HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2010
11. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

258. BGH 2 StR 509/09 – Urteil vom 24. Februar 2010 (LG Mainz)

Anordnung der Sicherungsverwahrung (Hang; Gelegenheitstaten; Spontantaten; Mitgliedschaft bei den Hells Angels; Verhältnismäßigkeit; symptomatischer Zusammenhang).

§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 62 StGB

1. Für die Annahme eines Hanges ist ein „dauerhafter Entschluss“, Straftaten zu begehen, nicht erforderlich. Vielmehr kann eine entsprechende, in der Persönlichkeit liegende Neigung (vgl. BGH NStZ 2003, 201; 2005, 265 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8) auch bei sog. Gelegenheits- und Augenblickstaten zu bejahen sein. Dies ist der Fall, wenn sie ihre Ursache darin haben, dass der

Täter dazu neigt, mit einer neuen strafbaren Handlung auf einen äußeren Tatanstoß zu reagieren (BGH NStZ 1994, 280). Selbst der Umstand, dass ein Täter seine kriminellen Handlungen völlig ungeplant begeht und sich ihm bietende Gelegenheiten spontan ausnutzt, ohne Vorbereitungen für seine Taten zu treffen, schließt einen Hang nicht aus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 337).

2. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist von der Prüfung des Hanges im Rahmen des § 66 StGB zu trennen.

3. Für einen symptomatischen Zusammenhang zwischen der abgeurteilten Tat und den die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung ist es nicht stets erforderlich, dass die „Symptomtaten“ gleichartig sind oder das gleiche Rechtsgut verletzen. Selbst bei Straftaten, die ganz verschiedener Art sind, ist ihr Indizwert für einen schwerkriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit nicht ausgeschlossen; dieser bedarf lediglich besonders sorgfältiger Prüfung nach Anlass und Umständen der Tatbegehung sowie der Täterpersönlichkeit (BGH NJW 1999, 3723, 3725; BGHR § 66 Abs. 1 Hang 10).


Entscheidung

293. BGH 3 StR 502/09 – Beschluss vom 21. Januar 2010 (LG Krefeld)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Therapiewille; Aussicht auf Erfolg); Aufklärungshilfe (zwingende Erörterung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen).

§ 64 StGB; § 31 Nr. 1 BtMG

1. Fehlender Therapiewille allein hindert eine Unterbringung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht. Zwar kann dieser Umstand ein gegen die Erfolgsaussicht der Entwöhnungsbehandlung sprechendes Indiz sein. Ob der Mangel an Therapiebereitschaft den Schluss auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel rechtfertigt, lässt sich aber nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen.

2. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hängt nicht vom Therapiewillen des Betroffenen ab. Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es gerade sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten erst zu wecken. Das Gericht hat daher gegebenenfalls zu prüfen, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung in der Maßregel geweckt werden kann.


Entscheidung

306. BGH 5 StR 503/09 – Urteil vom 10. März 2010 (LG Görlitz)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeit aufgrund psychischer Störung); Ablehnung des Antrags im Sicherungsverfahren; Entschädigungspflicht (Störung des Rechtsfriedens; Maß des Sonderopfers).

§ 63 StGB; § 20 StGB; § 2 Abs. 1 StrEG; § 413 StPO

1. Für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus muss die in der Anlasstat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit des Täters als Folge der psychischen Störung erscheinen. Die Störung muss mindestens wesentlich mitursächlich für die rechtwidrige Tat geworden sein.

2. Die Ablehnung einer beantragten Unterbringung nach § 63 StGB im Sicherungsverfahren ist einem Freispruch gleichzusetzen, sodass nach § 2 Abs. 1 StrEG grundsätzlich eine Entschädigungspflicht der Staatskasse für die Zeit eines vorläufigen Freiheitsentzugs besteht. Die Norm gilt auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft von vornherein ein Sicherungsverfahren betreibt, ihr Ziel der Unterbringung des Beschuldigten nach § 63 StGB jedoch nicht erreicht.