eine Bindung der Krankenkasse ist jedoch dann nicht gegeben, "wenn der Apotheker begründeten Zweifeln nicht nachgegangen ist".

[25] Vgl. zu dem Begriff "miterklärt": BGH, Urteil vom 15.12.1970 - 1 StR 573/70, GA 1972, 209.

[26] § 34 Abs.1 MBO-Ärzte : "Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, für die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten eine Vergütung oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen.".

[27] Hierzu kritisch Bernsmann/Schoß (Fn.  17) GesR 2005, 193, 195: Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs.1 SGB V lasse sich weder eine Aufklärungspflicht, noch eine Herausgabepflicht des Vertragsarztes im Hinblick auf die erhaltenen Schmiergelder gegenüber der Krankenkasse herleiten.

[28] OLG-Hamm (Fn.  17 ) NStZ-RR 2006, 13, 14.

[29] BGH, Urteil vom 30.10.1985 - 2 StR 383/85, NStZ 1986, 361, 362; Urteil vom 30.10.1990 - 1 StR 544/90, wistra 1991, 137, 138; Urteil vom 13.10.1994 - 1 StR 614/93, wistra 1995, 61, 62; Beschluss vom 13.12.1994, wistra 1995, 144, 146; Beschluss vom 21.10.1997 - 1 StR 605/97, wistra 1998, 61; Urteil vom 30.05.2000 - IX ZR 121/99, NJW 2000, 2669, 2672; Urteil vom 02.04.2001 - II ZR 217/99, NJW 2001, 2476, 2477.

[30] Unter Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) versteht man im deutschen Gesundheitswesen ein Verzeichnis, nach dem vertragsärztlich erbrachte, ambulante Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden.

[31] Vgl. die in Fn. 3 und 4 genannten Autoren.

[32] Vgl. hierzu Berichterstattung in Ärzte Zeitung vom 12.04.2010 (Fn.   8) Der Beschluss sei "ein Erdbeben".

[33] BGH, Urteil vom 25.02.2003 - 5 StR 363/02, NStZ-RR 2003, 171 = wistra 2003, 303; vgl. ferner OLG Hamburg, Beschluss vom 14.01.2000 - 2 Ws 243/99, MedR 2000, 371 = StV 2001, 373; im Anschluss an BGH, Urteil vom 10.03.1983 - 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264, 279 f.; zustimmend NK-Kuhlen, (3. A.) 2010, § 331 Rn. 55 ff; Walter, Medizinische Forschung mit Drittmitteln - lebenswichtig oder kriminell, ZRP 1999, 292, 293; Schönke/Schröder-Heine, (27. A.) 2006, § 331 Rn. 18; Lackner/Kühl - ders., (26. A.) 2007, § 331 Rn. 4; MK-Korte, (1. A.) 2006, § 331 Rn. 72 ff.; Möhrenschlager, in: Dölling (Hrsg.): Handbuch der Korruptionsprävention, 2007, 398; kritisch: Schneider, Unberechenbares Strafrecht - vermeidbare Bestimmtheitsdefizite im Tatbestand der Vorteilsannahme und ihre Auswirkungen auf die Praxis des Gesundheitswesens; in: ders. u.a. (Hrsg.): FS-Seebode, 2008, 331 ff.

[34] Tron, Kassenärzte als Beauftragte der Krankenkassen im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB, 2007, 169 f.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl., 2008, 577 f.; ders., Der Vertragsarzt als Sachwalter der Vermögensinteressen der gesetzlichen Krankenkassen? MedR 2005, 622, 625 ff.; Geis (Fn. 5) GesR 2006, 345; Weidhaas, Der Kassenarzt zwischen Betrug und Untreue, ZMGR 2005, 52 ff.

[35] BSG, Urteil vom 16.12.1993 - 4 RK 5/92, BSGE 73, 271, 280 f. = NZS 1994, 507.

[36] Abstrakt generelle Maßstäbe der ärztlichen Behandlung werden zunächst durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 91 SGB V) festgelegt, § 92 SGB V.

[37] BVerfG, Beschluss vom 20.03.2001 - 1 BvR 491/96, NJW 2001, 1779, 1782.

[38] Zur Funktionenlehre als normativem Ausgangspunkt der Garantendogmatik, vgl. grundlegend: Ebert, Strafrecht AT (3. A.) 2001, S. 179; Lackner/Kühl (Fn.   33) § 13 Rn. 14 m.w.N.

[39] § 266 StGB schützt das Vermögen, während § 299 StGB den lauteren Wettbewerb als wirtschaftsverfassungsrechtliches Grundprinzip schützt.

[40] Vgl. RG, Urteil vom 29.01.1934 - 2 D 1293/33, RGSt 68, 70; Urteil vom 07.06.1934 -2 D 405/34, RGSt 68, 268; BGH, Urteil vom 13.05.1952 -1 StR 670/51, BGHSt 2, 396.

[41] Zustimmend: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht (6. A.) 2008, Rn. 493; Geis (Fn.   5) wistra 2005, 369, 370; ders. (Fn.  5 ) wistra 2007, 361, 362; Klötzer (Fn. 5) NStZ 2008, 12; Krafczyk (Fn.  5) FS-Mehle 2009, 325.

[42] A.A.: LK-Tiedemann (Fn.  4 ) § 299 Rn. 17 f.; Fischer (Fn.  4) § 299 Rn. 10; Krick (Fn.  4) 4. Fachtagung "Betrug im Gesundheitswesen" am 17. und 18.02.2010 in Hannover, KKH-Allianz.

[43] Palandt-Sprau, (65. A.) 2006, Einf. § 662 BGB Rn. 2.

[44] A.A.: Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig vom 25.01.2010 (Az.: 101 Ws 24/10) S.   3 "Aus dem Wortlaut[des § 299 StGB]folge, dass sämtliche Formen der dem Gesetz bekannten Beauftragungen das Tatbestandsmerkmal Beauftragter erfüllen.[...]Insbesondere ergeben sich solche Anhaltspunkte [der einschränkenden Auslegung des § 299 StGB]nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Geschütztes Rechtsgut sei in erster Linie der freie Wettbewerb. Für den Schutz des freien Wettbewerbs sei es ohne Bedeutung, ob der Krankenkasse das Verhalten des Arztes über rechtsgeschäftliche Beziehungen zugerechnet werden kann oder nicht.[...]".

[45] Klötzer (Fn.  1 ) NStZ 2008, 12, 14; Geis (Fn.  5 ) wistra 2007, 361, 362.

[46] KassKomm-Hess, (63. A.) 2009, § 95 SGB V Rn. 12.

[47] Vgl. zur Betonung der zentralen Stellung des Arzt-Patienten Verhältnisses: Erlinger, Der Vertragsarzt als Amtsträger? in: Wienke/Diercks (Hrsg.), Zwischen Hippokrates und Staatsmedizin - Der Arzt am Beginn des 21. Jahrhunderts (2008), 49 ff., 55.

[48] Nach a.A. ist das Arzt-Patienten Verhältnis öffentlich-rechtlicher Natur: BSG, Urteil vom 19.10.1971, BSGE 33, 158 ff.; Urteil vom 19.11.1985 - 6 RKa 14/83, NJW 1986, 1574 ff.; Urteil vom 08.07.1981 - 6 RKa 3/79, Quelle: juris, Rn. 20; Tiemann, Aktuelle Entwicklungstendenzen des Kassenarztrechts vor dem Hintergrund des hundertjährigen Bestehens der gesetzlichen Krankenversicherung, MedR 1983, 176; Wilk, Die Rechtsbeziehungen im Vertragsarztwesen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsstellung des Belegarztes (2005) 60 ff.; differenzierend: Palandt-Weidenkaff (68. A.) 2009, Einf. § 611 BGB Rn. 18.

[49] Unstreitig ist lediglich, dass es sich bei gesetzlichen Krankenkassen um geschäftliche Betriebe im Sinne von §   299 StGB handelt und der Vertragsarzt kein Angestellter der Krankenkassen ist (vgl. nur Sahan[Fn.  5]ZIS   2007, 69, 70 f. m.w.N.).

[50] Vgl. LG München, Urteil vom 12.01.2008 - 1 HKO 13279/07, MedR 2008, 563.

[51] Vgl. FSA Kodex Fachkreisangehörige, abrufbar unter http:// www.fs-arzneimittelindustrie.de / unter der Rubrik "Verhaltenskodex/Fachkreise"; AKG-Verhaltenskodex abrufbar unter http:// www.akgesundheitswesen.de / unter der Rubrik "Verhaltenskodex".

[52] Als aktuelles Beispiel sei die Einführung eines "Compliance-Siegels" durch eine Initiative des AKG e.V. zum 15.03.2010 genannt, welches wettbewerbsgerechtes und kodexkonformes Verhalten von Pharmaunternehmen auszeichnet, vgl. hierzu Klümper/Walther, Auditierung und Zertifizierung von Pharmaunternehmen im Bereich Healthcare Compliance. Konzept und Chance eines innovativen Compliance-Ansatzes, PharmR 2010, 145.