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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2009
10. Jahrgang
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1. Es ist bereits im Ansatz rechtsfehlerhaft, besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu verneinen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellen ist. Dies gilt schon deshalb, weil zu den nach Absatz 2 zu berücksichtigenden Faktoren auch solche gehören, die schon für die Prognose nach Absatz 1 relevant sind (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 375 f.; StV 2003, 670), wie auch umgekehrt besondere Umstände im Sinne des Absatz 2 für die Prognose nach Absatz 1 von Belang sein können (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 31).
2. Für die Annahme besonderer Umstände nach § 56 Abs. 2 StGB genügt es, wenn Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. BGHSt 29, 370, 371; BGH NStZ 1986, 27 m.w.N.). Dass diese Milderungsgründe der Tat Ausnahmecharakter verleihen, verlangt § 56 Abs. 2 StGB nicht (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 1).
3. Bei der Prüfung der besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB ist es zu berücksichtigt, wenn die anlassgebenden Taten vergleichsweise lange zurückliegen und das Strafverfahren nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben worden sind.
1. Die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB setzt keine Vorverurteilung und mithin auch keine Vorverbüßung (längerer) Freiheitsstrafe voraus. Dass der Angeklagte bisher zu keinen längeren Strafen als zwei Jahre Freiheitsstrafe oder zwei Jahren zwei Monaten Jugendstrafe verurteilt worden ist, von denen er nicht mehr als jeweils mehrere Monate in Folge verbüßt hat, ist als solches ebenso wenig ein gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung sprechender Umstand wie die Tatsache, dass es dem Angeklagten in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen gelungen ist, von ihm begangene Straftaten einer anderen Person „in die Schuhe zu schieben“.
2. Eine frühere Unbestraftheit oder nur geringfügige Vorstrafen können aber darauf hinweisen, dass es sich bei den jetzt abzuurteilenden Taten um ein Augenblicksversagen gehandelt hat und der Angeklagte in der Lage ist, seinen Hang zu kriminellen Taten zu beherrschen.
3. Die Erwartung, dass ein langjähriger Freiheitsentzug und das Fortschreiten des Lebensalters des Angeklagten bei diesem eine weitere Haltungsänderung bewirken werde, ist zwar bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen (std. Rspr., vgl. BGH NStZ 1985, 261; 2004, 438; 2007, 401; StV 2008, 139, 140 Rdn. 8). Dies gilt jedoch nur dann, wenn sich aus den Feststellungen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Haltungsänderung
beim Angeklagten bereits eingetreten ist oder erfahrungsgemäß eintreten wird.
1. Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass als „neu“ im Sinne des § 66b Abs. 2, Abs. 1 StGB nur solche Tatsachen gelten können, die dem im Ausgangsverfahren zuständigen früheren Tatrichter auch bei Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht nicht hätten bekannt werden können. Umstände, die für den ersten Tatrichter hingegen erkennbar waren, die er aber nicht erkannt hat, scheiden demgegenüber als neue Tatsachen in diesem Sinne aus (BGHSt 50, 180, 187; 50, 284, 296; 51, 185, 187; 52, 31, 33; BGH NJW 2006, 3154, 3155; StV 2008, 636, 637).
2. Auch psychiatrische Befundtatsachen können im Einzelfall „neue“ Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB darstellen. Dies setzt allerdings voraus, dass die zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen für den früheren Tatrichter nicht erkennbar waren und damit als „neu“ im Sinne des § 66 b StGB zu bewerten sind (BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine bloße Um- bzw. Neubewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen und eine hierauf gestützte bloße Änderung der psychiatrischen Bewertung genügen hingegen nicht (BGHSt 50, 275, 278). Ebenso wenig können Tatsachen, die zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die sich ein im Ausgangsverfahren bekannter bzw. erkennbarer Zustand aber lediglich bestätigt, als „neu“ gelten (BGH StV 2007, 29, 30).
3. Vielmehr ist Voraussetzung für die Einordnung der Anknüpfungstatsachen als „neue“ Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB, dass sie die Gefährlichkeit des Betroffenen höher bzw. in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (BGH StV 2008, 636, 638), etwa wenn sie belegen, dass sich eine bekannte Störung des Verurteilten in nicht vorhersehbarer Weise vertieft oder verändert hat (BGH StV 2007, 29, 30).
4. Soweit nach der zu § 66b Abs. 3 StGB ergangenen Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 7. Oktober 2008 (NStZ 2009, 141) die nachträgliche Verhängung von Sicherungsverwahrung nicht davon abhängt, ob die Tatsachen, welche die Gefährlichkeit des Verurteilten ausmachen, zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung erkennbar gewesen waren, ist dies auf Fälle des § 66b Abs. 1 und 2 StGB nicht übertragbar.
1. Zum Beleg der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung und des Hangs im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB empfiehlt es sich, die entscheidenden Vortaten und Vorstrafen in gestraffter und auf das Wesentliche konzentrierter Form darzustellen. Die wörtliche Wiedergabe der Feststellungen aus den Vorverurteilungen verursacht hingegen unnötige Schreibarbeit und beeinträchtigt die Verständlichkeit des Urteils.
2. Auch die vollständige Wiedergabe aller Eintragungen im Bundeszentralregister ist verzichtbar. Sofern es für die Darstellung der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten von Belang ist, wann dieser erstmals strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, so genügt auch eine zusammenfassende Schilderung.
Zwar ist die Anwendung des § 46a Nr. 2 StGB bei Vermögensdelikten nicht schon von vorneherein ausgeschlossen (BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 1). Sie setzt jedoch einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muss (BGH wistra 2002, 21; BGH NStZ 2006, 275, 276 m.w.N.) und in dessen Verlauf der Angeklagte die Übernahme der Verantwortung für seine Taten zum Ausdruck bringt (BGHSt 48, 134, 141).
Ob Umstände, wie das Nichtvorliegen einer „Verzweiflungstat“ und das Fehlen einer Provokation durch das Tatopfer strafschärfend gewertet werden dürfen, kann nur nach Lage des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. BGHSt 34, 345). Demgemäß bedarf die strafschärfende Wertung solcher Umstände einer besonderen Begründung, um dem Revisionsgericht die rechtliche Nachprüfung zum Beispiel bei der Prüfung zu ermöglichen, ob ein minder schwerer Fall zu Recht abgelehnt worden ist.
Hat der vorhandene Hang jedenfalls neben anderen Umständen zur Begehung der Anlasstaten beigetragen, kann
dies für die Annahme einer Symptomtat im Sinne von § 64 StGB ausreichen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 78).
1. Ob das Tatgericht eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 21 StGB bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen vornimmt oder nicht, hat es nach seinem pflichtgemäßen Ermessen aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände zu entscheiden.
2. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob sich aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten für den Angeklagten vorhersehbar signifikant erhöht hatte.
1. Im Falle des Nebeneinanders von Freiheitsstrafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist gemäß § 67 Abs. 1 StGB die Maßregel regelmäßig vor der Strafe zu vollziehen, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht.
2. Der Tatrichter kann von diesem Grundsatz abweichen (§ 67 Abs. 2 StGB), sofern durch die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge der Zweck der Maßregel leichter zu erreichen ist. In besonderen Fällen gilt dies auch bei einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB), wenn der Maßregel eine schwere andere seelische Abartigkeit zugrunde liegt.
3. Will der Tatrichter jedoch von der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge abweichen, so muss er diese Entscheidung mit auf den Einzelfall abgestellten, nachprüfbaren Erwägungen begründen.
4. Zur Begründung eines Vorwegvollzugs können etwa die Erwägungen herangezogen werden, dadurch solle eine nachhaltige Therapiebereitschaft hervorgerufen oder ein eventueller Therapieerfolg durch nachfolgende Strafvollstreckung nicht gefährdet werden.